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Europas Rolle in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts | Deutsche Außenpolitik | bpb.de

Deutsche Außenpolitik Editorial Die auswärtige Kulturpolitik vor einem Wendepunkt Zehn Jahre als europäische Großmacht Determinanten zukünftiger deutscher Außenpolitik Deutschland im multipolaren Gleichgewicht der großen Mächte und Regionen Europas Rolle in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts

Europas Rolle in der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts

Ludger Kühnhardt

/ 20 Minuten zu lesen

Eine der drei großen Säulen der Europäischen Union umfasst die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Es müssen Strategien und Ziele entwickelt werden, um den weltpolitischen Herausforderungen im 21. Jahrhundert gestaltend zu begegnen.

I. Abschnitt

In der Weltordnung des 21. Jahrhunderts wird es unstrittig bleiben, dass die Vereinigten Staaten von Amerika die führende Weltmacht sind. Sowohl in den USA als auch in Europa sollte man sich daran gewöhnen, dass China die zweite Weltmacht des 21. Jahrhunderts sein wird. Amerikaner wie Europäer haben entschieden, auch in Zukunft Russland als Weltmacht zu behandeln, obgleich die dortige soziale und geistige Krise tiefgreifende Erschütterungen weit in das 21. Jahrhundert hinein nach sich ziehen wird. Denkbar halten verschiedene Prognostiker den Aufstieg Indiens und Brasiliens zu Weltmächten. Zweifel werden in der Regel eher im Blick auf die Weltmachtpotenziale Japans angebracht. Will Europa unter diesen Bedingungen und im Blick auf die langfristig sich entwickelnden Trends ein eigenes weltpolitisches Gewicht entfalten und nicht nur als Objekt der Weltordnung behandelt werden, sondern als Subjekt der Weltpolitik der Zukunft auftreten, bedarf es der dringlichen Weiterentwicklung der Europäischen Union in den Status einer weltpolitischen Macht. Der seit 1957 eingeleitete Ansatz der europäischen Integration hat diese Perspektive infolge eines mehr als vier Jahrzehnte anhaltenden Prozesses schrittweise eröffnet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Prozess weitere vier Jahrzehnte anhält, ehe er zu einem stabilen und sich selbst stabilisierenden Abschluss in institutioneller, geistig-identitätsbezogener und politischer Hinsicht gekommen sein wird. Dennoch kann Europa sich die Gelassenheit einer so langen Zeitperspektive nicht nehmen, wenn es sich in den sich rasant vollziehenden Veränderungen an der Schwelle des Jahres 2000 behaupten will und ein eigenes weltpolitisches Gewicht in die Waagschale legen möchte. Deswegen ist jetzt der Aufbau einer europäischen Globalstrategie notwendig, der die Möglichkeit der Projektion der politischen Interessen und des politischen Willens der Europäischen Union zum Ziel haben muss.

Europa muss Strategien und Ziele entfalten und sich im Anschluss daran mit den entsprechenden Instrumenten ausstatten und zu den notwendigen Maßnahmen bereit sein, um den wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gestaltungswillig und zukunftsorientiert zu begegnen:

- Europa benötigt eine Bündelung der wissenschaftlichen und politischen Kapazitäten, um weltweit akzeptable Beiträge zur Bewahrung der natürlichen Umwelt- und Lebensbedingungen anzubieten. Dabei muss ohne diplomatische Verklausulierung deutlich gemacht werden, wo der Handlungsbedarf ist, welche Akteure zum Handeln und welche zum Zahlen aufgefordert sind.

- Europa muss seine wissenschaftlichen und politischen Kapazitäten bündeln, um Beiträge zur Auseinandersetzung mit den Folgen der Weltbevölkerungsexplosion anbieten zu können, die weltweit als nützliche Unterstützung in der Bekämpfung der sozialen, politischen, kulturellen, ethnischen und ökonomischen Herausforderungen sowie im Blick auf die Migrationsproblematik angesehen werden.

- Europa muss seine weltpolitischen Vorstellungen im Blick auf eine weltweit koordinierte Energiepolitik konkretisieren und stärker als bisher das öffentliche Bewusstsein in Europa für die Abhängigkeit der Europäer von der weltweiten Energieversorgung und in der Welt insgesamt in Bezug auf die Perspektiven und Chancen einer partnerschaftlichen Entwicklung einer weltweit koordinierten Energiepolitik schärfen.

- Europa bedarf einer großen politischen, ethischen und instrumentellen Grundsatzdiskussion über die Frage, wie es sich künftig gegenüber Konflikten, Kriegen und Bürgerkriegen, ethnischen und kulturellen Spannungen in anderen Weltregionen verhalten will. Es bedarf eines Kriterienkataloges, der als europäischer Vorschlag in einer Art von universeller "Erklärung der Zivilitätsbedingungen" einmünden kann. Darin müssen Kriterien benannt werden, ob ein Eingreifen oder sein Gegenteil von Bedingungen des Wohlergehens im reichen und stabilen Norden oder von der Intensität der Brutalität in Regionalkonflikten abhängt. Deutlich müssen die bisher eher reaktiv und im Sinne des Krisenmanagements behandelten Fragen nach den Entscheidungsprozeduren, nach den Bedingungen von Peacekeeping-Entsendungen und nach Fragen des Oberbefehls in militärischen Operationen sowie nach ihrem Verhältnis zu den zivilen Begleitmaßnahmen zum Wiederaufbau von Zivilität und Frieden entschieden werden. Eine besondere Bedeutung muss die Frage nach der Bekämpfung der Waffenproliferation haben, denn die heutigen Entwicklungsländer geben sechsmal mehr Geld für Waffenlieferungen aus, als sie an westlicher Entwicklungshilfe zurückerhalten.

