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Deutschland und die Reform der internationalen Finanzarchitektur | Internationale Finanzpolitik | bpb.de

Internationale Finanzpolitik Editorial Globalisierung und internationales Finanzsystem Deutschland und die Reform der internationalen Finanzarchitektur Ostasien nach der Krise: Interne Reformen, neue Finanzarchitektur und monetärer Regionalismus Die Finanzkrise in Russland im Gefolge der Asienkrise Finanzkrisen, Währungskrisen, Wirtschaftskrisen: Konstanten des lateinamerikanischen Entwicklungsprozesses?

Deutschland und die Reform der internationalen Finanzarchitektur

Michael Kreile

/ 24 Minuten zu lesen

Die Bemühungen um eine Reform der internationalen Finanzarchitektur sind nicht bloß eine Reaktion auf die Häufung von internationalen Finanzkrisen. Gleichfalls sind sie Ausdruck einer gewissen Unzufriedenheit mit der Arbeit des IWF.

I. Einleitung

Forderungen nach einer Reform der internationalen Finanzarchitektur sind ein Topos der Globalisierungsdebatte, eine Reaktion auf die Häufung von internationalen Finanz- und Währungskrisen in den neunziger Jahren und Ausdruck verbreiteter Unzufriedenheit mit der Arbeit der internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere des Internationalen Währungsfonds (IWF). Kritikern der Globalisierung gilt die Herausbildung eines Zeitzonen und Kontinente umspannenden Systems internationaler Finanzmärkte als Quelle weltwirtschaftlicher Instabilität und wachsender sozialer Ungleichheit. Eine Bedrohung der Demokratie sehen sie darin, dass nationale Wirtschaftspolitik sich dem Diktat der internationalen Finanzmärkte unterwerfen müsse. Eine Koalition deutscher Nichtregierungsorganisationen fordert deshalb u. a. die Besteuerung internationaler Finanztransaktionen, die "Schließung" von Steuerparadiesen, das "Verbot von spekulativen Derivaten" und die "demokratische Umgestaltung internationaler Finanzinstitutionen" .

Die Finanz- und Währungskrisen der neunziger Jahre, die vor allem die aufstrebenden Volkswirtschaften ("emerging markets") Lateinamerikas und Asiens hart getroffen haben und groß angelegte Rettungsaktionen des IWF auslösten, haben Finanzminister, Notenbanken und Bankaufsichtsbehörden dazu veranlasst, Reformen in Angriff zu nehmen, die für wirksamere Krisenvorbeugung und besseres Krisenmanagement sorgen sollen. In der Diskussion über die Lehren, die es aus der Asienkrise zu ziehen gelte, ist der IWF ins Kreuzfeuer der Kritik geraten - und zwar ironischerweise vor allem in den USA. Waren es früher meist linke Kritiker gewesen, die den Stabilisierungsprogrammen des IWF für Schuldnerländer falsche Prioritäten und entwicklungspolitisch schädliche Auflagen ankreideten, warfen nun führende amerikanische Ökonomen dem IWF vor, den asiatischen Krisenländern die falschen, weil die Krise noch verschärfenden Rezepte verordnet zu haben. Im amerikanischen Kongress formierte sich ein Lager der Kritik von rechts, das dem IWF vorhielt, er habe mit seinen Rettungsaktionen zu Lasten der Steuerzahler Banken und Anleihegläubiger vor Verlusten bewahrt und damit deren Neigung zu unvorsichtigem Verhalten gefördert. Nur wenige gingen so weit, die Abschaffung des IWF zu fordern, aber die vom Kongress eingesetzte "Meltzer-Kommission" legte im März 2000 weitreichende Vorschläge zur Neubestimmung der Aufgaben von IWF und Weltbank vor. Die Debatte in den USA ist bisher geführt worden, als ob die Reform des IWF eine inneramerikanische Angelegenheit sei. Dieser dominante Stil prägte auch die amerikanische Reaktion auf den ersten deutschen Vorschlag für das Amt des Geschäftsführenden Direktors des IWF, wobei ein Teil der deutschen Medien dem amerikanischen Schatzminister in die Hände spielte. Die EU-Mitglieder haben es hingegen noch nicht vermocht, durch gemeinsame Vorschläge die Reformdiskussion öffentlichkeitswirksam mitzubestimmen.

Wenn von der internationalen Finanzarchitektur die Rede ist, so sollte darunter nicht ein am Reißbrett entworfenes oder neu zu konzipierendes Institutionengefüge verstanden werden. Vielmehr handelt es sich dabei um einen Sammelbegriff, der die Institutionen und Regelwerke bezeichnet, welche der Regulierung und Stabilisierung der internationalen Finanz- und Währungsbeziehungen dienen. Dazu zählen neben dem IWF und der Weltbankgruppe die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) als Kooperationszentrum der G-10-Zentralbanken sowie der in diesem Rahmen geschaffene Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, der sich eine stärkere internationale Harmonisierung der Bankenaufsicht zur Aufgabe gemacht hat . Die für die Beaufsichtigung von Wertpapiermärkten zuständigen Behörden sind in der International Organisation of Securities Commissions (IOSCO) zusammengeschlossen . Die G 7 (Siebenergruppe), der Klub der sieben wichtigsten Industriestaaten, hat in den letzten Jahren Maßnahmen zur "Stärkung der internationalen Finanzarchitektur" hohe Priorität eingeräumt und sich zum wohl wichtigsten Steuerungsgremium für die Reform der internationalen Finanzinstitutionen entwickelt. Ferner verdient der Pariser Club Erwähnung, eine von Fall zu Fall einberufene Konferenz von Gläubigerregierungen, in der mit Schuldnerländern über die Umschuldung öffentlicher Schulden verhandelt wird.

