I. Was geht, wenn sonst nichts mehr geht?
"Deutschland steht still. Und Deutschland verblödet", so lautete unlängst die provozierende These der Wochenzeitung Die Woche
Aber ist wirklich alles so schamlos und absurd, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, oder haben wir es nicht eher mit einer neuen, einer anderen Form von Satire oder Parodie zu tun? Ist das klassische Kabarett am Ende und Comedy zum Kabarett der Jahrhundertwende avanciert, als moderne Weiterführung eines Genres lediglich mit anderen Mitteln? Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik hat bislang kaum stattgefunden. Lediglich die gesellschaftlichen Umstände, in denen sich diese Entwicklung vollzieht, sind Gegenstand soziologischer sowie politik- und medienwissenschaftlicher Arbeiten. Recherchen müssen sich daher überwiegend auf Populärzeitschriften und Zeitungen, auf Meinungsbeiträge sowie auf politische und feuilletonistische Essays stützen. Durch Aussagen und Einschätzungen von Akteuren, Kabarettkennern und Medienexperten sowie durch eigene Beobachtungen und vergleichende Analysen hoffen wir, ein genaueres Bild davon zu zeichnen, was Comedy ist und was sie bewirkt. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf Harald Schmidt und auf der Frage, ob der Late-Night-Talker Vorbild einer jungen, entpolitisierten Generation ist, wir uns alle auf dem Weg in die Spaß- und Spottgesellschaft befinden.
II. Comedy - ein weites Feld
So neu die sich ausbreitende Unterhaltungswelle sein mag, der Begriff comedy ist es keineswegs. Aus dem Englischen übersetzt bedeutet er nichts anderes als Lustspiel, Komödie. Ein comedian ist ein Komödiant, ein Komiker. Und davon gab es auch in der Bundesrepublik schon vor den neunziger Jahren reichlich, selbst in der frühen Nachkriegszeit. Der vielleicht berühmteste Vertreter in Deutschland war Heinz Erhardt. Mit seinen Wortspielereien und Kalauern ("Das Reh springt hoch, das Reh springt weit. Warum auch nicht? Es hat ja Zeit") fand er bereits in den fünfziger und sechziger Jahren sein Publikum.
Auch in den siebziger Jahren gab es mit Otto Waalkes ("Otto") oder Dieter Hallervorden ("Didi"), der vom Kabarett ins rein komische Fach gewechselt war, zwei prominente Repräsentanten des Klamauks und der Blödelei. Victor von Bülow ("Loriot") dagegen machte zur gleichen Zeit "die pure und brillante Komik auch bei den gebildeten Ständen salonfähig", wie Peter Knorr, Mitbegründer des Satiremagazins Titanic, in agenda schreibt
Heute dagegen ist der Klamauk - unter dem neudeutschen Etikett Comedy - gesellschaftsfähig geworden. Schrill ist schick, erlaubt prinzipiell alles. Weder der ostfriesische Blödel-König noch der Aristokrat ante portas ändern etwas an dem Faktum, dass es eine vergleichbare Amüsierwut in Deutschland seit den zwanziger Jahren nicht mehr gegeben hat. Franz Kotteder stellt hierzu in der Süddeutschen Zeitung lapidar fest: "Kein Zweifel, die Deutschen drängt es hin zum Schwachsinn."
Rüdiger Hoffmann beispielsweise ("Ja hallo erst mal") lebt davon, in einschläferndem Tempo Alltagsbanalitäten zum Besten zu geben. Hoffmanns Erzählungen heißen "Mein Mitbewohner", "Die Salzgebäckpalette" oder "Nutella". Tom Gerhard mimt indessen den Ruhrpott-Proletarier ("Boa ey"), verkleidet sich als Kondom und lockte mit seinem Film "Ballermann 6" über zwei Millionen Deutsche in die Kinos. Piet Klocke, der Comedy-Professor und "Don Quixote des Verbalen", gilt hingegen als unumstrittener Meister des gepflegten Halbsatzes, Ingo Appelt als Experte für den bösartigen Witz, der vor keiner verbalen Entgleisung zurückschreckt.
