I. Wissenschaftliche Entwicklungen und die normative Kraft des Fiktiven
Man gewinnt den Eindruck, dass die Wissenschaft, vor allem im Bereich der Bio- und Informationstechnologien, der Gesellschaft davonläuft. Gleichzeitig stellt die Vorwärtsbewegung der Wissenschaft auch einen Reflex gesellschaftlicher Bedürfnisse und Wünsche dar. Die Wissenschaft entspricht dieser gesellschaftlichen Verfassung. Insbesondere gilt dies für eine säkulare Gesellschaft, die ihren Glauben verdiesseitigt hat und in den Fortschritt investiert. Trotz einer immer wieder hervorgehobenen Betonung der Gegenwart - am stärksten im "No-future"-Ruf der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts - entfaltet sich immer wieder ein Zukunftsglaube, der, wie Hans Jonas in seinem "Prinzip Verantwortung" befürchtete, von der Gegenwart Opfer verlangt.
Lange Zeit hat man von der normativen Kraft des Faktischen gesprochen. Aber es sind nicht so sehr die wissenschaftlichen Fakten, die auf neue Einstellungen in der Gesellschaft drängen. Eher handelt es sich um Optionen, die durch neue Erkenntnisse und erfolgversprechende Experimente wach werden, obwohl ihre Erreichbarkeit durch die Fakten des Fortschritts keineswegs garantiert wird. Ein Beispiel dafür ist die Gentherapie. Zunächst als Ersatz genetischer Information in Zellen geplant, wurde sie bald zu einem Transfersystem, wobei durch Vektoren ("Gentaxis") neue Informationen und Schaltvorgänge in die erkrankten Zellen eingeschleust werden sollten. Bisher sind dabei nur zweifelhafte Erfolge zu verzeichnen, und seit 1999, seit der heftigen Diskussion einiger Todesfälle in den USA, wird die Skepsis auch seitens der Genforscher geteilt. Von mir 1989 bei einem Besuch im National Institute for Health (NIH) gefragt, inwiefern er mit einer Versuchsanordnung im Vorfeld gleichsam den späteren Hauptgewinn, mit dem er die Mittel einwerbe, garantieren könne, antwortete French Anderson: garantieren könne er dies nicht, aber er glaube daran. In Analogie dazu kann man auch die Hoffnung auf Organ- und Zellreparaturen zwar als möglich, aber keineswegs als garantiert ansehen. Weder das Klonen noch das Herausbilden embryonaler Stammzellen ist als solches bereits eine "Therapie". Aber man pflegt oft den Weg nach dem Ziel zu benennen, so dass z. B. der Ausdruck "Zelltherapie" mit all seiner Herausbildung euphorischer Missverständnisse in der Öffentlichkeit die Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit nur allzu deutlich macht.
Auch die so genannte "prediktive" Medizin ist eigentlich eine Fiktion. Denn nur bei monogenetischen, in ihrer Wahrscheinlichkeit sicher prüfbaren und in ihrem Schweregrad genau feststellbaren Krankheiten ist etwas vorauszusagen - und die Antwort kann längst noch nicht in einer Therapie bestehen. Da dies die zahlenmäßig geringeren Fälle sind, hofft man auf die Feststellungen von Prädispositionen. Dies wird jedoch, trotz der beschleunigten Erfolge in der Erschließung des menschlichen Genoms, wegen multifaktorieller Informationen im Schnittpunkt der Gene ein Fortschritt sein, der zugleich mit dem Wissen auch das Wissen über das Nichtwissen ansteigen lässt.
Die Investition der Wirtschaft folgt immer mehr einer Fiktion. Um erfolgreich der Erste zu sein, um an der Spitze mitzuschwimmen, muss das Geld dem Erfolg vorauseilen. Es muss aber auch versuchen, den Erfolg einzuholen. Das Mittel dazu heißt: Patentierung. Es ist kein Wunder, dass ein neuer Streit entstanden ist, inwiefern die patentierbaren "biologischen Materialien" wirklich Entdeckungen seien, vor allem wenn es sich um so genannte "Genschnitzel" handelt, deren Herstellbarkeit reine Routine und deren Nützlichkeit mehr oder weniger Fiktion geworden ist.
Die normative Kraft des Fiktiven gilt auch für die Gentechnik in der Landwirtschaft. Auf der einen Seite stehen zwar Produktionsvorteile als möglicher finanzieller Gewinn, auf der anderen Seite stehen die fehlenden praktischen Nachweise von neuen Sorten mit Standortvorteilen für die Dritte Welt. Auch fehlen die neuen Qualitäten für die Verbraucher und die ökologischen Gewissheiten angesichts nur schwer absehbarer Risikomöglichkeiten. Auch hier ist die erste Euphorie in den Vereinigten Staaten einer neuen, grundsätzlichen Diskussion gewichen. Dabei scheint die Wunschvorstellung der Promotoren: je mehr Information, umso mehr Akzeptanz, eher in ihr Gegenteil umzuschlagen: je mehr Information, desto mehr Kritik.
