Das kurze 20. Jahrhundert mit seinen Wirren, Verwerfungen, Innovationen und radikalen Umbrüchen brachte Karrieren hervor, die heute nur schwer vorstellbar erscheinen. Eliten vergingen – etwa die Königshäuser nach dem Ersten Weltkrieg –, und neue Klassen von Funktionseliten bildeten sich heraus, ob in den neu entstandenen Demokratien oder den sogenannten Volksrepubliken nach dem Zweiten Weltkrieg. Nur vor diesem Hintergrund ist der Aufstieg des 1892 im Habsburger Reich in kleinbäuerliche Verhältnisse hineingeborene Josip Broz zu verstehen.
Bildung war dabei nicht der Schlüssel: Die wenigen Jahre in der Volksschule und auch die anschließende Schlosserlehre waren wohl kaum geeignet, Josip Broz mit einem breiten Wissen auszustatten und seine intellektuelle Brillanz zu entfalten. Die Bildung erfolgte auf anderen Wegen: Zunächst durch arbeitsbedingte "Wanderjahre" durch die Industrielandschaften Deutschlands und Österreichs, womöglich durch den Einsatz im Ersten Weltkrieg, nach dessen Ende er – nach eigenen Angaben aus russischer Gefangenschaft befreit – Zeuge der Oktoberrevolution wurde. War dies (s)ein "Erweckungserlebnis", wie es in die später revolutionär aufgeladene Biografie passte?
Fest steht, dass Josip Broz nach seiner Rückkehr in das nach dem Ersten Weltkrieg aus der Konkursmasse des Habsburger Reiches neu gegründete Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen begann, im Gewerkschaftsumfeld und später auch in der ab 1921 als staatsfeindlich verbotenen Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) politisch tätig zu werden. Hier erhielt er eine zweite Sozialisation als kommunistischer Agitator, als Untergrundkämpfer für eine "gerechte Sache". Vom "Ende der Geschichte" her betrachtet, mag man sich fragen: Was suchte ein Mitte 30-Jähriger in diesen geheimen, verschwörerischen Zirkeln einer in Jugoslawien marginalisierten Partei mit kaum mehr als einigen Tausend, vielleicht auch nur einigen Hundert Mitgliedern? War es der Wunsch, die Welt zu verändern, war es der Nervenkitzel, mit falschen Identitäten das Land zu durchstreifen, oder war es schlicht der Wille zur Macht? Für das Verständnis der möglichen Motive ist es entscheidend, sich vor Augen zu führen, dass die kommunistische Bewegung in den 1920er Jahren noch weitgehend unverbraucht war. Noch konnte sie – je nach Perspektive – für eine strahlende Zukunft, für eine wahrhafte Moderne stehen.
Je weniger das serbisch dominierte Königreich es verstand, einen Ausgleich der widerstrebenden Nationalinteressen der in ihm vereinigten Völker zu finden, umso repressiver setzte es sich seinen Widersachern zur Wehr. In den Strudel der Repression geriet auch Josip Broz: 1928 wurde er wegen kommunistischer Agitation zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Diese brachte ihn im berüchtigten Gefängnis Lepoglava in die unmittelbare Nähe zu kommunistischen Ideologen und dem Führungszirkel der KPJ. Man kann diese Zeit als eine sehen, in der er entscheidende Kontakte knüpfte und zu einem tieferen Verständnis der kommunistischen Ideologie gelangte. Anders ließe es sich auch kaum erklären, dass er kurz nach seiner Entlassung in das Zentralkomitee der KPJ aufstieg.
Nach Schulungen in Moskau und mehreren Aufenthalten im legendären Hotel Lux, wo Netzwerke geknüpft und künftige Führungseliten für die nach dem Zweiten Weltkrieg entstehenden "Volksdemokratien" ausgebildet wurden, wurde Broz nach einer von Stalin initiierten Säuberung des Zentralkomitees der KPJ 1934 zum Generalsekretär der Partei ernannt. Zwar war er im Land selbst kaum bekannt und auch die Mitgliederzahl der Kaderpartei hatte sich in der Illegalität nicht nennenswert vergrößert, aber dennoch hatte er nun eine Position erlangt, die ihm in den kommenden Jahren zur Macht verhelfen sollte.