Weit weniger festgelegt ist hingegen Anke Engelke. Sie spielt das Girlie ebenso überzeugend wie den Vamp oder die Hausfrau in Kittelschürze. Derartige Vielseitigkeit bleibt nicht unbelohnt, und so darf sie sich seit Anfang 2000 über ihre eigene Comedy-Serie "Anke" in SAT 1 freuen. Michael Mittermayer hat sich derweil als "TV-Junkie" darauf spezialisiert, ironisch über die Werbung und das Fernsehen herzuziehen, in dem er im "Quatsch Comedy-Club" auf PRO 7 dann regelmäßig selbst auftritt. Das Fernsehen ist auch die Plattform für Wigald Boning. Er befragte bis zu seinem Wechsel zur Morning-Show auf PRO 7 in "RTL Samstag Nacht" Passanten zu Themen wie einem angeblich geplanten "Salami-Verbot für Nichtschwimmer". Gemeinsam mit seinem wandlungsfähigen Partner Olli Dittrich parodierte er zudem in Nonsens-Interviews ("Zwei Stühle - eine Meinung") gängige Talkshow-Formate.
Doch das war lediglich die erste Karriere des Gespanns Boning/Dittrich. Als "Die Doofen" standen sie 1995 mit ihrer CD "Lieder, die die Welt nicht braucht" wochenlang auf Platz 1 der Deutschen Hitparade. Sie sind bei weitem nicht die einzigen, die in der Musikbranche mit einer Blödeloffensive Furore machen. Helge Schneider, die "singende Herrentorte", ist von Haus aus ein gestandener Jazzmusiker. Sein Durchbruch gelang ihm jedoch mit Liedern wie "Katzenklo" und "Fitze fitze fatze", bei denen er bewusst falsch singt und auch nur den Anflug von Sinngehalt gewissenhaft vermeidet. "Es braucht ein bewundernswertes Maß an handwerklichem Können, um das ständige Danebengehen, das herzzerreißende Stümpertum derart zu kultivieren," bescheinigte ihm Ralf Jüngermann im Deutschen Sonntagsblatt
"Die Doofen", Helge Schneider und jüngst auch Stefan Raab mit seinem "Maschendrahtzaun" ziehen ihre Komik hauptsächlich aus der Verzerrung der Wirklichkeit mit Mitteln der Parodie. Bei anderen Musikern bemerkt man den Unterschied zwischen Original und Abbildung oft kaum noch. Dieter Thomas Kuhn, der bis Ende 1999 stilecht in den textilen Scheußlichkeiten der siebziger Jahre und mit aufgeklebtem Brusthaar-Toupet auftrat, stellte beispielsweise die Schlagerergüsse seiner Hitparaden-Kindheit lediglich in den heutigen Kontext - und riss damit seine Fans zu Begeisterungsstürmen hin. Das Zitat allein reichte für die Unterhaltung. "Meister" Guildo Horn nimmt die Sache mit dem Schlager nach eigenem Bekunden ebenfalls sehr ernst und schaffte damit sogar den Sprung ins Finale des Grand Prix d'Eurovision de la Chanson 1998.
Trotz derartiger Erfolge sind die neuen Spaßmacher keineswegs unumstritten. Im besonderen Maße gilt dies für den Kabarettisten und Moderator Harald Schmidt, der seit Dezember 1995 dienstags bis freitags in SAT 1 zu seiner "Harald-Schmidt-Show" einlädt
