Einleitung
Nicht erst seit der Wahl von Angela Merkel zur Parteivorsitzenden der CDU ist unübersehbar geworden, dass Frauen in den Parteien und Parlamenten stärker präsent sind als früher. Damit geht zugleich ein vermehrtes wissenschaftliches und journalistisches Interesse an Politikerinnen einher. Oft stehen dabei deren spezifische Schwierigkeiten und Probleme im Mittelpunkt, wofür in der Regel die so genannte Doppel- und Dreifach-Belastung verantwortlich gemacht wird.
Im Folgenden wird auf der Basis von Politikerinnen-Interviews
Zunächst wird das Konzept der Mehrfachorientierung erläutert und die Mehrfachorientierung von Politikerinnen beschrieben. Anschließend werden deren innovative Potenziale vorgestellt und im Spiegel politischer Theorien diskutiert. Das Augenmerk liegt dabei auf den positiven Auswirkungen von Mehrfachorientierung, die damit verbundenen Anstrengungen rücken bewusst in den Hintergrund. Dass Mehrfachorientierung unter den gegebenen Umständen eine Belastung darstellt, soll selbstverständlich nicht geleugnet werden. Deshalb steht im Mittelpunkt des darauf folgenden Abschnitts die Frage, unter welchen Bedingungen sie gelingen kann.
I. Zum Konzept der Mehrfachorientierung
Es ist eine Besonderheit der Biographien vieler Frauen, dass diese sich nicht auf nur einen Lebensbereich konzentrieren, sondern sich gleichzeitig oder phasenweise in verschiedenen Lebensbereichen bewegen. Dies wird häufig mit dem Terminus der "Doppel- und Dreifachbelastung" beschrieben, der eine gleichsam tragische Zuweisung an und Belastung für Frauen impliziert. Doch sind Frauen keineswegs nur gesellschaftlichen Strukturierungsprinzipien unterworfen, sondern auch in der Lage, ihre Biographien selbst zu gestalten. Lebensgeschichte spielt sich immer in einem Spannungsfeld zwischen subjektiver Handlungsautonomie und objektiven Einschränkungen ab. Um sowohl die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten wie auch die vorgegebene Struktur des Lebens von Frauen konzeptionell mitdenken zu können, wurde der Terminus "potenzielle Mehrfachorientierung" (auf Beruf, Familie, Freundschaften, Ehepartner, Politik, Ehrenamt usw.) entwickelt. "Orientierung" verdeutlicht gegenüber dem Begriff der "Doppel- und Dreifach-Belastung", dass Frauen heute vielfach verschiedene Optionen haben. Sie sind mit Entscheidungsmöglichkeiten wie auch -zwängen konfrontiert, sie können und müssen sich aktiv entscheiden.
Zur Doppelorientierung von Frauen auf Beruf und Familie - und den dieser innewohnenden Innovationspotenzialen - liegen mittlerweile Forschungsergebnisse vor: Aufgrund ihrer Erfahrungen im Beruf sowie in der Familie verfügen viele Frauen über einen im Vergleich zu (den meisten) Männern weiteren Orientierungshorizont. Hier liegen "innovative Potenziale", welche die "gesellschaftlich gegensinnigen Optionen in einem Lebensentwurf . . . realisieren und so sozial voneinander getrenntes - Privates und Öffentliches - im Sinne einer Integrationsleistung zusammenführen"
II. Innovative Potenziale infolge der Mehrfachorientierungen von Politikerinnen
Sowohl im Selbstbild von Politikerinnen als auch im Ergebnis wissenschaftlicher Studien ist die Orientierung auf mehrere Lebensbereiche eine Gemeinsamkeit zwar nicht aller, aber relativ vieler Politikerinnen