Aus dem Partisanenkampf geboren
Als das Deutsche Reich das Königreich Jugoslawien am 6. April 1941 angriff, zeigte sich schnell die Zerbrechlichkeit des südslawischen Einheitsstaats: Die Armee zerfiel innerhalb weniger Tage, da nicht nur Kroaten und Slowenen massenhaft desertierten – sie wollten ihr Leben nicht für das ungeliebte Königreich aufs Spiel setzen. Nach elf Tagen kapitulierte Jugoslawien. Das Staatsgebiet wurde zwischen dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten, Italien und Bulgarien, aufgeteilt. Auf dem Gebiet Kroatiens entstand mit dem Unabhängigen Staat Kroatien ein faschistisches Marionettenregime, dessen Führer Ante Pavelić sofort dazu überging, unliebsame Volksgruppen und Religionsgemeinschaften – allen voran Serben und Juden – brutal verfolgen zu lassen. In Serbien konnten sich Teile der Zwischenkriegseliten nicht mit der bestürzenden Niederlage abfinden und kämpften als Tschetniks unter dem vormaligen Oberst der königlich-jugoslawischen Armee Dragoljub Draža Mihailović gegen die deutsche Besatzung.
Als wenige Monate später das Deutsche Reich die Sowjetunion überfiel, begann auch Josip Broz, eine Widerstandsbewegung zu organisieren. Zwar hatte die KPJ nach wie vor eine geringe Mitgliederzahl, dafür aber war sie in allen Teilen des früheren Königreichs aktiv. Das brutale Besatzungsregime insbesondere der Wehrmacht, aber auch die unsäglichen Repressionen des Pavelić-Regimes in Kroatien entfachten den Widerstandsgeist vor allem in Teilen der jungen Generation, die den gesellschaftsutopischen Visionen kommunistischer Prägung nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand.
Broz operierte erneut aus dem Untergrund heraus und konnte – dank seiner Seilschaften aus der Zeit im Gefängnis – erste Partisaneneinheiten aufstellen. Diese waren zumeist schlecht ausgebildet und noch schlechter ausgerüstet, agierten aber mit einigem Geschick sowohl gegen die Okkupationsmächte als auch gegen die einheimischen Kontrahenten, allen voran die serbisch-nationalistischen Tschetniks. Je erfolgreicher die Partisanen mit ihren Anschlägen gegen die deutsche Besatzung waren, umso repressiver reagierte das Besatzungsregime. Im sogenannten Sühnebefehl verfügte das Oberkommando der Wehrmacht bereits im September 1941, dass für jeden aus dem Hinterhalt getöteten deutschen Soldaten 50 bis 100 Zivilisten zu töten seien. Diese Gewaltwillkür trieb den Widerstandsbewegungen erst recht neue Anhänger in die Arme.
Josip Broz, der bereits in den 1930er Jahren den Parteinamen "Tito" angenommen hatte, wurde mit dem Wachsen der Partisanenbewegung immer bekannter und zunehmend zur Gallionsfigur des kommunistischen Widerstands. Ab Mitte 1943 fahndete schließlich auch die Wehrmacht mit Plakaten nach ihm und setzte eine Belohnung von 1000 Goldmark auf seine Ergreifung aus. Die Popularisierung nahm nun ihren Anfang: Unter den Partisanen, oft waren es sehr junge Menschen, kursierten an südslawische Heldenepen angelehnte Geschichten und Lieder über Titos besonderen Mut und kämpferisches Geschick. Hierbei wurden bewusst oder unbewusst tradierte Mythen revitalisiert. Der erfolgreiche Kampf gegen den militärisch fast übermächtigen Gegner und dessen glücklose Versuche, den Partisanenanführer zu ergreifen, luden das Charisma Titos nach und nach mit dem Nimbus des genialen Kriegshelden auf.
