I. Einleitung
In seinem über fünfzigjährigen Bestehen hat der Deutsche Bundestag einen bemerkenswerten Beitrag zur Sicherung der Demokratie geleistet. Dem Parlament ist seitens der Bevölkerung über lange Zeit hinweg ein vergleichsweise hohes Vertrauen entgegengebracht worden - wenn auch im gerade vergangenen Jahrzehnt bedenkliche Tendenzen verzeichnet worden sind
Ein kursorischer Blick auf die bundesdeutsche Parlamentsgeschichte vermittelt den Eindruck, dass der Bundestag in seiner Arbeitsweise eine hohe Kontinuität aufweist; zwar haben Personen und auch die Räumlichkeiten, in denen der deutsche Parlamentarismus stattfindet, sogar der Parlamentssitz, gewechselt. Die Verfahren scheinen gleichwohl die alten geblieben zu sein: Abstimmungen, Plenarberatung und Ausschusssitzungen. Prima vista mag dies stimmen - aber eben nur auf den ersten Blick. Der Bundestag hat im Laufe seiner Geschichte immer wieder über seine eigene Arbeitsweise beraten, Änderungen diskutiert und zum Teil auch eingeführt, also "Entscheidungen in eigener Sache"
Parlamente gestalten ihre Binnen- und Verfahrensstrukturen eigenständig. Die Organisationsautonomie ist für den Deutschen Bundestag grundgesetzlich verbrieft, heißt es doch im Artikel 40 GG: "Er [der Bundestag] gibt sich eine Geschäftsordnung."
II. Reformen des Deutschen Bundestages
1. Reformgeschichte
Die Bemühungen des Deutschen Bundestages um Selbstreform lassen sich bis in seine Anfänge zurückverfolgen
Bis in die sechziger Jahre hinein blieben Veränderungen des Parlamentsrechts aber Stückwerk. Die erste große einschneidende Reform stellte die so genannte "Kleine Parlamentsreform" von 1969 dar. In deren Rahmen kam es zu zahlreichen Neuerungen: Beispielsweise wurden die Instrumente der fakultativen Ausschussöffentlichkeit und der Enquete-Kommissionen etabliert sowie der Ältestenrat als Lenkungsorgan des Bundestages eingerichtet; die Bundestagsverwaltung wurde in den Bereichen der wissenschaftlichen Fachberatung und der Öffentlichkeitsarbeit ausgebaut; die Abgeordneten erhielten die Möglichkeit, eigene Mitarbeiter einzustellen; die Fraktionsstärke wurde zum maßgeblichen Quorum bei einer Reihe von Minderheitenrechten.
In den siebziger Jahren ging der Diskussionsstrang um das Parlamentsrecht in die allgemeine Debatte um die Weiterentwicklung des Grundgesetzes über: Im Rahmen der Arbeit der "Enquete-Kommission Verfassungsreform", deren Schlussbericht 1976 vorgelegt wurde, sind auch die Stellung und die Arbeitsweise des Parlaments thematisiert worden. Die diskutierten Veränderungen des Grundgesetzes betrafen mitunter die parlamentarischen Arbeitsstrukturen, beispielsweise das Petitionswesen oder den Übergang zwischen zwei Wahlperioden. In die siebziger Jahre fällt zudem die Verabschiedung eines Abgeordnetengesetzes, in dem als Reaktion auf das Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1975 gemäß den richterlichen Vorgaben die Entschädigung der Parlamentarier und ihre Altersversorgung auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt wurden.
1980 ist die Geschäftsordnung des Bundestages einer grundlegenden Revision unterzogen worden; die Überarbeitung bezog sich nicht nur auf die sprachliche Bereinigung und eine Neuordnung der Artikel; überdies wurden auch diverse Minderheitenrechte novelliert. In den achtziger Jahren prägten die Diskussionen und Vorschläge rund um die "Interfraktionelle Initiative Parlamentsreform" und die von ihr angeregte "Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform" die Debatte. Die Interfraktionelle Initiative produzierte bis in die neunziger Jahre hinein immer wieder Vorschläge zur Reform des Deutschen Bundestages, die zum Teil übernommen worden sind.
