Einleitung
"Flexibilisierung" ist sicherlich eines der beliebtesten Schlagwörter politischer und insbesondere arbeitsmarktpolitischer Kontroversen unserer Zeit. Der Begriff der "Flexibilisierung" ist in der Rhetorik heutiger Debatten positiv besetzt. Wer oder was in welcher Form "flexibel" sein soll, bleibt dabei allerdings allzu oft unpräzise. Vor ungefähr 30 Jahren kam vor dem Hintergrund der Kritik am "Produktivismus" die Forderung nach mehr Flexibilität auf, sie zielte auf ein größeres Maß an Freiheit und Zeitsouveränität der Arbeitnehmer
Der folgende Text soll dazu beitragen, Begriff, Formen, Folgen und Ausmaß der Flexibilisierung zu präzisieren. Dabei konzentriere ich mich auf die Flexibilisierung, die sich auf die Arbeitssphäre, genauer: auf die Arbeitszeit bezieht.
I. Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitflexibilisierung
Die Entwicklung der Arbeitszeiten ist in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten durch zwei deutliche Trends mit weitreichenden wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Folgen gekennzeichnet: durch eine deutliche Arbeitszeitverkürzung und durch eine zunehmende Arbeitszeitflexibilisierung. Nach Berechnungen des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ist die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit aller Arbeitnehmer im früheren Bundesgebiet von 44,6 Stunden 1960 auf 41,5 Stunden 1970 und schließlich auf 37,7 Stunden 1995 zurückgegangen. Marksteine dieser Entwicklung sind der Übergang zum freien Samstag und die Durchsetzung der 40-Stunden-Woche. Dass sich die tarifliche Jahresarbeitszeit im alten Bundesgebiet von 1960 bis 1995 um ein Viertel reduziert hat, erklärt sich nicht nur aus der Verkürzung der Wochenarbeitszeit, sondern auch aus der Verdoppelung der Jahresurlaubstage.
Auch in Ostdeutschland hat es in den letzten Jahren Arbeitszeitverkürzungen gegeben: Die tarifliche Wochenarbeitszeit ging von durchschnittlich 40,2 Stunden im Jahr 1991 auf 39,4 Stunden im Jahr 1996 zurück. Dennoch liegen die Arbeitszeiten im Osten (noch) erheblich über denen im Westen. Während in den alten Bundesländern nur noch für drei Prozent der Arbeitnehmer die 40-Stunden-Woche als tarifliche Vereinbarung gilt, kann sie in den neuen Bundesländern weiterhin als Standard bezeichnet werden, arbeitet doch über die Hälfte der Arbeitnehmer (56 Prozent) noch 40 Wochenstunden
Während der Prozess der Arbeitszeitverkürzung in einigen Arbeitsmarktbereichen zum Stillstand gekommen ist, ist insbesondere seit Mitte der neunziger Jahre eine forcierte Umsetzung flexibler Arbeitszeitmuster zu verzeichnen. In quantitativer Hinsicht lässt sich feststellen, dass das "Flexibilisierungspotential" mit zunehmender Arbeitszeitverkürzung gewachsen ist
II. Ausmaß der Arbeitszeit- flexibilisierung
Das so genannte Normalarbeitsverhältnis verliert an Normalität - um so mehr vor dem Hintergrund der praktischen Umsetzung "neuer" Arbeitszeitmodelle wie der Vier-Tage-Woche bei den VW-Werken in Wolfsburg
Nach den Erhebungen des Instituts zur Erforschung sozialer Chancen (ISO) in Köln standen 1989 nur noch knapp ein Viertel (24 Prozent) und 1995 sogar nur noch knapp ein Fünftel (19 Prozent) aller abhängig Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis
Besser geeignet, Veränderungen zu erfassen, ist dagegen die Definition von Ingrid Kurz-Scherf, die die bereits bestehende "traditionelle Flexibilisierung" der Arbeitszeit (z. B. als in bestimmten Branchen übliche Wochenendarbeit und Schichtarbeit) als "normgeprägte Arbeitszeit" fasst und nur Arbeitszeitmuster, die über den historisch etablierten Arbeitszeitstandard hinausgehen, als "flexibel" erachtet. Vergleichbar mit den Ergebnissen des ISO-Institutes ermittelte Kurz-Scherf in ihrer Studie über Arbeitszeiten und -präferenzen in Berlin, dass 1994 eine Normalarbeitszeit im strengen Sinne nur noch auf 17 Prozent der abhängig Beschäftigten zutrifft. Eine normgeprägte Arbeitszeit haben noch knapp die Hälfte, nämlich 49 Prozent der abhängig Beschäftigten in Berlin