Folgt man dem Begründer der deutschen Soziologie, liegt darin ein Schlüssel zum Verständnis des "Mythos Tito": Max Weber definiert Charisma nicht als eine Eigenschaft, die jemand hat, sondern als ein soziales Konstrukt, das die Basis für eine herrschaftsanerkennende Beziehung bildet. Charisma wird einer Person dabei durch die Anhängerschaft zugeschrieben. Den Ausgangspunkt bilden besondere Leistungen, aber die Zuschreibung bleibt dynamisch: Der charismatische Führer muss sich in den Augen seiner Anhänger bewähren, sonst endet der Zuschreibungsprozess, und das Charisma verliert seine Wirkungsmächtigkeit in der "Veralltäglichung" der Herrschaft. Weber geht also davon aus, dass sich charismatische Herrschaft nur dann stabilisieren kann, wenn sie dauerhaft Vorteile für die Anhängerschaft bringt, die er als "Bewährungsmomente" bezeichnet. Die Theorie Webers lässt sich hervorragend auf die Beziehung zwischen Tito und den Partisanen anwenden. Die Zuschreibung von Charisma erfolgte hier durch die Partisanen, und der Widerstandskampf wurde zum ersten Bewährungsmoment der im Entstehen begriffenen Herrschaft Titos.
Mythologisierung und Personenkult
1943/44 wurden die Partisanen zur stärksten Widerstandsgruppe auf dem Gebiet des früheren Königreichs Jugoslawiens. Die Alliierten erkannten ihre strategische Bedeutung und begannen, die Bewegung materiell und logistisch zu unterstützen. Dabei spielten die Briten eine herausragende Rolle, die Verbindungsoffiziere in das Hauptquartier der Partisanen entsandten, während die Unterstützung des "großen Bruders" Sowjetunion kaum eine Rolle spielte. Den Partisanen gelang es zunehmend, in befreiten Gebieten eigene Verwaltungsstrukturen aufzubauen, etwa auf dem Gebiet Bosniens. Auch der Tito-Mythos gewann damit an Kontur.
Am 29. November 1943 versammelten sich Delegierte aus allen Landesteilen in der bosnischen Stadt Jajce. Die Sitzung des sogenannten Antifaschistischen Rates der Volksbefreiung Jugoslawiens (AVNOJ) legte nicht nur die Grundlagen für die spätere Nachkriegsordnung – Jugoslawien sollte in einer sozialistischen und föderativen Form wieder entstehen – sondern implementierte auch den Kult um den Partisanenführer, der bei dieser Gelegenheit seine erste dokumentierbare Form erhielt: Hinter dem Rednerpult wurde eine Büste Titos platziert und der Partisanenführer in den Rang eines Marschall erhoben. Dass der jugoslawische Kommunistenführer damit nun Stalin gleichgestellt war, wurde in Moskau als Affront gewertet. Der Ablauf der Sitzung war zwar choreografiert worden, gleichwohl scheint die Anerkennung, die Titos Herrschaft dort erhielt, keine rein inszenierte gewesen zu sein. Die soziale Basis der Partisanen war bereit, ihrem Anführer das herrschaftsstiftende Charisma zuzusprechen und verehrte ihn in authentischer Weise. Der Nimbus des Unbesiegbaren – tatsächlich waren alle Versuche der Wehrmacht gescheitert, Tito in großangelegten Kommandoaktionen zu ergreifen – und die militärischen Erfolge der Partisanen gegen den übermächtigen Gegner lieferten die wesentliche Grundlage für die Mythologisierung Titos.
1944 sicherten die Partisanen ihre militärische Position und konnten weitere Gebiete befreien. Anders als in den späteren sozialistischen Nachbarstaaten gelang den Partisanen die Befreiung ohne nennenswerte Hilfe der Roten Armee, die daher nach Kriegsende auch nicht im Land stationiert war. In diesem Umstand liegt auch das Selbstbewusstsein der jugoslawischen Kommunisten begründet, das wenige Jahre später eine entscheidende Rolle im Konflikt mit der Sowjetunion spielen sollte. Zunächst jedoch gerierte sich die KPJ als treue Schülerin Stalins, und auch der Personenkult um Tito wurde nach sowjetischem Muster entworfen und umgesetzt.