Das vergangene Jahrzehnt war vor allem von zwei Entwicklungslinien geprägt, die vom Parlament Antworten auch in seinen Arbeitsstrukturen verlangten: die deutsche Einheit und die europäische Integration. Der Beitritt der fünf Länder zum Bundesgebiet erforderte Anpassungen in der parlamentarischen Organisation und Arbeitsweise. Augenfällig: Die Zahl der Abgeordnetenmandate erhöhte sich. Der Umzug des Parlaments 1999 nach Berlin war eine Folge der deutschen Einheit. Die zweite "Herausforderung", die europäische Integration, hatte seit ihrer Geburtsstunde in den fünfziger Jahren den Deutschen Bundestag in seinen Binnenstrukturen zu Umgestaltungen bewegt. In den neunziger Jahren führte der Vertrag von Maastricht zu weiteren Modifikationen, die bis ins Grundgesetz hinein reichten. Die entsprechende Revision des Parlamentsrechts war eine Aufgabe der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat: Der Europa-Ausschuss wurde im Grundgesetz verankert; die Informationsrechte des Bundestages hinsichtlich europäischer Angelegenheiten wurden gestärkt. Diese Grundgesetzänderungen spiegelten sich zudem in den entsprechenden Änderungen der Geschäftsordnung.
In den letzten Jahren hat zudem die Reform von 1995 Beachtung in der Wissenschaft, stärker vielleicht noch in der massenmedialen Öffentlichkeit gefunden. Der Grund für die Medienwirksamkeit dieses parlamentarischen Reformvorhabens war die Verbindung verschiedener Bereiche des Parlamentsrechts zu einem Paket. Dieses Paket beinhaltete nicht nur die so genannte "innere Reform", sondern auch die Verkleinerung des Parlaments sowie Änderungen im Bereich der Abgeordnetenentschädigung und Altersversorgung. Die geplante Koppelung der Abgeordnetengehälter an die Einkommen von obersten Bundesrichtern qua Grundgesetz stieß auf heftigen Widerstand in den Medien und scheiterte im Bundesrat. Letztlich wurde im Abgeordnetengesetz lediglich eine "Orientierung" an den Gehältern der obersten Bundesrichter festgeschrieben. Der Verkleinerungsbeschluss des Bundestages sieht vor, die Anzahl der Bundestagsmandate ab der 15. Legislaturperiode auf 598 zu senken. Die "innere Reform" als dritter Teil des Pakets führte unter anderem "Erweiterte öffentliche Ausschusssitzungen" sowie "Kernzeitdebatten" im Plenum ein.
In der laufenden vierzehnten Legislaturperiode sind bereits vereinzelte Veränderungen des Parlamentsrechts in die Wege geleitet worden; die Vorlage für ein seit langem gefordertes "Untersuchungsausschussgesetz" ist Ende 1999 eingebracht worden, das die bisherige Orientierung an den sogenannten IPA-Regeln ersetzen soll
Ein Blick zurück auf die Reformgeschichte macht zunächst zweierlei deutlich: Parlamentsreformen begleiten den Deutschen Bundestag seit seiner Konstituierung. Zugleich lassen sich Phasen ausmachen, in denen sich die Bemühungen um die Selbstreform des Parlaments verdichten, andere wiederum, in denen es zu einer Stagnation kommt. So scheint es im Gesamtbild angemessener, von "Parlamentsreformen", denn von "Parlamentsreform" im Singular zu sprechen, was die Existenz einer einheitlichen Konzeption voraussetzte
2. Reformziele
Zwar erschwert der Reformeklektizismus die Identifikation einer kohärenten Reformprogrammatik. Nichtsdestoweniger schimmern hinter den Vorhaben Stoßrichtungen durch, die sich allerdings über die Zeit hin gewandelt haben, respektive denen unterschiedliche Bedeutung zugewiesen worden ist.