II. Liberalisierung und Krisenanfälligkeit von Finanzmärkten

Finanzmärkte haben die Funktion, Ersparnisse in Investitionen zu verwandeln, und bewirken, sofern sie von nationalen Kapitalverkehrsbeschränkungen befreit sind, die effiziente Allokation von Kapital in der Welt. Sie ermöglichen, dass Anlagekapital dorthin fließt, wo es die höchste Rendite erzielt oder die beste Risikostreuung in Bezug auf anderswo getätigte Anlagen erreicht. Für Ökonomen ist dies das stärkste Argument, das die Empfehlung stützt, den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr von Beschränkungen zu befreien . Dies ist auch die Ratio für die Freiheit des Kapitalverkehrs im europäischen Binnenmarkt. Die Schwellenländer Asiens und Lateinamerikas haben ihre Finanzmärkte liberalisiert, um neben Direktinvestitionen auch ausländische Portfolioinvestitionen anzuziehen und damit ihren Wachstumsprozess durch externe Finanzierung zu beschleunigen. Im April 1997 schlug der Interimsausschuss des IWF vor, in das Übereinkommen über den IWF einen Artikel aufzunehmen, der die Förderung der geordneten Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs zur zusätzlichen Aufgabe des IWF machen würde.

Gleichwohl bleibt der Nutzen einer vollständigen Liberalisierung des Kapitalverkehrs vor allem im Hinblick auf Schwellenländer mit unzureichend regulierten Bankensystemen umstritten. Die Asienkrise hat einmal mehr gezeigt, dass kurzfristige Kapitalströme aus einem Land ebenso rasch abfließen können, wie sie zugeflossen sind, mit der Folge, dass die betreffende Volkswirtschaft abrupt von der Konjunkturüberhitzung in eine tiefe Rezession stürzt. Ohnehin entspricht dem Axiom, dass freier Kapitalverkehr weltweit für die effiziente Allokation von Kapital sorgt, keine zwingende empirische Evidenz. Sowohl die Finanzierung der hohen amerikanischen Budgetdefizite in den achtziger Jahren durch Auslandskapital als auch die kurzfristigen Anlagen in Mexiko oder Thailand in den neunziger Jahren sprechen gegen diese Annahme . Gerade die für Finanzmärkte charakteristischen Überreaktionen legen eine umsichtige Dosierung von Liberalisierung und Regulierung nahe.

Für die wachsende Krisenanfälligkeit der internationalen Finanzmärkte haben die neunziger Jahre eindrucksvolle Belege geliefert. 1994/95 war es die Flucht der Anleger aus dem mexikanischen Peso, die eine regionale Krise auslöste, als Brasilien und Argentinien ebenfalls hohe Kapitalabflüsse hinnehmen mussten . Ein solcher Ansteckungseffekt kennzeichnete auch den Verlauf der Asienkrise, die 1997 durch die Flucht aus dem thailändischen Baht ausgelöst wurde. Der Einbruch des Rubel auf den Devisenmärkten im Sommer 1998 veranlasste die russische Regierung, ein Moratorium für die Bedienung eines Teils der russischen Auslandsschulden zu verkünden, was bei den Anlegern zu einer weltweiten "Flucht in Qualität und Liquidität" führte . Die Währungen Mexikos und Brasiliens wurden dabei erneut in Mitleidenschaft gezogen. In den USA geriet ein großer Hedge Fund namens Long-Term Capital Management (LTCM) an den Rand des Zusammenbruchs und musste wegen der Gefahr von Kettenreaktionen im Finanzsystem durch eine von der Federal Reserve Bank of New York organisierte Rettungsaktion privater Banken und Wertpapierhäuser rekapitalisiert werden .

Der frühere Chefvolkswirt der Dresdner Bank hat das Verhaltensmuster der Finanzmärkte so charakterisiert: "Nicht zu bestreiten ist, dass die Finanzmärkte schwankungsanfälliger geworden sind. Erwartungsänderungen ziehen scharfe Korrekturen von Wechselkursen, Aktienkursen oder Anleiherenditen nach sich. Die Anlässe für solche Korrekturen stehen oft in keinem angemessenen Verhältnis zu den Kursänderungen." Die Schwankungs- und Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte ist letztlich nichts anderes als die Kehrseite der Liberalisierung des Kapitalverkehrs, die zuerst von den Industriestaaten, später dann auch von den Schwellenländern vorangetrieben wurde, um Wachstums- und Wohlfahrtsgewinne zu erzielen. Sie erwächst aus einer Kombination von Faktoren und Entwicklungstendenzen, die hier nur stichwortartig angeführt werden können , nämlich

- der Übergang zu einem System flexibler Wechselkurse im Jahr 1973, das einen hohen Bedarf an Instrumenten zur Absicherung gegen Kursschwankungen erzeugt hat;

- das explosionsartige Wachstum internationaler Transaktionen, das durch die Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien begünstigt worden ist;

- die Professionalisierung des Anlageverhaltens, ein Prozess, bei dem die Portfoliomanager institutioneller Investoren (Pensionsfonds, Versicherungen usw.) häufig eine Strategie kurzfristiger Renditemaximierung verfolgen, sowie

- der Herdentrieb der Banken und Anleger, der "die Achillesferse des globalen Finanzsystems" darstellt.

In Analysen der Asienkrise haben insbesondere Vertreter des Bankgewerbes die Verantwortung asiatischer Regierungen hervorgehoben, die durch wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen - wie das Festhalten an einem festen Wechselkurs gegenüber dem Dollar oder die laxe Beaufsichtigung des Finanzsektors - die Krise verursacht hätten . Andererseits haben die Finanzmarktakteure selbst trotz leistungsfähiger volkswirtschaftlicher Abteilungen und ganzer Scharen von Analysten Wasser auf die Mühlen inkompetenter, korrupter oder leichtsinniger Schuldner geleitet. Hierbei handelt es sich gewiss um eine Manifestation von Marktversagen. In ausgeprägter Form äußert sich dieses im Herdenverhalten, das auf asymmetrische (d. h. in unterschiedlichem Maße verfügbare) Information sowie Wettbewerbs- und Konformitätsdruck in der Finanzbranche zurückzuführen ist . Bei der leichtfertig großzügigen Kreditvergabe europäischer, japanischer und amerikanischer Banken an Länder wie Thailand und Korea dürfte auch die Erwartung mitgespielt haben, dass im Krisenfall die Ansprüche der privaten Gläubiger durch Auffangaktionen des IWF und anderer öffentlicher Institutionen befriedigt würden. Wenn die Aussicht, durch das Sicherheitsnetz öffentlicher Institutionen gerettet zu werden ("bail-out"), zu unbekümmerten Anlageentscheidungen oder leichtfertiger Kreditvergabe führt, so wird dies als "moral hazard" (moralisches Risiko) bezeichnet. Wenngleich es nach historischer Erfahrung kein Patentrezept gegen Finanzkrisen gibt , ist es doch die Aufgabe von Staaten und internationalen Finanzinstitutionen, das Regelwerk für die Finanzmärkte so anzupassen, dass deren Krisenanfälligkeit verringert und die Gefahr systemgefährdender Kettenreaktionen gebannt wird.

