I. Einleitung
"Vorbei ist es auch mit der ,repräsentativen' Rolle, die Autoren in der alten DDR teilweise zukam: Ersatzöffentlichkeit, stellvertretend Redende, Beichtväter und -mütter, Stimmen der Stimmlosen, usf." Dieser "übersteigerte Anspruch und das große öffentliche Prestige der Schriftsteller und Künstler" wurden mit "den im Verhältnis zum Westen ungleichzeitigen Systembedingungen einer vormodernen, geschlossenen Gesellschaft" sowie mit den Traditionen der Arbeiterbewegung erklärt, die dem geschriebenen Wort eine sehr große Bedeutung beimesse . Ostdeutsche Schriftsteller mussten seit der Wende die Erfahrung machen, zwar alles sagen und schreiben zu dürfen, in der ungewohnten Vielstimmigkeit einer pluralistischen Öffentlichkeit aber nur schwer Gehör zu finden. Auch bedurfte die bundesdeutsche Gesellschaft keiner durch Schriftsteller geschaffenen oder vermittelten Ersatzöffentlichkeit, da 1989 "die Codes der indirekten Rede zu großen Teilen ausgedient" hatten .
Doch in den vierzig Jahren DDR hatten die Schriftsteller einen besonderen Stellenwert eingenommen. Sie sollten mehr als nur Künstler sein und im Rahmen des Politikkonzepts der SED aktiv an der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft mitwirken. Es wäre aber verfehlt, die starke Loyalität vieler Schriftsteller zu ihrem Staat nur als Folge des auf sie ausgeübten Drucks zu erklären, denn es "muss in der Sache selbst eine wirkliche Identifikation gegeben haben" .
Dieses enge Verhältnis zwischen Staat und Literatur reichte weit zurück. In der ersten Dekade nach 1945 warben SED und Sowjetische Militäradministration (SMAD) um die Rückkehr möglichst vieler hochkarätiger Emigranten. Kennzeichen jener Jahre war die Überzeugung von der Erziehungsfunktion der Literatur, die erst in den sechziger Jahren vom "Utopieverlust der Nachgeborenen" abgelöst wurde . Die kulturelle Vielfalt der Anfangszeit wich rasch einer Stalinisierung auch der Kulturpolitik. In zwei Krisen zeigt sich die ganze Komplexität der Bemühungen um die Schriftsteller: Am 17. Juni 1953 hielten die Schriftsteller sich mehrheitlich abseits, während sie sich in der Herbstkrise 1956 (Ungarn) erstmals zu Wort meldeten. 1956/57 wurde daraufhin mit den "intellektuellen Rebellen" (Melvin Croan) abgerechnet. Hier lagen zugleich die Wurzeln jener Entwicklung, die auf der einen Seite zum "Bitterfelder Weg", auf der anderen Seite zu den regimekritischen Schriftstellern führen sollte.
II. Schriftsteller zwischen Werbung und Vereinnahmung
SED und SMAD waren bei ihrem Versuch, Schriftsteller von einem fortschrittlichem Leben in Ostdeutschland zu überzeugen, insgesamt erfolgreich. Eduard Claudius hat anschaulich beschrieben, wie ihn der sowjetische Kulturoffizier Alexander Dymschitz für die SBZ gewann . Neben persönlichen Gesprächen und Propagandaschriften spielten auch der als "überparteilich" ausgegebene "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" sowie ein ausdifferenziertes Privilegiensystem eine große Rolle . Wer zur Übersiedlung bereit war, sollte dies auch materiell nicht bereuen. Ein Übriges tat die Erfahrung vieler Exilautoren, dass Westdeutschland sich für sie offensichtlich nicht interessierte, während Ostdeutschland um sie warb. Ein kulturpolitischer "Neuanfang" wurde angestrebt unter bewusster Anknüpfung "an die Ideenwelt und die Formen des bildungsbürgerlichen Kulturlebens" sowie an "nationale Traditionen, mit maßvoll linkem Akzent". Auf diese Weise sollten breite Bevölkerungskreise "kulturell angesprochen und somit die aufklärerischen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung fortgesetzt werden" .