Die Lebenskonzepte der Mehrfachorientierung vieler Politikerinnen bieten zukunftsfähige Potenziale in (mindestens) dreierlei Hinsicht. Erstens befreit die Mehrfachorientierung auf individueller Ebene von der Fixierung auf nur einen Lebensbereich und kann somit auch als Freiheit wahrgenommen werden. Zweitens ist eine Beteiligung von mehrfachorientierten Personen innovativ für die politisch-instiutionelle Ebene. Denn Mehrfachorientierte spiegeln die Lebenskontexte und damit die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung in größerem Umfang wider als nur auf die Politik fixierte Personen. Und drittens kann ein solches Lebenskonzept als ein zukunftsfähiges Leitbild auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelten. In einer Gesellschaft, in welcher die erwerbsförmig vermittelte Arbeit abnimmt, die Forderung nach mehr politischer Mitbestimmung, z. B. durch Volksentscheide, immer lauter wird
1. Mehrfachorientierung: Selbstentfaltung - Unabhängigkeit - Freiheit
Viele Politikerinnen betrachten die potenziell vielseitige Lebensorientierung trotz aller Anstrengungen auch als Chance zu mehr individueller Freiheit. Sie befreit in ihren Augen von dem Zwang, sich (nahezu) lebenslänglich und ausschließlich auf nur einen Lebensbereich zu konzentrieren. Eine einseitige Orientierung auf die Politik wirkt sich ihrer Ansicht nach problematisch aus. Wenn die Politik bzw. der politische Aufstieg der wesentliche Lebensinhalt ist, würde zur eigenen Karriereförderung "der eigene Kopf irgendwo abgegeben"
Politikerinnen beschreiben eher ihre männlichen Parteikollegen als "profillos, angepasst, opportunistisch"
Im Vergleich zu ihren meisten männlichen Parteikollegen fühlen sich viele Politikerinnen unabhängiger von ihrer Partei - und von Machtpositionen. Das Konzept "Politik als Lebensinhalt" teilen sie mehrheitlich nicht. Politische Karrieren werden zwar verfolgt, diese sollen aber kompatibel mit anderen, biographisch relevanten Orientierungen sein. Das gleichzeitige Eingebundensein in verschiedene Lebensbereiche, die "amtsunabhängigen Vernetzungen"
Spannend erscheint mir in diesem Zusammenhang der Gedanke von Hannah Arendt zu sein, ein "nur in der Öffentlichkeit verbrachtes Leben" führe unweigerlich zu einer "eigentümlichen Verflachung"
Andererseits berichten Politikerinnen aber auch von einer Verflachung, wenn sie über die Zeit sprechen, in der sie nicht politisch engagiert waren. Sie hätten in "ihrer kleinen Welt gelebt"
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Mehrfachorientierung auf individueller Ebene infolge des Eingebunden-Seins in mehrere Lebensbereiche die Möglichkeit von Selbstentfaltung, Unabhängigkeit und Freiheit bietet.
2. Mehrfachorientierung - Voraussetzung für einen realistischeren Zugang zur Politik
Mehrfachorientierte decken eine größere Bandbreite an gesellschaftlichen Aktivitäten ab. Das ist in Bezug auf die politisch-institutionelle Ebene als Vorteil zu werten, spiegelt diese Ausrichtung doch die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung wirklichkeitsgetreuer wider. Interessenvielfalt der Bürger und Bürgerinnen kann besser berücksichtigt werden, wenn Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen in der Politik vertreten sind. Bislang scheinen im Wesentlichen einseitig orientierte Personen über die Geschicke unserer Gesellschaft zu bestimmen. Themen auf der politischen Agenda und Entscheidungen sind davon gekennzeichnet. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth ist beispielsweise "überzeugt, dass die Frage . . . der Anerkennung von Tätigkeiten außerhalb des Erwerbsberufs, ganz anders beurteilt werden würde, wenn wir schon 30 Jahre lang einen weitaus größeren Frauenanteil im Parlament hätten"
3. Mehrfachorientierung - ein zukunftsfähiges Lebenskonzept