III. Harald Schmidt - der Narr der späten Stunde?
Harald Schmidt haust und wütet an der Schnittstelle zwischen Gestern und Heute. Schon sein Werdegang, weil vom klassischen Kabarett kommend, gibt Aufschluss: 1957 in Neu-Ulm geboren und im schwäbischen Provinzstädchen Nürtingen aufgewachsen, wurde Schmidt in Stuttgart zum Schauspieler ausgebildet. Nach einem Theaterengagement in Augsburg holte ihn Kay Lorenz 1984 als Texter ans Düsseldorfer Paradekabarett "Kom(m)ödchen". Zunächst den beiden damaligen Stars Lore Lorenz und Thomas Freitag als Stichwortgeber zu Diensten, stieg Schmidt ins Ensemble auf und entwickelte erste Kabarett-Soloprogramme. Schon bald machte sich Harald Schmidt mit seinen bissigen Programmen in der gesamten Republik einen Namen. Der Südwestfunk wurde auf das "Schandmaul" (Schmidt über Schmidt) aufmerksam und engagierte den Schwaben als Moderator für das Medienquiz "MAZ ab!". Es folgten die Sendungen "Psst" und "Gala", für die Schmidt 1992 seinen ersten Adolf-Grimme-Preis erhielt.
Der endgültige Fernsehdurchbruch gelang ihm mit der Sendung "Schmidteinander", die er zusammen mit dem ehemaligen Chefredakteur des Satiremagazins MAD, Herbert Feuerstein, moderierte. Der Kabarettist hatte es geschafft: Nun fungierte sein kongenialer Partner als Stichwortgeber, war es Schmidt selbst, der Hintergründiges, Zoten und Absurditäten abfeuerte, nicht selten musste Feuerstein selbst als Zielscheibe herhalten. Die ARD ließ daraufhin nicht lange auf sich warten und bot Schmidt 1992 die Moderation der Samstagabend-Show "Verstehen Sie Spaß?" an. Der damals 35-Jährige sagte zu, kam aber mit seiner ironischen Art vor allem beim älteren Publikum nicht sonderlich gut an
Das Angebot von SAT 1 kam Harald Schmidt 1995 offenbar gerade recht. Der Sender machte keinen Hehl daraus, dass die geplante Sendung eine Kopie der "Late Show with David Letterman" werden sollte. So imitierte man nicht nur die Bühnendekoration des US-Kollegen, man konnte mit Schmidt als versiertem TV-Moderator und gestandenem Kabarettisten auch den inhaltlichen Aufbau des Formats übernehmen. David Letterman begreift sich in seiner täglichen Show nämlich nicht in erster Linie als Gesprächspartner seiner Gäste, sondern vielmehr als klassischer Stand-Up-Comedian im Stile eines Johnny Carson. Und genau darauf zielten die Macher der damaligen Produktionsfirma "Brainpool" mit der "Harald Schmidt Show" ab.
So steht Harald Schmidt seit nunmehr über vier Jahren viermal wöchentlich vor der Kamera, um - neben der Präsentation seiner Gäste - das Tagesgeschehen ironisch, sarkastisch oder spöttisch zu kommentieren. Rund siebzig Gags pro Abend kommen ihm über die Lippen, nach eigener Einschätzung stammen allenfalls zwei von Schmidt selbst. Der Rest wird von freien Autoren geliefert. "Mein Beitrag", so Schmidt, "ist die Stimmung, in der ich das Ganze darbiete. Also: Je dünner das Eis, desto fröhlicher der Gesichtsausdruck."
Harald Schmidt, so scheint es, schreckt vor nichts und niemandem zurück: Er scherzt über Ausländer und Blondinen, er macht echte oder vermeintliche Homosexualität von Prominenten zum Thema, er verspottet Sportler und Politiker, Designer und Schlagersänger. Kurzum: Schmidt spielt mit Klischees und Vorurteilen, übertreibt und provoziert, gibt sich zynisch und gemein. Sei es, wenn er nach der Wahl von Henry Maske zum erotischsten Mann des Jahres feststellt: "Ich habe es immer gewusst, Frauen wollen geschlagen werden"
Diesen geschmacklichen Grenzübertritt sah auch Ex-Minister Heinz Eggert gegeben mit Schmidts Antwort auf die Frage "Klauen Polen Autos?": "Wer Schlesien klaut, der klaut auch Autos!" Harald Schmidt verwies im ntv-Interview auf den üblichen Kontext, in dem eine solche Äußerung zu betrachten sei: "Falls ich das tatsächlich gesagt habe, dann habe ich das eindeutig ironisch kenntlich gemacht - vielleicht in Dialekt von jemand, der hat Heimat verloren."