Deutlich wird dies in Anweisungen, die in postjugoslawischen Archiven einsehbar sind: Der Kult um Tito wurde ab 1945 von Partei und Propagandaapparat gezielt entwickelt. Einen besonderen Ausdruck fand dieser in sogenannten Stafettenläufen, die zu Titos (vermeintlichem) Geburtstag am 25. Mai 1945 erstmals mit großem Aufwand veranstaltet wurden. Sie führten quer durch das Land in die Hauptstädte der neu gegründeten Volksrepublik Jugoslawien, während als Höhepunkt eine Parade mit Abschlusskundgebung in Belgrad stattfand. Hier huldigte die Bevölkerung ihrem "geliebten Marschall", die Stadt war mit jugoslawischen Fahnen und Tito-Bildern geschmückt. Der ebenfalls praktizierte Kult um Stalin spielte dabei eine erkennbar untergeordnete Rolle.
Der Titokult wurde der jugoslawischen Nachkriegsgesellschaft somit von Beginn an eingeschrieben und Josip Broz dabei zur Symbolfigur der nach Kriegsende mantraartig beschworenen "Brüderlichkeit und Einheit" des neuen jugoslawischen Föderalstaats. Gewiss teilten nicht alle die Begeisterung für das sozialistische Gesellschaftsexperiment. Die faschistischen kroatischen Ustascha-Anhänger, slowenische Domobrancen (Heimatverteidiger), die nationalistischen serbischen Tschetniks und Kollaborateure der Besatzungsmächte hatten erbitterten Widerstand gegen die Partisanen geleistet. Nun wurden sie verfolgt und fielen den als "Abrechnung mit einheimischen Feinden" bezeichneten Aktionen wie dem Massaker von Bleiburg zum Opfer. Damit war der letzte Schritt zur Festigung der Herrschaft der jugoslawischen Kommunisten getan, die sich nunmehr ganz dem Wiederaufbau und der Sowjetisierung des massiv zerstörten Landes widmeten.
Bruch mit der Sowjetunion
Das Selbstbewusstsein, mit dem Tito sowohl gegenüber Moskau als auch mit Blick auf die Alliierten auftrat, speiste sich aus der eigenen Machtbasis und seinen guten Verbindungen etwa zu den Kommunistenführern Albaniens, wo die Partisanen die Befreiungsbewegung unterstützt hatten, und Bulgariens. Als Tito dazu überging, offen von einer Balkanföderation zu sprechen, wurde die Sowjetführung unruhig. Stalin war unter keinen Umständen bereit, dem jugoslawischen Marschall einen größeren Einfluss zuzugestehen, und ließ daher die Geheimdienstaktivitäten in Jugoslawien intensivieren. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Sowjetunion kein besonderes Interesse an einer forcierten Industrialisierung Jugoslawiens zeigte.
Die aus dieser Gemengelage resultierenden Spannungen nahmen in der ersten Hälfte des Jahres 1948 zu, bis Tito eine Einladung des Kominform-Büros ausschlug, mit dem die Sowjetunion ihren Einfluss in Ost- und Südosteuropa auszudehnen versuchte. Es liegt nahe, dass er befürchtete, dort verhaftet zu werden, während gleichzeitig die moskautreue Fraktion der jugoslawischen Kommunisten die Macht in Jugoslawien übernommen hätte. Der Eklat führte am 28. Juni 1948 zum Ausschluss Jugoslawiens aus dem sowjetischen Machtbereich und damit zu einer sofortigen Beendigung aller Handelsbeziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten. Die jugoslawischen Kommunisten reagierten geschockt, aber dem Machtzirkel um Tito gelang es mit repressiven Mitteln, den innenpolitischen Einfluss Moskaus zu brechen. Dennoch stürzte das sowjetische Verdikt den wirtschaftlich schwachen jugoslawischen Staat in eine tiefe politische und ökonomische Krise. Trotz erheblicher Anstrengungen – zum Staatsgründungstag Jugoslawiens am 29. November 1948 rief die Kominform offen zum Sturz Titos und zum Kampf gegen den "Titoismus" auf – gelang es Stalin aber nicht, Tito abzusetzen.
