I. Einleitung
Im Juli 1997 begann mit der Freigabe des Wechselkurses des thailändischen Baht die Asienkrise. Diese Wirtschaftskrise stellt eine Zäsur für die Weltwirtschaft dar. Die Asienkrise war keine kleine, zyklische Wirtschaftskrise, sondern legte die systemischen Mängel der heutigen Weltwirtschaftsordnung offen. Nach dieser Krise wird das lange dominante, vor allem auf Deregulierung und Liberalisierung der Wirtschaft setzende neoliberale Modell mehr und mehr in Frage gestellt. Insbesondere internationale Finanzmärkte sind in die Kritik geraten. Vor allem dort habe man es, so zahlreiche Beobachter, in zunehmendem Maß mit Spekulation und irrationaler Übertreibung zu tun.
Die südost- und ostasiatischen Krisenländer haben sich zum Teil extrem rasch von der Krise erholt. Insbesondere Südkorea hat innerhalb von zwölf Monaten auf einen Wachstumspfad zurückgefunden und die optimistischsten Prognosen deutlich übertroffen. Falsch wäre es hingegen, daraus den Schluss zu ziehen, die Asienkrise sei bereits in der gesamten Region ökonomisch und politisch überwunden.
Die Asienkrise hat aber das Fundament für ostasiatische Kooperation gestärkt. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass die Asienkrise einen Wendepunkt der supranationalen regionalen Zusammenarbeit in Ostasien markiert. Deutlich erkennbar sind heute Versuche, die Region durch Maßnahmen der monetären Kooperation weniger anfällig für neue Krisen und damit zugleich weniger abhängig von den Ländern des Westens und dem von den USA dominierten Internationalen Währungsfonds zu machen. Die Erfahrungen mit der Politik des Internationalen Währungsfonds (IWF) und das Unvermögen, diese Politik entscheidend modifizieren zu können, haben zur Suche nach Alternativen geführt. In Ostasien zeichnet sich eine neue Form der regionalen Zusammenarbeit, ein monetärer Regionalismus, ab.
Außerhalb der Region ist der erste Reformeifer bereits wieder erloschen. Mit dem Titel "neue Finanzarchitektur" wurden Erwartungen geweckt, die nicht realisiert werden können. Eine neue, globale Währungsordnung ist nicht in Sicht. Auch die internationalen Finanzmärkte sollen, betrachtet man die wichtigsten gegenwärtig vorliegenden Konzepte, eher einer milden Reform denn einer radikalen Veränderung unterworfen werden.
In diesem Beitrag wird zunächst die Ursache der Krise in groben Zügen dargestellt. Im Anschluss betrachte ich die recht unterschiedlich verlaufene wirtschaftliche Erholung in den einzelnen Ökonomien. Dann werden die wichtigsten Vorschläge für die Reform des internationalen Finanzsystems erörtert. Die Darstellung der bisher erfolgten Schritte hin zu einem monetären Regionalismus in Ostasien sowie einige theoretische Überlegungen zu diesem Konzept schliessen sich an. Im letzten Punkt diskutiere ich die Konsequenzen dieser Entwicklung für das internationale Finanzsystem.
II. Entstehung der Krise
Die Asienkrise, dies gilt es bei der Analyse stets zu bedenken, war in den betroffenen Ländern sowohl eine Währungs- als auch eine Kreditkrise. Diese beiden Facetten der Krise verstärkten sich wechselseitig: Der Abzug von ausländischem Kapital verschärfte den Druck auf die betroffenen Währungen, und gleichzeitig fiel es den im Ausland in Fremdwährung verschuldeten Banken und Unternehmen immer schwerer, ihre Schulden zu bedienen.