- Europa muss eine Globalstrategie für den Umgang mit der Proliferation von atomaren, biologischen und chemischen Waffen entwickeln und geostrategische Verteidigungssysteme aufbauen. Dies muss vor allem in Verbindung mit den Vereinigten Staaten von Amerika geschehen. Die Initiative der amerikanischen Regierung, die einer angepassten Form der strategischen Verteidigungsinitiative des ehemaligen Präsidenten Reagan entspricht, muss von Europa im Sinne des Eigeninteresses aufgrund der anhaltenden Wirklichkeit von "Schurkenstaaten" unterstützt werden.

- Europa muss eine abgestimmte Migrations- und Flüchtlingspolitik entwickeln. Es muss dabei Kriterien, Methoden und Ziele entwickeln, um das Verhältnis zwischen der islamischen und der westlich-christlichen Welt auf die Basis eines Dialoggrundsatzes zu stellen. Dazu bedarf es erstens einer Bündelung der wissenschaftlichen und politischen Potenziale, zweitens einer systematischen und kohärenten, umfassenden Strategiediskussion und drittens der Entwicklung von wirksamen Projekten mit Hebelwirkung.

Europa muss sich mit eigenen perspektivischen Beiträgen an der wissenschaftlichen wie politischen Durchdringung der Frage beteiligen, auf welche Weise sich im 21. Jahrhundert politische Macht, d. h. das staatliche Gewaltmonopol im Verhältnis zu privater Macht, sowohl in Bezug auf wirtschaftliche und soziale als auch auf politisch-strategische Aspekte verhält. Die europäischen Erfahrungen mit der Überwindung eines rigiden Souveränitätsbegriffes und der Entwicklung eines dynamischen Mehrebenenregierungsmodelles müssen für die Entwicklung eines offenen Regionalismus als Grundkonzeption der Weltordnung des 21. Jahrhunderts nutzbar gemacht werden.

II. Abschnitt

Die Perspektive für das 21. Jahrhundert liegt zum einen in der Entwicklung eines "offenen Regionalismus" und zum anderen in der evolutiven Fortentwicklung des Völkerrechtsystems, das in konzentrischen Kreisen gedacht werden muss. Die Herausbildung eines spezifisch europäischen Profils hinsichtlich der Entwicklung eines Regionalsystems des Mehrebenenregierens und eines europarechtlichen Systems, das sowohl menschenrechtliche als auch wirtschaftliche, soziale und politische Rechtsregeln umschließt, muss weiter entwickelt werden zu einem Angebot an die Partnerregionen in der Völkergemeinschaft, um auf diese Weise zu einem geistig-politischen Dialog über die Grundlagen des künftigen Zusammenlebens und Regierens in den Völkern bzw. zwischen ihnen bzw. zwischen den Regionen und regionalen Zusammenschlüssen und Verbundsystemen zu gelangen.

Europas Rolle in der Welt sollte nicht als "aggressiv-imperial-besitzergreifend" oder "missionarisch-kolonialisierend" verstanden werden, sondern als "dialogisch". Aber auch der Dialog setzt die Entwicklung eines klaren eigenen Profils, die Definition der eigenen Interessen und die Bestimmung der eigenen Instrumente, Mittel und Möglichkeiten voraus. Zugleich muss Europa ohne jeden Zweifel über die Grenzen seiner eigenen Handlungsfähigkeit im Blick auf das heute einzige wirklich universalistische Modell - das amerikanische - bleiben. Die europäische wirtschaftliche Potenz muss ergänzt werden durch eine politisch glaubwürdige und kulturell bzw. sozial attraktive Konstruktion, die in partnerschaftlicher Verbindung mit der nordamerikanischen Zivilisation und ihren sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Kraftquellen die Synthese des Begriffes des "Westens" gegenüber den nicht-westlichen Regionen und Kulturen der Welt bilden kann. Europa darf sich auch unter der Bedingung der Entwicklung eines globalpolitischen und strategischen Entwicklungsweges nicht in Antithese bzw. in Abgrenzung zu den Vereinigten Staaten von Amerika definieren. Nur in der Komplementarität der beiden Pfeiler der westlichen Zivilisation liegt das Potenzial ihrer universalen Strahlkraft im 21. Jahrhundert und der Anerkennung ihrer als glaubwürdig empfundenen Wahrnehmung durch die anderen Regionen, Kulturen und Völker begründet.