Diese erste große Krise der charismatischen Herrschaft Titos mündete vielmehr in einen zweiten Bewährungsmoment: Aus der Not heraus mussten sich die jugoslawischen Kommunisten nun von Moskau distanzieren, und dies machte den Weg frei für eine Neuinterpretation der marxistischen Theorie jenseits stalinistischer Doktrin. So wurde der Ausschluss Jugoslawiens aus dem sowjetischen Machtblock zum Ausgangspunkt für die Entstehung des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus und führte auch dazu, dass sich Jugoslawien neue Verbündete suchen musste, da es aus eigener Kraft nicht dauerhaft überlebensfähig gewesen wäre. Vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges erkannte Tito in der Annäherung an den Westen eine Chance. Die USA witterten demgegenüber in der Unterstützung Titos die Gelegenheit, einen Keil in den sowjetischen Hegemonialbereich zu treiben. Dank westlicher Militär- und Wirtschaftskrise, aber auch dank des Rückhalts, den die charismatische Herrschaft Titos in der jugoslawischen Bevölkerung hatte, konnte sich Tito über Wasser halten.
Auf den Bühnen der Welt
In den 1950er Jahren zeigten Wiederaufbau und Industrialisierung des Landes erste Erfolge, und nachdem Stalin im März 1953 gestorben war, wurde ab Mitte des Jahrzehnts auch eine allmähliche Wiederannäherung an die Sowjetunion möglich. Tito verstand es außenpolitisch exzellent, sowohl mit dem Ostblock als auch mit der westlichen Welt Geschäfte zu machen, von denen Jugoslawien profitieren konnte. Tito selbst bewegte sich mehr und mehr auf internationalem Parkett und schien sich in der Rolle des weltgewandten Staatsmanns zu gefallen. Er knüpfte außerdem wichtige Kontakte jenseits von Europa, etwa zu Ägyptens Staatschef Gamal Abdel Nasser, zu Indiens Premierminister Jawaharlal Nehru oder dem indonesischen Machthaber Sukarno. Die Kontakte zwischen diesen Staaten, die allesamt eine Politik der Unabhängigkeit von den beiden Machtblöcken in Ost und West und eigene Modernisierungskonzepte verfolgten, mündeten 1961 in einen beeindruckenden Erfolg der titoistischen Außenpolitik: Im September 1961 kamen Vertreter von 25 Staaten in Belgrad zusammen und gründeten die "antiimperialistisch" ausgerichtete Organisation der Blockfreien Staaten, in der Jugoslawien fortan eine Führungsrolle übernehmen sollte.
Tito selbst intensivierte die außenpolitischen Beziehungen Jugoslawiens durch eine intensive Reisetätigkeit, auch in die neu entstandenen postkolonialen Staaten der "Dritten Welt". Zwischen 1944 und 1980 absolvierte er 170 Staatsbesuche im Ausland. Die Reisen Titos und der pompöse Empfang ausländischer Staatschefs in Jugoslawien wurden zu einem neuen Signum der titoistischen Herrschaft und zu einem neuen Bewährungsmoment: Die Anerkennung, die Jugoslawien hierbei zuteilwurde, wirkte in die Gesellschaft zurück, die sich ab den 1960er Jahren zu öffnen begann. Eine Rolle spielte dabei auch der Massentourismus an die Adria, der zahlreiche Jugoslawen mit Besuchern aus Ost und West zusammenbrachte, sowie die Arbeitsmigration von Jugoslawen nach Deutschland. Zudem genossen die Jugoslawen im Gegensatz zu den Bewohnern der Ostblockstaaten Reisefreiheit.
Wirtschaftlich waren die 1950er und 1960er Jahre eine Phase des stabilen Wachstums der jugoslawischen Volkswirtschaft, von dem die Bevölkerung profitierte. Konsumgüter wurden produziert und waren dank staatlich regulierter Preise auch für Durchschnittsverdiener einigermaßen erschwinglich. Dem Selbstverwaltungssozialismus titoistischer Prägung schien es weitaus besser als den zentralistisch geführten Planwirtschaften zu gelingen, die Konsumbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Lange Schlangen vor und leere Regale in den Geschäften waren hier die Ausnahme.