Das dritte Innovationspotenzial der Mehrfachorientierung liegt in der Zukunftsfähigkeit dieses Lebenskonzepts. Einseitige Lebensorientierungen können mit den Erfordernissen zukünftiger Gesellschaften kaum standhalten. Die monetär vergütete, über den Markt vermittelte Arbeit nimmt ab, die gegenwärtige repräsentative Parteiendemokratie gerät immer mehr in die Kritik und das traditionelle Geschlechterverhältnis, das die Alleinzuständigkeit von Frauen für die Haus- und Familienarbeit begründet, beginnt langsam zu wanken. Immer mehr Bürger und Bürgerinnen distanzieren sich von den arbeitsorientierten Lebenskonzepten
III. Mehrfachorientierung im Kontext politischer Theorie und Praxis
Das Lebenskonzept der Mehrfachorientierung steht im krassen Gegensatz zu jenen klassischen politischen Demokratietheorien, die auf die Partizipationsformen in der altgriechischen Polis, gewissermaßen dem Vorbild heutiger Demokratien, rekurrieren. In diesen Theorien wird die politische Macht durch Personen konstituiert, die frei sind von einfachen, lebenserhaltenden Arbeiten. "Genau diese Fähigkeit, solche Belange hinter sich zu lassen", kennzeichne die Handlungsfähigkeit von Politikern, denn - so kommentiert Bonnie Honig polemisch - "in der Politik steht schließlich ,nicht das Leben, sondern die Welt' auf dem Spiel"
Das vorgestellte "Gleichgewichtskonzept" passt mit einem weiteren Ideal klassischer politischer Theorien nicht zusammen. Denn ein Staatsmann soll nicht nur unabhängig von der Last des Alltäglichen, sondern auch frei von Bindungen sein
Nicht nur zentrale Grundsätze der klassischen politischen Theorien, sondern auch der politischen Praxis werden von vielen Politikerinnen nicht eingehalten: Zweifellos sind Politiker und Politikerinnen von heute nicht gänzlich frei von allen Bindungen. Wollen sie Erfolg haben, sind Sie vielmehr angewiesen auf ein innerparteiliches Beziehungsnetz mit Parteikollegen und -kolleginnen. Vielleicht sind sie "anti-sozial", aber gleichzeitig müssen sie nach dem Prinzip des "do ut des" ("Ich gebe, damit Du gibst") mit ihren Mitstreitern und Mitstreiterinnen verbunden sein. Dies erfordert Zeit und eine einseitige Konzentration auf die öffentliche Politik, auch im Privatleben. Denn dort hat der "klassische" Politiker für die Politik instrumentalisierbare BezugspersonenVgl. Anm. 11.. Überspitzt könnte gefolgert werden: Wer in der Politik Erfolg haben will, darf keine Bindungen eingehen, die nicht für die Politik instrumentalisierbar sind. Auch diesem Zwang kommen viele Politikerinnen nicht nach, sind sie doch auch amtsunabhängig vernetzt und gebunden.
Für den wissenschaftlichen Diskurs zu Partizipations- und Demokratietheorien lassen sich aus den genannten Ergebnissen einige Schlüsse ziehen. Ideal wären Demokratie- und Partizipationstheorien, in welchen erstens die Beschäftigung mit alltäglichen, lebenserhaltenden Tätigkeiten mit politischer Beteiligung vereinbar sind und welche zweitens soziale Bindungen als eigenständigen Wert berücksichtigen.
IV. Erfolgsbedingungen gelungener Mehrfachorientierung
Im derzeitigen politischen Leben bringt eine Mehrfachorientierung keineswegs nur Freiheit, Innovation und Emanzipation mit sich. Sie geht in der Regel auch mit Zeitkonflikten und einer Überbelastung einher. Politikerinnen müssen in der Lage sein, mehrere Bälle zu jonglieren, wobei das Jonglieren erschwerend mit einem Hindernislauf verbunden ist. Denn die Zeitstrukturen und Organisationsweisen in Beruf, Familie, Privatleben und Politik widersprechen den Wünschen nach der Vereinbarung dieser Lebensbereiche. Berichte über Erschöpfung, Abgespanntheit und Übermüdung von Politikerinnen belegen dies. Unter welchen Bedingungen ist eine mehrfache Orientierung also überhaupt möglich, unter welchen Bedingungen können aus der Mehrfachorientierung innovative Potenziale erwachsen? Im Folgenden werden die "Erfolgsbedingungen" im Privatleben, im Erwerbsarbeitsleben und in der Politik diskutiert.