Zwei Anforderungen sind für die konsequente Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union bzw. für die Entwicklung eines weltpolitischen und geostrategischen Profils der Europäischen Union besonders notwendig:

- Die Europäische Union muss einen angemessenen Handlungswillen organisieren, ihre Handlungsziele strategisch reflektieren und zu politikfähigen Positionen entwickeln, Instrumentarien bereitstellen und Mittel ermöglichen sowie praktische Prozesse einleiten, die dem Ziel dienen, den zuvorderst bestimmten Handlungswillen in die Tat umzusetzen.

- Die Europäische Union muss die Entwicklung einer ernst zu nehmenden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in enger Verbindung mit den Vereinigten Staaten von Amerika respektive der NATO fördern. Dabei kommt es darauf an, komplementäre, das heißt sich entweder gegenseitig ergänzende oder aufgrund einer Arbeitsteilung gegenseitig stützende Formen der Arbeitsteilung zu entwickeln. Die Europäische Union muss bei der Entwicklung ihres weltpolitischen und geostrategischen Profils auf die Vorbehalte in den USA Rücksicht nehmen, die sich in der Vermutung bündeln, dass Europa in der Regel institutionelle Vorkehrungen diskutiert, dabei aber auf eine substanzielle Auseinandersetzung mit den entsprechenden Inhalten verzichtet.

Tatsächlich hat die weltpolitische Entwicklung seit Ende des Kalten Krieges innerhalb der westlichen Strategic Community den Sinn dafür geschärft, dass die größten Herausforderungen für Sicherheit und Stabilität, Prosperität und Freiheit der westlichen Staatengemeinschaft auf Dauer vornehmlich von Bedrohungen außerhalb der NATO-Zone erwachsen. Über die Rolle der großen Bündnispartner und ihre globalen Interessen muss ein neuer Konsens erarbeitet werden, der zu einem gemeinsamen bzw. gleichgerichteten Handlungswillen und der Bereitstellung der entsprechenden Instrumente führt. Auch in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts bleibt die unbewältigte "russische Frage" ein großes Problem für die Ausgestaltung einer ausbalancierten Weltordnung. Dennoch ist das Verhältnis zu Russland nicht mehr notwendigerweise das größte strategische Problem des Westens. In geostrategischer Hinsicht erwächst die wichtigste anhaltende Bedrohung, die von Russland ausgeht, aus der Tatsache, dass in dem Riesenreich mit seinen sechs Zeitzonen weiterhin 30 000 atomare Sprengköpfe gelagert sind, die sich zunehmend in einer immer anarchischeren Auseinanderentwicklung der zentralen Organisationsstrukturen von Staat und Gesellschaft der Verfügungsgewalt entziehen könnten. Die Frage einer Implosion Russlands und die daraus eventuell resultierende Unabhängigkeit weiterer Einzelstaaten auf dem Gebiet des heutigen Russlands hätte ambivalente geostrategische Wirkungen für den Westen: Einerseits würde eine Vielzahl von Kleinstaaten die Position des kooperativ und integrativ miteinander verbundenen westlichen Staatenverbundes stärken, andererseits würde die Übersichtlichkeit und damit Konsistenz der Beziehung des Westens gegenüber einer Vielfalt von Staaten mit unterschiedlicher Staatsqualität und Ressourcenkraft auf dem Gebiet des heutigen Russland schwieriger werden. In jedem Falle steht nicht zu vermuten, dass die innere Entwicklung Russlands zu einer neuen aggressiven Bedrohung des Westens führt. Eher ist Russland sich selbst zur Bedrohung geworden. Die Ausrichtung der NATO-Russland-Grundakte von 1997 bezeugt eine hochentwickelte und von Vertrauensvorschuss geprägte Partnerschaft mit dem Westen, die Ausdruck der Überwindung des antagonistischen Verhältnisses zwischen der westlichen Staatengemeinschaft und Russland ist, wie dies für die Zeit des Kalten Krieges konstitutive Grundlage des weltpolitischen Geschehens gewesen ist.

Die eigentlichen Herausforderungen an die westliche Staatengemeinschaft erwachsen indessen zunehmend aus anderen Regionen und strukturellen Zusammenhängen:

1. Proliferation von Massenvernichtungswaffen in unkontrollierbare und nicht in das westliche Partnerschaftsgefüge einbezogene autokratische und diktatorische Staaten im großen Konfliktbogen zwischen Südasien und dem westlichen Nordafrika.

2. Unberechenbare Folgen der sozioökonomischen und demographischen Entwicklung in jenen Regionen, die sich auf die Migrationsneigung in den Norden ebenso auswirken wie auf die Stärkung von politisch aggressiven Bewegungen, die mit dem Mittel des Terrorismus politische Ziele durchsetzen wollen.

3. Regionalkonflikte, die zur Erschütterung oder sogar zum Zerfall der Staatlichkeit führen können und eine Herausforderung an das westliche Verständnis von universellen völkerrechtlichen Normen des zivilisierten Lebens (Genozid und die Frage des Eingreifens von außen) darstellen.

4. Fragen der ausgewogenen Entwicklung der Weltwirtschaft unter besonderer Berücksichtigung des alles überragenden Doppelziels, einerseits die Wachstumsdynamik in den hochentwickelten westlichen Industriegesellschaften aufrechtzuerhalten und andererseits in den Entwicklungsregionen der südlichen Hemisphäre "nachhaltige Entwicklung" zu ermöglichen und zu stabilisieren.