Dennoch bleibt die Kraft der Fiktion, die uns alle erfasst. Es sind die Träume einer aufgeklärten, nachmetaphysischen Gesellschaft, die wir alle träumen: eine Welt ohne Leid, ohne Hunger (wenn auch nicht ohne Krieg). Aber träumen wir diese Träume für alle? Mehren oder verringern wir die Distanz zu den Ländern am Ende der Armutsschlange? Fortschritt für wen? Diese Frage erfasst uns auch in den hochentwickelten Gesellschaften. Wir müssen uns entscheiden, was wir eigentlich wollen: Versicherung, Arbeitsplatz, Reproduktion, Gesundheit und Lebensführung nach Genmaß? Dabei werden wir uns nicht nur unter dem Druck derer fühlen, die an den neuen großartigen Aufgaben verdienen wollen; wir werden auch in den Bann unserer eigenen zugespitzten Anspruchsprofile geraten. Denn wir sind es, die eine billige Versicherung und einen garantierten Arbeitsplatz für uns selber wollen. Oder gibt es solidarische Lösungen auf der Basis individueller Ansprüche?
Die normative Kraft des Fiktiven zeigt, dass der anscheinend glaubensindifferente moderne Mensch vielleicht doch derjenige ist, der am meisten glaubt, weil er keine Alternativen dazu hat. Der Glaube an Gott macht skeptisch für die unbewussten, aber intensiven Glaubensformen und Glaubensnormen in der Welt. Die Ablehnung der Metaphysik führt zum Triumph der Spekulation: einer Spekulation zwar auf der Basis von Realien, aber nicht von diesen gedeckt, sondern emporgetragen von der Kraft unserer Wünsche, die ohne Gelassenheit und ohne Bewusstsein unserer Endlichkeit entfaltet werden.
II. Möglichkeiten ohne Grenzen? Erste ethische Fragen
Möglichkeiten ohne Grenzen bietet die Biotechnologie nicht. Dies hängt mit der Endlichkeit des menschlichen Erkenntnisvermögens und mit der Unendlichkeit des Wissbaren zusammen. Bisher war es stets so: Je mehr der Mensch weiß, umso mehr weiß er auch darüber, was er nicht weiß. Erst die Ausdifferenzierung unserer Erkenntnis lässt die Lücken und Unverfügbarkeiten sehen, zeigt uns neue weiße Felder auf der Landkarte unseres Wissens und Könnens. Freilich können wir aus diesem Gesetz aussteigen - allerdings um den Preis unserer selbst. Denn da der Mensch nicht dazu geeignet ist, Machbarkeit durch Objektivierung seiner selbst zu potenzieren, müssten wir einen neuen Menschen schaffen, eine Intelligenz jenseits der Menschen, um ihr die nächste Stufe der Evolution zu überlassen.
Für die ethischen Auseinandersetzungen um die Beschleunigung der Biotechnologie möchte ich vier Referenzpunkte nennen: Erstens: Welchen Raum geben wir dem natürlichen Zufall? Zweitens: In welcher Welt wollen wir in Zukunft leben? Drittens: Was bedeutet die Menschenwürde und die gegenseitige Anerkennung als Mensch? Viertens: Welche Kriterien brauchen wir, um mit der "Problemlösungsregel" umzugehen, die mir evident zu sein scheint: Man soll Probleme nicht so lösen, dass die Probleme, die aus der Problemlösung entstehen, größer sind als die Probleme, die gelöst werden?
Beginnen wir mit dem zuletzt genannten Punkt. Biotechnologie gilt als Problemlösung z. B. für unheilbare Krankheiten, für Quantität und Qualität der Ernährung oder für Schadstoffentsorgung in der Umwelt. Noch sind solche Ziele sehr weit entfernt. Erfolge, die den Verheißungen entsprechen, hat die Biotechnologie bisher auf pharmazeutischem Gebiet und vereinzelt auch in kombinierten Therapien aufzuweisen. Ansonsten führen diagnostische Fortschritte eher zur Frühselektion menschlicher Lebewesen mittels Pränatal- oder Präimplantationsdiagnostik. Die gentechnisch veränderte Produktion in der Landwirtschaft bringt durch Arbeitsersparnis ökonomische Vorteile, vielleicht auch ökologische. Qualitative Sprünge sind vorerst eher Laboroptionen oder Flops auf dem Markt.
Die Beachtung bzw. Lösung von möglichen Sekundärfolgen wird von vielen vertagt. Sinnvoll wäre es, sich auf die Verträglichkeitskriterien für die Anwendung der Biotechnologie jetzt zu einigen: auf Kriterien der Verträglichkeit mit Verbraucherrechten, mit der Umwelt, mit der Gesundheit und mit der gerechten Verteilung. Denn nur mit solchen Kriterien kann man Vorteile und Nachteile mittelfristig und langfristig messen. Isolierte Problemlösungen in der Hoffnung auf die Problemauflösung der Zukunft blind zu akzeptieren, dieser Fehler ist zu oft gemacht worden. Er sollte bei der Biotechnologie nicht wiederholt werden. Angesichts mancher Entwicklungen der Biopolitik bin ich freilich skeptisch, ob dieser Ruf gehört wird.