Im Privat- und Familienleben ist ein zustimmendes und unterstützendes privates Umfeld ideal. Die interviewten Politikerinnen betonen übereinstimmend, dass Mehrfachorientierung ohne die Kooperation des Partners bzw. der Partnerin nicht möglich sei. Der gerechten Teilung der Haus- und Familienarbeit kommt eine besondere Bedeutung zu, der Verteilungsprozess verläuft jedoch häufig konflikthaft und spannungsgeladen. Jenen Politikerinnen, die selbst von ihren Rechten überzeugt sind, gelingt es am besten, eine gerechte Arbeitsverteilung einzufordern
Mütter können eine Orientierung auf die Politik nur verwirklichen, wenn weitere Personen in der Haus- und Familienarbeit eigenverantwortlich mitwirken. Dies ist unter zwei Optionen möglich: Sie werden von Freunden oder Freundinnen bzw. Familienangehörigen unterstützt oder sie beschäftigen finanziell vergütete Betreuungspersonen und Haushaltshilfen. Im ersten Fall müssen stabile, kostenlose, private Netze, im zweiten finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen.
Die Erfolgsbedingungen für eine politische Karriere im Erwerbsarbeitsleben sind das Einverständnis des Arbeitgebers, die Abkömmlichkeit sowie die Möglichkeit der Freistellung. Eine Erwerbstätigkeit im öffentlichen Dienst - in einer gehobenen Position mit relativ freier Zeiteinteilung und einem hohen Maß an Selbstbestimmung - bietet in der Regel optimale Bedingungen. Politikerinnen, die in weniger selbstbestimmten Berufen arbeiten - zum Beispiel als mittlere Angestellte in der freien Wirtschaft -, können eine Mehrfachorientierung nur unter erheblich größeren Schwierigkeiten realisieren.
Die manchmal vertretene These, Frauen hätten allein aufgrund ihrer Familienorientierung und dabei speziell aufgrund von Mutterschaft keine Zeit für politische Aktivitäten, trifft in dieser Monokausalität nur bedingt zu. Partizipation wird nicht schlicht durch Mutterschaft blockiert. Die Barrieren für Frauen (mit Kindern) sind erheblich komplexer und unterscheiden sich schichtspezifisch. Nicht die Mutterschaft ist es, die Frauen behindert, sondern die Kumulation verschiedener negativer Faktoren. Es sind dies
- ein niedriges Bildungsniveau und eine entsprechend dotierte, niedrig qualifizierte, politikferne Berufsposition mit kaum gegebener Möglichkeit der Freistellung und Abkömmlichkeit;
- ein Partner, der sich nicht an der Familienarbeit beteiligen will oder kann sowie
- fehlende Ressourcen zur Finanzierung entlastender Dienstleistungen, Betreuungspersonen und Haushaltshilfen.
Mütter besetzen bei günstigen lebenskontextuellen und sozioökonomischen Voraussetzungen durchaus politische Positionen. Bislang gelingt es jedoch in der Regel nur vielfach privilegierten Frauen, einen Lebenskontext im Erwerbsarbeits- und im Privatleben zu gestalten, der eine Mehrfachorientierung erlaubt.
Wenn die politische Beteiligung von mehrfachorientierten Frauen in den Parteien erwünscht ist, ist in der Politik bereits eine wesentliche Bedingung erfüllt. Darüber hinaus muss das politische Leben als interessant und spannend wahrgenommen werden, sonst konzentrieren sich mehrfachorientierte Parteimitglieder lieber wieder auf andere Lebensbereiche. Ferner müssen Kandidaturen mehrfachorientierter Frauen überhaupt Erfolgsaussichten erkennen lassen. Die Erfahrung, dass ein (einseitig orientierter) Mann vorgezogen wird, lässt die Politik nicht unbedingt als interessanten Lebensbereich erscheinen.