III. Krisenprävention und Krisenmanagement: Vorschläge und Ansätze

Die zahlreichen Vorschläge zur Reform der internationalen Finanzarchitektur lassen sich danach einteilen, ob sie mehr auf die Vorbeugung gegen Krisen oder auf deren Management gerichtet sind . Sie unterscheiden sich stark nach dem Grad ihrer Radikalität sowie ihrer politischen und technischen Realisierbarkeit. Es liegt auf der Hand, dass weitreichende institutionelle Neuerungen wie die Errichtung einer Weltzentralbank oder die Schaffung eines internationalen Konkursgerichtshofs, der für die geordnete Abwicklung von Schuldenkrisen zu sorgen hätte , keine Erfolgsaussichten haben. Denn damit wären nicht nur weitreichende Übertragungen von Souveränitätsrechten verbunden, sondern es müssten im globalen Rahmen neue Spielregeln für den Interessenausgleich zwischen Überschuss- und Defizitländern sowie zwischen Gläubigern und Schuldnern - ob öffentlich oder privat - festgelegt werden.

Ein ehrgeiziger Vorschlag zur Krisenprävention zielt darauf, die Schwankungen auf den Devisenmärkten dadurch zu verringern, dass zwischen den wichtigsten Währungen der Welt - Dollar, Euro und Yen - Zielzonen für die Wechselkurse vereinbart werden. Die Zentralbanken hätten dann durch Interventionen an den Devisenmärkten dafür zu sorgen, dass die Wechselkurse sich innerhalb der festgelegten Bandbreiten bewegen. Dieser Vorschlag ist unter Ökonomen umstritten, stößt auf den Widerstand der USA und wird derzeit von keiner der führenden Regierungen im Kreis der G 7 vertreten . Eine andere Empfehlung zur Wechselkurspolitik richtet sich an Entwicklungs- und Schwellenländer. Sie werden nach den Erfahrungen der Mexiko- und der Asienkrise davor gewarnt, eine Kursbindung gegenüber dem Dollar (oder einer anderen Leitwährung) einzugehen, weil sie damit zu Spekulationsattacken einladen würden. Die bei Nichtregierungsorganisationen besonders beliebte Tobin-Steuer (benannt nach einem Vorschlag des amerikanischen Nobelpreisträgers James Tobin) würde Devisentransaktionen mit einem Satz von 0,1-0,5 Prozent belegen und den Anreiz zur kurzfristigen Spekulation verringern. Die Einwände dagegen beziehen sich vor allem darauf, dass sie die höchst lukrative "große Spekulation" nicht abschrecken würde und aufgrund von Umgehungsmöglichkeiten schwer zu praktizieren wäre . Mehr Anklang bei Ökonomen findet hingegen die zeitweilige Besteuerung von Kapitalimporten nach chilenischem Muster, durch die der Zustrom kurzfristigen Kapitals zugunsten längerfristiger Engagements von Investoren gedrosselt werden kann .

Die von Regierungen und Notenbanken favorisierten Anstrengungen im Bereich der Krisenvermeidung konzentrieren sich auf die Verbesserung der Transparenz auf den Finanzmärkten, die Stärkung der Bankenaufsicht und eine intensivere Kooperation zwischen internationalen Finanzinstitutionen und Regulierungsbehörden.

Einer Erhöhung der Transparenz dienen international verbindliche Standards für die Bereitstellung makroökonomischer und finanzwirtschaftlicher Daten durch möglichst alle Mitgliedsländer des IWF, ferner die Einführung und Befolgung von Kodizes wie der 1998 beschlossene "IWF-Verhaltenskodex für fiskalische Transparenz" oder die Einführung eines "Kodex bewährter Praktiken für Transparenz im Bereich der Währungs- und Finanzpolitik". Andere Vorhaben zielen darauf, die privatwirtschaftlichen Akteure auf international harmonisierte Bilanzierungsstandards zu verpflichten . Dadurch sollen die Finanzmarktteilnehmer in die Lage versetzt werden, Risiken besser erfassen und bewerten zu können, doch sind davon nur begrenzte Disziplinierungseffekte zu erwarten.

Deshalb kommt der Stärkung der Bankenaufsicht und der Ausdehnung der Regulierung auf andere Finanzunternehmen wie Wertpapierfonds und Hedge Funds besondere Bedeutung zu. So arbeitet gegenwärtig der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht an einer Revision der Basler Eigenkapitalvereinbarung von 1988, die Mindestanforderungen an die Unterlegung von Kreditrisiken durch Eigenkapital stellt. Dabei sollen die Banken "zu einer Verbesserung ihres Risikomanagements durch genauere Risikomessung" gebracht werden . Der besseren Kontrolle von Risiken, welche die Stabilität des internationalen Finanzsystems gefährden, widmet sich das im Februar 1999 auf Initiative des damaligen Bundesbankpräsidenten Tietmeyer von der G 7 geschaffene Forum für Finanzstabilität (Financial Stability Forum, FSF). Darin sind neben den Finanzministerien, Notenbanken und Aufsichtsbehörden der G 7-Staaten auch andere Länder bzw. Finanzplätze wie Hongkong, Singapur und Australien vertreten, ferner IWF, Weltbank, BIZ, OECD und internationale Regulierungsorganisationen für die Wertpapier- und Versicherungsmärkte. Das Forum kann nur Empfehlungen verabschieden, also keine verbindlichen, mit Sanktionen bewehrten Regeln erlassen .