Welchen Raum geben wir dem natürlichen Zufall? Es ist klar, dass jede Option für das "Natürliche" bei unserem heutigen Entwicklungsstand eine kulturelle Option ist. Wir haben dem natürlichen Zufall bei der Reproduktion des Menschen, zumindest was das "Sosein" des Menschen betrifft, Raum gelassen. Wir haben Menschen nicht gezüchtet, obwohl wir es, auch mit konventionellen Methoden, in der Pflanzen- und Tierzucht weit gebracht haben. Wir müssen entscheiden, ob dies so bleibt, wenn es um Optionen gegen "wrongful life" oder für "perfect babies" geht.
In welcher Welt wollen wir in Zukunft leben? Gibt es an unserer Lebenswelt etwas zu verteidigen? Diese Frage hängt mit der vorigen zusammen. Sexualität, Liebe, Familie - das alles sind hochkulturelle Produkte unserer Option für eine lebenswerte Lebenswelt. Stellen wir im Zeichen der individuellen Interessenverwirklichung diese Welten in Frage, überlassen wir sie dann der Beliebigkeit? Das sind "wertkonservative" Fragen, an denen wir nicht vorbeigehen können, wenn wir Verantwortung für unsere Lebenswelt übernehmen wollen.
Schließlich: Wann ist der Mensch ein Mensch? Wann ist er Träger unauslöschlicher Würde, d. h. ein Zweck an sich selbst, der nicht gänzlich instrumentalisiert werden darf? Dass wir uns gegenseitig als Handelnde mit unseren Interessen respektieren müssen, deswegen Rechte und Pflichten uns selbst und anderen gegenüber haben, das kann einsichtig gemacht werden. Aber wie gehen wir auf die Nicht-, Noch-nicht- oder Nicht-mehr-Artikulationsfähigen ein?
Alle diese Referenzpunkte berühren die Frage nach ethischen Grundsätzen. Die Auseinandersetzung hat angesichts der Beschleunigung des Fortschrittes oft zu wenig Zeit für grundsätzliche Erwägungen. "Das ist Ihre Meinung, respektieren Sie meine" - mit dieser Option gegen den Streit um kohärente Begründung und für ein unverbundenes Nebeneinander von moralischen Positionen, die man im Wissenschaftsbereich öfter hören kann, wenn es um die ethische Dimension geht - als wäre diese Ansichtssache und als würde wissenschaftliche Rationalität sich nicht selbst stets als vorläufig erweisen -, ist die Ethik noch vor ihrem Beginn beendet.
III. Die Kultur der Affirmation
Die ersten Versuche der Ethik, nach dem Sinn und der Richtigkeit von Handlungen zu fragen, werden gern mit Sätzen beantwortet wie: "Der Zug des technischen Fortschrittes ist ohne moralischen Rückwärtsgang" (H. M. Sass). Oft hört man von Fachjournalisten, die die beschleunigte Entwicklung beobachten, Ermahnungen zum Realismus: Was der Mensch wisse, das könne er bald, und was er könne, das mache er auch, zumal wenn damit Geld zu verdienen sei. Diese Beobachtungen sind kurzzeitig und satirisch. Der Mensch hat vor den Nazis nicht versucht, den Menschen zu züchten, und die Friedrich II. zugeschriebenen Versuche mit sprachlos und kontaktlos aufgewachsenen Kindern wurden nicht wiederholt. Die Gefahr des Missbrauchs ist freilich niemals gebannt.
Es ist aber schon etwas wahr an dem ethischen Defätismus, der mit dem Zuspätkommen moralischer Überlegungen und mit Reversibilität - wie bei der Atomkraft - nur nach großen Unfällen rechnet. Dieser Defätismus hat aber nicht primär etwas mit der Technik zu tun. Auch die Wissenschaftler sind nicht für ihn verantwortlich, solange sie nicht um goldene Kälber tanzen und immer jede weitere Alternative prüfen. Das Problem liegt eher in einer gesellschaftlichen Einstellung, für die man sich nicht weit von den Biertischen entfernen muss: Es geschieht ohnehin, die anderen tun es auch; wenn ich es nicht tue, tut es ein anderer; wenn es schon getan werden muss, dann mache ich es besser als andere. Dies ist eine alltägliche Mentalität, die zur Unaufmerksamkeit und zum Mangel an Wachsamkeit führt. Auf höherem Sprachniveau arbeitet sie mit dem Erhalt von Handlungsspielräumen, mit der Vermeidung von Standortnachteilen, mit der Uneindeutigkeit der Moral, mit pluralistischen Optionen und dergleichen mehr.