Unmittelbar nach dem Krieg trafen die Emigranten aus der UdSSR wie Willi Bredel, der spätere Kulturminister, "Staatsdichter" und Multifunktionär Johannes Robert Becher, Fritz Erpenbeck, Friedrich Wolf und Erich Weinert ein. Bis zur Staatsgründung kamen die Westemigranten Alexander Abusch, Anna Seghers, Kurt Stern, Ludwig Renn, Hans Marchwitza, Walther Victor, Jan Petersen, Alfred Kantorowicz, Stephan Hermlin, Bodo Uhse, der Germanist Hans Mayer, Bertolt Brecht, Eduard Claudius, der Philosoph Ernst Bloch, Arnold Zweig, Kurt Barthel (Kuba) und Wolfgang Joho. 1951 folgte Stefan Heym , während Alfred Kurella die UdSSR erst 1954 verlassen konnte .
Die Werbung um die Brüder Mann war dagegen nicht von Erfolg gekrönt. Alfred Kantorowicz betonte später, dass dem 1949 mit dem Nationalpreis I. Klasse ausgezeichneten und zum Präsidenten der Deutschen Akademie der Künste ernannten Heinrich Mann, der während der Vorbereitungen zu seiner Rückkehr gestorben war, dadurch die "tiefsten . . . Demütigungen erspart" geblieben seien . Auch Thomas Mann, einen der "bedeutendsten Dichter und Künstler des 20. Jahrhun-derts" , das "Sinnbild des Besten im Bürger-tum" , umwarb die SED. Zu seinem 75. Geburts-tag gratulierten Staatspräsident Wilhelm Pieck und Volksbildungsminister Paul Wandel . Thomas Manns Besuch im Schillerjahr 1955 wurde intensiv gewürdigt, intern aber auch kritisiert: Dieser Besuch sei zwar "ein großer Erfolg für unsere Deutsche Demokratische Republik und ein wichtiger Vorgang im Kampf um die Einheit unserer deutschen Nation", doch müsse gefragt werden, ob Thomas Mann "an die Stelle der führenden Kräfte unserer eigenen Gegenwartsliteratur" treten dürfe .
Die SED warb jedoch nicht nur um die "äußere", sondern auch um Teile der "inneren" Emigration. Besonders bemühte sich der Präsident des Kulturbunds, Johannes R. Becher, um Hans Fallada, Bernhard Kellermann, Paul Siegler, Herbert Ihering, Peter Huchel und vor allem um Gerhart Hauptmann . Auf der Trauerfeier für Hauptmann im Juli 1946 kondolierte Oberst Tulpanow, der Leiter der Informationsabteilung der SMAD, dem gesamten deutschen Volk. Noch kurz vor seinem Tod habe die SMAD den "Klassiker der gegenwärtigen deutschen Literatur" nach Berlin eingeladen, ein Sonderzug und ein Haus hätten bereit gestanden. Hauptmann wurde gewürdigt, weil er trotz seines hohen Alters "seine Stimme für diese neue Epoche erhoben" habe . Damit ist ein wichtiger Grundgedanke angesprochen: der umfassende Anspruch zur Errichtung einer neuen Gesellschaft in Deutschland.
Der rege Zustrom bedeutender Schriftsteller war nicht zuletzt der "liberalen und großzügigen Kunstförderung" durch Johannes R. Becher und des von ihm geleiteten Kulturbunds zu verdanken . Daher konnte sich die DDR, wenigstens im ersten Nachkriegsjahrzehnt, nach außen als "Staat der Schriftsteller" gerieren . Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der sich vertiefenden deutschen Teilung kam es jedoch schon 1947/48 zu einer Stalinisierung auch der Kulturpolitik, in der allerdings "zwei Linien" zu verzeichnen waren : Die Verschärfung der internationalen Lage verhalf der - im Kern bereits von Anfang an angelegten - dogmatischen gegenüber der liberalen Linie zum Durchbruch; "die auf ein breites Bündnis mit der bürgerlichen Intelligenz abzielende Kulturpolitik (kam) zum Erliegen" , was für die Schriftsteller die Festlegung auf den "sozialistischen Realismus" zur Folge hatte. Diese Kunstdoktrin galt bis zum Ende der Ulbricht-Ära, wurde aber im Hochstalinismus besonders rigide gehandhabt. Der Begriff "sozialistischer Realismus" ging auf Stalin und seinen Kulturtheoretiker Andrej Shdanow zurück. Der "sozialistische Realismus" forderte die Verbreitung des Optimismus, die Darstellung von "positiven Helden" und eine Allgemeinverständlichkeit der Kunst. Die Darstellung von Konflikten war erlaubt, sofern diese am Ende überwunden werden konnten. Im "sozialistischen Realismus" sollte - über die realistische Abbildung hinausgehend - bereits das Neue, die "lichte sozialistische Zukunft", zu erkennen sein.
