Einleitung
Im Februar dieses Jahres wählten Finnlands Bürgerinnen und Bürger die Sozialdemokratin Tarja Halonen zur Staatspräsidentin; in Frankreich amtiert seit kurzem Michèle Alliot-Marie als Parteichefin der Gaullisten (RPR); in Deutschland hat Angela Merkel den Vorsitz der CDU übernommen und Ende letzten Jahres wurde die Irin Fidelma O'Kelly Macken als Richterin an den Europäischen Gerichtshof berufen. Gemeinsam ist diesen - von den Medien mit großer Aufmerksamkeit bedachten - Ereignissen, dass jeweils zum ersten Mal eine Frau das entsprechende Amt übernahm. "Finnland war das erste Land, das den Frauen alle politischen Rechte gab", betonte Tarja Halonen nach ihrem Sieg in der ersten Runde, "jetzt wollen viele Frauen und auch Männer eine Frau an der Spitze des Staates"
So erfreulich diese Entwicklung auch ist, verdeutlicht sie doch zugleich, dass Frauen in politischen Spitzenpositionen europaweit noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit sind. Angesichts eines durchschnittlichen parlamentarischen Frauenanteils von derzeit gut einem Fünftel lassen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) vielmehr nach wie vor als "unfinished democracies"
Während in der politischen Praxis zumindest teilweise nach Mitteln und Wegen gesucht wird, um die politische Gleichberechtigung von Frauen zu verwirklichen, spielt der offenkundige gender gap dagegen in den demokratietheoretischen Debatten so gut wie keine Rolle. "Die geschlechterpolitische Zweiteilung der Demokratie kommt höchst selten überhaupt zur Sprache, bestenfalls als harmloser kursorischer Hinweis auf noch bestehende Defizite"
Entsprechendes gilt auch für die aktuellen Diskussionen um das Demokratiedefizit der Europäischen Union. Wer meint, hiermit sei zugleich das geschlechterdemokratische Defizit angesprochen, der irrt. Der mainstream der Europaforschung kreist vielmehr um die Frage nach den Möglichkeiten demokratischen Regierens im europäischen Mehrebenensystem, wobei der Tatsache, dass Europas Frauen an der Demokratie nach wie vor nicht gleichberechtigt beteiligt sind, kaum Beachtung geschenkt wird
Wie diese Konzepte im Einzelnen aussehen, welche Programme und Maßnahmen die Europäische Union zur Förderung der politischen Partizipation von Frauen vorschlägt bzw. bereits durchführt und wie deren Wirksamkeit einzuschätzen ist, das sind die zentralen Fragen dieses Beitrags. Zuvor jedoch wird der Blick auf die aktuelle Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten und Regierungen der europäischen Nationalstaaten - einschließlich Norwegen - sowie in den Institutionen der EU gelenkt, um damit die empirische Ausgangslage zu dokumentieren.
I. Politische Repräsentation von Frauen
1. Die Ebene der Mitgliedstaaten
Laut Definition stellen Parlamente in demokratischen Staaten die Vertretung des Volkes dar; doch dass ein Volk jeweils zur Hälfte aus Frauen und Männern besteht, lässt die personelle Zusammensetzung der europäischen Parlamente nicht vermuten. Derzeit beträgt die durchschnittliche Repräsentanz von Frauen in den Nationalparlamenten lediglich etwas mehr als ein Fünftel; damit hat sich der Frauenanteil in den letzten zehn Jahren insgesamt nur um magere sechs Prozentpunkte erhöht
Gleichwohl zeigt der zwischenstaatliche Vergleich zum Teil beträchtliche Abweichungen von diesem Durchschnittswert und bestätigt das bekannte Nord-Süd-Gefälle. Während für die Griechinnen eine auch nur annähernd gleichberechtigte politische Repräsentanz noch in weiter Ferne liegt, haben die Schwedinnen dagegen die Hälfte der Macht schon nahezu erreicht. So kann Schweden als einziges Land mit 43,6 Prozent einen parlamentarischen Frauenanteil von mehr als zwei Fünfteln vorweisen. Auf über 30 Prozent kommen immerhin fünf Staaten, nämlich Dänemark (37,7), Finnland (37), die Niederlande (36,7), Norwegen (36,4) sowie Deutschland (30,9 Prozent). Etwa ein Viertel der Abgeordneten stellen Frauen in Österreich und Spanien (jeweils 26,8 Prozent) sowie Belgien (23,3 Prozent). In den übrigen EU-Mitgliedstaaten liegt der Frauenanteil dagegen unter 20 Prozent, wobei insbesondere Irland (13,3), Italien (11,4) Frankreich (10,4) und Griechenland (6,3 Prozent) die europäischen Schlusslichter bilden (vgl. Tabelle 1).
