I. Frauenleben 1949
Seit 1949 ist in Deutschland die Gleichberechtigung der Geschlechter als Grundrecht festgeschrieben. Am 7. Oktober 1949 wurde Artikel 7 der Verfassung der DDR verabschiedet: "Mann und Frau sind gleichberechtigt. Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichstellung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben." Für die Bundesrepublik erkämpfte die Rechtsanwältin und Notarin Elisabeth Selbert im Parlamentarischen Rat gegen den heftigen Widerstand ihrer männlichen Kollegen
Nach dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Ehe- und Familienrecht waren Ehefrauen keine eigenständigen Geschäftspersonen. Sie unterstanden nicht nur in öffentlichen Angelegenheiten der Bevormundung durch den Ehemann, ohne dessen Zustimmung sie weder erwerbstätig sein noch über ihr Vermögen entscheiden durften. Auch im privaten Bereich, auf den Frauen in ihrer Zuständigkeit ausdrücklich festgeschrieben waren, verfügte der Mann per Gesetz über das alleinige Entscheidungsrecht in allen die Ehe betreffenden Streitfragen inklusive in Angelegenheiten, die die gemeinsamen Kinder betrafen. Vor diesem Hintergrund ist es fast unnötig, zu erwähnen, dass der Familienname selbstverständlich der des Mannes war und die gemeinsamen Kinder bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Eltern natürlich die des Vaters erhielten. Muten die Bedingungen, auf die eine Frau sich einließ, wenn sie eine Ehe einging, mittelalterlich an, so hatte eine Ehescheidung für Frauen oft noch katastrophalere Folgen. Das Scheidungsrecht beruhte auf dem "Verschuldungsprinzip", das eine/n der Eheleute für das Scheitern der Ehe verantwortlich machte. Unterhaltsansprüche sowie die Sorge für die minderjährigen Kinder waren an die Schuldlosigkeit am Zerbrechen der Ehe gebunden. Konnte eine Frau sich nur bedingt darauf verlassen, dass sie nach der Scheidung aufgrund der - vielleicht zahlreichen - Jahre, in denen sie ihren Exmann familiär entlastet und beruflich gestützt hat, eine gewisse finanzielle Unterstützung erhalten würde, hatte sie keinerlei Ansprüche hinsichtlich ihrer langfristigen sozialen Absicherung. Aus der gemeinsam verbrachten Zeit wurden für die Frau keine Rentenansprüche abgeleitet. Zudem existierte bis 1972 keine gesetzliche Altersversicherung für Nichterwerbstätige. Hausfrauen hatten also kaum Möglichkeiten, sich unabhängig von ihrem Ehemann sozial abzusichern.
Auch in anderen Rechtsbereichen galten frauendiskriminierende Gesetze. So wurden Frauen auf dem Arbeitsmarkt nach besonderen Regelungen entlohnt, die vorsahen, dass sie auch dann nach niedrigeren "Frauenlohngruppen" bezahlt wurden, wenn sie definitiv dieselben Tätigkeiten wie Männer ausübten. Das Strafrecht kriminalisierte Schwangerschaftsabbrüche mit einem allgemeinen Abtreibungsverbot. Gemäß § 218 Strafgesetzbuch (StGB) war jede Selbst- und Fremdabtreibung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf bzw. bei Fremdabtreibung bis zu zehn Jahren bedroht. Einzige Ausnahme bildete die "medizinische Indikation", nach der ein Abbruch dann als legal galt, wenn auf keine andere Weise eine Lebensgefährdung der Frau abgewendet werden konnte. Die Anwendung von Verhütungsmitteln war keineswegs verbreitet und zudem gesellschaftlich nicht akzeptiert. Der Vertrieb von Verhütungsmitteln an frei zugänglichen Orten war strafbar
II. Frauenleben 2000