Die Umsetzung solcher Empfehlungen hängt wesentlich davon ab, inwieweit Länder mit wichtigen Finanzplätzen (wie die USA und Großbritannien) bereit sind, das Interesse an Systemstabilität über die Förderung ihres Finanzsektors zu stellen. Als Beitrag zur Krisenvermeidung ist auch die neue IWF-Kreditlinie für den Krisenfall (Contingency Credit Line) konzipiert. "Diese Fazilität soll Länder mit einer vernünftigen Schuldenstruktur und mit soliden makroökonomischen und strukturpolitischen Politiken, die außerdem Gläubiger in angemessener Weise in Konsultationen einbinden, vor Ansteckungsgefahren schützen." Zu einem guten Teil richten sich Empfehlungen zur Krisenvermeidung ohnehin an die Schwellenländer, denen eine solide makroökonomische Politik und eine effektive Regulierung ihres Finanzsektors nahe gelegt wird . Als Forum für den Dialog zwischen Industrie- und Schwellenländern ist die G 20 eingerichtet worden. Ihr gehören auch Länder wie China, Indien, Brasilien und Mexiko an.

Wenn die Krisenprävention versagt und einzelne Länder in eine Währungs- oder Schuldenkrise geraten, die womöglich per Ansteckung auf andere Länder übergreift, bleibt nach wie vor der IWF als wichtigste Instanz des Krisenmanagements gefordert. Vorschläge zur Krisenbewältigung sind häufig als Lehren aus der Asienkrise formuliert und zielen auf eine Reform von Aufgaben, Instrumentarium und Auflagenpolitik des IWF. Deshalb werden sie im folgenden Abschnitt behandelt. Ein zentrales Anliegen der G-7-Regierungen ist die Einbindung des Privatsektors, d. h. der Banken und Anleihegläubiger. Denn es gilt zu Recht als unvertretbar, dass mit teilweise gigantischen öffentlichen Finanzhilfen die Ansprüche privater Gläubiger befriedigt und diese damit vor den Folgen unvorsichtiger Kreditvergabe bewahrt werden. "Private Kreditvergabeentscheidungen müssen auf einer Einschätzung der potentiellen Risiken und Renditen einer Anlage beruhen und nicht auf der Erwartung, dass die öffentliche Hand Gläubiger vor nachteiligen Entwicklungen schützen wird." Folglich müssten etwa auch die Forderungen von Anleihegläubigern in Umschuldungen und Schuldennachlässe einbezogen werden. Die Modalitäten und Instrumente für die Einbindung des Privatsektors sind indessen selbst im Kreise der G 7 bislang umstritten.

IV. Die Reform des IWF

Nach der Gründungskonzeption von Bretton Woods (1944) sollte der IWF als Hüter eines Systems konvertibler Währungen und fester Wechselkurse fungieren. Im Falle vorübergehender Zahlungsbilanzdefizite sollte der Fonds den betroffenen Ländern kurzfristige Überbrückungskredite gewähren, um ihnen die Anpassung der Zahlungsbilanz zu erleichtern. Nach dem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse im Jahr 1973 verlagerte sich die Funktion des IWF auf die Überwachung der Wechselkurspolitik der Mitgliedstaaten, die zunehmend eine umfassende Prüfung der Wirtschafts- und Finanzpolitik im Rahmen der sog. Artikel-IV-Konsultationen einschloß. Die Aufgabe der Zahlungsbilanzfinanzierung entfiel faktisch seit Ende der siebziger Jahre im Verhältnis zu den Industrieländern, wurde aber - auch als Folge der Ölkrisen von 1973 und 1979 - in wachsendem Maße von Entwicklungsländern in Anspruch genommen. Die Formen und Bedingungen der Kreditvergabe wurden zunehmend ausdifferenziert und orientierten sich an der Einsicht, dass die Überwindung der Zahlungsbilanzkrisen von Entwicklungsländern mittel- bis längerfristige Hilfen erforderte und vielfach die Einleitung strukturpolitischer Reformen zur Voraussetzung hatte. In dem Maße, wie die Weltbank, deren Domäne die Entwicklungsfinanzierung ist, mit den Strukturanpassungsdarlehen in die Zahlungsbilanzfinanzierung einstieg, überschnitten sich zusehends die Aufgabenbereiche der beiden Bretton-Woods-Institutionen . In der Schuldenkrise der achtziger Jahre fiel dem IWF die Rolle des Koordinators für die finanziellen Stützungsoperationen von Regierungen, Notenbanken und Geschäftsbanken zu.

In den Krisen der neunziger Jahre stellte der IWF auch auf Drängen der amerikanischen Regierung immer größere Kreditpakete zusammen, die im Falle Mexikos (1995) 18 Prozent und im Falle Indonesiens (1997) fast 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichten . Vor allem die Politik des IWF in der Asienkrise stieß in den USA, aber auch in Europa auf heftige Kritik. Er habe nicht vor Fehlentwicklungen gewarnt, unbegründeterweise die Gefahr einer Systemkrise unterstellt, durch seine Hilfspakete den Leichtsinn der Gläubiger honoriert und damit Anreize für künftiges Fehlverhalten gegeben. Dazu habe er den Krisenländern die falsche Medizin in Form deflationärer Programme verordnet und dort die Hauptlast der Anpassung den ärmeren Bevölkerungsschichten aufgebürdet . Im amerikanischen Kongress, wo sich internationale Organisationen generell kritischer Aufmerksamkeit erfreuen, wurde die Kritik aufgegriffen, und der Gemeinsame Wirtschaftsausschuss beider Häuser (Joint Economic Committee) setzte im November 1998 eine Kommission unter Vorsitz des Wirtschaftswissenschaftlers Allan H. Meltzer ein, die "International Financial Institution Advisory Commission", mit dem Auftrag, Empfehlungen für die künftige Politik der USA gegenüber dem IWF, der Weltbank, den regionalen Entwicklungsbanken, der BIZ und der WTO zu formulieren. Der Anfang März 2000 veröffentlichte Bericht (kurz: "Meltzer-Bericht") steht neben den Berichten anderer, mehr oder weniger hochkarätig besetzter Expertengruppen , dürfte aber wegen des Rückhalts im Kongress das größte politische Gewicht haben.