Im Vergleich zu der jeweils vorangegangenen Wahlperiode hat sich der parlamentarische Frauenanteil in fast allen Staaten leicht nach oben entwickelt, doch allein für Belgien (+ 11 Prozentpunkte) und Großbritannien (+ 9 Prozentpunkte) fällt der Anstieg beachtlich aus. Im Unterschied dazu ist der Frauenanteil in Luxemburg (- 3,3), Norwegen (- 3) und Frankreich (- 0,5 Prozentpunkte) etwas geschrumpft
Betrachtet man die Regierungsbeteiligung von Frauen, dann stellen sie im Durchschnitt knapp ein Viertel aller Kabinettsmitglieder. In den Regierungen der nordischen Staaten, aber auch in denen der mitteleuropäischen Staaten sind Frauen allerdings deutlich besser repräsentiert. Spitzenreiter ist hier erneut Schweden (52,6 Prozent), gefolgt von Dänemark (45 Prozent) sowie Norwegen und Finnland (jeweils 44,4 Prozent). Nur marginal vertreten sind Frauen demgegenüber in den Regierungen der südeuropäischen Länder Spanien (13,3 Prozent), Portugal (9,4 Prozent) und Griechenland (7 Prozent) (vgl. Tabelle 2).
Eine Regierungschefin jedoch sucht man europaweit vergebens; derzeit üben dieses Amt ausschließlich Männer aus.
2. Die supranationale Ebene
Mit dem Vertrag von Maastricht (1992) wurde die Europäische Union begründet, die - trotz ihrer eigenwilligen Architektur - als ein eigenständiges politisches System gilt
Am besten repräsentiert sind Frauen danach noch im Europäischen Parlament, dem "Unterhaus" der Legislative und einzig demokratisch legitimierten - weil direkt gewählten - Organ. Unter den 626 Abgeordneten finden sich immerhin 188 Parlamentarierinnen, was einem Anteil von 30 Prozent entspricht. Mit der Französin Nicole Fontaine verfügt das Europäische Parlament zudem zum zweiten Mal über eine Präsidentin.
In den diversen Ausschüssen des Parlaments beträgt der durchschnittliche Frauenanteil rund 32 Prozent. Von Frauen bevorzugt - bzw. von Männern vernachlässigt - wird hier mit Abstand der "Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit", in dem der Frauenanteil nahezu 90 Prozent erreicht. Entsprechendes gilt, wenn auch weniger ausgeprägt, für den "Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherpolitik" (54 Prozent), während im "Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik" die weiblichen Mitglieder nur eine Minderheit bilden (rund 17 Prozent).
Der Europäischen Kommission als dem Exekutivorgan der EU, das zugleich mit einem Initiativrecht im legislativen Bereich ausgestattet ist, gehören auch nach der neuen Zusammensetzung (1999) nur fünf Kommissarinnen an, die damit wie zuvor ein Viertel der Mitglieder stellen (vgl. Tabelle 4). Eklatant ist die weibliche Unterrepräsentation zudem in den zahlreichen von der Kommission eingesetzten Ausschüssen und Sachverständigengruppen, in denen laut der Kommissarin Anna Diamantopoulou Frauen oftmals "so gut wie nicht vertreten"
Im mächtigen Rat der Europäischen Union, dem "Oberhaus" der Legislative, sind die Mitgliedstaaten durch ihre Außenminister bzw. nationalen Fachminister vertreten. Kommt dieses Organ als Außenministerrat zusammen, dann sitzen neben zwölf Männern auch drei Frauen mit am Verhandlungstisch (20 Prozent), denn in Österreich, Schweden und Luxemburg liegt dieses Amt zur Zeit in weiblicher Hand. Wie hoch der Frauenanteil in den anderen Ratskonstellationen jeweils ist, von denen es immerhin bis zu 23 (!) Variationen gibt
Diese Feststellung galt bis vor kurzem auch für den Europäischen Gerichtshof; seit 1999 jedoch spricht neben 14 Richtern auch eine Frau europäisches Recht (6,6 Prozent).