Drei Schlüsselbegriffe waren hier von besonderer Bedeutung: die Künstler waren zur Anerkennung der führenden Rolle der SED in Kunst und Literatur verpflichtet, ihre Werke hatten "volksverbunden" beziehungsweise "volkstümlich" zu sein und mussten einen "sozialistischen Ideengehalt" aufweisen . Interne Dokumente zeigen allerdings, dass auch manche Schriftsteller den "sozialistischen Realismus" nicht ganz verstanden . Dies zeigt zugleich ein weiteres Charakteristikum: Die Forderung nach dem "sozialistischen Realismus" wurde zwar bis zum Ende der DDR nicht aufgegeben, er wurde in der Substanz aber nie eindeutig definiert, sondern unterlag großen Bedeutungsschwankungen.
Die Schriftsteller mussten ohnehin innerhalb eines kulturpolitischen Koordinatensystems agieren, das permanent zwischen den beiden Polen der Privilegierung und der Disziplinierung schwankte und so eine Orientierung fast unmöglich machte . Seit 1948 wurde ihnen explizit die Aufgabe gestellt, die SED bei der Erfüllung des Wirtschaftsplans massiv zu unterstützen. So wurde "nicht nur die Symbiose von Geist und Macht, Literatur und Politik, sondern auch von Kultur und Ökonomie" gefordert .
Die Folgen dieser Politik für die Schriftsteller zeigten sich exemplarisch auf den beiden Herbstkonferenzen 1948 . Anton Ackermann und Walter Ulbricht betonten hier mehrmals die Notwendigkeit, einen "neuen Menschen" zu schaffen. Ohne die Erziehung zu größerer Arbeitsmoral werde der Plan nicht erfüllt werden können. Der "neue Mensch" galt als idealtypisch vom "Aktivisten" verkörpert . Er sollte sich durch Klassenbewusstsein, Altruismus, eine neue Einstellung zur Arbeit sowie durch Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Anstand auszeichnen. Schriftsteller sollten sich in die "Kampffront" einreihen und mit ihren Werken die Umerziehung zu klassenbewussten "Werktätigen" fördern. Nach einem Stalin zugeschriebenen Zitat, an dem auch nach dem Tod des Diktators festgehalten wurde, hatten Schriftsteller als "Ingenieure der menschlichen Seele" zu agieren. Sie sollten aber nicht nur erziehend wirken, sondern waren zugleich selbst Objekte der Umerziehung. Der Befund von Brigitte Hohlfeld für die Neulehrer galt auch für die Schriftsteller: Sie waren zugleich "Hammer" und "Amboss" in den Händen der Herrschenden .
Die Künstler und Schriftsteller wurden nicht nur formal auf den "sozialistischen Realismus", sondern auch inhaltlich auf die Gestaltung von Gegenwartsthemen festgelegt. Walter Ulbricht erregte sich mehrmals über die Rückwärtsgewandtheit der Schriftsteller, die drei Jahre nach dem Krieg immer noch "Emigrationsromane" oder "KZ-Literatur" verfassten, "verkrüppelte Frauen" darstellten, anstatt sich positiven, neuen Themen wie etwa der Bodenreform zuzuwenden. Gebraucht werde vor allem der "große Aufbauroman". Seine Klage, wonach aus dem Kulturbund "niemand in den Betrieb" gehe, war bereits ein Vorgeschmack auf den erst 1959 eingeschlagenen "Bitterfelder Weg", der die engstmögliche Verbindung zwischen Literatur und Produktionsprozess sowie eine verstärkte Kontrolle der Schriftsteller sichern sollte.