Im Unterschied zu radikalen IWF-Kritikern aus dem republikanischen Lager schlägt die Kommission nicht die Abschaffung des IWF vor, empfiehlt aber eine drastische Beschneidung seiner Aufgaben sowie eine klare Aufgabentrennung zwischen IWF und Weltbank. Der IWF solle sich darauf beschränken, als "quasi lender of last resort", als eine Art Kreditgeber in letzter Instanz für Schwellenländer (emerging markets) zu fungieren. Dabei dürfe er nur Liquiditätskredite an solvente Regierungen geben mit kurzer Laufzeit und zu Strafzinsen. Im Regelfall sollten solche Kredite nur an Länder vergeben werden, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, so etwa den innerhalb von fünf Jahren zu gewährenden freien Marktzugang für ausländische Finanzinstitute und die angemessene Kapitalisierung der Banken im Einklang mit internationalen Standards. Ausnahmen wären nur bei Gefahren für die Weltwirtschaft zulässig. Auf diese Weise würde der Rückgriff auf IWF-Ressourcen vermindert, das "moralische Risiko" weitgehend beseitigt und die schwerfällige Aushandlung detaillierter und oftmals wirkungsloser wirtschaftspolitischer Auflagen entbehrlich. Der IWF solle sich aus der Finanzierung entwicklungspolitischer Strukturanpassung und der postkommunistischen Transformationsprozesse zurückziehen. Die Erweiterte Strukturanpassungsfazilität (ESAF), aus der bisher Zahlungsbilanzhilfe an arme Entwicklungsländer zu weichen Bedingungen gewährt wurde, und das Nachfolgeprogramm, die Armutsbekämpfungs- und Wachstumsfazilität (PRGF = Poverty Reduction and Growth Facility), sollten eingestellt werden.

Der Weltbank werden hohe Kosten und geringe Wirksamkeit ihrer Programme angekreidet. Ihre nichtkonzessionären Kredite gingen zu 70 Prozent an elf Länder, die Zugang zu den privaten Kapitalmärkten hätten. Deshalb sollten alle Ressourcentransfers an Länder mit Zugang zum Kapitalmarkt oder mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 4000 US-Dollar innerhalb von fünf Jahren auslaufen. Die Weltbank solle in World Development Agency umbenannt werden, alle Länder- und Regionalprogramme der Weltbank in Lateinamerika und Asien sollten auf die regionalen Entwicklungsbanken übertragen werden. Die Weltentwicklungsagentur solle sich auf die Bereitstellung globaler öffentlicher Maßnahmen wie die Behandlung von Tropenkrankheiten und AIDS, den Schutz von Umweltressourcen und länderübergreifende Infrastrukturen konzentrieren. Sowohl der IWF als auch die Entwicklungsbanken sollten alle ihre Forderungen gegenüber denjenigen hochverschuldeten armen Ländern (HIPCs) abschreiben, die unter der Aufsicht dieser Banken eine wirksame Entwicklungsstrategie umsetzen.

Die Empfehlungen der Meltzer-Kommission laufen eindeutig auf ein Schrumpfungsprogramm für den IWF und die Weltbank hinaus und setzen darauf, dass die privaten Kapitalmärkte noch stärker Aufgaben der Zahlungsbilanz- und der Entwicklungsfinanzierung übernehmen können. Die Regierung Clinton hat sich zwar mit der Kommission darin einig erklärt, dass auch sie eine klarere Abgrenzung der Aufgaben von IWF und Weltbank anstrebe. Schatzminister Summers hat jedoch entschieden die Vorstellung zurückgewiesen, dass der IWF nur noch einem "Elite-Klub von Nationen" dienen und die Weltbank ihre globalen Aktivitäten radikal einschränken solle. Nach den von der Kommission vorgeschlagenen Regeln für die Kreditvergabe des Fonds, so Summers, hätten von Finanzkrisen getroffene Länder wie Mexiko, Brasilien und Südkorea in den letzten Jahren womöglich keinen Anspruch auf Nothilfe seitens des IWF gehabt. Die große Mehrheit derjenigen Länder, die gegenwärtig Finanzmittel von multilateralen Entwicklungsbanken erhalten, würde von der Versicherung gegen Instabilität, die diese bieten, ausgeschlossen - und dies, obwohl gerade in den Schwellenländern die Mehrheit der Ärmsten der Welt lebe .

Nach den Vorstellungen der Regierung Clinton soll der IWF allerdings stärker den privaten Finanzsektor dadurch unterstützen, dass er mehr Transparenz für die Märkte schafft und Länder dazu ermutigt, die neuen Kodizes und Standards für solide Währungs- und Finanzpraktiken zu befolgen. In Zukunft soll sich der IWF auf seine Kernkompetenz - die Bewältigung von Finanzkrisen sowie die makroökonomische Überwachung und Beratung - konzentrieren und langfristige Finanzierungsprogramme auslaufen lassen. Gleichzeitig wird verlangt, dass der IWF einen stärkeren Akzent auf Armutsbekämpfung legt. Die Regierung Clinton hat im Übrigen keinen Zweifel daran gelassen, dass sie das Krisenmanagement des IWF auch unter dem Gesichtspunkt nationaler Sicherheitsinteressen für unverzichtbar hält .

Der hegemoniale Gestus, den der amerikanische Kongress, aber auch die Regierung nicht selten an den Tag legen, ändert nichts daran, dass die USA bei Änderungen des Übereinkommens über den IWF, für die 85 Prozent der Stimmen erforderlich sind, mit 17,5 Prozent der Stimmen nur über eine Sperrminorität verfügen. Für radikale Reformen, wie sie die Meltzer-Kommission fordert, wird sich wohl kaum die qualifizierte Mehrheit finden. Unabhängig davon ist zu berücksichtigen, dass der Einfluss der USA im IWF wegen der engen Kontakte zwischen Schatzministerium und IWF-Stab den Stimmenanteil der USA weit übertrifft. Das Europa der Wirtschafts- und Währungsunion hätte gute Gründe, das eigene Gewicht stärker zur Geltung zu bringen. Dies setzt freilich Einigkeit darüber voraus, was man will, und die Bereitschaft, gemeinsame Positionen auch in der öffentlichen Argumentation offensiv zu vertreten.