Mit der Gewöhnung kommt die Erlahmung. Und wenn die Dinge einmal in der Welt sind, z. B. die selektive Frühdiagnostik außerhalb des Mutterleibes (präimplantative Frühdiagnostik) oder die pluripotenten Stammzellen auf Lager, die sich zerstörten Embryonen verdanken, dann haben wir entweder Tourismus zu fürchten, wenn wir an Verboten festhalten, oder gar Heuchelei, wenn wir Erkenntnisse und Materialien benutzen, deren Erstellung bei uns verboten wäre. So haben wir die Wahl zwischen direkter Bestätigung, Affirmation oder Akzeptanz oder aber einer indirekten Beförderung des Fortschrittes der anderen durch eine Art Vogel-Strauß-Politik. Dieses Dilemma ist nicht wegzudiskutieren. Aber es ist kein neues Dilemma. Schon immer wurde den Gegnern der unkontrollierbaren Waffen vorgeworfen, dass sie eigentlich den Frieden verhinderten. Schon immer war die Konsequenz und Konsistenz der Implementierung von Moral in gegebenen, zumindest moralisch gemischten Kontexten gegenläufig für ihre eigene Verwirklichung. Dieses Dilemma wird an der amerikanischen Regierung sichtbar, wenn sie, ohne diese gesetzlich zu verbieten, keine öffentlichen Gelder für Embryonenversuche zur Verfügung stellt. Das ist in der Tat objektiv Heuchelei, und es macht jede Kontrolle über privatwirtschaftliche Embryonenforschung noch schwieriger, weil die Transparenz fehlt.
Dieses Szenario gehört zugleich in eine Gesellschaft, die Geschichte vergisst und Zukunft bejaht. Die jüngeren Generationen spielen nicht mit den Abenteuern der Geschichte, sondern mit der Fantastik der Zukunft, die aus der Geschichte bloß kostümiert wird. Das Spiel mit Möglichkeiten wird nicht mit geschichtlichen Erfahrungen begrenzt. Wir sind die Gründer einer neuen Unendlichkeit. Welche Zukunft wollen wir bejahen? Es ist viel von Selbstbestimmung die Rede, von einer Ethik der moralischen Wahl. Aber haben wir wirklich die Wahl?
IV. Das Bündnis mit der Selbstbestimmung
Angesichts des moralischen Dilemmas, in welches sowohl grundsätzliche Verweigerungen zweideutiger Fortschritte als auch bedingungdlose Befürwortungen hineingeraten, erscheint die moralische Problemlösung als elegant, doch den einzelnen Menschen die Entscheidung über bestimmte Abwägungen und ihre Folgen zu überlassen. Das Muster dafür ist die Gendiagnostik, die verschiedene Wahlmöglichkeiten eröffnet. Man kann sich z. B. nach getesteten genetischen Diagnosen richten oder sich mit den Ungewissheitsfaktoren arrangieren. Man hat das Recht zu wissen oder auch nicht zu wissen (mit gelegentlichen bioethischen Einschränkungen des Nichtwissens zugunsten des zu erwartenden Diagnoseangebotes). Die Entscheidung betrifft einen aber oft nicht allein, sondern unter Umständen auch Verwandte, die nun informiert werden sollen. Immer mehr Verantwortung entsteht; immer mehr moralische Zweideutigkeit muss verkraftet werden. Die pränatale Gendiagnostik ist dafür der aktuelle Erfahrungsbereich. Der Ruf nach Beratung, erhoben von den Humangenetikern, wird hier immer lauter. Aber Beratung steht selbst wieder unter der Zweideutigkeit der Hilfe und der Zurückhaltung. Eine "nicht-direktive" Beratung bleibt ein Prüfkriterium, das nur Annäherungen zulässt.
Die individuelle Entscheidung bezieht aber auch Föten oder Embryonen mit ein. Diese rufen Schutzbedürftigkeiten und Schutzwürdigkeiten hervor. Der Grad dieser Schutzwürdigkeiten mag umstritten sein, aber wenn es sich um menschliche Lebewesen handelt, dann sollte es schwer sein, zwischen ihnen nach Merkmalen auszuwählen, die nicht ihre Charakteristik als menschliche Lebewesen ausmachen, sondern nur einen projektierten und zum Teil auch projizierten Belastungsgrad der Zukunft widerspiegeln. Hier muss auf dem Altar der Zukunft geopfert werden. Immer mehr Planung umgibt die Ereignisse höchster Spontaneität der Liebe und der Zeugung. Der Prozess der psychischen Annahme muss unter Umständen ständig verschoben werden. Auch das gewollte Kind kann sich so sehen: Ich bin nur gewollt, weil ich so gewollt wurde und nicht anders. Der Verlust an Unbedingtheit der Annahme spiegelt einen Mangel an eigener Geborgenheit und setzt diesen fort. Vielleicht ist der Begriff der unbedingten Annahme letztlich doch an religiöse Vorstellungen gebunden. Religiöse und planerische Menschlichkeit geraten so in Widerstreit.