III. Von der Vereinnahmung zur Disziplinierung
Im März 1951 verabschiedete das 5. Plenum des ZK der SED die Entschließung über den "Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur" . Mit diesem Datum ist eine der wesentlichen Zäsuren in der ostdeutschen Kulturpolitik verbunden. Vergleichbares sollte sich erst wieder auf dem 11. ZK-Plenum im Dezember 1965 ereignen . Als "formalistisch" galt Kunst, bei der die Form wichtiger als der Inhalt sei. Was unter "Formalismus" genau zu verstehen sei, ist nie exakt definiert worden . Solche Kunst stelle nicht die gesellschaftliche Realität, sondern die subjektive Meinung des Künstlers dar, konstatierte das Politbüro schon im Vorfeld des Plenums . Wie bereits 1948 wurde auch 1951 der Literatur aufgetragen, die engste Verbindung mit dem Fünfjahresplan herzustellen. Erneut wurde auch ihr Zurückbleiben hinter den wirtschaftlichen und politischen Erfolgen kritisiert. "Große Unzufriedenheit" über den Stand von Kunst und Literatur äußerte die SED-Führung immer wieder .
In der UdSSR hatte es bereits seit 1948 "aggressiv-kritische Auseinandersetzungen" mit Künstlern, die als "westlich und kosmopolitisch verunglimpfte moderne Kunstmittel einsetzten", gegeben . In die Mühlen der Formalismuskampagne geriet auch Bertolt Brecht. Am 2. Mai 1951 beauftragte das Politbüro Wilhelm Girnus, "mit Bert Brecht eine ständige politische Arbeit durchzuführen und ihm Hilfe zu leisten" . Die Folgen der Formalismuskampagne, die selbst Kurt Hager aus der Rückschau "engstirnig" nannte , zeigten sich vor allem in den nach sowjetischem Vorbild geschaffenen Kontrollinstrumenten wie der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten und dem Amt für Literatur und Verlagswesen (ALV). Seine Arbeit als kulturpolitische und ideologische Aufsichtsinstanz trug dem ALV den Ruf ein, ein "Amt für Literaturverhinderung" zu sein .
IV. Tauwetter 1953
Die extreme kulturpolitische Verengung erfuhr durch den Tod Stalins sowie den Aufstand vom 17. Juni 1953 eine Abschwächung. Auch gegenüber den Schriftstellern wurde - wenigstens kurzfristig - ein "neuer Kurs" eingeschlagen. Darüber, dass die Schriftsteller sich im Juni-Konflikt mehrheitlich staatstreu verhielten, besteht Konsens. Für ihr loyales Verhalten wurden sie sowohl von Walter Ulbricht als auch vom Ministerpräsidenten Otto Grotewohl gelobt. Auch über die Gründe ihrer Loyalität gibt es nur wenig Dissens, wenngleich unterschiedlich gewichtet wird. Hier wird sehr häufig die durch die Privilegien hervorgerufene Entfremdung der Schriftsteller von der "normalen" Bevölkerung genannt, ebenso die Tatsache, dass die Intellektuellen dem "Druck von unten" misstrauten : "Die kleinen Leute, die jetzt nach Freiheit riefen, hatten einst die Nazis an die Macht gewählt, aktiv unterstützt oder zumindest geduldet."
Die Reaktionen der Schriftsteller fielen durchaus unterschiedlich aus. Während der "Herzbube der Partei" Kurt Barthel sich am 20. Juni 1953 im "ND" für die Demonstranten öffentlich "schäm-te", war der Aufstand für Brecht und Heym in erster Linie ein Schock. Beide schrieben Briefe an sowjetische Stellen. Brecht, der den Aufstand auch als Chance begriff, sehnte die "große Aussprache" zwischen Führung und Bevölkerung herbei. Erich Loest kritisierte die Kluft zwischen Führung und Bevölkerung und machte dafür die Presse verantwortlich. "Freilich - es liegen Welten zwischen denen, die den 17. Juni abwürgten, und jenen Intellektuellen, die die Absurdität des Vorganges wenigstens doch wahrnahmen, selbst wenn sie sie nicht begriffen. Und die sich schämten für die Mächtigen wie für das eigne Unvermögen. Und die sich missbraucht sahen, als selbst klügste Zeugnisse ihrer Unschlüssigkeit von den Mächtigen skrupellos benutzt wurden."