Im neuen Jahrtausend - fünfzig Jahre später - wirken die damaligen gesetzlichen Regelungen bizarr. Es ist nicht mehr vorstellbar, dass eine Frau ohne die Zustimmung ihres Ehemannes kein Konto eröffnen und kein Arbeitsverhältnis eingehen kann oder dass der Mann aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit die Entscheidungsmacht über die gemeinsamen Kinder erhält. Als Familienname kann heute der Name der Frau oder der des Mannes gewählt werden. Die Aufgaben in Beruf und Familie sind laut Gesetz partnerschaftlich zu teilen. Dementsprechend kann ein bis zu dreijähriger Erziehungsurlaub, in dessen Rahmen ein zweijähriger Anspruch auf Erziehungsgeld besteht, sowohl von der Mutter als auch vom Vater wahrgenommen werden. Die drei Jahre werden bei der Berechnung der Rente so bewertet, als seien die Mutter oder der Vater erwerbstätig gewesen und hätten 75 Prozent des Durchschnittsentgelts aller Versicherten verdient. Eine Anhebung auf 100 Prozent des Durchschnittseinkommens wird zur Zeit stufenweise durchgeführt. Gleichzeitig wird mit dem Recht auf gleiches Entgelt für gleiche Arbeit auf eine bessere Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt gezielt. Die arbeitsrechtliche Anerkennung von Teilzeitarbeit sowie der Anspruch auf einen Kindergartenplatz ab Vollendung des dritten Lebensjahres unterstützen die Möglichkeit, sowohl beruflich als auch familiär tätig zu sein.
Auch bei traditioneller Aufteilung der Zuständigkeiten für Familie und Beruf hat die Frau im Falle einer Ehescheidung verschiedene Ansprüche hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung aus der gemeinsam verbrachten Zeit. Der Unterhaltsanspruch ist nicht an die "Schuldlosigkeit" am Scheitern der Ehe gebunden. Nach einer Scheidung erhält der- oder diejenige Unterhalt, die oder der nicht für sich selbst sorgen kann. Die in der Ehe geleistete reproduktive Arbeit erfährt versicherungsrechtlich eine gewisse Anerkennung. Abgesehen davon, dass auch Hausfrauen die Möglichkeit haben, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung zu leisten, sieht der "Versorgungsausgleich" die gleichmäßige Aufteilung der in den Ehejahren von beiden erworbenen Rentenansprüche unter den Eheleuten vor. Kurz: Eine Frau, die im Jahre 2000 heiratet, ordnet sich nicht wie 1949 rechtlich ihrem Ehemann unter, sondern geht vor dem Gesetz eine gleichberechtigte Beziehung ein.
Ohnehin ist die Rolle der Ehefrau und Mutter nicht mehr die einzig erstrebenswerte Lebensform für Frauen im 21. Jahrhundert. Ein deutlicher Unterschied gegenüber der Lebenssituation von Frauen in den Nachkriegsjahren besteht darin, dass nicht mehr von der Lebenssituation gesprochen werden kann. Gab es damals für die Mehrzahl der jungen Frauen keine Alternative zur Rolle der Hausfrau, Gattin und Mutter, so bestehen heute sowohl in der Gestaltung des privaten Alltags als auch hinsichtlich der beruflichen Laufbahn einer Frau eine Vielzahl gesellschaftlich akzeptierter Möglichkeiten. Frauen sind heute berufstätig oder nicht, haben Kinder oder nicht, sind verheiratet oder nicht, leben allein oder mit einem Partner oder einer Partnerin. Besonders die Zahl der weiblichen Einpersonenhaushalte ist in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen
Die Ehe ist auch keine Bedingung mehr, um das Sorgerecht für die eigenen Kinder zu erhalten. Auf Antrag kann das Sorgerecht für unehelich geborene Kinder vom Jugendamt relativ unkompliziert der Mutter, dem Vater oder beiden Eltern übertragen werden. "Unehelich" ist im Alltag kein diskriminierendes Merkmal mehr. 1996 wurden in der Bundesrepublik Deutschland ca. 135 000 Kinder "unehelich" geboren, das sind 17 Prozent aller Geburten. Ein Kinderwunsch ist also nicht mehr unbedingt ein Heiratsgrund und eine ungewollte Schwangerschaft wohl noch seltener