Als beratende Gremien arbeiten auf der europäischen Ebene u. a. der Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie der Ausschuss der Regionen. In diesen jeweils 222 Mitglieder umfassenden Institutionen sind Frauen mit rund 17 Prozent bzw. 14 Prozent gleichfalls nur marginal repräsentiert.
Fasst man schließlich noch den Europäischen Rat ins Auge, der aus den Staats- und Regierungschefs, dem Präsidenten der Kommission sowie den Außenministern besteht und dessen Aufgabe darin liegt, die allgemeinen Leitlinien der Gemeinschaftspolitik zu bestimmen, dann erscheinen auf dem obligatorischen Gruppenbild neben 28 Männern allein die drei bereits erwähnten Außenministerinnen (9,7 Prozent).
Resümierend bleibt festzuhalten: Trotz einzelner Fortschritte hat sich die politische Sphäre nach wie vor als eine männliche Domäne behaupten können; vorrangig Männer entscheiden über die jeweilige nationale Politik sowie die Gestalt des zukünftigen Europas. Dieser weitgehende Ausschluss von Frauen ist nicht nur anachronistisch, sondern zugleich ein Armutszeugnis für die ansonsten so auf Modernität bedachten europäischen Demokratien.
II. Konzepte und Maßnahmen der EU
Es wirft ein bezeichnendes Licht auf das Demokratieverständnis der Gemeinschaft, dass die nur marginale politische Repräsentation von Frauen für sie jahrzehntelang kein Anlass zur Beunruhigung war. Folglich existierten auf europäischer Ebene auch keinerlei Vorstellungen darüber, wie die politische Machtlosigkeit von Frauen abgebaut werden könnte. Die Frauen- bzw. Gleichstellungspolitik der Gemeinschaft konzentrierte sich vielmehr von Beginn an ausschließlich auf den Bereich der Chancengleichheit im Erwerbsleben.
Seit Mitte der neunziger Jahre allerdings zeichnet sich auf EU-Ebene eine neue Entwicklung ab, und inzwischen gibt es eine Reihe von programmatischen Äußerungen sowie Aktionen zur Gleichstellung der Geschlechter auch in der Politik. Nach Darstellung der Europäischen Kommission beruht diese Trendwende im Wesentlichen auf der Erkenntnis, "dass die Unterrepräsentation von Frauen in Entscheidungsprozessen ein erhebliches Hindernis für die demokratische Entwicklung der Europäischen Union, ihren inneren Zusammenhalt und ihre globale Wettbewerbsfähigkeit ist"
1. Programmatik und Empfehlungen
Nachdem das Europäische Parlament bereits im Februar 1994 eine Entschließung zu "Frauen im Entscheidungsprozess" verabschiedet hatte, äußerte sich ein Jahr später erstmals auch der Rat der Europäischen Union zu dieser Thematik. In seiner Entschließung vom 27. März 1995 bekennt sich der Rat ausdrücklich zum "Ziel der ausgewogenen Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess" und sieht diese als "eine wesentliche Vorbedingung für die Gleichstellung von Frauen und Männern"
Ausführlich begründet wird dieses allgemeine Ziel in der anschließenden Empfehlung des Rates "über die ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess" vom Dezember 1996. In dieser - auf einem Vorschlag der Kommission beruhenden - Empfehlung heißt es: "Die ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern am Entscheidungsprozess ist ein Gebot der Demokratie."