III. Abschnitt

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika, durch die NATO strategisch miteinander verklammert, müssen in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts ihre Partnerschaftsfähigkeit im Zusammenhang mit neuen Konfliktkonstellationen und regionalen Herausforderungen beweisen und auf eine in sich konsistente Basis stellen. Dies ist das größte Problem für die zukünftige Ausgestaltung des Verhältnisses von EU und NATO geworden. Die Vorstellung, dass Amerika dazu neige, eine unilateralistische Politik zu betreiben und sich von multinationalen Kooperationszusammenhängen eher zu distanzieren, entspricht weder der historischen Wirklichkeit (Beispiele: Impulse der USA für die Gründung der UNO, Präsenz seit 1945 in Europa vermittelst der NATO, kreative Mitwirkung an der Weiterentwicklung des GATT zur stärker institutionalisierten Welthandelsorganisation WTO), noch entspricht es der eigentlich angemessenen Interessenlage Europas, eine solche Position zu artikulieren. Amerikas Präsenz in Europa ist desto stärker, je stärker der Handlungswille Europas selbst ist. Oder anders gewendet: Die Partnerschaftsfähigkeit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten hängt ab von dem Handlungswillen Europas. Als Supermacht braucht die USA Partner. Zum einen bezieht sich dies auf bilaterale Verhältnisse, zum anderen aber auf regionale Partnerschaften. Die Beziehungen der USA zu Europa können nicht länger alleine in bilateralen Verhältnissen organisiert werden. Denn

- die amerikanisch/britische "special relationship" ist zu einer situativen Allianz bei gleichzeitiger Einsicht in die defizitäre europäische Relevanz Großbritanniens geschrumpft;

- Frankreich hat aufgrund der weltpolitischen Veränderung seit Ende des Kalten Krieges Probleme mit seinem relativen Statusverlust im Verhältnis zu Deutschland, wodurch Probleme der innereuropäischen Kohärenz erwachsen;

- Deutschland befindet sich immer noch im Übergang zu der Erkenntnis, dass das Land künftig nicht mehr nur Verantwortung, sondern auch Einfluss hat und nicht mehr nur Werte, sondern auch Interessen vertritt, wodurch der Prozess der innereuropäischen Stabilisierung weiterhin im Fluss und mithin für die amerikanischen Partner zuweilen nur begrenzt kalkulierbar ist.

Entscheidend für die zukünftige Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Amerika und Europa ist daher die Entwicklung eines klar strukturierten und konsistenten "EU-USA-Partnerschaftsrahmens". Im Mittelpunkt muss neben den sicherheitspolitischen Kooperationsmechanismen, wie sie die NATO auf erfolgreiche Weise entwickelt hat, und neben den Konfliktschlichtungsmechanismen, wie sie die Institutionen der Welthandelsorganisation WTO auf bisher erfolgversprechende Weise zu etablieren begonnen haben, der politische Dialog auf höchster Ebene zwischen den USA und der EU treten. Es bedarf regelmäßiger Gipfeltreffen zwischen dem EU-Kommissionspräsidenten und dem amerikanischen Präsidenten, die unterfüttert werden durch ein enges Zusammenspiel zwischen den Institutionen der amerikanischen Administration und den komplementären Institutionen und Strukturen der Europäischen Union. Von besonderer Bedeutung wird es sein, auf welche Weise der Hohe Repräsentant der Europäischen Union für die GASP gemeinsam mit seinem Stab ein strukturiertes Arbeitsverhältnis zum amerikanischen State Department, zum Nationalen Sicherheitsrat der USA und zum Pentagon entwickelt. Sollte es gelingen, dass der Hohe Repräsentant der Europäischen Union für die GASP das Kraftzentrum eines sich herausbildenden Europäischen Außenministeriums - oder gar Verteidigungsministeriums - wird, könnte die Problematik der unterschiedlichen Aktionszentren und Akteure sich im transatlantischen Verhältnis auf Dauer umkehren. Europa würde mit einer Stimme sprechen können, während in den USA zwischen den beiden Häusern des Parlamentes und den außen- und sicherheitspolitischen Institutionen sowie dem Präsidenten und seinem Stab ein ebenso hoher Abstimmungsbedarf anhält, wie er bisher häufig von den Amerikanern den Europäern vorgehalten wurde. Tatsächlich bedarf es einer durchdachten Koordinierung und Strukturierung des politischen Dialoges, um die selbstverständlichen Abstimmungsprozesse auf beiden Seiten des atlantischen Ozeans zu bündeln und zugleich zu einer handlungsfähigen strategischen Partnerschaft weiterzuführen.