Dazu kommt das Paradox der Selbstbestimmung. Nicht nur dass es eben nicht allein um ein Selbst geht, sondern auch dass dieses Selbst als wahlberechtigt ausgewählt werden kann, wendet die Selbst- in Fremdbestimmung um. Äußere Richtlinien bestimmen die Zugehörigkeit zur entscheidungsbefähigten und -befugten Gruppe. Prozentzahlen, z. B. des Grades genetischer Belastung, nehmen in den Kreis derer auf, die wählen dürfen.
Erlaubt man dagegen jede Wahl, dann wird Medizin zum bloßen Service am individuellen Wunsch. Das Bündnis zwischen Biomedizin und Selbstbestimmung treibt die Verantwortung des Arztes an die Grenze, wenn er zum Techniker des Entscheidungsvollzuges und zum Pragmatiker des Entscheidungsangebotes wird. Das Bündnis treibt aber auch die Selbstbestimmung an eine Grenze, wenn die eigene Option für das gute Leben nicht mehr nur das eigene Leben betrifft und wenn das Paar, insbesondere die Frau, sich freiwillig Bestimmungen unterwirft, die ihr gerade keine Wahl mehr erlauben.
Kann Selbstbestimmung ein Mittel der Selektion sein? Individuell vollzogen, hat sie doch soziale Folgen und verändert das durchschnittliche Bewusstsein in der Gesellschaft. Die Spaltung des Menschlichen zwischen Zumutbarem und Unzumutbarem, zwischen verderblicher Gegenwart und rosiger Zukunft, wobei das eine dem anderen zum Opfer gebracht wird - ist das ein Ausdruck des Wesens der Freiheit?
V. Beispiele für exponierte ethische Fragen
1. Der Umgang mit dem genetischen Wissen
Im Zusammenhang mit dem Umgang mit genetischem Wissen wird immer wieder das "Recht auf Nicht-Wissen" reklamiert. So wird z. B. in der Diagnose auf Brustkrebsgen geltend gemacht, dass das dadurch erreichte Wissen die Ungewissheit nicht zureichend aufheben könne und deshalb das Recht auf Nicht-Wissen berücksichtigt werden müsse. Ähnlich wird bei nichttherapierbaren Krankheiten, deren Ausbruch in das Erwachsenenalter fällt, geltend gemacht, dass Gentests an Kindern jedenfalls nicht als Screening durchgeführt werden könnten.
Ist das so genannte Recht auf Nicht-Wissen nur ein abgeleitetes oder ein genuines Recht? Diese Frage nach dem moralischen Status impliziert eine Reihe weiterer Fragen: Ist das Recht auf Wissen als ein Recht mit oder ohne Verpflichtung des Rechtsträgers anzusehen? Entspricht dem Recht auf Wissen des Patienten nur die Pflicht der Informationsweitergabe durch den Arzt, oder ist der Patient selbst oder darauf verpflichtet, sich die größtmögliche Information zu besorgen? Gibt es also mit dem Recht auch eine Pflicht zu wissen? Wäre dem so, dann wäre dem ein genuines Recht auf Nicht-Wissen an die Seite zu stellen.
Andererseits kann man sagen, dass nur das größtmögliche Wissen dem Betroffenen ermöglicht, zu wissen, worin er ein Nicht-Wissen reklamieren will. Unter dieser Voraussetzung scheint das Recht auf Wissen eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung des Rechtes auf Nicht-Wissen zu sein. Die andere Ressource des Rechts auf Nicht-Wissen wäre das Recht, darüber zu entscheiden, mit welchen Entscheidungen man sich konfrontieren will.
An dieser Stelle wird jedoch von einigen eingewandt, das Recht darauf, darüber zu entscheiden, was man entscheiden wolle, spiegele einen paternalistischen Rest, insofern man es leicht dazu gebrauchen könne, dem Patienten einen Verzicht auf Wissen einzureden und sowohl Forschung wie Anwendung zum Wissensverzicht aufzurufen. Dieses Argument kann jedoch als Missbrauchsargument bezeichnet werden. Es benutzt auch das Argument mit der abschüssigen Bahn, weil von den Folgen her argumentiert wird, die eintreten könnten, wenn man ein genuines Recht auf Nicht-Wissen akzeptieren würde.
Der Streit um den moralischen Status des Rechtes auf Nicht-Wissen spielt bis in die Menschenrechtskonvention zur Biomedizin (Art. 11) und in einige vorgeschlagene Formulierungen für die Charta für die Europäischen Grundrechte hinein. Wenn nämlich das Recht auf Nicht-Wissen vom Recht auf Wissen abgeleitet und diesem bloß inhärent wäre, dann müsste es nicht eigens formuliert werden, weil sonst der Eindruck eines zwar korrespondierenden, aber genuinen Rechts entstünde. Insofern hängt alles davon ab, ob es eine so genannte "docta ignorantia" (ein gelehrtes Nichtwissen) im Umgang mit genetischem Wissen als Grundrecht geben soll. Besteht bei einer auf Wissen fußenden Entscheidung, sich Wissen zu ersparen, das zu Entscheidungen führen könnte, die man sich nicht auferlegen möchte, wirklich die Gefahr einer Propaganda für Wissensverweigerungen? Und würde eine solche Gefahr, wenn sie denn gegeben wäre, nicht einen Missbrauch unterstellen, der nach einem scholastischen Grundsatz den rechten Gebrauch nicht aufhebt (Abusus non tollit usum)? Und setzt das Argument mit der abschüssigen Bahn nicht voraus, dass die Position, deren Folgen man befürchtet, schon in sich selbst für nicht gerechtfertigt erachtet wird?