Auch die Daten des Mikrozensus belegen, dass die Arbeitszeiten eines beträchtlichen Teils der Erwerbstätigen nicht dem Muster einer Arbeitswoche von Montag bis Freitag zwischen 7 und 17 Uhr entsprechen: Im April 1997 hat fast die Hälfte aller Erwerbstätigen wenigstens gelegentlich am Wochenende, an Feiertagen, abends oder nachts oder im Schichtbetrieb gearbeitet. Fast jeder vierte Erwerbstätige (23 Prozent) arbeitet ständig oder regelmässig am Samstag, knapp jeder fünfte (18 Prozent) abends, jeder zehnte (11 Prozent) sonn- und feiertags und ebenfalls jeder zehnte (11 Prozent) leistet Schichtdienst mit wechselnden Arbeitszeiten. Sieben Prozent der Erwerbstätigen arbeiten ständig oder regelmässig nachts
Unter den "atypischen" Beschäftigungsverhältnissen nimmt die Teilzeitarbeit die quantitativ bedeutendste Rolle ein: In Deutschland gab es Mitte 1997 rund 3,6 Millionen Teilzeitbeschäftigte, das waren gut 13 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten
Teilzeitarbeit ist in Deutschland überwiegend Frauensache. Von jeweils 100 Teilzeitarbeitsplätzen waren 1997 nur zehn von Männern besetzt. Von den geringfügigen Beschäftigungen waren 1997 drei Viertel von Frauen besetzt
III. Überblick über die Grundmuster flexibler Arbeitszeitgestaltung
Erstmals haben Karl Linnenkohl und Hans-Jürgen Rauschenberg
Bei den oben angeführten Grundmustern werden "Zeitkontenmodelle", die derzeit in der betrieblichen Praxis zunehmend Anwendung finden, nicht explizit genannt. Definitorisch betrachtet, sind Zeitkontenmodelle eine Weiterführung des klassischen "Freischichten-Modells". Der Arbeitseinsatz wird dabei durch Zeitkonten gesteuert, deren rechnerische Bezugsgrößen nicht mehr Tage oder Wochen, sondern Monate oder sogar Jahre sind
IV. Zur Bewertung der Grundmuster
Über- und Mehrarbeit und kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit (KAPOVAZ) liegen in der Regel im Interesse der Arbeitgeber und bringen keine Vorteile für die Arbeitnehmer, sondern im Gegenteil erhebliche Einbußen in Bezug auf deren Zeitsouveränität mit sich. Zugewinne an Zeitsouveränität sind dagegen bei der einfachen und der qualifizierten Gleitzeit und der flexiblen Altersgrenze
Der Begriff "Arbeitnehmerrechte" greift allerdings dann zu kurz, wenn auch die Situation der wachsenden Zahl von Beschäftigten, die keine Arbeitnehmer im klassischen Sinne mehr sind (z. B. Freelancer, Werkverträgler, Scheinselbstständige, Selbstständige etc.), berücksichtigt werden soll. Gerade in den entsprechenden Arbeitsmarktbereichen, z. B. auf den Künstler-, Forscher-, Medien- und Technikerarbeitsmärkten, gewinnt die ergebnisorientierte, projektbezogene Arbeitsorganisation (in Form einer Zielvereinbarung ohne die Festlegung einer bestimmten Arbeitszeit oder in Anwendung von Zeitkontenmodellen oder amorphen Arbeitszeiten) mehr und mehr an Bedeutung
V. Arbeitszeitverkürzung und Arbeitszeitpräferenzen
In der Arbeitszeitdebatte wird die Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur Arbeitsumverteilung und zur Beschäftigungssicherung diskutiert. Die Akzeptanz weiterer Arbeitszeitverkürzungen hängt von den Arbeitszeitpräferenzen ab. Bei empirischen Analysen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), deren Ergebnisse im Folgenden referiert werden, wurden tatsächliche und gewünschte Arbeitszeiten von Erwerbstätigen (einschließlich unregelmäßig und geringfügig Beschäftigten und Selbstständigen) gegenübergestellt. Bei der präferierten Arbeitszeit sollten die Befragten berücksichtigen, dass sich ihr Verdienst entsprechend der Arbeitszeit ändern würde.