Offensichtlich sind die Reformen und Gesetzesänderungen, die seit 1949 infolge des Gleichberechtigungsgesetzes erlassen wurden, erheblich. Die rechtliche Stellung der Frau in der Bundesrepublik Deutschland hat sich entscheidend verbessert
III. Die Rolle von Frauen im Beruf und in der Öffentlichkeit
Trotz der eindeutigen gesetzlichen Regelungen bestehen nach wie vor Unterschiede in den Entgelten von Männern und Frauen. Im Durchschnitt verdienen Frauen 77 Prozent des Betrages, den Männer mit derselben Tätigkeit verdienen
Die Folgen dieser Situation zeigen sich deutlich in der mangelhaften Alterssicherung von Frauen. Rund 75 Prozent der 65-Jährigen und älteren Menschen, die ihren allgemeinen Lebensunterhalt von Sozialhilfe bestreiten müssen, sind in den alten Bundesländern Frauen. Ihre Versicherungsrente ist im Durchschnitt um mehr als die Hälfte niedriger als die von Männern
Dass die gleichberechtigte Integration von Frauen in die Berufswelt nicht stattgefunden hat, hat für Frauen nicht "nur" ökonomische Folgen. Frauen fehlt es auch an gesellschaftlicher und politischer Macht. Es fehlen ihnen die Positionen, in denen sie gestalterischen Einfluss nehmen können - beispielsweise in der Politik. Auch wenn seit kurzem die Parteivorsitzende der CDU erstmalig eine Frau ist, gilt für die Politik, was zuvor allgemein für führende gesellschaftliche Funktionen gesagt wurde: Auch in politischen Spitzenpositionen sind Frauen eine Minderheit. Nur gut 20 Prozent der politischen Führungspositionen auf Bundesebene sind von Frauen besetzt
Warum hat die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an gesellschaftlicher Macht und gesellschaftlichem Reichtum nicht stattgefunden? Diese Frage stellt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass es heutzutage selbstverständlich ist, dass Mädchen und junge Frauen eine ebenso qualifizierte Schulbildung erhalten wie Jungen
IV. Die Rolle von Frauen im familiären Bereich
Von einer partnerschaftlichen Aufteilung der Aufgaben in Beruf und Familie kann auch im Jahre 2000 nicht gesprochen werden. Die Hauptlast und die Verantwortung für die Familienarbeit und die Sorge für die Kinder bleiben weitgehend den Frauen überlassen
Was sagen diese Zahlen über die konkrete Lebenssituation von Frauen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2000 aus? Frauen können sich demnach entscheiden: Entweder sie machen Karriere oder sie bekommen Kinder. Tatsächlich stehen ihnen damit mehr Wahlmöglichkeiten zur Verfügung, als dies noch 1949 der Fall war, als die Übernahme der Mutterrolle noch der zentrale Bestandteil eines Frauenlebens war. Die vorherigen Abschnitte zeigen aber, welche Wahl Frauen auch aktuell nicht haben: Der Wunsch nach Kindern und Karriere lässt sich in den seltensten Fällen verwirklichen. Die Frauenrolle hat sich in den letzten fünfzig Jahren vielleicht insofern verändert, dass Frauen sie verlassen und in der Öffentlichkeit eine "Männerrolle" führen können - allerdings nicht zu denselben Konditionen wie Männer. Der Preis ist in den meisten Fällen der Verzicht auf Familie, denn nur sehr wenige Männer sind bereit, ebenfalls die Rollen zu tauschen. So wird Erziehungsurlaub nur zu zwei Prozent von Männern beansprucht und auch Teilzeitarbeitsverhältnisse gehen Männer in der Regel kaum ein. Es sind im Übrigen auch nicht die Väter, die die oben beschriebene Steigerung der Anzahl allein erziehender Elternteile bewirken. 