Vor diesem Hintergrund bildete sich ein gewisses jugoslawisches Selbstbewusstsein heraus. Das "jugoslawische Modell" strahlte in die Welt aus und fand nicht zuletzt in der westlichen Studentenbewegung Sympathisanten und Anhänger. Gleichzeitig wuchs jedoch auch in Jugoslawien die Unzufriedenheit der jungen Generation: Trotz der guten Wirtschaftslage standen im Land selbst nicht genügend qualifizierte Arbeitsplätze zur Verfügung, und auch die Divergenzen zwischen der Rhetorik des Selbstverwaltungssozialismus und seiner realen, oftmals bürokratisch überformten Umsetzung waren die Gründe. So kam es 1968 in Jugoslawien zu zahlreichen, meist aus der Studentenschaft heraus organisierten Massendemonstrationen und der Besetzung etwa der Universität von Belgrad. Indem sich Tito in einer Fernsehansprache hinter die Forderung der Studenten nach einer Eindämmung der Bürokratie und einer Weiterentwicklung des Selbstverwaltungssystems stellte, anstatt der Bewegung ein gewaltsames Ende zu setzen, gelang es ihm, die Kritik in Zuspruch zu verwandeln und die Situation rasch zu beruhigen. Einmal mehr konnte sich seine Herrschaft in einer Krisensituation bewähren.
Dass die als staatserzeugender Mythos gepflegte "Brüderlichkeit und Einheit" der jugoslawischen Ethnien durchaus nicht unverbrüchlich war, wurde zu Beginn der 1970er Jahre deutlich. Unter den Kommunisten der Nachkriegsgeneration regte sich Unzufriedenheit über den ethnischen Proporz. Der Devisenschlüssel, mit dem die Einnahmen aus dem Tourismus über das gesamte Land, das nach wie vor von einem starken Entwicklungsgefälle von Nord nach Süd gekennzeichnet war, umverteilt wurden, stand in der Kritik der kroatischen Kommunisten. Als Forderungen nach einer staatlichen Eigenständigkeit Kroatiens mit eigener Armee aufkamen, griff Tito ein. Nun setzte er allerdings auf Repression und ließ Tausende Anhänger der Reformbewegung verhaften. Auch wenn das "Krisenmanagement" vordergründig zu einer Stärkung seiner Machtposition führte, so wurden doch bereits die Bruchlinien deutlich, an denen der Staat später zerbrechen sollte.
Höhepunkt und Schicksalsstunde
Als die Krise ihren Lauf nahm, war Tito bereits 79 Jahre alt. Zwar funktionierte die charismatische Beziehungsstruktur zwischen Tito und seiner Anhängerschaft noch, und jenseits der politischen Säuberungen gab es durchaus liberale Freiräume in der jugoslawischen Gesellschaft, aber der Kern der "charismatischen Botschaft", die "Brüderlichkeit und Einheit", hatte erste Risse bekommen. Die politische Klasse reagierte mit einer Ausweitung des Titokults. Die Feiern zu Titos 80. Geburtstag wurden in einem gigantischen Massenspektakel inszeniert, die Huldigungen überschlugen sich förmlich, und die Person Tito wurde mehr und mehr mit dem Staat Jugoslawien gleichgesetzt.
Auch wenn es ein Tabu blieb, über eine mögliche Nachfolge für Tito auch nur nachzudenken, so versuchte der alternde Staatschef dennoch, eine Nachfolgeregelung zu finden. Diese wurde schließlich in der neuen Verfassung von 1974 kodifiziert und legte fest, dass die Macht nach Titos Tod – er war Präsident auf Lebenszeit – auf ein nach ethnischem Proporz zusammengesetztes Staatspräsidium übergehen sollte, dessen Vorsitz jährlich zwischen den sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Gebieten rotieren würde. Damit war klar: Einen starken Nachfolger für Tito würde es nicht geben können.