Bei der Analyse der Asienkrise liegen zwei sich grundsätzlich unterscheidende Ansätze vor. Der IWF, insbesondere der stellvertretende geschäftsführende Direktor des Fonds, Stanley Fischer, hat die Krise als vorwiegend hausgemacht, als "mainly homegrown", beschrieben. Die von mir vertretene Gegenposition zielt hingegen eher auf die externen Faktoren ab. Gegenüber den Ansätzen, die ein erhebliches Maß an Verschulden bei der nationalen Wirtschaftspolitik diagnostizieren, sind nämlich drei Vorbehalte anzubringen:
- Warum sind die Fehlentwicklungen, wenn sie denn so wichtig waren, nicht vor Ausbruch der Krise identifiziert worden?
- Weshalb sind die gleichen Modelle, die die spektakulären Wachstumserfolge der vergangenen 30 Jahre ermöglichten, plötzlich für den größten Finanzkrach seit 1929 verantwortlich?
- Warum hat es einen Ansteckungseffekt in der gesamten Region gegeben, von dem beispielsweise auch sehr solide wirtschaftende Ökonomien wie Singapur betroffen waren?
Erklärungen, die lediglich auf die Versäumnisse der nationalen Wirtschaftspolitik bauen, können keine überzeugenden Antworten auf diese drei Fragen liefern. Allerdings haben diese Krisenerklärungen durchaus eine Funktion: Bei einem vorwiegend auf Fehler der nationalen Wirtschaftspolitik basierenden Erklärungsmuster muss weder das weltwirtschaftliche Ordnungsmodell noch die Politik der multilateralen Institutionen, insbesondere des IWF, in Frage gestellt und möglicherweise in Zukunft neu gestaltet werden.
Eine Reihe von Faktoren trugen zum Ausbruch und zur Verschärfung der Asienkrise bei. Ich möchte zehn Punkte vorstellen, die dafür von Relevanz sind. Interne Faktoren spielen in meiner Analyse eine untergeordnete Rolle. Allerdings erklärt kein Faktor alleine die Krise, sondern die Summe der Ursachen ist für die Tiefe der Krise verantwortlich
1. Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen und Deregulierung der Finanzsysteme
In den achtziger Jahren hatten die späteren Krisenländer eine große Zurückhaltung in Hinblick auf die Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen gezeigt. In den neunziger Jahren hingegen setzten sich die Befürworter einer Liberalisierung der Kapitalmärkte durch. Das zentrale Argument war die Steigerung der Effizienz der Finanzsysteme, d. h. niedrigere Finanzierungskosten für inländische Kreditnehmer. Im Falle Südkoreas war die Abschaffung von Kapitalverkehrskontrollen die Voraussetzung für den Eintritt in die OECD. Der IWF und die Weltbank sowie die einheimischen Unternehmen, die sich eine Senkung ihrer Kreditkosten erhofften, waren die wichtigsten Akteure, die die Liberalisierung befürworteten
Im Rückblick lässt sich feststellen, dass die Steigerung der Effizienz erkauft wurde mit einer Zunahme der Instabilität und Volatilität. Die Liberalisierung machte die späteren Krisenländer verwundbar gegenüber spekulativen Attacken auf ihre Währung
2. Ungenügend vorbereitete nationale Finanzsysteme
Die inländischen Finanzsysteme waren auf die Öffnung und Deregulierung ungenügend vorbereitet. Die Erfahrungen anderer Länder haben die Risiken der Deregulierung ohne ausreichende Ausbildung der inländischen Akteure und ohne Entwicklung angemessener Strukturen der nationalen Finanzsysteme deutlich gezeigt. Beispielsweise machten die Schuldenkrisen Lateinamerikas in den frühen achtziger Jahren klar, dass eine hohe private Außenverschuldung eine Volkswirtschaft in eine sehr prekäre Lage bringen kann
Im Ergebnis führte die Anhäufung von kurzfristiger privater Verschuldung im Ausland zu einem Zustand der Verwundbarkeit der asiatischen Ökonomien. Kapitalabflüsse und die von ihnen verstärkten Abwertungen der Währungen und fallende Kurse für Aktiva verschärften den Druck auf die einheimische Wirtschaft. Dieser Teufelskreis hat sich weiter verstärkt, als die Probleme im Finanzsektor zu einer Verknappung von verfügbaren neuen Krediten im Inland führten, womit die reale Ökonomie direkt unter Druck geriet und die Wirtschaftsleistung zurückgehen musste
3. Wenig ausgeprägtes Verständnis für Risiken bei Schuldnern und Gläubigern
In Asien, so hatte es zumindest den Anschein, haben nicht nur Wirtschaftspolitiker, sondern ganze Gesellschaften die Risiken ihrer Aktivitäten ignoriert. Obwohl dies aus heutiger Sicht unverständlich erscheint, sollte der wirtschaftliche Hintergrund dieser Fehleinschätzungen nicht übersehen werden. Die späteren Krisenländer hatten ein beeindruckendes wirtschaftliches Wachstum erlebt. Südostasien feierte sich als eine Region, die dem Westen überlegen zu sein schien.