Stärkung des Parlaments bzw. der Opposition: In diese Kategorie lassen sich Beschlüsse des Bundestages einordnen, die darauf abzielen, das Parlament im politischen Entscheidungsprozess zu stärken. Dabei spielt die Beziehung Bundestag -Bundesregierung eine entscheidende Rolle: Die Verschränkung von parlamentarischen Mehrheitskoalitionen und der Bundesregierung führt dazu, dass sich ein Großteil dieser Reformen als Ausbau von Oppositionsrechten darstellt. Auch Maßnahmen zum Abbau von Informationsungleichgewichten zwischen Regierung und Parlament dienen letzten Endes der "Parlamentarisierung" des politischen Prozesses, indem die Kontrollfähigkeit und konzeptionelle Kompetenz der Volksvertretung gesteigert werden. Damit wird neben der oppositionellen Kontrollaufgabe auch die des gesamten Parlaments gestärkt
Stärkung des einzelnen Parlamentariers: Die Stärkung des einzelnen Parlamentariers im politischen Prozess spiegelt sich in verschiedenen Initiativen wider; vor allem war sie eines der zentralen Themen der Interfraktionellen Initiative Parlamentsreform in den achtziger Jahren. Mit Hinweis auf Artikel 38 des Grundgesetzes wurde der Ausbau der politischen Kompetenzen des einzelnen Abgeordneten empfohlen
Beziehung zwischen Parlament und Bevölkerung: Die Beziehung zwischen Parlament und Bevölkerung gehört zu den Kernstücken parlamentarischer Repräsentation und markiert eine Zielkategorie für Parlamentsreformen; die Beziehung bildet sich nicht nur im Wahlakt heraus, sondern bestimmt im Sinne von Responsivität und politischer Führung die Arbeitsweise der Volksvertretung während der gesamten Legislaturperiode
Arbeitseffizienz: Die Steigerung der Verarbeitungskapazitäten des Deutschen Bundestages findet sich als Zielkategorie in einer Reihe von Reformvorhaben und stellt zumeist eine Reaktion auf die defizitäre Leistungsfähigkeit des Parlaments dar. Die Defizite basieren entweder auf Mängeln, die bestehenden Verfahren immanent sind, oder wurzeln in parlamentsexternen Entwicklungen, auf die hin das bestehende Parlamentsrecht geändert werden muss. So führte beispielsweise die zunehmende Einbindung der Bundesrepublik in den Prozess der europäischen Integration zu entsprechenden Veränderungen im Verfahren, weil dem Parlament neue Aufgaben zugewiesen wurden.
Die vier Zielkategorien lassen sich nicht trennscharf voneinander unterscheiden. So verbindet sich eine Steigerung der Arbeitseffizienz oder eine bessere Verkopplung zwischen Parlament und Bevölkerung letzten Endes mit einer Stärkung des Parlaments im politischen Prozess. Zwischen den Zielkategorien kann es zu Spannungen kommen, beispielsweise zwischen der Arbeitseffizienz und der Stärkung des einzelnen Abgeordneten. Auch sind die Zielbestimmungen nicht unumstritten. Deutlich wird dies an der Frage nach einer Stärkung des einzelnen Parlamentariers. Hier lassen sich in den einschlägigen Debatten durchaus unterschiedliche Positionen ausmachen
In der wissenschaftlichen Debatte um die Zielsetzung von Parlamentsreformen hat vor allem Uwe Thaysen
3. Reformakteure
Anhand der Geschichte der Parlamentsreform lässt sich die Frage nicht nur nach den Zielen, sondern auch nach den "entscheidenden" Akteuren stellen. Zunächst einmal verfügt das Parlament selbst über eine Reihe von Instanzen, die die Aufgabe haben, bei Bedarf die Arbeitsweise des Parlaments umzugestalten (beispielsweise die Lenkungsorgane Präsidium und Ältestenrat). Im Ältestenrat des Bundestages ist die "Kommission des Ältestenrates für die Rechtsstellung der Abgeordneten" (Rechtsstellungskommission) für Fragen zuständig, die das Abgeordnetengesetz, vor allem die Entschädigung und Altersversorgung der Parlamentarier betreffen