Angesichts des begrenzten Raumes kann hier nicht auf weitere Schriftsteller eingegangen werden. Festgehalten werden soll aber, dass sich manche von ihnen zu "Dissidenten" entwickelten, während andere "Schweigende" blieben oder wurden. Rainer Land und Ralf Possekel rechnen Stefan Heym - neben Robert Havemann - zu den "Dissidenten, die mit dem Stalinismus brachen". Dagegen hätte das ",kommunikative Schweigen' der durch die Partei Disziplinierten" gestanden, "die diesen Bruch nicht vollzogen": etwa Johannes R. Becher, Rudolf Herrnstadt, Anna Seghers und Stephan Hermlin . Zwar hatten die Schriftsteller sich nicht mit den Demonstranten solidarisiert, "doch unter dem Schutz ihrer Institutionen begannen sie Forderungen zu stellen" . So unterbreitete die Akademie der Künste auf einer außerordentlichen Sitzung ein Konzept zur Verbesserung der Bedingungen für die künstlerischen Freiheiten, und der Kulturbund veröffentlichte am 8. Juli 1953 im "ND" einen Forderungskatalog.
Der "neue Kurs" mündete im Januar 1954 in die Gründung eines Kulturministeriums, dem Johannes R. Becher bis zu seinem Tod 1958 vorstand. Darüber, ob seine Wahl ein "Glücksfall" oder - wegen seiner faktischen Machtlosigkeit - ein "Scheinsieg" war, gehen die Meinungen auseinander. Dietrich Schiller kommt der Sache wohl am nächsten, wenn er feststellt, dass für den Politprofi Becher seine Freundschaft mit Ulbricht "immer ein stärkerer Rückhalt als die Unterstützung durch die Intellektuellen und Künstler" gewesen sei .
Die Entwicklung der Jahre 1953 bis 1955 zeigte, dass die SED zu einem wirklich "neuen Kurs" nicht bereit war. Zwar wurden gewisse "Überspitzungen" der Stalin-Ära zurückgenommen, doch zu einer Beschränkung ihrer "führenden Rolle" in Kunst und Kultur war die SED nicht einmal ansatzweise bereit. Dass die Partei als "Vorhut der Arbeiterklasse" ihren "Anspruch auf eine ideologische Führung in der Kunst erhebt und erheben" musste , blieb eine Selbstverständlichkeit.
Schon im Oktober 1953 hatte Otto Grotewohl bei einem Treffen mit Schriftstellern deutlich gemacht, dass der neue Kurs nicht in "einem faulen Liberalismus" bestehen dürfe . Der Staat müsse eine "klare Linie haben", "schrankenlosen Nihilismus" oder "formalistische Kunst" werde es mit der SED nicht geben . Zwischen Grotewohl und Stefan Heym entspann sich hier ein kleiner Disput über die Einschätzung des 17. Juni; Arnold Zweig unternahm einmal mehr den Versuch zur Rettung des Films nach seinem Roman "Das Beil von Wandsbek"; der Regisseur Kurt Maetzig übte im Zusammenhang mit der Resolution der Akademie der Künste vom Sommer 1953 leise Selbstkritik; Anna Seghers freute sich über die offene Aussprache und nannte es eine Voraussetzung dieses Treffens, "dass wir mit ganzer Kraft und ganzem Herzen für diesen Staat kämpfen und für diesen Staat leben" . Aus ihren Worten ging aber auch hervor, dass über den "Formalismus" keine Klarheit bestand.