In Ost- und Westdeutschland bestehen hinsichtlich der Arbeitszeiten starke Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Die Differenz zwischen der tatsächlichen und der präferierten Wochenarbeitszeit beträgt 1997 in Westdeutschland rund vier Stunden, d. h., dass die Erwerbstätigen im Durchschnitt wöchentlich faktisch 39 Stunden arbeiten, aber lieber nur 35 Stunden arbeiten würden. In Ostdeutschland ist diese Differenz mit 5,5 Stunden sogar noch größer: Einer durchschnittlichen faktischen Wochenarbeitszeit von 43,5 Stunden steht hier eine Wunscharbeitszeit von durchschnittlich 38 Wochenstunden gegenüber.
Wie bei den Arbeitszeiten sind auch bei den Arbeitszeitpräferenzen die Unterschiede zwischen den Frauen in beiden Landesteilen größer als zwischen den Männern. Männer wünschen sich in Westdeutschland im Durchschnitt eine Wochenarbeitszeit von 38, in Ostdeutschland von 40 Stunden, Frauen in Westdeutschland von 29, in Ostdeutschland von 35,5 Stunden.
Zur folgenden Bestimmung der individuellen Differenzen wurden die Antworten jedes Befragten daraufhin geprüft, ob die tatsächlichen und präferierten Arbeitszeiten übereinstimmen bzw. ob im Vergleich zu den tatsächlichen Arbeitszeiten längere oder kürzere Arbeitszeiten gewünscht werden (siehe Tabelle 2).
45 Prozent der Erwerbstätigen in Westdeutschland und 54 Prozent der Erwerbstätigen in Ostdeutschland wünschen sich unter Berücksichtigung entsprechender Einkommenseinbußen eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit um mindestens drei Stunden - damit besteht ein beträchtliches Potential für eine Verkürzung der Arbeitszeit21. Ein Bedarf besteht besonders an "kürzeren" Vollzeitarbeitsverhältnissen bzw. Teilzeitarbeitsverhältnissen, die den bisher üblichen Umfang der Regelarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigungen nur geringfügig unterschreiten: im Bereich von 30 bis 34 Stunden wöchentlich in Westdeutschland bzw. von 35 bis 39 Stunden in Ostdeutschland
Eine Ausdehnung der Arbeitszeiten um mindestens drei Stunden wünschen sich nur zehn Prozent der westdeutschen und zwölf Prozent der ostdeutschen Erwerbstätigen. Eine Übereinstimmung von Arbeitszeitrealität und Arbeitszeitwunsch ist bei 44 Prozent der westdeutschen und bei 34 Prozent der ostdeutschen Erwerbstätigen gegeben.
VI. Potenziale für Arbeitszeitverkürzungen und -verlängerungen
Die größten Potenziale für Arbeitszeitverkürzungen sind bei den Vollzeitbeschäftigten in Ostdeutschland vorhanden. 59 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Ostdeutschland würden ihre Arbeitszeit lieber um mindestens drei Stunden reduzieren. Dabei sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nur gering. Der Grund für das häufige Interesse an kürzeren Arbeitszeiten sind die oft "überlangen" Arbeitszeiten in Ostdeutschland
Im Gegensatz zu den Vollzeitbeschäftigten zeigen sich bei den geringfügig Beschäftigten erhebliche Potenziale für eine Arbeitszeitverlängerung. 47 Prozent der geringfügig Beschäftigten in Westdeutschland und 59 Prozent in Ostdeutschland wünschen eine Ausdehnung ihrer tatsächlichen Wochenarbeitszeit um mindestens drei Stunden. Am häufigsten besteht das Interesse an einer Arbeitszeitverlängerung bei geringfügig beschäftigten Frauen in Ostdeutschland (65 Prozent).