Das Recht auf Wissen ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung der Wahrnehmung des Rechtes auf Nicht-Wissen. Aber es ist eine Voraussetzung dafür, dass das Recht auf Nicht-Wissen ausgeübt werden kann, nicht eine Voraussetzung dafür, dass das Recht auf Nicht-Wissen überhaupt konstituiert wird. Denn die Entscheidung darüber, welche Entscheidungssituationen ich eingehen möchte, verpflichtet mich zwar dazu, über diese Entscheidungssituation im Allgemeinen etwas zu wissen, aber nicht dazu, mich in diese Situation hineinzubegeben. Insofern gehört das Recht auf Nicht-Wissen zu meiner der Menschenwürde korrespondierenden Autonomie.
2. Forschung an embryonalen Stammzellen
"Stammzellen" ist eine Art Zauberwort für die Vision einer neuen medizinischen Zukunft, in der vor allem Organprobleme angegangen werden können, indem man diese noch unbestimmten, aber in viele Richtungen entwickelbaren Zellen als therapeutisches Ersatzteillager, zur Überwindung der Immunabwehr oder sonstwie als Therapeutikum benutzt. Diese Ziele sind noch nicht unmittelbar erreichbar; sie sind Optionen der Forschung. Zunächst geht es also um Wege der Forschung, nicht um Anwendungen. Wenn man diese Option mit embryonalen Stammzellen, d. h. mit Zellen, die frühen Embryonen entnommen sind, vorantreiben will - und dies geschieht, wo verbrauchende Embryonenforschung auch für diese Option erlaubt ist -, dann muss man sich den Problemen stellen, welche diese Zellentnahme mit sich bringt. Bevor man jedoch in diese Überlegungen einsteigt, muss man sich klarmachen, dass Deutschland hier nicht hinter einem liberalen Ausland herhinkt, sondern dass auch Länder, die als liberaler gelten, ihre Einschränkungen haben. So darf die verbrauchende Embryonenforschung in den USA nicht mit öffentlichen Geldern finanziert werden; in Großbritannien bleibt die Embryonenforschung derzeit auf die In-vitro-Fertilisation und auf die Präimplantationsdiagnostik beschränkt (d. h.: kein Klonen in vitro), und das Zusatzprotokoll über den angemessenen Schutz des Embryos zur Biomedizin-Konvention des Europarates ist noch nicht erstellt. Manches geschieht, aber auch international ist die ethische Debatte noch offen.
Wo bisher Embryonenversuche zugelassen sind, wird die Nichteinpflanzung der betroffenen Embryonen - als logische Konsequenz, ja sogar wegen etwaiger Schädigung - als ethisch geboten angesehen. Genau hier liegt aber der Punkt der ethischen Kontroverse über den Status von menschlichen Embryonen. Zunächst aber ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf ein anderes Problem zu lenken, das oft in dieser Debatte vergessen wird. Die Befruchtung im Reagenzglas ist bisher (in Deutschland) auf die Fruchtbarkeitshilfe beschränkt. Hier arbeitet man weder mit überzähligen Embryonen, noch werden Embryonen zu Forschungszwecken erzeugt. Letzteres soll auch (bei allen noch verbleibenden Unklarheiten) in der Biomedizin-Konvention des Europarates verboten bleiben (sofern ein Land nicht von seinem Ausnahmerecht hier Gebrauch macht!). Aber es muss klar sein, dass die Stammzellentnahme und das so genannte "therapeutische" (d. h. für Therapieforschung anvisierte) Klonen Türöffner für eine Liberalisierung der In-vitro-Regulierungen sind.
Was aber ist nun eine befruchtete Eizelle, ein früher Embryo? Die Biomedizin-Konvention des Europarates bietet drei Möglichkeiten an, die im Zusatzprotokoll zum Klonen am Menschen genannt sind: das Personsein, das menschliche Lebewesen und das Agglomerat menschlicher Zellen. Ich schlage vor, die letzte Möglichkeit auszuschließen, da wohl ein signifikanter Unterschied zwischen menschlichen Keimzellen, wie Ei- und Samenzelle, und dem frühen Embryo besteht. Denn der Embryo hat die Potenz, und zwar nicht nur im Sinne der reinen Möglichkeit, sondern im Sinne der Kapazität, ein Mensch zu werden, wenn die Entwicklung entsprechend der in ihm angelegten Intention erfolgt, wenn also nicht eine Handlung zuungunsten dieser Entwicklung getan oder unterlassen wird. Der Einwand, dass auch die "Natur" nicht alle befruchteten Eizellen einpflanzt, zählt hier nicht, weil die "Natur" nicht nach ihrer Verantwortung befragt werden kann. Wer die "Natur" nicht als ethisch restriktives Argument zu akzeptieren bereit ist, der sollte sie auch nicht als normatives Argument für Indifferenz einführen. Nicht vergessen sollte man zudem, dass der Embryo bereits über ein Geschlecht verfügt, männlich oder weiblich ist.