Der sowjetische Botschafter W. S. Semjonow kokettierte ein wenig mit seinem Dilettantismus in Kunstfragen und verteilte sodann Lob und Tadel an die Anwesenden . Die Avantgardefunktion der Künstler bekräftigte er mit den Worten: "Sie müssen bestimmter auf der Seite der Arbeiterklasse und der werktätigen Bauern stehen . . . bestimmter kämpfen gegen die bürgerliche Ideologie . . . Aber dabei darf man nicht vergessen, dass das Volk auf die Geister der fortschrittlichen Kultur blickt. Denn sie sind nicht nur Objekte, sondern auch Subjekte der neuen Kunst. Sie sind Ingenieure der menschlichen Seele. Sie formen die Menschen. Auf sie und ihre Beispiele sehen die Menschen, sieht vor allem die Jugend. Sie schauen darauf, was der Stalinpreisträger sagt, was der Nationalpreisträger sagt, was die führenden Personen der Kultur in der DDR sagen, und sie lernen von ihnen."
Vor dem Hintergrund der Ratifizierung der Pariser Verträge durch den Bundestag sowie der Aufnahme der DDR in den soeben gegründeten Warschauer Pakt wurde 1955 diskutiert, ob der für 1956 geplante und mehrmals verschobene IV. Deutsche Schriftstellerkongress noch gesamtdeutsch ausgerichtet werden solle. Eduard Claudius wusste zu berichten, dass die westdeutschen Schriftsteller "mit uns ins Gespräch kommen" wollten . Auch Anna Seghers favorisierte einen gesamtdeutschen Charakter des Kongresses, lernte im Verlauf der Aussprache aber, "dass es ein Kongress sein soll, der seinem Charakter nach auf beide Seiten Deutschlands einwirken muß, der sich aber selbstverständlich auf unsere Probleme konzentriert, zumindest in der Hauptsache" .
V. Die Entstalinisierungskrise
Während die Schriftsteller sich in der Junikrise 1953 überwiegend abwartend verhalten hatten, war die Situation im Anschluss an den XX. Parteitag der KPdSU anders: Die meisten Schriftsteller - und dies traf zeitweise auch auf ausgesprochen systemloyale Autoren wie Kurt Barthel oder Willi Bredel zu - waren von den Enthüllungen des sowjetischen Generalsekretärs Nikita S. Chruschtschow niedergeschmettert. Eine besondere Rolle spielte der "Verlust des Glaubens" an Stalin offenbar bei den Jüngeren. Diese hatten mit den Enthüllungen über den verbrecherischen Charakter Stalins zum zweiten Mal ihre Ideale eingebüßt. Walther Victor sprach im Mai 1956 davon, dass er viele solcher Menschen kenne. "Sie sind noch durch die Hitlerzeit gegangen und dann in einer furchtbaren Krise gewesen. Mit einem Male stürzt diese neue Sache wieder über ihrem Haupt zusammen. Ich glaube, man muss verstehen, daß hier eine Krise da ist."
"War es möglich?", fragte der damals dreiunddreißigjährige Ralph Giordano, "Walter Ulbricht, der keine Rede, keinen Vortrag . . . geschlossen hatte, ohne in ein Hoch auf den weisen Lehrer und großen Führer des Weltfriedenslagers auszubrechen; . . . derselbe Walter Ulbricht entblödete sich jetzt nicht, Bevölkerung und Partei als erinnerungslose Analphabeten zu behandeln, indem er erklärte, Stalin sei nicht zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus zu zählen."
Im Mai 1956 kritisierte der Literaturwissenschaftler Hans Mayer die Festlegung der Schriftsteller auf die Rolle von "Ingenieuren", hinterfragte den Wert der sowjetischen Literaturwissenschaft für die DDR und nannte den Realismus-Begriff als ästhetische Norm "unbrauchbar" . Widerspruch gegen die Kulturpolitik gab es auch im Juni 1956 auf dem 2. Kongress Junger Künstler in Chemnitz. Heinz Kahlau (Jahrgang 1931) kritisierte, dass die Künstler bis auf wenige Ausnahmen zu Ausrufern von Parteibeschlüssen geworden seien. Offensichtlich reagierten die Schriftsteller seit dem XX. Parteitag empfindlicher auf den auch in der DDR üblichen Personenkult. So erhielt Alexander Abusch die "vertrauliche" Mitteilung, dass die Schriftsteller die Umwidmung des Geburtstages von Johannes R. Becher am 22. Mai 1956 zum "Tag der Poesie" als "eine Form des Personenkults" ablehnten. Laut Claudius habe auf der Tagung der Parteigruppe des Vorstands des Schriftstellerverbandes am 17. April 1956 "keiner der anwesenden Genossen Neigung gezeigt, an diesem Tage öffentlich in Erscheinung zu treten" .