IV. Comedy ist anders - die Gesellschaft auch
Der Fall Klinsmann-Schmidt tangiert ein Thema, das so alt ist wie die Satire selbst. Was ist der Sinn von Satire? Und vor allem: Was darf sie? Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky, selbst Verfasser satirischer Vers- und Prosawerke, betont den blutreinigenden Charakter der Satire, bezeichnet den Satiriker als gekränkten Idealisten, der gegen das Schlechte anrenne und dabei zur Übertreibung gezwungen sei: "Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird. . ."
Doch ist der Humor von Schmidt & Co tatsächlich das, was Tucholsky mit Satire gemeint hat? Ist nicht vielmehr das Auffallen durch Geschmack- und Schamlosigkeit, durch Spaß am Spott die Devise dieses Programms? Ist nicht Gesellschaftskritik längst einem kommerziell kalkulierten Tabubruch, treffende Ironie einem sinnfreien Lachen um seiner selbst willen gewichen? In den Worten Harald Schmidts: Ich produziere "jeden Abend tiefe Bedeutungslosigkeit", aber "ein großes beleuchtetes Nichts"
Comedy ist keineswegs im luftleeren Raum entstanden, stellt also keine isolierte kulturelle Erscheinung dar. Sie ist vielmehr Teil einer low culture, die sich ebenso in Erscheinungen wie Wrestling oder Seifenopern, Talkshows oder Fast Food niederschlägt und vor allem eine jugendliche Klientel anspricht. Der amerikanische Soziologe George Ritzer spricht gar von der "McDonaldisierung der Gesellschaft"
Dass derartige Erwartungen des Publikums durch das (private) Fernsehen geschürt worden sind, liegt nahe. Dem "Scheibenwischer" von Dieter Hildebrandt in der ARD, eines der wenigen Kabarett-Formate, die noch regelmäßig ausgestrahlt werden, ist deutlich anzumerken, dass er nicht für das Medium Fernsehen konzipiert wurde, vielmehr einen abgefilmten Kabarettabend darstellt. Die Sendung wirkt behäbig, ja altmodisch inmitten einer Kultur der Zooms und schnellen Schnitte. Ist der Zuschauer nicht mehr bereit, sich auf ein solches Format einzustellen? "Je mehr das Publikum schnelle, visuell aufregende Programme erwartet, umso langweiliger wird es problemorientierte Programme über öffentliche Angelegenheiten und Nachrichten finden", konstatierte der amerikanische Medienkritiker Neil Postman bereits 1990
Eine erschreckende Vision, der die Psychologin Hertha Sturm entgegensetzt, dass es Differenzen gibt in den vom Fernsehen gesetzten Außenreizen, aber auch in den Anpassungs- und Abwehrstrategien unterschiedlicher Rezipientengruppen
Marken sowie die Musik-, Sport-, Film- und Fernsehstars werden als Werbeträger Teil der Medien und als Symbole der Gegenwartskultur gleichzeitig Inhalt unserer Alltagswelt. Leichte Wiedererkennbarkeit ("Ich sage Ja zu deutschem Wasser") ist dabei ebenso entscheidend wie die Verständigung zwischen verschiedenen Gruppen ohne argumentativen Aufwand. Als gigantische Profitmaschine schneidert das Fernsehen aus Symbolen Lebensstile, aus Fans Konsumenten und Kunden. Die Werbebotschaft der Unterhaltungssendungen wird deckungsgleich mit dem Funktionsprinzip der Schmidt-Show: "Wer versteht, gehört dazu. Wer Erklärungen benötigt, ist ausgeschlossen."