Natürlich muss diese strategische Partnerschaft mehr sein als ein institutioneller Mechanismus. Sie muss gemeinsame Interessen definieren, entsprechende Strategien erarbeiten und zur Bereitstellung der zur Realisierung der Interessen und Strategien notwendigen Instrumente wirksam beitragen. Überfälliger Handlungsbedarf besteht vor allem in der Frage der Raketenabwehr in Südeuropa. Nach allen Planungen der Strategen nehmen die Bedrohungsszenarien durch Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 1 800 bis 2 000 Kilometern im Mittelmeerraum zu. Zur Zeit befindet sich das Projekt einer südeuropäischen "missile defense" innerhalb der NATO in der Studienphase. Es steht zu vermuten, dass erst zwischen 2008 und 2012 ein großes gemeinsames Projekt Realität werden kann. Es darf bezweifelt werden, ob Europäer und Amerikaner sich so lange Zeit lassen können, um die Problematik der rüstungsindustriellen Kooperation zwischen den transatlantischen Partnern zufriedenstellend und schlüssig zu regeln. Ausgehend von dem Grundgedanken, dass jede Stärkung des europäischen Pfeilers aus amerikanischer Sicht verhindern muss, dass es zu einer Abkoppelung zwischen Europa und den USA kommt, dass europäische Staaten, die nicht der EU angehören (wie Norwegen und die Türkei), nicht diskriminiert werden und dass es zu keiner Verdoppelung von Kapazitäten zwischen NATO und der europäischen militärischen und außenpolitischen Kapazität kommt ("no decoupling, no discrimination, no duplication"), muss die Entwicklung einer außen- und sicherheitspolitischen europäischen Handlungskapazität, die mit einem politischen Handlungswillen ergänzt oder verbunden ist, das zentrale Problem der rüstungsindustriellen Kooperation lösen. Versuche der Herstellung eines wahrhaft EU-weiten rüstungswirtschaftlichen Konsortiums sind bisher an dem Fehlen eines einheitlichen europäischen Unternehmensrechts gescheitert. Als zentrales Problem wird in diesem Zusammenhang immer wieder die besonders restriktive deutsche Mitbestimmungsregelung angeführt, aber auch die unterschiedliche industrielle Kultur in den drei zentralen Partnerländern Großbritannien, Frankreich und Deutschland.

Die unterdessen begründete European Aerospace and Defense Company ist ein positives Signal, auf das Skeptiker schon kaum noch zu hoffen gewagt hatten. Auch in Bezug auf die vollständige Einbeziehung der WEU in die GASP der EU hat Europa seine Kritiker eines Besseren belehren können.

IV. Abschnitt

Die künftige Rolle der Europäischen Union in der Weltpolitik und in ihrem Mittelpunkt die stabile und perspektivreiche Weiterentwicklung der euroatlantischen Beziehungen als der Kern der erfolgreichen Überwindung des ,unglücklichen' 20. Jahrhunderts erfordert eine Kombination von Vision und Konsistenz, von gemeinsamen strategischen Zielen und einer schlüssigen Glaubwürdigkeit bei ihrer Verwirklichung. Hieran hat es in der Vergangenheit ebenso häufig gemangelt wie an der expliziten Artikulation eines europäischen Handlungswillens oder an der widerspruchsfreien Plausibilität des amerikanischen weltpolitischen Engagements.

Die euro-atlantischen Beziehungen sind ebenso wie der bisherige europäische Integrationsprozess Ausdruck einer einzigartigen Erfolgsgeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Beide Komponenten der westlichen Zivilisationsgemeinschaft werden in einem sich entwickelnden globalen Weltordnungssystem in den nächsten Jahrzehnten an neuen Herausforderungen ihre Zukunftsfähigkeit beweisen müssen. Wesentlicher als Einzeldispute um Agrarquoten oder Bananenkontroversen ist die Erkenntnis eines konsistenten, das heißt: realpolitisch wie moralisch glaubwürdigen und zukunftgerichteten strategischen Ansatzes. Diesen zu entwickeln und überzeugend zu vermitteln, ist die eigentliche Bedingung für die erfolgreiche Fortsetzung der europäischen Integrationspolitik und für die erfolgreiche globale Neuorientierung der euro-atlantischen Beziehungen im Verlauf des 21. Jahrhunderts. Unter den Bedingungen von Demokratie und elektronischen Massenmedien steht und fällt innenpolitische Mehrheitsbildung damit, dass die politischen Akteure ihre Verlässlichkeit überzeugend vermitteln können und die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ihrer Vorstellungen und ihres Handelns möglichst minimal halten. Gleiches gilt für die Weltpolitik: Vision und Glaubwürdigkeit müssen zu einem Ganzen zusammenfinden. Allein deshalb bleibt die schwärende "Wunde Südosteuropa" der Testfall für die die Rolle der EU in der Welt und für den europäischen Bindungswillen der Vereinigten Staaten von Amerika.

Zu den neuen Schlagworten, die bei der Suche nach der Definition einer Neuen Weltordnung verwendet werden, gehört der Begriff des "offenen Regionalismus". Nicht weniger formelhaft klingt das Wort vom "kooperativen Multilateralismus". Hinter beiden Worten eröffnet sich die Chance, das Denken in komplexeren Kategorien zu aktivieren, wenn es nicht bei einem spöttischen Schulterzucken über die Erfindungsgabe sprachmächtiger Diplomaten bleiben soll. Die genannten Begriffe werden im Regelfall als Komplementärbegriffe zur Formel von der "Globalisierung" verwendet, einem anderen Ersatzbegriff für das Denken in komplexeren Kategorien. Hinter der Worthülse "Globalisierung" verbergen sich im Kern Phänomene eines massiv intensivierten Wirtschafts-, Technologie- und Gesellschaftstransfers, wie sie konstitutiv für die entwickelten Regionen der Erde geworden sind. Zwei Drittel der Menschheit sind nicht einmal im Besitz eines Telefonapparates.