Das hohe Wachstum in der Region führte zur Selbstgefälligkeit. Die gesamte Region litt unter "irrational exuberance". Aber es wäre falsch, nur bei den Schuldnern Sorglosigkeit und mangelndes Verständnis für Risiken zu konstatieren. Die westlichen Gläubiger haben durch die leichtfertige Vergabe von Krediten die Krise mit verursacht.
4. Die ungelösten Probleme in Japan
Japan trägt ein erhebliches Maß an Verantwortung für die Asienkrise. Der Grund dafür liegt in den ungelösten Problemen des japanischen Finanzsektors, die zu einem massiven Kapitalexport führten, der im Ergebnis zur Destabilisierung der asiatischen Krisenökonomien beitrug. Japans eigene Finanzkrise weist von ihrer Entwicklung her Parallelen zu Südostasien auf. In beiden Fällen wurde ein spekulativer Boom von Immobilien- und Aktienmärkten in Gang gesetzt. Der entscheidende Unterschied ist, dass ausländische Akteure in Japan keine Rolle spielten: Die Spekulationsblase war tatsächlich weitgehend hausgemacht.
Das Mittel zur Überwindung der Krise ohne eine starke Belastung der japanischen Wirtschaft war der historisch einmalig niedrige Zinssatz der japanischen Zentralbank. Der Diskontsatz wurde im April 1995 von 1,75 auf 1,0 Prozent gesenkt und beträgt seit September 1995 nur 0,5 Prozent, hat also eher den Charakter einer Bearbeitungsgebühr. Damit waren für die japanischen Banken und Unternehmen eine Reihe von Vorteilen verbunden. Sie konnten sich im Inland zu sehr geringen Kosten mit Kapital versorgen und damit sehr aggressiv auf Auslandsmärkten aktiv werden. Statt der Abschreibung problematischer Kredite in größerem Maßstab wurde ein Krisenexport betrieben.
5. Die neue Marktmacht von Spekulanten
Zu Beginn der Krise wurde sehr viel über den Einfluss von Spekulanten auf die Währungskrisen gesprochen. Vor allem der malaysische Premierminister Mahathir Mohamad bezichtigte Spekulanten, gegen die Währungen der Krisenländer spekuliert zu haben, und nannte dabei mehrfach den Namen von George Soros. Zu fragen ist, ob Mahathirs Kritik einen realen Kern hat. Haben also international operierende Spekulanten eine neue Dimension der Marktmacht erreicht?