In den einschlägigen Gremien schält sich eine Gruppe von Abgeordneten heraus, deren Mehrfachmitgliedschaften sie zu Akteuren eines "Parlamentsreformnetzwerkes" werden lassen. Eine besondere Position nehmen hier neben den Mitgliedern des Präsidiums diejenigen Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen ein, die für den Bereich des Parlamentsrechts zuständig sind
Den Reformgremien, -ausschüssen und -kommissionen des Bundestages stehen die Hilfsdienste des Parlaments zur Seite. Die Rolle der Mitarbeiter der Parlamentsdienste ist dort nicht zu unterschätzen, wo diese die Möglichkeit haben, mittels Expertisen die Willensbildung der Abgeordneten nachhaltig mitzugestalten. Hierbei ist der Umstand von Bedeutung, dass die personelle Kontinuität in der Verwaltung höher als die in den eigentlichen Reformgremien ist. So sind an den Reformen der neunziger Jahre auch Bedienstete der Parlamentsverwaltung beteiligt gewesen, die bereits in den Reformvorhaben der siebziger Jahre mitgewirkt hatten; inhaltliche Kontinuitäten lassen sich zum Teil auf diese personellen Übereinstimmungen zurückführen. Neben der Verwaltung sind zudem die jeweils zuständigen Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter in den vorbereitenden Entscheidungsprozess eingebunden.
Nicht nur die Akteure aus dem parlamentarischen Bereich, Abgeordnete oder Parlamentsmitarbeiter, sind an der Initiierung und Durchführung der Reformvorhaben beteiligt. Darüber hinaus lässt sich eine Reihe von parlamentsexternen Akteuren ausmachen, die in unterschiedlicher Intensität und Frequenz beteiligt sind
Jenseits der staatlichen Akteure können auch Personen und Gruppen aus anderen gesellschaftlichen Teilbereichen Parlamentsreformen mitgestalten. Dies gilt beispielsweise für die Wissenschaft: Zum einen findet über die Gremien wie beispielsweise über die Enquete-Kommissionen eine Einbindung von parlamentsexternen Experten statt - entweder als Mitglieder oder als anzuhörende Experten. Zum anderen gibt es eine Reihe von informellen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Parlament, in denen eine Beratungstätigkeit stattfinden kann. Nicht zuletzt die "Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen" bietet ein Forum für den Austausch zwischen externen Experten und Praktikern.
Eine schwer einzuschätzende Rolle bei Parlamentsreformen spielen die Akteure der massenmedialen Öffentlichkeit, die Journalisten. Während im Normalfall eines Reformprojektes die Massenmedien nur begrenzte Aufmerksamkeit aufzubringen pflegen, stellte gerade die Reform von 1995 einen Kontrapunkt dar. Die harsche Kritik in den Medien an den Plänen zur Änderung der Diätenregelungen trug zu ihrem Scheitern bei. Die "innere Reform" hingegen erntete kaum Aufmerksamkeit - noch weniger Widerspruch. Der Kernbereich der Parlamentsreform, die parlamentarischen Verfahrensweisen, lassen die Brisanz und Konflikthaltigkeit vermissen, die eigentlich notwendig wären, um das Thema mediengerecht zu platzieren.
Im Bereich der organisierten Interessen findet sich keine Organisation, die sich schwerpunktmäßig mit Parlamentsreformen beschäftigt. Eine Ausnahme macht lediglich der "Bund der Steuerzahler", der mit großer Aufmerksamkeit und mit einer effektiven Öffentlichkeitsarbeit die Entwicklungen bei den Abgeordnetendiäten, Übergangsgeldern und der Altersversorgung der Parlamentarier beobachtet. So schreibt sich der Bund der Steuerzahler (BdSt) den "Erfolg" der Verhinderung der Grundgesetzänderung von 1995 zu
Die Einbindung parlamentsexterner Akteure in die "Entscheidungen in eigener Sache" findet unregelmäßig statt und lässt eine in anderen Materien übliche sektorielle Verflechtung zwischen Interessengruppen, Parlament und Regierungsadministration nicht erkennen. Ein "Netzwerk", das über das parlamentarische Subsystem hinausragt, ist nur in Ansätzen erkennbar.