Handelt es sich aber beim Embryo um ein menschliches Lebewesen, dann muss zumindest von einem moralrelevanten Status gesprochen werden. Kann man von diesem Status her bereits behaupten, dass jeder Embryo ein Träger von individuellen Rechten ist, die seine Vernichtung oder auch nur seine Gefährdung ausschließen? Wer Embryonen nicht als Einzelne, sondern nur als besonderes, mit Pietät zu beachtendes "biologisches Material" durch besonders geringen und eingeschränkten Gebrauch schützen will, der verletzt bereits den dargestellten moralrelevanten Status eines menschlichen Lebewesens. Ich gehe davon aus, dass bereits die Zugehörigkeit zur Gattung Mensch eine über den Tierschutz hinausgehende besondere Schutzwürdigkeit enthält.
Aber geht es nicht um mehr? Die "katholische Position" insistiert darauf, dass der Embryo "wie eine Person" zu behandeln sei. Diese Formulierung ist insofern vorsichtig, als nicht einfach eine Identität von Embryo und Person behauptet wird. Freilich wird behauptet, man könne wegen der Entwicklungseinheit des Menschen und wegen ihrer durch keine noch so signifikante Entwicklungsstufe aufhebbaren Kontinuität - schließlich auch wegen der unabsehbaren Folgen, die sich auch auf anderen Gebieten zeitigen würden, wenn man einmal zwischen Mensch und Mensch im Hinblick auf personale Qualität unterschiede - Mensch und Person nicht voneinander trennen und zwei Ebenen zuweisen. Das Hauptargument ist also hier die Kontinuität des Menschseins und seine Untrennbarkeit. Von daher ergibt sich ein moralischer Status, der dem Embryo den vollgültigen Lebensschutz zugesteht und verbrauchende Embryonenforschung nicht gestattet. Hält man an diesem Status fest, dann kann das Leben als fundamentales Rechtsgut auch nur mit gleichrangigen Gütern abgewogen werden: Leben gegen Leben, aber nicht gegebenes Leben gegen Qualitätserwerbungen an das Leben, das erst in der Zukunft liegt.
Diese Position, ihrerseits philosophisch begründet - denn eine theologische Position kann sich, schon mangels positiv überzeitlicher Sätze der Offenbarung auf diesem Felde, nur philosophisch begründen -, wird philosophisch angegriffen. Ohne hier auf alle einschlägigen Argumente einzugehen, möchte ich festhalten, dass ein an kognitive Qualitäten gebundener Personbegriff jedenfalls der christlichen Tradition nicht entspricht, die nicht erkenntnistheoretisch, sondern anthropologisch argumentiert. Von dieser Position her ist es auch ausgeschlossen, was sich im indifferenten Pragmatismus der beteiligten Wissenschaften eingespielt hat, nämlich dass man zwischen Embryonen mit zuerteiltem Einpflanzungsbonus und Embryonen mit zuerteiltem Forschungsmalus unterscheidet. Mit dieser Art von Dezisionismus erspart man sich gleich jede ethische Reflexion und Verantwortung.
Es besteht eine Neigung der Befürworter von verbrauchenden Embryonenversuchen, die medizinischen Optionen und die doch nur möglichen, keineswegs gewissen therapeutischen Optionen wie reale Güter zu behandeln. Aber die Forschung verbraucht jetzt und unwiederbringlich. Die Interessen zukünftiger Kranker sind wichtig, aber sie dürfen nicht in einer Gesellschaft, die alle einschlägigen Werte zu beachten hat, absolut gesetzt werden. Die gesellschaftliche Solidarität, die in der Bereitstellung von Forschungsmitteln zum Ausdruck kommt, muss auch Prioritäten der Solidarität setzen dürfen.
VI. Patente am Leben oder auf Leben?
Die Sprachpolitik in den Lebenswissenschaften stellt ein spezifisches Problem dar. So spricht man z. B. "vom nicht-reproduktiven Klonen", wenn man Klonen mit frühen menschlichen Embryonen in vitro meint. Damit hat sich seit 1997 die Ausdrucksweise verschoben: Galten vorher sogar noch Ei- und Samenzelle als "reproduktives" Material, so wird seit den ethischen Antworten auf die "Dolly"-Methode (1997) die Sprache der Reproduktion in den Mutterleib verschoben. Die Absicht ist klar: Man wollte durch sprachliches Splitting Freiraum für Klonexperimente in vitro gewinnen, nicht nur für entkernte und mit Stammzellen neu gefütterte Eizellen, sondern auch für Embryonen-Splitting, d. h. Teilungen mit totipotenten und genetisch identischen Embryonen (erste Versuche durch Gerry Hall 1993).