V. Deutsche Positionen in der Reformdebatte

Von amtlicher Seite haben in Deutschland vor allem Vertreter der Bundesbank zur Reform der internationalen Finanzinstitutionen öffentlich Stellung genommen. Das Bundesfinanzministerium hat sich mit öffentlichen Äußerungen eher zurückgehalten, was nach den Turbulenzen um die deutsche Kandidatur für den IWF-Chefposten zumindest für eine gewisse Zeit verständlich ist. Die Bundesbank ist für die Finanzbeziehungen Deutschlands zum IWF zuständig; ihr Präsident vertritt Deutschland im Gouverneursrat (mit dem Bundesfinanzminister als Stellvertreter). Das Bundesfinanzministerium besitzt die Kompetenz für die Währungspolitik, ist innerhalb der Bundesregierung für die IWF-Politik federführend und hat die Weisungsbefugnis für den deutschen Exekutivdirektor beim IWF. Bundesfinanzministerium und Bundesbank stellen abwechselnd den deutschen Exekutivdirektor und seinen Stellvertreter. Die Bundesministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vertritt Deutschland im Gouverneursrat der Weltbank .

Im Gegensatz zur Meltzer-Kommission betont die Bundesregierung den universellen Charakter des IWF, den es zu bewahren gelte. Dies bedeutet, dass der IWF auch künftig kurz- und mittelfristige Kredite vergeben können muss. Ein Rückzug aus Afrika oder die Aufgabe der Fazilität zur Armutsbekämpfung und Wachstumsförderung (PRGF) wird abgelehnt. Zwischen IWF und Weltbank müsse es eine klare Aufgabenteilung und eine enge Zusammenarbeit geben. Die Weltbank sollte sich aus der kurzfristigen Finanzierung von Krisenpaketen zurückziehen. In der Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen müsse es mehr Symmetrie geben.

Die Fähigkeit des IWF zur Krisenvorbeugung soll dadurch verbessert werden, dass die wirtschaftspolitische Überwachung der Mitgliedstaaten gestärkt wird. Dabei seien insofern schon Fortschritte zu verzeichnen, als im Rahmen von Pilotprojekten Anstrengungen zur Verbesserung der Transparenz, etwa durch die Veröffentlichung von Artikel-IV-Konsultationsberichten, unternommen würden. Aufgabe des IWF sollte es künftig sein, die Einhaltung von Kodizes zur Finanzmarktaufsicht auch in Offshore-Zentren zu überwachen. Auch die Hedge Funds sollten in seine Überwachungstätigkeit einbezogen werden.

Was die Bewältigung von Finanzkrisen betrifft, setzt sich die Bundesregierung entschieden für die Einbindung des Privatsektors ein. Sie vertritt die Auffassung, dass der IWF auch bei systemischen (d. h. die Stabilität des internationalen Finanzsystems bedrohenden) Krisen nur eine katalytische Rolle spielen solle. Ähnlich wie die Meltzer-Kommission betont sie die Bedeutung des "moralischen Risikos", das durch zu große IWF-Krisenpakete gefördert würde. Um dieses zu verringern, müsse der Privatsektor in Krisenlösungen systematisch einbezogen werden. Die USA plädieren demgegenüber dafür, die Entscheidung eher von Fall zu Fall zu treffen, was mehr Flexibilität im Dienst politischer Opportunität erlauben würde. Angesichts der Meldungen über den Missbrauch von IWF-Mitteln durch Russland und die Ukraine wird die Notwendigkeit betont, die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern. Schließlich tritt das Finanzministerium dafür ein, dass der IWF der Erfolgskontrolle der eigenen Tätigkeit mehr Aufmerksamkeit widmet.

Bei der Bundesbank akzentuiert man die Aufgabenteilung zwischen IWF und Weltbank stärker, als es die Bundesregierung tut. "Entsprechend seinem monetären Mandat sollte der IWF seine Zahlungsbilanzfinanzierung auf kurzfristige Liquiditätshilfen begrenzen. Die Weltbank sollte sich entsprechend ihrem Entwicklungsauftrag auf die Projektfinanzierung und Sektordarlehen konzentrieren . . . Armutsbekämpfung ist ein Entwicklungsziel und fällt damit in die Kompetenz der Weltbank." Die neuen Kreditlinien des IWF wie "die für wirtschaftlich gesunde, aber ansteckungsgefährdete Länder" gedachte Contingency Credit Line (CCL) gehen aus der Sicht des Bundesbankvizepräsidenten Stark in die falsche Richtung. Einigkeit zwischen Bundesbank und Finanzministerium besteht hinsichtlich der Notwendigkeit, "moral hazard" zu vermeiden. Deshalb erscheint weder die Rolle eines "lender of last resort" für den IWF wünschenswert - diese könnten ohnehin nur die Heimatzentralbanken der international tätigen Banken wahrnehmen - noch die Bereitstellung großer internationaler Finanzierungspakete. Bundesbank und Bundesregierung haben eine Reihe konkreter Vorschläge zur Einbindung des Privatsektors in Krisenlösungen entwickelt, die auch Eingang in die Beschlüsse der G-7-Finanzminister vom Juli 2000 gefunden haben . Die G-7-Beschlüsse haben jedoch teilweise den Charakter von Formelkompromissen, hinter denen sich Differenzen über die Zweckmäßigkeit und Praktikabilität bestimmter Instrumente (wie z. B. die Aufnahme von Umschuldungsklauseln in internationale Anleiheverträge) und den dem IWF im Einzelfall einzuräumenden Handlungsspielraum verbergen.

VI. Hindernisse für Reformen

Bei der Reform des IWF geht es nicht in erster Linie um die Optimierung wissenschaftlich begründbarer wirtschafts- und währungspolitischer Funktionen, sondern um einen Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Als universelle Organisation muss der IWF die Interessen einer heterogenen Mitgliedschaft berücksichtigen und neue Regeln für das Management von Finanzkrisen entwickeln, die eine angemessene Lastenteilung zwischen öffentlichem und privatem Sektor einschließen. Dabei gilt für die Reform des IWF wie für die der internationalen Finanzarchitektur insgesamt, dass Staaten gegenüber den Finanzmärkten keineswegs ohnmächtig sind, wenn sie sich auf koordiniertes Handeln einigen können. Dieses wird allerdings dadurch erschwert, dass die Regulierungsinstanzen mit der Produktinnovation auf den Finanzmärkten schwer mithalten können. Die Finanzmarktakteure selbst definieren ihre Interessen oft, ohne den Gegensatz zwischen individueller und kollektiver Rationalität zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass das Bewusstsein für Handlungsbedarf bei manchen Akteuren mit dem zeitlichen Abstand zur letzten Krise abnimmt. Selbst im Kreis der G 7 werden Schlüsselprobleme wie die Bedeutung von "moral hazard" und die Gefahr systemischer Krisen unterschiedlich bewertet und gewichtet. Das Interesse an der Stabilisierung der Weltwirtschaft ordnen einige Länder der Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Finanzplätze unter. Dem Interesse europäischer Staaten an einer stärkeren Regelbindung des IWF-gesteuerten Krisenmanagements steht ferner das Interesse der USA gegenüber, Krisenlösungen nach außenpolitischen Prioritäten unter Einsatz fremder Ressourcen organisieren zu können. Unter diesen Umständen bleibt die Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte eine unzureichend bewältigte Herausforderung.