4. Reformprozesse
Bereits die Akteursanalyse hat deutlich gemacht, dass sich die Entscheidungsfindung im Bereich der Parlamentsreformen vom herkömmlichen politischen Prozess in einigen Aspekten unterscheidet. Als Selbstreform des Bundestages findet der Policy-Zyklus seinen Beginn und sein Ende im Organisationssystem Parlament. Dabei mag der Anstoß für ein Reformprojekt durchaus von einer außerparlamentarischen Stelle kommen, zum Beispiel vom Bundesverfassungsgericht. Die Phasen der Politikdefinition und -formulierung finden in den oben angeführten parlamentarischen Gremien statt, wobei externe Akteure sporadisch eingebunden sein können. Bei der Durchführung wiederum unterscheidet sich die Parlamentsreform insofern von anderen Politikmaterien, als sie in der Regel innerhalb des parlamentarischen Organisationssystems verbleibt.
Die Verfahren oder die "Spielregeln" des politischen Prozesses gehören, wie Ernst Fraenkel deutlich gemacht hat, zum nichtkontroversen Bereich der Politik, dessen allgemeine Akzeptanz substanziell erforderlich ist
Die Herstellung eines interfraktionellen Kompromisses ist in den achtziger Jahren durch den Einzug der Grünen in den Bundestag verbaut worden. In den neunziger Jahren hat die PDS die Findung eines gesamtparlamentarischen Konsenses erschwert bis verhindert, so dass seit den achtziger Jahren verstärkt eine Koalition der beiden großen Parteien die Verfahrensänderungen durchzusetzen versucht. Aber auch "konkurrenzdemokratische" Tendenzen lassen sich feststellen: die Durchsetzung von Verfahrensreformen mit den Stimmen der Mehrheitsfraktionen - so geschehen bei der Neuzuschneidung der Wahlkreise oder der Berliner "Bannmeilenregelung"
Parlamentsreformen bedienen sich gelegentlich des Versuch-und-Irrtum-Prinzips. Bei einer Reihe von Verfahrensänderungen kam man überein, Neuerungen erst in der Praxis zu testen, bevor man sie "offiziell" ins geschriebene Parlamentsrecht einführte
Dass es sich im Parlamentsrecht nichtsdestotrotz um eine relativ veränderungsresistente Materie handelt, mag dem Umstand geschuldet sein, dass es üblich und auch anders kaum praktikabel ist, zu Beginn einer Legislaturperiode erst einmal die Geschäftsordnung der vergangenen zu übernehmen. Veränderungsresistent ist zudem der Bereich des Parlamentsrechts, der im Grundgesetz festgelegt ist und dessen Weiterentwicklung eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich macht. Zudem führt der personale Wechsel in den Reformgremien mitunter dazu, dass der Zeitraum, innerhalb dessen Reformen konzipiert und durchgeführt werden können, schrumpft. Denn Gesetzentwürfe, Anträge, Beschlussempfehlungen, Zwischenberichte und ähnliche Vorlagen aus dem Bereich der Parlamentsreform unterliegen dem Prinzip der Diskontinuität nach § 125 GO-BT.
Dass dessen ungeachtet signifikante Reformprozesse in Gang gesetzt werden, setzt eine spezifische Konstellation voraus, die Heinz Rausch in vier Rahmenbedingungen zusammenfasste
III. Aktuelle Herausforderungen: Entparlamentarisierung, Mehrebenenpolitik und Mediengesellschaft
Trotz aller bisherigen Reformbemühungen ist der Bundestag weit davon entfernt, seine Arbeit im neuen Jahrhundert frei von Problemen zu beginnen. Vor allem die Schwierigkeiten bei der Stellung des Parlaments im politischen System sowie bei der Verkopplung zwischen Parlament und Bevölkerung weisen auf Reformbedarf hin.