An dieser Stelle ist eine ausführliche Debatte dieser Frage nicht möglich
6. Institutionelle Investoren
Ein weiterer Punkt, der bei der Asienkrise berücksichtigt werden muss, ist die zunehmende Bedeutung von institutionellen Investoren, zu denen Pensionsfonds, Versicherungen und Investitionsfonds zu rechnen sind. Der Bedeutungszuwachs institutioneller Investoren hat die internationalen Finanzmärkte verändert. In den neunziger Jahren haben institutionelle Investoren die Banken als wichtigste Quelle von Kapitalflüssen in Entwicklungsländer abgelöst. Institutionelle Investoren haben aber die internationalen Finanzmärkte nicht stabilisiert, sondern im Gegenteil zu mehr Volatilität beigetragen. Diese Akteure ziehen nämlich das von ihnen verwaltete Kapital rascher als Banken aus einem bestimmten Land oder einer Region ab
7. Das pro-zyklische Verhalten der Rating- Agenturen
In engem Zusammenhang mit dem Verhalten der institutionellen Investoren steht der wachsende Einfluss der privaten Rating-Agenturen. Im Idealfall sollten Rating-Agenturen in der Lage sein, problematische wirtschaftliche Entwicklungen zu erkennen und davor zu warnen. Bedauerlicherweise ist dies nicht der Fall. In der Asienkrise versäumten es die Rating-Agenturen, auf die brisante Entwicklung hinzuweisen, um dann, als sich jeder Zeitungsleser über die wirtschaftlichen Probleme in Asien informieren konnte, die Bewertungen der Krisenländer in rascher Folge zurückzunehmen. Die Rating-Agenturen haben die pro-zyklische Tendenz der internationalen Finanzmärkte noch verstärkt. Nach Ausbruch der Krise breitete sich ein "irrationaler Pessimismus" (Joseph Stiglitz) aus, der weder von den Rating-Agenturen noch von anderen wichtigen Akteuren gebremst wurde.
Dabei gilt es festzuhalten, dass die wichtigsten Daten den Investoren bekannt waren. Vor allem die ungünstigen Schulden-Eigenkapital-Quoten und die schwachen Finanzsysteme waren keine unbekannten Größen. Das Versagen der Rating-Agenturen unterstreicht, dass sämtliche Systeme zur Risikovorsorge sowohl von privaten Investoren als auch von Regierungen nicht funktionierten.
8. Die Politik des IWF
Das Engagement des IWF in den asiatischen Krisenländern ist als gescheitert zu betrachten. Im Wesentlichen sind es drei Punkte, die dem IWF vorzuwerfen sind:
- Die fiskalpolitischen Empfehlungen des Fonds waren falsch. Auch ohne eine Präferenz für keynesianische Fiskalpolitik ist in einer Wirtschaftskrise zumindest eine neutrale Fiskalpolitik zu fordern. Der IWF hingegen hat, mitten in der Krise, Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen verordnet. Die Tatsache, dass der IWF seine Empfehlungen im Verlauf der Krise änderte und schließlich sogar eine anti-zyklische Fiskalpolitik zuließ, zeigt, wie verfehlt die ursprünglichen Maßnahmen waren.
- Die zinspolitischen Empfehlungen des IWF waren ebenfalls unangemessen. Der IWF riet zu drastischen Zinserhöhungen zur Verteidigung der rasch sinkenden Wechselkurse. Dabei hat der IWF unterstellt, dass zinspolitische Maßnahmen ausreichen, um die Wechselkurse zu verteidigen. In Entwicklungs- und Transformationsländern ist aber, dies zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre sehr deutlich, eine Verteidigung des Wechselkurses lediglich mit zinspolitischen Maßnahmen nicht möglich. Gleichwohl müssen die negativen Konsequenzen einer massiven Zinserhöhung von der inländischen Wirtschaft getragen werden. Für inländische Unternehmen steigen in einer solchen Situation nicht nur die Kosten von Fremdwährungskrediten, sondern auch von Krediten in inländischer Währung. Diese Rosskur haben zahlreiche asiatische Unternehmen auch nicht überlebt.
- Schließlich hat der IWF die Auswirkungen seiner Empfehlungen auf die internationalen Finanzmärkte nicht angemessen berücksichtigt. Die Forderungen nach umfassenden Wirtschaftsreformen mussten die Panik der internationalen Investoren noch verstärken. Während bis zum Ausbruch der Krise niemand am wirtschaftlichen Erfolg der asiatischen Schwellenländer zweifelte, sorgte in der Konfusion des Jahres 1997 jede schlechte Nachricht für eine Selbstverstärkung der Panik.