Von den Teilzeitbeschäftigten wünschen sich in Westdeutschland knapp ein Viertel (24 Prozent) und in Ostdeutschland knapp die Hälfte (49 Prozent) eine Verlängerung der Wochenarbeitszeit.
VII. Arbeitszeitpräferenzen nach Haushaltstypen
Bei Frauen in Westdeutschland ist im Vergleich zu Frauen in Ostdeutschland der familienbiografische Kontext ein deutlicher Indikator für die Arbeitszeitpräferenz. Die gewünschte Wochenarbeitszeit von Frauen in Paarhaushalten mit einem oder mehreren Kindern unter 16 Jahren liegt in Westdeutschland bei durchschnittlich 25 Stunden wöchentlich, bei allein wohnenden Frauen dagegen bei 35 Stunden.
In Ostdeutschland unterscheidet sich die präferierte Wochenarbeitszeit von Frauen in Paarhaushalten mit Kind(ern) unter 16 Jahren im Haushalt mit durchschnittlich 34 Stunden kaum von der präferierten Wochenarbeitszeit von allein wohnenden Frauen mit 35 Stunden
Die Arbeitszeitpräferenzen von Männern weisen ein homogeneres Bild auf. Weder bei den Männern in Westdeutschland noch bei den Männern in Ostdeutschland ist der familiäre Kontext ein nachweisbares Kriterium für die gewünschte Arbeitszeit.
VIII. Resümee
In Deutschland ist die Debatte um Arbeitszeitgestaltung in den letzten Jahren intensiv geführt worden. Die Kritik an dem sogenannten "Normalarbeitsverhältnis" als beschäftigungspolitischem Maßstab und als Bezugspunkt sozialstaatlicher Absicherungen ist dabei immer lauter geworden. Untersuchungen über Arbeitszeitpräferenzen belegen, dass die dem Normalarbeitsverhältnis zugrunde liegenden Normalitätsannahmen häufig nicht mit den subjektiven Interessenlagen und den Erwerbspräferenzen der Arbeitnehmer in Einklang stehen. Die Streuung von Arbeitszeitpräferenzen spiegelt die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Arbeitnehmer wider, die Arbeitszeiten entsprechend individuellen Lebensumständen zu variieren.
Die Diskussion um Arbeitszeitgestaltung bezieht sich zumeist auf westdeutsche Verhältnisse. Sie fällt jedoch in die Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands, ohne dem Umstand grundsätzlich verschiedener Erwerbsarbeitswelten in beiden Landesteilen allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Die Wiedervereinigung hat zwei Gesellschaften mit unterschiedlichen Erwerbsmustern, speziell von Frauen, einem unterschiedlichen Verständnis von der Rolle der Frauen in Beruf und Familie sowie nicht zuletzt anderen Arbeitszeitmustern zusammengeführt. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass die im Vergleich zu Westdeutschland andersartigen Voraussetzungen auch heute noch mit anderen Arbeitszeitvorstellungen der ostdeutschen Arbeitnehmer und vor allem der Arbeitnehmerinnen korrespondieren. Will man bedürfnisgerechtere Arbeitszeitregelungen entwickeln, so muss den möglichen Ost-West-Unterschieden Rechnung getragen werden.
Die Arbeitszeitpräferenzen belegen auch, dass in Ost- und Westdeutschland ein deutlicher Bedarf an einer Verkürzung der faktischen Wochenarbeitszeit besteht. Ein entsprechendes Potenzial für Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung als Mittel der Beschäftigungssicherung besteht vor allem bei Vollzeitbeschäftigten mit "überlangen" Arbeitszeiten. Aber auch ein Bedarf an einer Verlängerung der Arbeitszeiten lässt sich ausfindig machen: Ein Großteil der geringfügig Beschäftigten ist mit der Arbeitszeit unzufrieden und wünscht sich eine Ausdehnung der Arbeitszeiten. Insgesamt besteht damit ein erhebliches Potenzial für eine Umverteilung der Arbeitszeiten.