Insofern kommen im Grunde nur vier regionale Zusammenschlüsse in Betracht, wenn über den Zusammenhang von Globalisierung und Regionalismus gesprochen wird: die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA), die Europäische Union (EU), der Mercado Commun do Sur (Mercosur) und die Association of South East Asian Nations (ASEAN). Andere Formen regionaler Kooperation sind zwar vorhanden, aber sie sind bisher noch zu wenig institutionell angelegt oder weltwirtschaftlich relevant, um von der Europäischen Union hinreichend als Partner wahrgenommen worden zu sein. Dies mag ein Fehler sein, beispielsweise im Blick auf die South Asian Association of Regional Cooperation (SAARC) oder den Golf-Kooperationsrat, aber diese nüchterne Lageanalyse entspricht der Wirklichkeit.

Im Blick auf die NAFTA, die EU, den Mercosur und ASEAN steht die Bevölkerungsverteilung keineswegs in einem kongenialen Verhältnis zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt: NAFTA weist mit 398,5 Millionen Menschen ein Bruttoinlandsprodukt von 9 099,4 Milliarden Mark auf, die EU mit 355,4 Millionen Menschen ein Bruttoinlandsprodukt von 8 057,8 Milliarden Mark, der Mercosur mit 224,2 Millionen Menschen ein Bruttoinlandsprodukt von 1 242,2 Milliarden Mark und ASEAN mit 691,6 Millionen Menschen ein Bruttoinlandsprodukt von 493,9 Milliarden Mark .

Konzeptionell stehen die wechselseitigen oder gemeinsamen Beziehungen dieser und aller anderen regionalen Zusammenschlüsse in der Welt vor drei Fragestellungen: Welche Zielsetzung wird mit dem jeweiligen Kooperations- oder Integrationsprozess verfolgt? In welchem Verhältnis stehen die regionalen Zusammenschlüsse zueinander? Wie ist der Zusammenhang zwischen Regionalbildung und Globalisierung zu beurteilen?

Alle Regionalzusammenschlüsse der Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts verfolgen das Ziel der Friedenssicherung und Wohlstandsmaximierung ihrer Einwohner. Die Ausgangsperspektiven sind dabei keineswegs einheitlich. Dadurch wird ein symmetrisches Zusammenwirken erschwert. Für die Regionalzusammenschlüsse in der industrialisierten Welt geht es vor allem darum, im harten wirtschaftlichen Wettbewerb zu bestehen und die eigenen ökonomischen Potenziale in ihrer weltwirtschaftlichen Wirkung zu maximieren. Für die Regionalzusammenschlüsse in den Entwicklungsregionen beziehungsweise zwischen Schwellenländern geht es vorerst darum, Entwicklungsdefizite aufzuholen und dem Ziel einer selbstragenden Entwicklung zuzuarbeiten. Daraus ergeben sich in der Regel unterschiedliche Wirtschafts-, Finanz-, Infrastruktur- und Regionalentwicklungsstrategien. Bei der Kooperation zwischen den Regionalzusammenschlüssen der Welt wird es darauf ankommen, dass Komplementarität hergestellt wird. Nur wenn es im Ergebnis zu "win-win"-Situationen kommt, wird die Kooperation zwischen Regionalzusammenschlüssen unterschiedlichen Entwicklungsniveaus stabil und fruchtbar sein können.

So unterschiedlich wie die Entwicklungsbedingungen innerhalb der verschiedenen Regionalzusammenschlüsse sind die politischen Ambitionen, die hinter den einzelnen Projekten stehen. NAFTA verfolgt primär das Ziel einer Freihandelszone, während die EU dezidiert auf den Zusammenschluss staatlicher Souveränität hinarbeitet; bei Mercosur und ASEAN bleibt bisher die Dimension der politischen Integration undeutlich, vor allem wegen der anhaltenden Tabuisierung des Konzeptes staatlicher Souveränität .

Aus den unterschiedlichen Entwicklungsstufen und politischen Leitbildern ergeben sich unterschiedliche, der Tendenz nach teilweise widersprüchliche Vorstellungen über das Verhältnis der Regionalzusammenschlüsse zueinander: Wettbewerb oder Komplemetarität, Partnerschaft oder Gegnerschaft - die Spannbreite der Vorstellungen und wechselseitigen Wahrnehmungen ist breit. Die EU hat dies im Zusammenhang mit der Diskussion erfahren, ob sie anstrebe, eine "fortress Europe" zu werden, und inwieweit der EURO eine Konkurrenzwährung zum US-Dollar sein will. Im EU-Mercosur-Verhältnis schwingt die Vorstellung mit, die europäisch-lateinamerikanische Zusammenarbeit könnte als Widerpart zu den USA eine kompensatorische Rolle spielen. In den EU-ASEAN-Beziehungen wird diese Vorstellung zuweilen auf die Rolle Chinas und Japans, eventuell sogar Russlands und Indiens ausgeweitet, um zu dokumentieren, es gehe um Kooperation jenseits, wenn nicht gegenüber den großen Mächten. Ein solcher konzeptioneller Ansatz stünde zunehmend in Widerspruch zu der Absicht der EU, über den Weg der Entwicklung von Strategien einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber allen Staaten und Regionen beziehungsweise in allen politischen Themenfeldern eine globale Projektionskraft der eigenen Vorstellungen und Absichten zu entwerfen. Entweder gehört die EU zu den großen Mächten, oder sie will gegen diese Politik machen und Koalitionen schmieden.