Auch wenn diese Begründungen keineswegs neu sind, sondern lediglich den wissenschaftlichen Diskussionsstand wiedergeben
Als wichtiges Dokument ist zudem der Vertrag von Amsterdam (1997) zu nennen, in dem sich die Europäische Union erstmals dazu verpflichtet, die "Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern" (Artikel 3). Allerdings findet sich in dem neuen Vertrag kein ausdrücklicher Hinweis auf Frauen im Entscheidungsprozess; doch nach Auffassung der Kommission implizieren "die Bestimmungen zur Gleichstellung in Artikel 2 und 3 . . . durchaus eine allgemeine Verpflichtung zu einer Förderung von Frauen in Führungspositionen durch die Politiken der Union"
Und schließlich spielt die Chancengleichheit - im Beruf wie in der Politik - auch bei der anstehenden Erweiterung der Europäischen Union um die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) eine wichtige Rolle. Das Europäische Parlament wie die Kommission haben hier ihrer Haltung Ausdruck gegeben, dass es "ohne Chancengleichheit für Frauen und Männer . . . auch keinen Beitritt geben (wird)"
2. Konkrete Maßnahmen
Um den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Empfehlung des Rates praktische Hilfestellung zu geben, hat die Europäische Kommission eine Anleitung erarbeiten lassen, die den recht umständlichen Untertitel trägt "Leitfaden für die Verwirklichung von Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe von Frauen an politischen Entscheidungsprozessen"
Da diese - im Einzelnen durchaus nützlichen - Politikinstrumente oftmals einen nur "sporadischen Charakter"
Als Beispiele für diese konkreten einzelstaatlichen Maßnahmen nennt der Leitfaden u. a.: Kampagnen zur Mobilisierung von Frauen durch Finanzierung von speziellen Ausbildungseinrichtungen; Zuschüsse für Kinderbetreuung oder Mutterschaftsurlaub für Parlamentarierinnen, um den Politikerinnen die Wahrnehmung familiärer Verpflichtungen zu erleichtern; Erstellung einer Datenbank bzw. "Talentebank" mit den Namen sowie Kompetenzprofilen potenzieller Kandidatinnen für öffentliche Ämter sowie gesetzliche Vorschriften zum Frauenanteil auf den Kandidatenlisten der Parteien
Welche Anstrengungen die Mitgliedstaaten konkret unternommen haben, um eine höhere politische Repräsentanz von Frauen zu erreichen, darüber mussten sie bis Ende 1999 die Kommission unterrichten
Die Europäische Kommission ist aber nicht nur als "Ratgeberin" für die Mitgliedstaaten tätig, sondern sie vergibt zugleich Gelder an ausgewählte Projekte. Diese finanzielle Unterstützung erfolgt im Rahmen des "Mittelfristigen Aktionsprogramms der Gemeinschaft für die Chancengleichheit von Frauen und Männern (1996-2000)", wobei der "Förderung einer ausgewogenen Mitwirkung der Geschlechter an den Entscheidungsprozessen" besondere Priorität zukommt
Erwähnt werden muss schließlich noch das seit 1995 geltende Gender-Mainstreaming, definiert als "die Einbeziehung der Dimension der Chancengleichheit in alle Politiken und Aktionen der Gemeinschaft"
3. Kritische Bewertung
Wie die vorangegangenen Ausführungen gezeigt haben, ist die nur marginale Rolle von Frauen im politischen Entscheidungsprozess zu einem wichtigen Thema auf der europäischen Tagesordnung avanciert. Gleichwohl wäre es verfehlt, von einem grundlegenden Paradigmenwechsel seitens der Europäischen Union zu sprechen, denn sowohl die programmatischen Äußerungen als auch die konkreten Maßnahmen wecken berechtigte Zweifel an deren Ernsthaftigkeit wie Effizienz:
- So kann die Vielzahl der politischen Erklärungen, Empfehlungen und Programme nicht darüber hinwegtäuschen, dass seitens der EU-Organe bislang keine verbindlichen Beschlüsse zur politischen Gleichstellung von Frauen und Männern gefasst wurden. Die Entschließungen des Europäischen Parlaments zu dieser Thematik sind ohne rechtsverbindlichen Charakter, und auch die Empfehlung des Rates vom Dezember 1996 ist, wie der Name bereits sagt, lediglich eine Empfehlung, deren (eventuelle) Einhaltung den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Zu einer entsprechenden Richtlinie, also einem für alle Mitgliedstaaten geltenden Gesetz, konnte sich der Rat der EU dagegen bislang nicht durchringen
- Auf Vorbehalte gegenüber einer wirklichen Gleichstellung der Geschlechter in der Politik lässt zudem die nebulöse Zielformulierung schließen; stets ist von "einer ausgewogenen Beteiligung von Frauen und Männern am politischen Entscheidungsprozess" die Rede, wobei eine präzise Definition von "ausgewogen" fehlt. Angesichts der Tatsache, dass Frauen etwas mehr als die Hälfte der europäischen Bevölkerung stellen, müssten sie konsequenterweise auch zu 50 Prozent in politischen Positionen repräsentiert sein. Die Europäische Kommission stellt hierzu jedoch nüchtern fest: "Der Begriff der paritätischen Demokratie konnte keinen Konsens finden."