Die Quantifizierung der Unterhaltung ist allerdings nur die eine Seite. Worauf es beim Humor der jungen Generation offensichtlich noch ankommt: Grotesk sollte er sein oder böse - am besten beides. Grotesk ist, wenn die echte "Ricky" - Ex-Mitglied der Popgruppe "Tic Tac Toe" - neben der gefälschten großmütig auf "Rickys Popsofa" Platz nimmt, auf dem sie von Anke Engelke in der "Wochenshow" regelmäßig verspottet wird. Böse - andere würden sagen geschmacklos - ist, wenn "Nachtschwester Kroymann" in der ARD Prinzessin Dianas mögliche Auferstehung satirisch aufbereitet - und das keine fünf Monate nach deren Unfalltod. Wenn schließlich Ingo Appelt die "Bombenstimmung hier im Stadion, 73 000 Schlachtenbummler und ein paar Zerquetschte" in seiner Nummer "Hinrichtung im Stadion" bejubelt
So schrecklich-absurd Appelts Nummer auf den ersten Blick anmuten mag, es verbirgt sich dahinter durchaus mehr, wenn man ihr positiv gesinnt ist: Appelt thematisiert in lediglich 90 Sekunden die latent vorhandene Gefahr in Fußballarenen (die Tragödie im Brüsseler Heysel-Stadion von 1984 ist vielleicht noch in Erinnerung), er verweist genauso auf eine mögliche Beziehung zwischen Fußballbegeisterung und Gewaltbereitschaft wie auf das immense öffentliche Interesse an Berichterstattung über Katastrophen und Unglücke.
Der Comedian greift also Angst- und Tabuthemen auf und zeigt uns deren logische, im Alltag unaussprechliche, aber potentiell schockierenden Zusammenhänge. Nach der Devise: Worüber man sich schämt zu reden, darüber muss man scherzen. Das ist der Grund, warum Witze mit menschlichem Leid so unangemessen umzugehen scheinen. "Weil genau das ihre Funktion ist", meint der Berliner Soziologe Alexander Schuller
V. Scham, Politik und das Fernsehen
Es gibt also noch immer Dinge, über die die Menschen sich schämen zu reden; es gibt Witze, die politische Handlungszwänge abmildern und Erzähler wie Zuhörer gleichermaßen entlasten - da liegt die Frage nahe, ob vielleicht weder die Gesellschaft schamloser, noch die Unterhaltung unpolitischer geworden ist? Der amerikanische Psychoanalytiker Leon Wurmser diagnostiziert zwar eine "Schamlosigkeit der Kultur", denn die Scham habe ihre Funktion, das private Selbst vor dem gesellschaftlichen Zugriff zu behüten, eingebüßt
Der vorsätzlich böse oder auch absurde Witz hat somit schon immer zum Repertoire des komischen Faches gehört. Neu ist jedoch, dass vieles, was sich zur Zeit in den Medien und auf den Bühnen Deutschlands tut, auf eine Akzeptanz stößt, wie sie noch vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten worden wäre. Für Kommentatoren wie Peter Knorr hat dies "mit gesellschaftlichem Wandel, mit Entpolitisierung und . . . verschärfter Lustsuche zu tun"
Das Argument der Entpolitisierung ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Schon seit den siebziger Jahren weiß man z. B. aus Studien des Wahlverhaltens in Deutschland, dass politische Parteien immer weniger als ideologische Heimstätten der Wähler fungieren. Immer weniger sind wirtschaftliche Gründe für Parteipräferenzen entscheidend, statt dessen immer mehr Fragen des Lebensstils und der Lebensqualität.