Der IWF war darauf fixiert, Gläubiger zu schützen und fungierte als Gläubigerkartell. Die Interessen der betroffenen Länder wurden bestenfalls in zweiter Linie berücksichtigt
9. Das Fehlen einer regionalen Macht
Schließlich hat keine regionale Macht die Ausbreitung der Krise zu verhindern versucht. Den konstruktivsten Beitrag leistete sicherlich China, das seine Währung nicht abwertete und damit einen Beitrag zur Stabilisierung der Region leistete. China fiel dies auch relativ leicht, da es über umfassende Kapitalverkehrskontrollen und hohe Devisenreserven verfügt. Zudem war die chinesische Währung 1994 bereits massiv von 5,7 auf 8,7 Renminbi pro US-Dollar abgewertet worden.
Versagt hat allerdings Japan. Die politische Schwäche Japans zeigte sich sehr deutlich im Herbst 1997, als ein asiatischer Währungsfonds ins Gespräch gebracht wurde. Der "Asian Monetary Fund" (AMF) sollte mit einem Kapital von 100 Mrd. US-Dollar ausgestattet werden und mehrere Funktionen ausüben: Die bereitgestellten Mittel sollten gegen Währungsspekulation eingesetzt werden, als Liquiditätshilfen bei akuten Zahlungsbilanzproblemen dienen und zugleich langfristig angelegte Restrukturierungsmaßnahmen finanzieren helfen. Politisch ist der AMF als Versuch eines eigenständigen Weges zu sehen: Er beinhaltet, ähnlich wie der "East Asian Economic Caucus" (EAEC), ein Element des "Thinking East Asian", also der bewussten Abgrenzung vom Westen und dessen Werten
10. Die Schwäche der regionalen Institutionen
Schließlich fehlte auch eine regionale Institution, die eine gemeinsame Strategie zur Bewältigung der Krise hätte formulieren können. Die asiatisch-pazifische Wirtschaftsgemeinschaft APEC hat in der Krise keine eigenen Pläne vorgelegt. Vielmehr wurde das Vorgehen des IWF im Rahmen der APEC-Jahrestagung im November 1997 ausdrücklich unterstützt. Erst im Vorfeld der Jahrestagung 1998, die in Malaysia stattfand, wurde auf australische Initiative hin versucht, einen APEC-Beitrag zur Krisenbewältigung zu formulieren. Aber selbst wenn dieser Plan realisiert worden wäre, hätte er kaum noch sinnvolle Ergebnisse hervorbringen können. Dafür kam die australische Initiative einfach zu spät.
Während im Jahr 1998 die gesamte Region, mit Ausnahme Chinas, unter Rückgängen der Wirtschaftsleistung litt, weisen die Daten für 1999 auf eine rasche wirtschaftliche Erholung hin, vor allem in Südkorea. Die Steigerung der Wirtschaftsleistung um mehr als zehn Prozent übertraf alle Erwartungen. Schwierig bleibt hingegen die Situation in Indonesien, das von allen betroffenen Ländern nicht nur den drastischsten Einbruch der Wirtschaftsleistung erlebte, sondern von einer anhaltenden Stagnation der Wirtschaft geprägt ist (vgl. Tabelle 1).