VII. Schlussfolgerungen

Die Reform der internationalen Finanzinstitutionen ist deshalb ein Prozess, der nicht durch einen großen Wurf zu vollenden ist, sondern die kontinuierliche Anpassung von Institutionen und Spielregeln an wechselnde weltwirtschaftliche Problemlagen und Mächtekonstellationen verlangt. Dabei wäre es freilich verfehlt, wenn die führenden Industriestaaten sich auf reaktives Handeln, das die hypothetische Bewältigung der letzten Krise erlaubt, beschränken würden. Vielmehr gilt es, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der den Finanzmarktakteuren Anreize zu solider Geschäftspolitik vermittelt und Vabanquespielen zu Lasten der öffentlichen Hand Riegel vorschiebt. Angesichts tiefgreifender weltwirtschaftlicher Veränderungen und Kräfteverschiebungen, die sich im Aufstieg der Schwellenländer Asiens und Lateinamerikas besonders eindrücklich manifestieren, müssen andererseits die Aufgabenprofile und Instrumentarien von IWF und Weltbank immer wieder daraufhin überprüft werden, welche Kategorien von Mitgliedsländern auf öffentliche Zahlungsbilanz- und Entwicklungsfinanzierung angewiesen sind und zu welchen Bedingungen diese jeweils gewährt wird.

Für Deutschland als drittstärkste Wirtschaftsmacht der Welt wäre es angemessen, wenn Regierung und Parlament die Reform der internationalen Finanzinstitutionen stärker zum Gegenstand der öffentlichen Debatte machen würden. Andernfalls verbreitert sich womöglich die Kluft zwischen dem technokratisch geprägten Arkanbereich der G-7- oder G-10-Verhandlungen und der Subkultur der Nichtregierungsorganisationen, in der sich teilweise die diffuse Angst vor der Globalisierung mit dem progressiven entwicklungspolitischen Bewusstsein der siebziger Jahre verbindet. Als ideelle Interessengruppen haben die Nichtregierungsorganisationen ihren Platz in der demokratischen Öffentlichkeit. Sie unterwerfen die politischen Instanzen einem zusätzlichen Begründungszwang und sind im günstigsten Fall Quellen innovativer Ideen und Impulse. Ein Anspruch auf Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen zwischenstaatlicher internationaler Organisationen, wie er unter der Parole der Demokratisierung erhoben wird, steht ihnen jedoch gerade nach demokratietheoretischen Kriterien nicht zu.

In der EU sollte sich Deutschland dafür einsetzen, dass die EU-Mitglieder in den internationalen Finanzinstitutionen konzeptionell fundierte gemeinsame Positionen vertreten, die freilich nicht allein einem Abgrenzungsreflex gegenüber den USA entspringen dürfen. Nur so wird die EU überzeugend als globaler Akteur in der internationalen Finanz- und Währungspolitik auftreten können. Dabei müssten die EU-Mitglieder auch bereit sein, eine Reform der IWF-Quoten zu unterstützen, die ihre kombinierten Stimmrechtsanteile verringern und die der Schwellenländer erhöhen würde. Auf Dauer wären die großen EU-Mitgliedstaaten wohl schlecht beraten, wenn sie den USA die Rolle des Anwalts der Schwellenländer überlassen und Besitzstände einer früheren Ära verteidigen würden.

Internetverweise des Autors:

Bank für Internationalen Zahlungsausgleich: www.bis.org

Bundesministerium der Finanzen: www.bundesfinanzministerium.de

Deutsche Bundesbank: www.bundesbank.de

Internationaler Währungsfonds: www.imf.org

Weltbank: www.worldbank.org

Fussnoten

Fußnoten

  1. Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte (!!!!!!http://www.share-online.de/Finanzmaerkte/erklaerung/index.html)!!!!!!.

  2. Vgl. Deutsche Bundesbank, Weltweite Organisationen und Gremien im Bereich von Währung und Wirtschaft, Frankfurt/M. 1997, S. 190 ff. Die Zehnergruppe (G10) ist der informelle Zusammenschluss der mittlerweile zehn wichtigsten Industrieländer.

  3. Vgl. Susanne Lütz, Die Rückkehr des Nationalstaates? Kapitalmarktregulierung im Zeichen der Internationalisierung von Finanzmärkten, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), 38 (1997), S. 475-497, hier S. 483 f.

  4. Vgl. Richard N. Cooper, Should Capital Controls Be Banished?, in: Brookings Papers on Economic Activity, (1999) 1, S. 89-125, hier S. 102; Hans Willgerodt, Neue Kontrollen für den internationalen Kapitalverkehr?, in: Jürgen B. Donges/Andreas Freytag (Hrsg.), Die Rolle des Staates in einer globalisierten Wirtschaft, Stuttgart 1998, S. 119-171.

  5. Vgl. R. N. Cooper, ebd., S. 104 ff.

  6. Vgl. Susan Strange, The New World of Debt, in: New Left Review, (1998) 230, S. 91-114, hier S. 96 ff.

  7. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) 69. Jahresbericht, Basel 1999, S. 128. Zur Asienkrise vgl. Heribert Dieter, Die Asienkrise, Marburg 1998, sowie den Beitrag des Autors in dieser Beilage.

  8. Vgl. BIZ, ebd., S. 111. Hedge Funds werden dort so charakterisiert: "Anlagegesellschaften dieser Art agieren als spekulative Fonds, die bestimmte Publizitäts- und Eigenkapitalanforderungen umgehen, indem sie ihren Kundenkreis auf eine kleine Zahl vermögender Anleger begrenzen und häufig ihren Unternehmenssitz in Offshore-Zentren wählen. Ihre Anlagestrategie besteht darin, durch das Engagement in einer Vielzahl von Finanzinstrumenten unter Verwendung beträchtlicher Fremdmittel hohe Renditen zu erzielen."

