Bereits seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1952 wird das Projekt der europäischen Integration von Krisendiagnosen begleitet. Auch in den vergangenen Jahren schien es so, als würde die EU von einer Krise in die nächste taumeln: autoritäre Tendenzen in einzelnen Mitgliedsländern, Euro- und Ukrainekrise, Brexit sowie eine alarmierend hohe Zahl an Bürgerinnen und Bürgern, die offenbar jedes Vertrauen in ein politisches Konstrukt verloren haben, das einmalig, aber vielleicht gerade deswegen so schwer greifbar und begreifbar ist. Kaum eines dieser Probleme kann als gelöst betrachtet werden, und Zahl und Dringlichkeit der Aufgaben, vor denen die EU steht, nimmt eher zu als ab.
Indes scheint ein Stimmungsumschwung begonnen zu haben: Nach der schweigenden Akzeptanz der europäischen Integration in den 1960er, 70er und 80er Jahren und der Vielzahl gescheiterter Referenden in jüngerer und jüngster Vergangenheit lässt sich zuletzt eine neue Begeisterung für Europa feststellen. Sie schlug sich 2017 in den Präsidentschafts- und Ministerpräsidentenwahlen Österreichs, der Niederlande und Frankreichs nieder, aber auch in den pro-europäischen Demonstrationen von "Pulse of Europe". Zugleich wird in der Öffentlichkeit lebhaft und leidenschaftlich über die Zukunft der EU diskutiert.
Die Vorschläge reichen dabei von "weiter durchwursteln" über ein "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" bis hin zu einer umfassenden Reform. Komplexität und Diversität der EU machen eine Entscheidung nicht einfacher. Verkannt wird aber mitunter, dass die EU bereits auf eine über 60-jährige Erfahrung im – friedlichen – Umgang mit Krisen zurückblicken kann.