Auch hinsichtlich der Reformen in den einzelnen Ländern ergibt sich ein sehr differenziertes Bild. Erneut steht Südkorea an der Spitze sowohl in Hinblick auf die "corporate governance" der Unternehmen als auch auf die Restrukturierung des Finanzsektors. Beispielsweise wurden 1999 mehr als 80 Prozent der als notleidend eingestuften Kredite in Südkorea an eine öffentliche Agentur transferiert. Der Finanzsektor konnte dadurch rasch seine Handlungsfähigkeit zurückgewinnen
III. Reform des internationalen Finanzsystems
Nach der Asienkrise werden Reformen des internationalen Finanzsystems auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert. Es fällt auf, dass das Thema "Neue Währungsordnung" gemieden wird. Dies muss überraschen: In allen Finanzkrisen der letzten Zeit standen Währungsturbulenzen im Mittelpunkt. Deshalb wurde auch vielfach eine Verstetigung der Wechselkurse zwischen den großen Industrieländern gefordert. Wenngleich die Forderung nach Zielzonen zwischen Euro, Dollar und Yen aus dem Zentrum der Debatte verschwunden ist, gibt es nach wie vor prominente Befürworter eines solchen Konzeptes. In einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie des amerikanischen "Council on Foreign Relations" fordern so unterschiedliche Akteure wie der Chef von Xerox, Paul Allaire, Fred Bergsten, George Soros und Paul Volcker die Schaffung einer neuen, stabilen Währungsordnung. In erster Linie zwischen den drei Polen USA, EU und Japan müsse eine neue Wechselkursordnung eingeführt werden, bevorzugt in der Form von relativ weiten Zielzonen. Eine neue Finanzarchitektur ohne eine neue Währungsordnung sei unvollständig, oder, in den Worten der Autoren, "like watching Hamlet without the Prince"
Die Tatsache, dass derartige Vorschläge in den Hauptstädten diesseits und jenseits des Atlantik gegenwärtig nicht diskutiert werden, liegt nicht primär an den damit verbundenen praktischen Problemen, sondern an der fundamentalen Störung der transatlantischen Beziehungen
Gleichwohl wird unterhalb einer großen Reform nach Möglichkeiten zur Verbesserung des gegenwärtigen Finanzsystems gesucht. Auf globaler Ebene ist vor gut einem Jahr das Forum für Finanzmarktstabilität geschaffen worden. Auf Initiative des damaligen Präsidenten der Bundesbank, Hans Tietmeyer, wurde eine Organisation zur Verbesserung der Stabilität von internationalen Finanzmärkten geschaffen. Im April 1999 nahm das "Financial Stability Forum" seine Arbeit auf. Unter der Leitung des Generaldirektors der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Andrew Crockett, arbeiten dort Vertreter der G-7- Staaten, von IWF, Weltbank, BIZ, OECD, der "International Organisation of Securities Commissions" (IOSCO) und anderen Institutionen zusammen.
Dem Forum für Finanzmarktstabilität wurde zunächst große Beachtung geschenkt, weil es sich in drei Arbeitsgruppen mit den brisantesten Aspekten der internationalen Finanzmärkte auseinandersetzte: grenzüberschreitendem, volatilem Kapitalverkehr, Hedge-Fonds (privat betriebene Kapitalsammelstellen, die das Geld von Privatanlegern verwalten) und Offshore-Bankzentren. Ende März 2000 fand in Singapur das dritte Treffen der Arbeitsgruppen statt, bei dem einige bemerkenswerte Vorschläge gemacht wurden.
Die Arbeitsgruppe zu so genannten "Highly Leveraged Institutions" (HLIs), worunter in erster Linie Hedge Funds zu verstehen sind, suchte Lösungen für zwei Probleme: Zum einen zeigte die Erfahrung des Zusammenbruchs des amerikanischen Hedge-Fonds "Long-Term Capital Management" (LTCM) im August 1998, dass Hedge-Fonds die Stabilität des gesamten Finanzsystems gefährden können: LTCM hatte, mit einem Eigenkapital von unter fünf Mrd. US-Dollar, Kredite von Geschäftsbanken in Höhe von 125 Mrd. US-Dollar erhalten, mit denen dann spekulative Geschäfte im Umfang von 1250 Mrd. US-Dollar getätigt wurden
Von großer Bedeutung für Entwicklungs- und Schwellenländer sind die Empfehlungen der Arbeitsgruppe zu Kapitalströmen. Anders als dies viele Beobachter Mitte der neunziger Jahre unterstellten, wird von der Arbeitsgruppe ein störungsfreies Funktionieren von Märkten nicht angenommen. Es werden sowohl Schritte zur Schaffung von Transparenz, insbesondere über die aktuelle Aussenverschuldung einer Volkswirtschaft, als auch Maßnahmen des Staates zur Sicherung der Liquidität im Krisenfall empfohlen. Der hinter diesen Vorschlägen stehende Sinneswandel ist erstaunlich. Im Kern, um dies noch einmal zu betonen, hat die Arbeitsgruppe des Forums für Finanzmarktstabilität festgestellt, dass Finanzmärkte in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht immer funktionieren. Dies ist neu: Finanzminister und Zentralbankgouverneure der G-7-Länder zählten bislang zu entschiedenen Befürwortern von Deregulierung und Liberalisierung.