Auf längere Sicht bedeutet die "Erosion des Normalarbeitsverhältnisses", dass der Bereich gut bezahlter, gesicherter und langfristiger Erwerbsarbeit sich immer mehr einengen wird, während sich im Gegenzug der Bereich schlecht bezahlter, ungesicherter und unbeständiger Erwerbsarbeit ausdehnen wird, der für immer mehr Menschen die Alternative zur völligen Erwerbslosigkeit sein wird. Eine Fortsetzung des Heterogenisierungsprozesses am Arbeitsmarkt und einer Differenzierung der Beschäftigten hinsichtlich der Entlohnung und der sozialen Sicherung ist also zu erwarten. Die durch hohe Instabilität, Fluktuation und Diskontinuität erschwerte Arbeitsmarktintegration atypisch Beschäftigter betrifft vor allem rein betriebsorientierte bzw. kapazitätsorientierte variable Arbeitszeiten (KAPOVAZ) und geringfügige Beschäftigungen. Investitionen der Unternehmen in ihre Beschäftigten z. B. in Form von Weiterqualifikationen und betrieblichen Sozialleistungen kommen eher Vollzeit- und dauerhaft Beschäftigten zu. Für viele atypisch Beschäftigte hingegen, wiederum vor allem für Beschäftigte in den oben genannten Formen, stellt sich das Problem mangelnder oder gar fehlender sozialer Sicherung im Alter, bei Krankheit und bei Arbeitslosigkeit. Von diesen Problemlagen sind vor allem Frauen betroffen, die den Großteil der in Formen der "Arbeitsflexibilisierung nach unten" Beschäftigten stellen. Auch die Teilzeitbeschäftigung ist vor diesem Hintergrund ambivalent zu betrachten: Einerseits ist sie oftmals mit erheblichen Einbußen hinsichtlich materieller und sozialer Sicherheiten verbunden, andererseits ermöglicht sie vielen Frauen überhaupt erst die Teilnahme am Erwerbsleben.
Dessen ungeachtet könnten aber durchaus bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern von der tendenziellen Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses profitieren. Flexible Arbeitszeiten bergen auch die Chance, zu mehr Zeitwohlstand bzw. mehr Zeitsouveränität für die Arbeitnehmer beizutragen. Der Begriff der Zeitsouveränität umschreibt das im Zusammenhang mit der Individualisierung gewachsene Bedürfnis nach einer selbstbestimmten Gestaltung der Zeit
Die Flexibilisierung der Erwerbsarbeit führt aber nur dann zu mehr Zeitsouveränität und einer höheren Lebensqualität, wenn die Arbeitszeiten in Einklang mit lebensphasenspezifischen Bedürfnissen der Arbeitnehmer stehen. Als Richtschnur zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten sollten stärker als bisher neben ökonomischen auch soziale Kriterien dienen. Wohlfahrtsgewinnen und einer Erhöhung der Lebensqualität durch neue, atypische Beschäftigungsformen steht bislang im Wege, dass Schutzfunktionen in Form von materiellen und sozialrechtlichen Absicherungen ein Spezifikum des Normalarbeitsverhältnisses bleiben und nicht annähernd in gleichem Umfang für neue, atypische Arbeitszeitformen gelten.
Dass Zeitsouveränität seitens der Beschäftigten auch im betrieblichen Interesse sein kann, wird von Arbeitgeberseite häufig unterschätzt. Mit flexibleren Arbeitszeitmodellen, die auch den Arbeitnehmern Optionsmöglichkeiten hinsichtlich der Dauer und der Lage der Arbeitszeit einräumen, können erhebliche Wettbewerbsvorteile und Produktivitätsgewinne erzielt und kann gleichzeitig den individuellen Interessen der Beschäftigten entsprochen werden. Positive Beispiele dafür sind Altersteilzeitmodelle, Gleitzeitmodelle und unter bestimmten Voraussetzungen Modelle des Job Sharing und amorpher Arbeitszeiten bzw. Zeitkonten. Wenn wirtschaftlicher Nutzen und individuelle Interessen in Einklang stehen, können Modelle flexibler Arbeitszeitgestaltung einen Beitrag zur Lösung arbeitsmarktpolitischer und gesellschaftlicher Herausforderungen leisten.