Neben tiefer Desillusionierung brachte die Entstalinisierung aber auch ein freieres Klima: Erstarrungen lösten sich, intellektuelle Diskussionen brachen auf. Erich Loest hat das Lebensgefühl der nachwachsenden Generation lebendig skizziert: "Wir waren unter dreißig, boxten uns gegenseitig vorwärts, waren gesund, lau, gute Kumpel miteinander, besessen von unserem Beruf, überzeugt von unserer strahlenden Zukunft, wir waren frische Ehemänner und junge Väter, Skatspieler und Fußballnarren, fast alle Genossen, und die Sonne des Sozialismus, so sahen wir es, schien hell und wärmend auf uns herab. Diese Diskussionen! Wir ereiferten uns über Lukacz, Bloch, . . . ich saß im Hörsaal zu Hans Mayers Füßen."
Die Krise im Zusammenhang des Ungarn-Aufstandes 1956 führte zu einer kulturpolitischen Eiszeit. Es ging der Ulbricht-Führung vor allem darum, die Diskussionen unter den Intellektuellen einzudämmen. Auch dieses Mal war die Kulturpolitik im Wesentlichen taktisch bedingt: "Der Defensive folgte die Offensive." Dabei fand Christoph Kleßmann es "sehr fraglich", ob sich "unter der Intelligenz auch eine organisierte Opposition entwickelt hat, wie die Parteiführung später" behauptete. "Mit Sicherheit" habe sich "aus der Perspektive Ulbrichts die Situation viel dramatischer" dargestellt, "als sie wirklich war" . Ungeachtet der tatsächlichen Gefahren ergriff Ulbricht die Chance, im Windschatten der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands seinen innenpolitischen Kurs zu verschärfen. Während bis Mitte der fünfziger Jahre im Kulturbereich "noch kein besonderes Gefahrenpotential" für die Herrschaft der SED gesehen worden war, änderte sich dies nun: Fortan gerieten "Kulturschaffende" und "Intelligenz" in das Visier des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) .
Offensichtlich hatten nicht nur der XX. Parteitag und die Krisen in Polen und Ungarn zu ihrer stärkeren Beobachtung geführt, sondern auch die Konflikte im Aufbau-Verlag im Umfeld von Wolfgang Harich, Walter Janka und Gustav Just . Des weiteren gemahnten die Treffen des "Donnerstagskreises" im Berliner Klub des Kulturbundes zwischen Oktober und Dezember 1956 "die Apparatschiks an den ungarischen Petöfi-Kreis". Schließlich "alarmierten das Aufbegehren von Ernst Bloch (OV ,Wild') und Hans Mayer in Leipzig sowie die Flucht von Alfred Kantorowicz (OV ,Renegat')" im August 1957 die Staatssicherheit . Brigitte Reimann hat über einen typischen Anwerbeversuch jener Zeit durch das MfS berichtet .