Die Verfassung legte außerdem ein hochkomplexes System für die wirtschaftlichen Beziehungen der selbstverwalteten Betriebe fest. Gleichzeitig geriet die Wirtschaft in eine Krise, deren Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bevölkerung durch die Aufnahme von Auslandskrediten abgemildert und in weiten Teilen auch verdeckt wurden. Der Enthusiasmus, den die Partisanengeneration für das sozialistische Projekt aufgebracht hatte, verflog zusehends, und es wurde spürbar, dass der Selbstverwaltungssozialismus zunehmend in bürokratischen Regularien erstarrte, ohne seine Versprechungen gehalten zu haben. Auch das Charisma Titos erstarrte in jener Zeit in den immer gleichen Ritualen und Beschwörungen. Die unausgesprochene Frage: "Was wird nach Tito?" stand wie der berühmte rosa Elefant im Raum.
Als die Nachricht vom Tod des Staatschefs am 4. Mai 1980 gegen 20 Uhr verkündet wurde, reagierte die Bevölkerung mit einer an Schock grenzenden Bestürzung. Die Bilder der Trauernden zeigten eine authentische Anteilnahme. Die Beerdigung des Partisanenführers wurde zu einem letzten Triumph Titos umgedeutet und ist bis heute einer der größten Staatsakte der neuesten Geschichte: In den Tagen zwischen dem 5. und 8. Mai nahmen im Belgrader Parlamentsgebäude mehr als eine halbe Million Menschen Abschied von Tito. Unter den Trauergästen, die am Sarg Titos vorbeizogen, befanden sich auch zahlreiche Staatschefs und ausländische Delegationen. Innerhalb von zwei Tagen waren allein 1208 Personen aus 121 Staaten auf dem Belgrader Flughafen gelandet, um den Trauerfeierlichkeiten beizuwohnen.
Das Staatspräsidium, das in den kommenden Jahren von farblos wirkenden Bürokraten geführt wurde, verschrieb sich einer Politik des "weiter so" beziehungsweise in jugoslawischer Diktion "Posle Tita, Tito!" (Nach Tito, Tito!). Am Personenkult wurde festgehalten, insbesondere durch die weiterhin jährlich stattfindenden Stafettenläufe, deren Abschlussveranstaltungen in einen immer abstruseren Gigantomanismus abgleiteten.
Mit dem Aufstieg von Slobodan Milošević zum Vorsitzenden der serbischen Kommunisten begann der Abschied vom Kult um den früheren Staatschef. Milošević verfolgte eine serbisch-nationalistische Agenda, die maßgeblich zum allmählichen Zerfall des Gesamtstaates beitrug. Ab 1987 fanden die Stafettenläufe nicht mehr auf gesamtstaatlicher Ebene statt, und 1990 erfolgte schließlich auch die offizielle Abkehr vom Kult um Tito, als an seinem Todestag die serbischen Medien den Personenkult kritisierten und es zu Demonstrationen gegen Tito kam. Tito wurde nunmehr für Teile der jugoslawischen Öffentlichkeiten und politischen Eliten zur Projektionsfläche für Fehler und Versäumnisse. Aber die Stigmatisierung seiner Person führte dennoch nicht dazu, dass sein Charisma vollkommen schwand.
Was vom Mythos geblieben ist
Nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen, die den Zerfall Jugoslawiens begleiteten, schien zunächst nicht viel vom Glanz des Charismatikers übrig. In den vergangenen Jahren zeigt sich jedoch ein Phänomen, das als "Jugonostalgie" bezeichnet wird: Die Vergangenheit wird dabei zum Identitätsanker für Teile der Erlebnisgeneration und deren unmittelbare Nachfahren. Trotz aller Abgrenzungsbemühungen der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken und der widersprüchlichen erinnerungspolitischen Konstellationen verweist die nostalgische Erinnerung an das sozialistische Jugoslawien auf ein kommunikatives Gedächtnis, das quer durch alle Ethnien und sozialen Schichten verläuft und dessen übergreifendes Element die Person Titos ist. In der Erinnerung an die sozialistische Vergangenheit werden die positiv empfundenen Leistungen des Systems nach wie vor mit seiner Herrschaft assoziiert. Die Jugonostalgie verweist allerdings kaum in die Sphäre des Politischen, sondern verschafft dem Charisma Titos eher einen popkulturellen Nachklang. Was von Tito bleibt, ist weniger ein politisches Vermächtnis als sein Gesicht auf Kaffeetassen, T-Shirts und Kühlschrankmagneten.