  9. Ernst-Moritz Lipp, Internationale Finanzströme. Ausmaß und Dynamik, in: Internationale Politik, 55 (2000) 6, S. 9-16, hier S. 15.

  10. Vgl. KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau), Internationale Finanzmärkte - Aspekte der aktuellen Reformdiskussion, Arbeitshilfen-Materialien-Diskussionsbeiträge, Nr. 24, Frankfurt/M., Juni 2000 (hektogr.), S. 3 ff.; Reimut Jochimsen, Eher Schiedsrichter als Störenfried: Internationale Finanzmärkte und nationale Wirtschaftspolitik, in: Internationale Politik und Gesellschaft, (1997)4, S. 399-411, hier S. 401 ff.

  11. Helmut Reisen, Vom Kreditboom zur Schuldendeflation. Globale und hausgemachte Ursachen der asiatischen Währungskrise, in: Neue Zürcher Zeitung vom 25./26. Juli 1998, S. 39.

  12. Vgl. Ulrich Cartellieri, Reform der internationalen Finanzarchitektur - Wunschtraum oder Wirklichkeit?, Vortrag an der Universität Heidelberg am 27. Mai 1999, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 39 vom 8. Juni 1999, S. 10-15, hier S. 10.

  13. Vgl. Andrew Crockett, Wege zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. April 2000, S. 11.

  14. Vgl. E.-M. Lipp (Anm. 9), S. 16.

  15. Vgl. Barry Eichengreen, Toward A New International Financial Architecture. A Practical Post-Asia Agenda, Washington, D. C. 1999; Michael Frenkel/Lukas Menkhoff, Stabile Weltfinanzen? Die Debatte um eine neue internationale Finanzarchitektur, Berlin-Heidelberg 2000 (bietet auch eine Reihe nützlicher Links).

  16. Vgl. B. Eichengreen, ebd., S. 126.

  17. Vgl. M. Frenkel/L. Menkhoff (Anm. 15), S. 52-60.

  18. Vgl. ebd., S. 65 f.

  19. Vgl. B. Eichengreen (Anm. 15), S. 51-55.

  20. Vgl. Bericht der G-7-Finanzminister zur Stärkung der internationalen Finanzarchitektur, in: Bulletin der Bundesregierung, Nr. 43 vom 14. Juli 1999, S. 453-465, hier S. 456 f.

  21. Vortrag des Mitglieds des Direktoriums der Deutschen Bundesbank Edgar Meister, Die Stabilität von Finanzsystemen - Chancen und Herausforderungen für Banken und Aufsichtsbehörden, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 23 vom 10. Mai 2000, S. 4-8, hier S. 5.

  22. Vgl. BIZ, 70. Jahresbericht, Basel 2000, S. 185 f.; KfW (Anm. 10), S. 15.

  23. Bericht der G-7-Finanzminister (Anm. 20), S. 461.

  24. Vgl. ebd., S. 459.

  25. Ebd., S. 462.

  26. Vgl. Harold James, International Monetary Cooperation Since Bretton Woods, Washington, D. C. - Oxford 1996, S. 270-274, S. 322-328; Deutsche Bundesbank (Anm. 2), S. 32 ff., S. 84 ff.

  27. Vgl. Horst Siebert, Improving the World's Financial Architecture. The Role of the IMF, Kieler Diskussionsbeiträge 351, Kiel 1999, S. 8, S. 15.

  28. Vgl. H. Dieter (Anm. 7), S. 74-100; Sachverständigenrat, Vor weitreichenden Entscheidungen, Jahresgutachten 1998/99, Stuttgart 1998, Rz. 364.

  29. Vgl. International Financial Institution Advisory Commission (I.F.I.A.C.) (2000): Report. (http://phantom-x.gsia.cmu.edu/IFIAC/Report.html).

  30. Vgl. John Williamson, The Role of the IMF: A Guide to the Reports, IIE, Washington, D.C. Mai 2000 (http://www.iie.com/NEWSLETR/news 00-5.htm).

  31. Vgl. Lawrence Summers, The troubling aspects of IMF reform, in: Financial Times vom 23. März 2000, zit. in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 15 vom 23. März 2000, S. 12 f.

  32. Vgl. Congressional Research Service, Memorandum: Proposals for Changing the IFIs (Jonathan F. Sanford), April 14, 2000, Washington, D. C. (!!!!!!http://www.house.gov/jec/imf/crs.htm!!!!!!).

  33. Vgl. Horst-Dieter Westerhoff, Die Gestaltung der Wirtschaftspolitik bei wachsender internationaler Verflechtung, in: Wolf-Dieter Eberwein/Karl Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Band 4: Institutionen und Ressourcen, München-Wien 1998, S. 101-120, hier S. 116 f.; Deutsche Bundesbank (Anm. 2), S. 60.

  34. Die folgenden Ausführungen stützen sich auf den Vortrag des Staatssekretärs des Bundesministeriums der Finanzen Caio Koch-Weser bei der von der KfW und Germanwatch veranstalteten Podiumsdiskussion "Internationale Finanzarchitektur - welche Reformen sind nötig?", Berlin, vom 4. Juli 2000 (Notizen M.K.).

  35. Vortrag des Vizepräsidenten der Bundesbank Jürgen Stark, Reform des internationalen Finanzsystems - Wo stehen wir heute?, Stuttgart, vom 14. März 2000, in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr. 15 vom 23. März 2000, S. 5-9, hier S. 7.

  36. Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Dezember 1999, S. 33-50 (Neuere Ansätze zur Beteiligung des Privatsektors an der Lösung internationaler Verschuldungskrisen); Stärkung der internationalen Finanzarchitektur. Bericht der G-7-Finanzminister an die Staats- und Regierungschefs, Fukuoka, vom 8. Juli 2000 (http://www.bundesfinanzministerium.de/g7/finanza.pdf).

Dr. rer. soc., geb. 1947; Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Anschrift: Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät III, Unter den Linden 6, 10099 Berlin.
E-mail:Michael=Kreile@sowi.hu-berlin.de

Veröffentlichungen zur Außen- und Außenwirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland und zur europäischen Integration.