Die Möglichkeiten des Konsums, der weitgehende Wegfall der Zugangsbarrieren und die Umwandlung von vorgegebener in wandelbare Wirklichkeit hat die Lebensauffassung vieler, vor allem junger Menschen verändert. "Erlebe dein Leben!" ist zum kategorischen Imperativ unserer Zeit geworden. "Wissen, was man will, bedeutet wissen, was einem gefällt," meint Gerhard Schulze in seinem Buch Die Erlebnisgesellschaft. Soziale Milieus bilden sich heute in erster Linie als Erlebnisgemeinschaften
Politische Akteure und Institutionen haben darauf längst reagiert. Sie müssen sich geradezu "in ihrer Selbstpräsentation nicht nur den veränderten Wahrnehmungsgewohnheiten und Erwartungshorizonten eines durch die Bilderflut der Medienunterhaltung sozialisierten Publikums anpassen, sondern auch den Weg in die Unterhaltungsforen hinein wählen"
So ist auch die Frage "Wie war ich, Doris?" nicht ohne empirische Relevanz: der Kanzler als Event-Politiker. Weil das Fernsehen den Polit-Event zum Vertrauensbeweis stilisiert, beurteilen wir Politiker danach, ob sie uns als Person vertrauenswürdig erscheinen. Die Auseinandersetzung mit Sachverhalten reduziert sich auf das Urteil über Persönlichkeiten, wie Siegfried Frey in seiner jüngsten Studie der Macht der Bilder überzeugend darlegt
VI. Das System Harald Schmidt
Harald Schmidt freilich scheint einer der ersten in Deutschland zu sein, der die Zeichen dieser unsteten Zeit erkannt hat - und deren Anforderungen perfekt umsetzt. Für den Late-Night-Talker gibt es "kein Richtig und kein Falsch, kein Gut oder Böse, sondern bloß verkäufliche Ware oder Ladenhüter"
Ob jemand mit dieser Art von Humor etwas anzufangen weiß, das scheint bei Comedy und besonders bei Harald Schmidt eine Altersfrage zu sein. "Ich habe noch nie ein Programm gemacht, bei dem so konsequent bei Ende 30 Schluss war", verriet der ehemalige Produktionsleiter der "Harald Schmidt Show", Jörg Grabosch, der Tageszeitung Die Welt
Andere haben mit dem Moderator dagegen Probleme. Zwei Medienkritiker brachten die ambivalenten Einstellungen zum Schmidt'schen Humor in Die Woche auf den Punkt. Zunächst geht Michael Berger mit Schmidt und seinesgleichen hart ins Gericht: "Das frivole Weltbild dieser TV-Unterhaltung entspringt einer Ideologie der politischen Unkorrektheit. Sie macht atavistischen Sexismus und Chauvinismus unter der Vorspiegelung aufklärerischer Absichten wieder gesellschaftsfähig. Von den Fans wird der Quatsch unter Artenschutz gestellt: alles Kult! Und was unter Kultvorbehalt steht, ist unangreifbar: Wer's kritisiert, hat's nicht kapiert. Soviel Blödsinn war nie."
In derselben Ausgabe kontert Lucas Koch: "Humor und Homer - den Kosmos des Schmidteinanders in allen Dimensionen zu begreifen ist offenbar einer kleinen, verschworenen Gemeinschaft vorbehalten, die hinter dem blitzschnellen Humor das fein gesponnene Netz aus Referenzen und Widersprüchen dechiffrieren kann. Da versagt das Koordinatensystem der herkömmlichen Medienkritik."
Ist Harald Schmidt nun ein niveauloses Schandmaul oder der erhellende Lichtblick in der trüben Fernsehwelt? Letztendlich dreht sich alles um die Frage, die Hans-H. Kotte in der taz gestellt hat: "Satire muss alles dürfen. Muss ein Satiriker alles machen, was er darf?"
Die "Gesellschaft für deutsche Sprache" beantwortete diese Frage mit einem eindeutigen "Ja". Das Gremium, dessen Ziel es u. a. ist, "die Sprachentwicklung kritisch zu beobachten und Empfehlungen für den allgemeinen Sprachgebrauch abzuleiten"
Derlei wird Harald Schmidt gerne hören, haben ihm doch deutsche Fernseh- und Zeitungskorrespondenten (unter anderem von der Zeit) in einem offenen Brief 1996 unterstellt, er leiste rassistischen und ausländerfeindlichen Tendenzen Vorschub
Dieses aggressive Moment im Humor eines Harald Schmidts wird Gegenstand zahlreicher Diskussionen bleiben. Doch auch das ist Teil des Programms. Was Oliver Kalkofe über Radio-Comedy sagt, gilt wohl auch darüber hinaus: "Gute Radio-Comedy . . . sollte mindestens tausend Hörer dazu bringen, empört die Station zu wechseln. Wenn man etwas produziert, über das sich keiner beschwert, kann es nicht wirklich gut gewesen sein."