Als beim Europäischen Patentamt in München von Greenpeace und von staatlichen Stellen Einspruch gegen ein Patent erhoben wurde, das Embryomanipulationen in vitro mit deren möglicher Implantation, also Weitergabe an eine neue Generation, verband, bestätigte das Patentamt zwar den Irrtum in der Vergabe entgegen den Richtlinien, versuchte aber Splitting in vitro nicht als Klonmethode zu charakterisieren. Auch hier ist deutlich die Absicht spürbar, durch Neuprägungen und Einengungen von Begriffen den Überblick zu erschweren und Beruhigung zu schaffen. So schlug auch die europäische Beratergruppe für Ethik in den neuen Technologien jüngst in einem Schreiben an EU-Präsident Prodi vor, nur das reproduktive Klonen in der Charter für europäische Grundrechte zu indizieren.
Der stärkste Eingriff in einen bestehenden und rechtserheblichen Sprachgebrauch ist jedoch mit der europäischen Patentierungsrichtlinie (1998) verbunden, deren Ausführungsbestimmungen in Deutschland unmittelbar anstehen. Denn hier werden letztlich doch, trotz der eindeutigen Bindung der Patentvergabe an Erfindungen, Entdeckungen an menschlichen Genen sowie diese selbst, die ja nicht hergestellt werden, so wenig wie gentechnisch veränderte Mäuse, mit Patenten versehen. Ein isolierter Bestandteil des menschlichen Körpers, einschließlich einer Gensequenz, kann nämlich ebenso wie ein transgenes Tier als patentierbare Erfindung gelten, wenn eine gewerbliche Anwendbarkeit vorliegt. Damit ist die Forderung "Kein Patent auf Leben" nicht erfüllt worden. Denn das Leben selbst ist nun einmal keine Erfindung. Der Erfindungsvorbehalt konnte somit nur mit zwei Vorstellungen umgangen werden: Erstens, das bloß kopierte Gen sei durch die Kopie wesentlich etwas Anderes, obwohl es bloß isoliert ist und damit identisch bleibt; zweitens, das spezifische Patent auf das so genannte "biologische Material" (so die amtliche Sprache) wird als Beipack für Verfahrenspatente verstanden oder für Produktpatente, die beide unbestritten sind. Um diesen Vorgang zu durchschauen, muss man wissen, dass Verfahrenspatente (für innovatorische Verfahren der Generfassung), "Stoffpatente" (Patente auf Leben, Gene, Pflanzen und Tiere) und Produktpatente streng voneinander unterscheidbar und getrennt erteilbar sind. Gegenstand der ethischen Auseinandersetzung um die Patente, sei es, um die Forschungsfreiheit zu bewahren, sei es, um Abhängigkeiten in der Landwirtschaft der Dritten Welt zu verringern, sind allein die "Stoffpatente", in welchen Entdeckungen zu Erfindungen stilisiert werden. Dagegen haben die Niederlande und Italien vor dem Europäischen Gerichtshof Einspruch erhoben.
In der Patentierungsrichtlinie ist durchaus ein hoher ethischer Aufwand betrieben worden. So können ganze Pflanzensorten und Tierrassen nicht patentiert werden. Auch Erfindungen, die gegen die öffentliche Ordnung und gegen die guten Sitten verstoßen, dürfen nicht patentiert werden: dazu gehört das Klonen von Menschen (deshalb die Versuche des Europäischen Patentamtes, nur die Dolly-Methode als Klonen zu bezeichnen), die Veränderung der menschlichen Keimbahn und die Teile des menschlichen Körpers als solche bzw. im Naturzustand. Diese ethischen Einschränkungen werden dadurch noch deutlicher, dass Patente ja keine Freifahrtscheine ausstellen, Forschungsexperimente gegen die Gesetze eines Landes oder gegen gesetzlich wirksame Verträge bzw. Richtlinien durchzuführen. Alle diese Einschränkungen können jedoch nicht verdecken, dass Patentierung nicht nur an Leben, sondern auch auf Leben möglich geworden ist. Ein hoher Druck der Begehrlichkeit liegt zudem auf der Einengung ethischer Begriffe und der damit verbundenen Werte.
Wenn das Europäische Patentamt ein Patent auf ein Derivat aus dem Öl des indischen Neembaumes widerruft, so nicht deshalb, weil der Stoff in der Natur vorkommt, sondern weil die Neuheit der Gewinnungsmethode zweifelhaft war. Zwar ist das Patentrecht um Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den befristeten Nutzungsprivilegien der Wirtschaft bemüht, aber die Goldader der Genomforschung, d. h. die eigentliche Zuordnung genetischer Informationen zu ihren Funktionen, steht noch aus - und vor allem die Erkenntnis, was man für die Menschheit Nützliches damit machen kann. Aber das "biologische Material" ist in dem großen Jackpot, in den es eigentlich nicht hinein gehört. Denn was wir erfinden können, sind Verfahren und Anwendungen; was wir nicht erfinden können und worauf wir auch kein Privileg oder Patent nehmen können, ist das Leben selbst.