Walter Ulbricht hatte um seine Macht zu fürchten und nutzte die Auseinandersetzung mit der Intelligenz auch als Stellvertreterkrieg. Seit dem Herbst zielte die "Offensive" der Ulbricht-Führung in fünf Richtungen: Erstens gegen die Universitäten und ihre Vertreter wie Hans Mayer und Ernst Bloch, zweitens gegen Schriftsteller wie Erich Loest und Gerhard Zwerenz, drittens gegen Zeitschriften und Verlage wie die "Zeitschrift für Deutsche Philosophie", den "Sonntag" mit seinem Chefredakteur Heinz Zöger und seinem Redakteur Gustav Just, gegen "Sinn und Form" sowie den Aufbau-Verlag und seinen Leiter Walter Janka. Gegen den "Sonntag" hatte sich Alexander Abusch bereits seit Juli 1956 eingeschossen. In mehreren Briefen an den 1. Bundessekretär des Kulturbunds hatte er gegen die "raffinierte Form der Unterdrückung der Meinung von Partei und Regierung" im "Sonntag" protestiert. Diese "Diskussionsmethode" verleihe der Zeitschrift "allmählich den Hauch eines ,Oppositionsblattes' " . Viertens: Gerichtet war die Offensive auch gegen die satirische Zeitschrift "Eulenspiegel" sowie gegen die Leipziger "Pfeffermühle". Fünftens: Vor allem galt sie der Opposition in den eigenen Reihen, also Karl Schirdewan, Ernst Wollweber und Fred Oelßner .
Erich Loest, bereits 1953 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen und nur "haarscharf einem Parteiausschluss" entgangen, wurde im November 1957 verhaftet, zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und erst 1964 aus der Haft entlassen; die Urteilsbegründung bekam er nie zu lesen . Gerhard Zwerenz entzog sich durch Flucht der drohenden Verhaftung. Rüther spricht im Zusammenhang mit den Verfahren gegen die Intellektuellen von "Schauprozessen" . Besonders bösartig erfolgte die Abrechnung mit dem Philosophieprofessor Wolfgang Harich, den Ulbricht der versuchten "Konterrevolution" beschuldigte . Am stärksten habe sich Ulbrichts Hass auf die Intellektuellen im Prozess gegen Walter Janka, den Leiter des Aufbau-Verlages, gezeigt, meint Rüther. Wohl wissend um die engen persönlichen Bindungen, die Anna Seghers, Eduard Claudius, Willi Bredel, Bodo Uhse sowie Helene Weigel zu ihm unterhielten, habe Ulbricht sie zur Teilnahme an diesem Schauprozess gezwungen . Janka wurde mit erlogenen Beschuldigungen zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt; die mangelnde Solidarität seiner Freunde und Kollegen auch im Gerichtssaal wärend des Prozesses hat ihn tief verbittert. Hans Mayer hat später dazu die Ansicht vertreten, dass auch der frühe Tod Brechts bei der Abrechnung mit den Intellektuellen bzw. bei deren Verhalten berücksichtigt werden müsse. Hätte er noch gelebt, wären zwar die Repressionen auch durchgeführt worden, doch hätte man sich nicht an Harich und Janka herangewagt . Durch die Krise wurde auch die Position des Kulturministers geschwächt, der seitdem praktisch entmachtet war. Über die Kulturpolitik entschied fortan das Büro Ulbricht mit Otto Gotsche und Alfred Kurella als gefügigen Kulturfunktionären .
VI. Ausblick
In kurzer Zeit büßte die DDR in den späten fünfziger Jahren ihren Ruf als "Staat der Schriftsteller" ein. Die Abrechnung mit den "intellektuellen Rebellen" seit 1956 markierte den Höhepunkt der Repression. Das Wechselspiel von Liberalisierung und Zwang, von Furcht und Belohnungen sollte sich wenige Jahre später erneut zeigen und in das "Kahlschlagplenum" vom Dezember 1965 münden. Die dritte Welle der repressiven SED-Literaturpolitik mit ihrer durchaus widersprüchlichen Doppelstrategie führte dann zum Massenexodus der Schriftsteller in die Bundesrepublik in der Folge der Biermann-Ausbürgerung von 1976.
Die Hoffnung der SED-Führung, "Romane und Gedichte, Filme und Theaterstücke" ebenso lenken zu können wie "Produktionspläne der Chemie oder Investitionen der LPGs" , sollte sich nicht erfüllen. Die SED musste bald von ihren ideologisch-utopischen Zielen und schließlich, wenn auch nur stillschweigend, von der Doktrin des "sozialistischen Realismus" abrücken. Die nachwachsenden Schriftsteller konnten zwar noch weitgehend integriert werden, aber nicht mehr so bedingungslos, wie dies mit der um 1900 geborenen "Weimarer Generation" in den fünfziger Jahren gelungen war.