Keineswegs. Zumindest was seine Angriffe auf Einzelpersonen angeht, hat der Schwabe klare Richtlinien. "Es trifft bei uns nur solche Leute, die ihr Privatleben nach außen hängen. . . . Wer öffentlich sein Hemd aufreißt und sagt: Schaut, hier ist mein Pudel, der ist für mich fällig", erklärt Harald Schmidt im FAZ-Magazin
Alles andere muss nach Schmidt für die Medien offenbar erlaubt sein, wenn es die Zuschauer wirklich sehen wollen. "I look what works, and I do what works", räumte er in einem Fernsehinterview mit NBC Europe ein
Es scheint, und da sind sich die Beobachter einig, als ob in einer immer komplexer werdenden Welt, in der zudem Konflikte und Katastrophen durch die Medien mehr und mehr im Alltag präsent sind, die Menschen sich nach Zerstreuung und Ablenkung sehnen. "Eine Gesellschaft, die sich trotz Hunger, Elend und Ungerechtigkeit moralisch gut fühlen will, braucht zynische Clowns. Mehr noch als die Sinnproduktion hilft die Unsinnproduktion, das abzuarbeiten, was Wissen und Alltag in der Demokratie anstauen."
VII. Comedy - Spiegelbild des realen Wahnsinns
Also alles halb so wild? Oder ist doch der Untergang des kulturellen Abendlandes zu befürchten? Kabarettist Matthias Belz vermutet, "dass in der Comedy - wenn sie gut ist - mehr als im herkömmlichen Kabarett formal etwas von den Zerstörungen drinsteckt, die in diesem Jahrhundert geschehen sind"
Harald Schmidt braucht - nicht so sehr unter Quotengesichtspunkten - den informierten Zuschauer der Mediengesellschaft. Aber wer ist das? Die Jungen unter 40? Fraglos ist Schmidt der "Spaßmacher der Spätaufsteher, die um Mitternacht herum die Bürgersteige der Unterhaltungselektronik noch nicht hochgeklappt haben und zum Frühstück die Zeitung lesen, die am Abend durchs Bier gezogen wird"
Zweifelsohne hat jede Epoche ihre Probleme, doch jede hat auch ihre eigene Form, mit ihnen umzugehen. Eine Entpolitisierung der jungen, der vermeintlichen Spaßgeneration lässt sich jedenfalls nicht ohne weiteres feststellen. Politische Realität, die in der Gegenwartsgesellschaft zu einer Medienrealität geworden ist, gehorcht weitgehend den Gesetzen des Unterhaltungsmarktes, worauf die moderne Satire wiederum entsprechend reagiert. Nicht sie also ist - wenn man so will - das Problem, es sind die mitunter selbst fabrizierten Umstände, unter denen sie gemacht wird. Insofern ist Comedy, wie Harald Schmidt sie betreibt, tatsächlich als Kabarett des ausgehenden sowie des neuen Jahrhunderts zu begreifen, als Weiterführung eines Genres mit Mitteln, die dem zu kritisierenden Gegenstand angepasst werden. Sogar Altmeister Dieter Hildebrandt behauptet: "Harald Schmidt ist ein hervorragender Kabarettist, und er macht in seiner Show Kabarett - nur muss ihm das endlich mal einer mitteilen."
Internetverweise der Redaktion:
www.harald-schmidt-show.de
www.kasper-online.de/schmidt/index.htm de.dir.yahoo.com/Unterhaltung/Musik/Genres/ Comedy/Kuenstler