IV. Die künftige Rolle des Internationalen Währungsfonds
Der Internationale Währungsfonds, in den jüngsten Finanzkrisen heftig gescholten, beschäftigt sich heute sehr intensiv mit der Verbesserung seiner Arbeit. Ob dies lediglich der Versuch einer besseren Außendarstellung ist oder ob der Fonds künftig tatsächlich effektiver arbeiten wird, ist aus heutiger Sicht nicht zu beurteilen. Hier bleibt abzuwarten, welche Massnahmen der neue geschäftsführende Direktor des IWF, Horst Köhler, anregen wird. Die bislang vorliegenden Innovationen haben meist nur eine begrenzte Reichweite. Im Wesentlichen schlägt der Fonds die Verbesserung von Transparenz und internationalen Standards vor. Dies schadet zwar nicht, wird jedoch weder Überhitzungen noch Panik auf internationalen Finanzmärkten verhindern
Ein interessantes neues Instrument des IWF sind die "Contingency Credit Lines" (CCL). Die Schaffung dieser neuen Kreditlinien ist ein direktes Ergebnis der Erfahrungen der Asienkrise. Den Mitgliedsländern soll ermöglicht werden, im Falle einer Liquiditätskrise rasch auf Mittel des Fonds zurückgreifen zu können, ohne ein vollständiges Strukturanpassungsprogramm des IWF hinnehmen zu müssen. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Länder wie Südkorea oder Thailand nicht insolvent, sondern nur vorübergehend illiquide waren. Hätte es die Möglichkeit des Rückgriffs auf dieses neue, im April 1999 geschaffene Instrument bereits gegeben, wären die Auswirkungen der Krise vermutlich deutlich weniger dramatisch gewesen
Bei der Debatte über die künftige Arbeit des Fonds steht die Frage im Mittelpunkt, ob und wenn ja wie der IWF künftig eine aktivere Rolle bei der Verhinderung von Finanzkrisen und deren Bewältigung spielen soll. Soll der Fonds einen für alle Entwicklungs- und Schwellenländer verbindlichen Plan zur Liberalisierung der nationalen Finanzmärkte entwickeln, oder soll es beim bisherigen Vorgehen bleiben, die Intervention des Fonds also vor allem auf Krisenfälle beschränkt bleiben? Die bislang von amerikanischer Seite, vor allem von Finanzminister Larry Summers veröffentlichten Vorschläge lassen darauf schließen, dass die US-Administration den IWF zwar auf eine reine Krisenhilfe beschränken will, diese aber nur an gelehrige Musterschüler verteilen möchte. Wer nicht dem Rat des IWF folgt und seine Kapitalmärkte nicht vollständig liberalisiert, bekommt in der Krise keine Unterstützung
Es liegt auf der Hand, dass Entwicklungs- und Schwellenländer diesem Diktat nicht bereitwillig folgen werden. Der Versuch, den Fonds noch stärker als bisher zur Durchsetzung von Gläubigerinteressen zu verwenden, könnte letztlich zu einer Abkehr vom IWF führen. Ähnlich wie beim Versuch, das multilaterale Abkommen zum Schutz von Investitionen (MAI) an den Betroffenen vorbei zu entwickeln, könnte auch die von Larry Summers initiierte IWF-Reform auf unerwarteten Widerstand stoßen.