V. Abschnitt

Theoretisch stellen sich die Sachverhalte der Weltpolitik im Regelfall kohärenter und plausibler dar, als dies in der Wirklichkeit tatsächlich der Fall ist. So ist es theoretisch keineswegs ein Widerspruch, wenn auf der einen Seite eine vertiefte Integration im Rahmen bestehender Regionalzusammenschlüsse postuliert wird, auf der anderen Seite aber das Ziel eines "offenen Regionalismus" betont wird. Nicht selten werden beide Konzeptionen allerdings als widersprüchlich beschrieben. Dies kann so sein, muss aber keineswegs zu einem solchen Ergebnis führen. Kein Regionalzusammenschluss der Erde wäre mächtig und autarkiefähig genug, um sich gegenüber allen anderen Regionen und Regionalzusammenschlüssen mit ihren komplementären Vorzügen, ihren Märkten und politisch-gesellschaftlichen Anregungen abzuschotten. Auch wäre keinem Regionalzusammenschluss damit gedient, allein auf das Ziel eines globalen Freihandels zu setzen, ohne den Nutzen und Wert stabiler regionaler Integrationssysteme gerade für die dauerhafte Aufrechterhaltung des globalen Freihandels zu erkennen. Wer mit der EU Vereinbarungen trifft, braucht nicht mit fünfzehn oder künftig noch mehr einzelnen Partnerländern verhandeln. Verlässliche Regeln der Integration dienen der Berechenbarkeit in einem globalen System des Regionalismus, Vereinbarungen des Freihandels bedingen und stärken seine Offenheit.

Das größte Problem für die Weltordnung des 21. Jahrhunderts ergibt sich nicht aus dem Beziehungsgefüge zwischen den unterschiedlichen Regionalzusammenschlüssen. Es ergibt sich vielmehr aus den Asymmetrien ihres Umgangs mit Zonen labiler oder überhaupt nicht vorhandener Regionalzusammenschlüsse. Besonders spektakulär stellen sich immer wieder die Probleme des Umgangs mit "Schurkenstaaten" dar. Nicht minder gravierend aber können die Probleme mit ganz normalen "Einzelgängern" wie Japan oder Russland sein, wenngleich die Probleme selbstverständlich auf einer gänzlich anderen Ebene liegen als jene des Umgangs mit Staaten wie Nordkorea, Irak oder Libyen. Offensichtlich gibt es Staaten, die zu groß sind, um in Regionalsysteme einbezogen zu werden, aber zu klein, um allein als Weltmacht agieren zu können. Und es gibt Staaten, die in regionalen Umständen existieren, welche die Entwicklung regionaler Kooperationssysteme erschweren oder gar unmöglich scheinen lassen, obgleich dies durchaus nützlich wäre, um bestimmte Formen der Selbstisolation zu vermeiden.

Deswegen ist "global governance" nicht allein über den Akkord zwischen den großen Mächten dieser Erde zu garantieren. Es müssen globale Regeln des Regierens und der Austragung von Ordnungs- und Interessenkonflikten gesetzt werden, die für alle Staaten, Staatenzusammenschlüsse und regionalen Integrationssysteme gleichermaßen verbindlich sein können und müssen:

- Regeln für internationale Lösungen des Problems sozialer Gerechtigkeit, das heißt Regeln für die Bekämpfung der weltweiten Massenarmut, die Ausweitung der Beschäftigungssysteme und die Mehrung der individuellen Kaufkraft bei gleichzeitiger Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen;

- Orientierungspunkte für die Reformaufgaben in den Staatsbürokratien als Voraussetzung für die Freisetzung unternehmerischer und gesellschaftlicher Initiativpotentiale;

- Leitlinien für Verbesserungen der Bildungssysteme, damit die nachwachsende Generation den Phänomenen des sozioökonomischen und kulturellen Wandels sowohl mit kulturellen und moralischen wie auch mit technisch-wissenschaftlichen Kompetenzen begegnen kann;

- Kriterien für die Stärkung der menschlichen Ressourcen im Blick auf einen ebenso humanen wie effektiven Umgang mit den exponentiell steigenden Wissenspotenzialen;

- Regeln für die Bekämpfung von Verbrechen, die längst staatsübergreifende, wenn nicht globale Formen der Organisation gefunden haben.