85,7 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Die Gründe dafür, dass Männer wenig Bereitschaft zeigen, eine andere Art der Rollenverteilung zu akzeptieren, dass Frauen sich mehrheitlich für Mutterschaft und gegen Karriere entscheiden, dass Paare, wenn sie Eltern werden, trotz kritischem Bewusstsein meist ein Zusammenleben nach traditionellen Rollenmustern wählen, liegen sicher auch auf der kulturellen Ebene sowie beim Konservatismus der Männer bzw. bei deren Festhalten an angestammten Privilegien. Aber institutionelle Regelungen, die die Bewahrung traditioneller Geschlechterrollen fördern, behindern die Neudefinition der Geschlechterrollen mindestens in gleichem Maße
V. Institutionelle Regelungen und ihre Konsequenzen
Zwar kann die Politik nicht direkt eingreifen, wenn Partnerschaften beispielsweise nur auf der Grundlage funktionieren, dass der Mann die höhere gesellschaftliche Reputation genießt und deutlich mehr Gehalt empfängt als die Frau. Auch richten Gesetze wenig aus, wenn Eltern glauben, dass ein Kind in den ersten Jahren vor allem die Betreuung der Mutter und weniger die des Vaters für seine Entwicklung braucht. Langfristig sind solche geschlechterstereotypen Ideologien aber durchaus zu beeinflussen. Damit eine Gesellschaft Rollenmodelle für die wirklich gleichverteilte Verantwortlichkeit in Beruf und Familie entwickeln und akzeptieren kann, bedarf es nicht nur gesetzlicher Grundlagen, die die gemeinsame Verantwortung attraktiv machen. Es bedarf vor allem auch gesetzlicher Regelungen, die sie überhaupt erst ermöglichen. Das ist aktuell nicht der Fall. Die staatliche Familienpolitik fördert mit ihren Maßnahmen noch immer die "Ernährer- und Hausfrauenfamilie". Die Möglichkeit des Steuersplittings für Eheleute, die Existenz der Lohnsteuerklasse fünf, die Tatsache, dass die Fremdbetreuung von Kindern nicht steuerlich absetzbar ist, all das sind Regelungen, die es Eltern mindestens finanziell nahe legen, bezüglich der Verantwortung für Beruf und Familie geschlechterstereotype Wege zu gehen
Das Ziel der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist sicher nicht nur familienpolitisch, sondern ebenso arbeitsmarktpolitisch anzugehen. Die "Eineinhalb-Personen-Karriere" muß verabschiedet werden, damit Mütter und Väter einer qualifizierten Erwerbsarbeit nachgehen können und trotzdem Zeit für Kinder und Familie finden. Damit Teilzeitarbeit und Familienpausen keine "Mutter-Kind-Programme"
Es wird heute immer wieder festgestellt, Frauen seien zwar "de jure" gleichberechtigt, nicht aber "de facto". Die Betrachtung der rechtlichen Regelungen und ihrer Konsequenzen für die Lebensplanung und den Alltag von Eltern zieht diese Diagnose in Zweifel. Die Stabilität der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und traditioneller Rollenmuster ist keineswegs allein auf die individuelle Verhaltensstarre der einzelnen Menschen zurückzuführen. Vielmehr liegen die Ursachen zu einem wesentlichen Teil auf der rechtlichen Ebene. Soll die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern in der Bundesrepublik Deutschland Realität werden, bedarf es daher der Revision der Gesetze, die einer gleichverteilten Verantwortung für Beruf und Familie zwischen Frauen und Männern entgegenstehen.
Internetverweise der Autorinnen:
www.bmfsfj.de
www.db-decision.de
www.bmj.bund.de
www.bma.bund.de