Doch selbst unter den genannten Bedingungen ist eine mehrfache Orientierung in der Parteiendemokratie nur schwer zu realisieren. Organisationsweisen und Strukturen der Parteien sind bislang kaum an den Interessen und Bedürfnissen Mehrfachorientierter ausgerichtet. Ein großes Problem sehen Politikerinnen in der männerfreundlichen Zeitorganisation der Politik. So werden Absprachen für den zeitlichen Rahmen von Sitzungen kaum eingehalten. Es scheine so, als ob "die männlichen Politiker kein Zuhause" hätten oder zumindest dort keine Verpflichtungen. Dies führe zu unnötig weitschweifigen Sitzungen: Die "Profilierungsversuche, die Selbstdarstellungsaktionen, . . . dieses plakative Nullsätze-Reden der Männer" führen zu zeitaufwendigen Versammlungen
In der Politik dominiert weiterhin die Pflicht des "Immer-und-überall-Dabeiseins", die den einseitig orientierten Menschen voraussetzt. Illustrieren lässt sich dies anhand eines Medienskandals um die ehemalige Berliner Kultur-Senatorin Anke Martiny. Sie hatte es ,gewagt', mehr freie Zeit für sich sowie für privat-familiäre Tätigkeiten und Kontakte zu fordern, was ihr von den Medien und der damaligen Opposition als Politikunfähigkeit ausgelegt wurde: Wer einen freien Abend in der Woche benötige, könne keine hochrangige politische Position ausfüllen
Angesichts dieser und anderer Kritikpunkte ist zu fragen, ob innerparteiliche Reformen (z. B. Veränderung der Zeitorganisation) überhaupt möglich sind und ob diese ausreichen, um bislang zwar nicht de jure, aber de facto weitgehend ausgegrenzte mehrfachorientierte Frauen und Männer zu integrieren. Alternativ zur Parteiendemokratie wird über bessere Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bevölkerung durch die Einführung umfangreicher direktdemokratischer Elemente, etwa Volksbegehren oder Referenden, wie auch diskursiv-partizipativer Verfahren, etwa Runde Tische oder Planungszellen, diskutiert. Diese Formen der Mitbestimmung erfordern niedrigere Zugangs- und Partizipationsvoraussetzungen als eine in der Regel zeitintensive parteipolitische und parlamentarische Partizipation und würden somit auch Mehrfachorientierten Mitbestimmung ermöglichen.
V. Ausblick
Lebenskonzepten der Mehrfachorientierung wird häufig entgegengehalten, dass sie in einer arbeitsteiligen, hochproduktiven Gesellschaft nicht effektiv seien. Doch wird - auf lange Sicht - wohl eher das Gegenteil der Fall sein: Die Veränderungen der Erwerbsarbeit (Erosion des Normalarbeitsverhältnisses), der Demokratie (Forderung nach mehr Demokratie und politischen Mitbestimmungsrechten) und des Geschlechterverhältnisses (Weigerung von Frauen, Haus- und Familienarbeit alleinverantwortlich zu übernehmen) werden einseitige Orientierungen künftig weder für alle Menschen möglich machen noch attraktiv erscheinen lassen. Die Gesellschaft wie jedes einzelne Individuum werden auf diesen Wandel mit zukunftsfähigen Konzepten, wie zum Beispiel dem der Mehrfachorientierung, reagieren müssen.
Von den Sozialwissenschaften, mit Ausnahme der Geschlechterforschung, ist die Mehrfachorientierung bislang eher als "Sonderfall" bewertet und kaum theoretisch oder empirisch bearbeitet worden. Es gibt - wie gezeigt werden sollte - gute Gründe dafür, dieses Lebenskonzept und diese Lebensweise im Kontext der Entwicklung einer zukunftsfähigen Gesellschaft stärker in den Blick zu nehmen.
Eine zukunftsorientierte Politik müsste die Unterstützung und Ausprägung mehrfacher Orientierungen in größerem Ausmaß als Querschnittsaufgabe wahrnehmen, etwa durch die Verbesserung der sozialen Absicherung für Teilzeitbeschäftigung sowie für Tätigkeiten außerhalb der klassischen Erwerbsarbeit. Bislang scheint die Politik jedoch Mehrfachorientierten eher Steine in den Weg zu legen und damit Innovationspotentiale zu verschenken.