Es wäre sicherlich aufschlussreich zu wissen, welche Mitgliedstaaten im Einzelnen den Konsens verweigert haben, doch hierzu schweigt der Bericht der Kommission. An Frankreich jedenfalls kann es nicht gelegen haben, denn erst im letzten Jahr wurde die französische Verfassung um den Grundsatz der Geschlechterparität in der Politik ergänzt. Diese weitreichende gesetzliche Maßnahme erfolgte insbesondere auf Druck der breiten Bewegung "pour la parité" innerhalb der französischen Bevölkerung, die sich bereits Anfang der neunziger Jahre formiert hatte und ein Ende der eklatanten Unterrepräsentation von Frauen in der Politik forderte
- Auch die im "Leitfaden" vorgeschlagenen konkreten Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in der Politik weisen einen entscheidenden Mangel auf: Sie richten sich nach wie vor einseitig an Frauen, während die überrepräsentierten Männer nicht in den Blick geraten. Gezielte Bildungsangebote zur Veränderung des männlichen Rollenverständnisses oder beispielsweise Sensibilisierungskampagnen, die sich an die Adresse der männlichen Bevölkerung richten, fehlen gänzlich. Demgegenüber haben wissenschaftliche Analysen längst bewiesen, dass es überhaupt nicht ausreicht, allein den weiblichen Zugang zur Macht zu konzeptualisieren, ohne zugleich die männliche Teilung der Macht mitzugestalten
Aktuelles Beispiel hierfür ist die vor kurzem in Deutschland geführte Diskussion um Angela Merkel als eventuelle - und damit erste weibliche - Parteivorsitzende der CDU. Angesichts der zahlreichen männlichen Vorbehalte gegenüber ihrer Kandidatur vermutete selbst die keineswegs als feministisch geltende Wochenzeitschrift "Die Zeit": "Es sind nicht ihre Schwächen, sondern die Stärken von Merkel, die der CDU-Männerriege so sehr Angst machen, dass sie sich gegen die beste Lösung sträubt."
- Und schließlich hat das mit viel Vorschußlorbeeren bedachte Gender-Mainstreaming auf europäischer Ebene bislang nicht den erhofften Erfolg gebracht. "Mainstreaming kann nicht seiner ,natürlichen' Entwicklung überlassen werden - es braucht eine ständige Erneuerung, wenn es nicht an den traditionellen Widerständen scheitern soll"
Festzuhalten bleibt: Die bisherige Politik der Europäischen Union zur Förderung der politischen Partizipation von Frauen stellt vorrangig eine symbolische Politik dar, die der weiblichen Bevölkerung den Eindruck vermitteln soll, es würde Entscheidendes für sie getan. Die Praxis jedoch zeigt:
- Auf der gesetzgeberischen Ebene wurde bislang nichts Verbindliches beschlossen;
- auf der Ebene der programmatischen Zielbestimmung fehlt es an einem klaren Bekenntnis zur paritätischen Demokratie,
- und auf der Ebene der konkreten Aktionen dominiert nach wie vor die einseitige Ausrichtung an Frauen.
Die Gleichstellungspolitik der EU erweist sich somit im Kern als eine reformorientierte Anpassungs- und Kompensationspolitik, deren Erfolge zwangsläufig bescheiden ausfallen müssen.