Ein Multilateralismus, der sich an diesen und weiterführenden Kriterien des "global governance" orientiert, wird immer nur in Annäherungswerten erreichbar sein. Am Beispiel des universellen Menschenrechtsschutzes aber kann gezeigt werden, dass die Universalisierbarkeit von Normen auch dann Leitmotiv sein muss, wenn die universelle Anerkennung derzeit noch nicht gegeben ist . Für den Grundsatz des Multilateralismus und seine Einhaltung gilt Gleiches. Dabei geht die Perspektive, die Weltordnung könne auf der Grundlage multilateraler Vereinbarungen organisiert werden, von der Prämisse aus, dass regionale Integrationszusammenschlüsse über den Handelsaustausch hinausgehen und eine politische Dimension einschließen.

Konzepte eines funktionsfähigen Multilateralismus erfordern eine Reform der Vereinten Nationen und der anderen Weltorganisationen beziehungsweise Institutionen mit weltweiter Projektionsweite, einschließlich der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Im Ergebnis funktioniert ein idealtypischer Multilateralismus - gleichgültig ob er auf einer Staatenordnung mit über 200 Einzelstaaten oder einer Weltordnung mit fünf bis zehn regionalen Kooperations- oder Integrationssystemen gründet - nur dann, wenn wirksame Regulationsmechanismen und Institutionen existieren, die es erlauben, gemeinsame Interessen zu definieren und zu verfolgen beziehungsweise Interessengegensätze und Konflikte friedlich und mit dem Ziel von "win-win"-Situationen auszutragen .

Davon ist die Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts weit entfernt. Macht und das Streben nach Einflusssphären gehören nicht zu den erledigten Kategorien des 19. und des 20. Jahrhunderts. Das politische Denken und Handeln wird mit ihnen auch im 21. Jahrhundert rechnen müssen. Dabei sind infolge der Überwindung des Ost-West-Konfliktes "Machthohlräume" entstanden, wie Christian Hacke zutreffend und plastisch formuliert hat: "Zeiten der Unruhe stehen bevor, in denen drei Vorbilder dominieren: islamische Strömungen, völkisch-ethnischer National-Chauvinismus sowie westliche Demokratie und Marktwirtschaft."

Zu den stabilen und stabilisierenden Faktoren der Weltordnung des 21. Jahrhundert werden daher die großen demokratischen Handelsstaaten und die demokratisch verfassten Regionalsysteme gehören. "So könnte ein weitgespanntes und kraftvolles Gleichgewicht von Mächten entstehen, das maßvolle Evolution ebenso befördert wie es eruptive, revolutionäre und fanatische Tendenzen im Weltsystem beschränkt oder diesen Einhalt gebietet." Zu den großen Mächten wird auf Dauer nur gehören, wer militärische Macht und gesellschaftliche Kreativität, politische Autorität und kulturelle Ausstrahlungskraft, innere rechtliche Ordnung und nach außen projizierten Handlungswillen zum Nutzen der globalen Ordnungsherstellung und Regeleinhaltung miteinander zu verbinden weiß. Das Konzept eines "offenen Regionalismus" bleibt genauso Makulatur, wie es die Fixierung auf die nationalstaatliche Souveränitätsbehauptung geworden ist, wenn es nicht gelingt, den formellen Rahmen mit einem angemessenen Inhalt auszufüllen. "Offener Regionalismus" - das bleibt eine nichtssagende Floskel, wenn nicht Ideen und Ziele erkennbar werden, für die seine Protagonisten stehen und einzustehen bereit sind. Erst wo dies gelingt, wird die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts davon profitieren, dass sich regionale Integrationssysteme herausbilden und ihre Möglichkeiten und Ziele um den Partner USA herum austarieren können. Ob sie vermag, diesen Anspruch einzulösen - damit steht und fällt auch die Rolle der Europäischen Union als eine der Weltmächte des 21. Jahrhunderts.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kant K. Bhargava, EU-SAARC: Comparisons and prospects of cooperation, ZEI Discussion Paper, C15/1998, Bonn 1998.

  2. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. Juni 1999, S. 17.

  3. Vgl. Manfred Mols, Integration und Kooperation in zwei Kontinenten: das Streben nach Einheit in Lateinamerika und Südostasien, Stuttgart 1996.

  4. Vgl. Ludger Kühnhardt, Die Universalität der Menschenrechte. Studie zur ideengeschichtlichen Bestimmung eines politischen Schlüsselbegriffs, München 1987.

  5. Vgl. zu den idealtypischen Perspektiven, die in die Vision einer "Gesellschaftswelt" einmünden: Ernst-Otto Czempiel, Weltpolitik im Umbruch. Das internationale System nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, München 1991.

  6. Christian Hacke, Die Großen Mächte, in: Karl Kaiser/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die neue Weltpolitik, Baden-Baden 1995, S. 324.

  7. Ebd., S. 332.

Dr. phil., geb. 1958; Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) in Bonn.

Anschrift: Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI), Walter-Flex-Str. 3, 53113 Bonn.

Veröffentlichungen u. a.: Zukunftsdenker. Bewährte Ideen politischer Ordnung für das dritte Jahrtausend, Baden-Baden 1999; (Hrsg. zus. mit Michael Rutz) Die Wiederentdeckung Europas. Ein Gang durch Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1999.