V. Monetärer Regionalismus in Ostasien
Erste Belege für eine Abkehr vom Internationalen Währungsfonds finden sich in Südost- und Ostasien. Die Politik des IWF wurde dort zu Recht als demütigend und verfehlt wahrgenommen. Seit der Überwindung der schlimmsten Auswirkungen der Krise wird in Ostasien über eine intensivere regionale Zusammenarbeit diskutiert. Das regelmäßig stattfindende ASEAN-Gipfeltreffen wurde 1999 um Japan, China und Südkorea erweitert. Während des Treffens, das am 27./28. November 1999 in Manila stattfand, wurde eine ambitionierte Planung verabschiedet. Der Vorsitzende des Treffens, der philippinische Präsident Joseph Estrada, erwähnte gegenüber den Medien die Ziele gemeinsamer Markt, Währungsunion und Ostasiatische Gemeinschaft
Ende März dieses Jahres wurden im Rahmen der vierten ASEAN-Finanzministertagung erste Einzelheiten des neuen Projektes bekannt. Geplant ist der Aufbau einer regionalen Liquiditätshilfe. Im Krisenfall sollen die Zentralbanken der teilnehmenden Länder raschen Zugriff auf einen Teil der Währungsreserven der anderen Staaten haben
Betrachtet man die Währungsreserven der Zentralbanken Ostasiens (s. Tabelle 2), wird deutlich, dass die Region über ausreichende Mittel verfügt. Selbst wenn nur zehn bis 15 Prozent der Währungsreserven für den regionalen Liquiditätsfonds bereitgestellt werden würden, würde dies zur Verhinderung von Liquiditätskrisen völlig genügen. Die Schaffung eines regionalen Liquiditätsfonds könnte der Beginn eines auf monetärer Kooperation basierenden Regionalismus in Ostasien bilden. Denkbar wäre, dass in einem zweiten Schritt regionale Institutionen, z. B. der Bankenaufsicht, geschaffen werden würden. Anschließend erscheint die Schaffung von Wechselkurszielzonen und langfristig einer gemeinsamen Währung in Ostasien möglich, ohne dass dabei auf klassische Schritte der regionalen Integration, also eine Freihandelszone oder eine Zollunion, zurückgegriffen werden müsste
VI. Schlussbemerkungen
Die Konturen dieses ostasiatischen Integrationsprojektes sind gegenwärtig gewiss noch sehr undeutlich. Es erscheint aus heutiger Sicht nicht unrealistisch, mittelfristig die Entwicklung eines "East Asian Financial Caucus" zu erwarten. Denkbar ist, dass in Ostasien eine neue Form zur Realisierung regionaler Integration, ein monetärer Regionalismus, geschaffen werden wird. Entscheidend für das Gelingen dieses Projektes wird letztlich, neben einer angemessenen Form der Implementierung, der politische Wille der beteiligten Regierungen sein. Nach der Asienkrise spricht viel für die Schaffung eines neuen, regionalen Regimes zur Verhinderung neuer Finanz- und Währungskrisen.
Diese Entwicklung von regionalen Währungsräumen, die sich in Ostasien, aber auch im Mercosur ankündigt, ist dabei sowohl eine Chance für die teilnehmenden Länder als auch eine Gefahr für die multilaterale Ordnung. Die Asienkrise könnte sich mittelfristig als Katalysator für die Integration Ostasiens erweisen. Der Internationale Währungsfonds würde dabei Gefahr laufen, für den am schnellsten wachsenden Pol der Weltwirtschaft entscheidend an Bedeutung zu verlieren.
Internetverweise des Autors:
IWF: www.imf.org
Forum für Finanzmarktstabilität: www.fsforum.org
Institute for International Economics: www.iie.com
Centre for the Study of Globalisation: www.csgr.org
Institut für Entwicklung und Frieden: www.inef.de