III. Perspektiven
Soll das Projekt Geschlechterdemokratie keine Vision bleiben, dann wäre die Europäische Union gut beraten, sich zunächst verstärkt mit den Ursachen der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik zu befassen, denn erst auf dieser Basis lassen sich wirkungsvolle Maßnahmen konzipieren. Hierzu sind keine neuen wissenschaftlichen Untersuchungen erforderlich, vielmehr belegt der derzeitige Forschungsstand eindeutig, dass die geringe weibliche Präsenz im politischen Entscheidungsprozess vorrangig auf strukturellen Barrieren aus dem gesellschaftlichen Bereich beruht. Die nach wie vor bestehende soziale Ungleichheit von Frauen, die wiederum Resultat der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung sowie der damit verbundenen traditionellen Geschlechterrollen ist, setzt sich in den politischen Institutionen fort und begrenzt die Beteiligungschancen von Frauen
Aus dieser knappen Analyse ergeben sich für die zukünftige Politik der EU folgende notwendige Konsequenzen:
1. Ziel der EU-Gleichstellungspolitik muss ein grundlegender Wandel der Gesellschaft sein. Die Demokratisierung des Geschlechterverhältnisses lässt sich nicht mit einigen geringfügigen "Korrekturen" erreichen; erforderlich ist vielmehr eine umfassende Gesellschaftstransformation. Eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik muss darauf abzielen, die bestehenden Ungleichheitsstrukturen zwischen den Geschlechtern selbst aufzubrechen, denn Chancengleichheit - in Politik wie Gesellschaft - ist nur dann gegeben, wenn auch die Voraussetzungen für Frauen und Männer gleich sind.
2. Frauenpolitik muss durch Männerpolitik ergänzt werden. Ein solcher grundlegender Umbau der Gesellschaft, bei dem nicht nur die gesamte Erwerbs- wie Reproduktionsarbeit zwischen den Geschlechtern neu verteilt wird, sondern zugleich Männlichkeit als dominantes gesellschafts- wie handlungsstrukturierendes Prinzip abgelöst wird, bedarf ohne Zweifel der Einsicht und aktiven Mitarbeit der Männer. Da hier offenkundig erhebliche Defizite seitens der Männer bestehen, muss die bisherige Frauenpolitik durch eine gezielte Männerpolitik ergänzt werden. Wie eine solche Politik im Einzelnen auszusehen hätte, dazu liegen bereits erste Vorschläge vor
3. Die Geschlechterpolitik muss institutionell und finanziell besser abgesichert werden. Neben diesem überfälligen Perspektivenwechsel sind zugleich auch grundlegende institutionelle Veränderungen notwendig, denn bislang findet die Gleichstellungspolitik der EU nur auf untergeordneter Ebene statt47. So gibt es beim Rat der EU noch immer keinen eigenen Rat für Frauen- bzw. Geschlechterpolitik, - wohl aber 23 andere Ratskonstellationen. Zwar hat Bundesfrauenministerin
Christine Bergmann (SPD) während der deutschen EU-Präsidentschaft im letzten Jahr versucht, einen solchen Frauenministerrat zu etablieren, konnte dieses Ziel aber nicht erreichen
Darüber hinaus fehlt auch in der Europäischen Kommission ein eigenständiges Kommissariat für Geschlechterpolitik. Die seit 1995 bestehende "Kommissarsgruppe Chancengleichheit" ist hierfür nur ein unzureichender Ersatz. Gleichfalls vergebens sucht man bei der Kommission nach einem eigenen "Ministerium", also einer Direktion für Gleichstellungsfragen; zuständig sind vielmehr nach wie vor das "Referat für Chancengleichheit" als Teil der Direktion "Beschäftigung und Arbeit" sowie die "Fraueninformation", die vorrangig Öffentlichkeitsarbeit betreibt
Dass die EU-Gleichstellungspolitik zudem personell wie finanziell angemessen ausgestattet werden muss, ist angesichts ihrer Bedeutung für die europäischen Demokratien eine Selbstverständlichkeit
Inwiefern die EU eine solche Weiterentwicklung ihrer Gleichstellungspolitik vollziehen wird, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall sollten Europas Frauen - und Männer - nicht allein auf die Einsicht der politischen Entscheidungsträger setzen, sondern ihre Forderung nach demokratischen, das heißt gerechten Verhältnissen zwischen den Geschlechtern auf nationaler wie europäischer Ebene nachdrücklich selbst vertreten. Die französische Bewegung "pour la parité" gibt hierfür ein erfolgreiches Beispiel.
Internetverweise der Autorin:
www.db-decision.de
www.europa.eu.int
www.europa.eu.int/comm/dg05/equ_opp/index_de.htm