Bereits in den neunziger Jahren verdichtete sich die Diagnose von einer Schwächung des Parlaments im politischen System. Man sprach von einer zunehmenden Entparlamentarisierung der Gesetzgebung
Dies führt unmittelbar zur Frage der Darstellung parlamentarischer Arbeit in der Mediengesellschaft und den Schwierigkeiten des Bundestages, sich in dieser zu platzieren. Die politische Öffentlichkeit hat sich so gewandelt, dass das Parlament in eine "Kommunikationsfalle" geraten ist
Ist der kommunikative Wertvorsprung das Pfund, mit dem das Parlament gegenüber anderen Institutionen wuchern kann, so sollte es auf vielfältige Art und Weise versuchen, sich mit der Bevölkerung zu verbinden. Das muss aber in die Arbeitsstrukturen übersetzt werden. Bereits andiskutiert wurde die Einführung von Volksinitiativen zur verstärkten Einbindung der Interessen der Bevölkerung in den politischen Prozess, möglicherweise über den Ausbau des Petitionsrechts
Eine zeitgemäße Parlamentsreform muss letztlich der konzeptionellen Neuverortung des Deutschen Bundestages im politischen Prozess folgen. Hier heißt es von den Landtagen lernen, die den Prozess des legislativen Kompetenzverlustes bereits bewältigen mussten
In der Selbstreform hat das Parlament überdies auf den Mehrebenencharakter politischer Entscheidungen zu reagieren, beispielsweise durch enge Kooperation mit den Parlamenten anderer Ebenen. Denn die Antwort auf eine Verflechtung der Politik über die verschiedenen Plateaus hinweg kann nur die parallele Verflechtung der Parlamente und die "Verkopplung" der Parlamente mit außerparlamentarischen Arenen sein
Mit den Begriffen von Arbeits- und Redeparlament formuliert: Der Bundestag muss als Arbeitsparlament den Veränderungen seiner Aufgabenbereiche nachkommen, die der institutionelle und gesellschaftliche Wandel hervorruft, und als Redeparlament die Strukturbedingungen der Öffentlichkeit beachten. Die Trennschärfe der Kategorien Arbeits- und Redeparlament löst sich gleichwohl auf, wenn sich Herstellung und Darstellung von Politik in modernen Mediengesellschaften miteinander verschränken.
IV. Fazit
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat Parlamentsreform als eine "ständige Aufgabe" des Bundestages bezeichnet
Heutige Reformdiskussionen drehen sich dabei nicht mehr um die Frage nach der grundlegenden Legitimität parlamentarischer Arbeit - ein Unterschied zu den Debatten der siebziger Jahre, in denen die Existenz des Parlaments und des parlamentarischen Systems prinzipiell in Frage gestellt wurde
Trotz aller Einwände die Effizienz des Parlamentarismus betreffend bleibt festzustellen: Er vermittelt dem politischen Entscheidungsprozess durch ein strenges Verfahren und vor allem durch die Herstellung von Öffentlichkeit eine unvergleichbare Legitimation, auf die angesichts der zunehmenden Pluralisierung der Gesellschaft nicht verzichtet werden kann. Denn dass der Parlamentarismus auch in Zukunft von Belang sein wird, zeigt nicht zuletzt die Entwicklung des Europäischen Parlaments, das sich im politischen System der Europäischen Union zunehmend gestärkt hat. Jedenfalls werden zwei Faktoren weiterhin die Stabilität des parlamentarischen Systems in der Bundesrepublik und darüber hinaus bestimmen: der "Grad an konkreter Problemlösungs- und Anpassungsfähigkeit einerseits und das Ausmaß an genereller Unterstützung durch die Bevölkerung andererseits"