I. Einleitung
Glaubt man weiten Teilen der öffentlichen Meinung, gibt es spätestens nach den Finanz- und Währungskrisen in Asien und Lateinamerika nur noch Verlierer der Globalisierung. In den Industrieländern ging bereits zuvor die Angst um, dass die globale Vernetzung von Güter- und Kapitalmärkten für zunehmenden Lohndruck und steigende Arbeitslosigkeit sorge. Nach einem häufig zu hörenden Argument flieht mobiles Kapital in großem Stil aus den Industrieländern in Niedriglohnländer, um von dort die Märkte der Industrieländer mit Billigwaren zu überschwemmen. Wen kümmert es schon, dass ein (Netto-)Kapitalexport der Industrieländer in die Entwicklungs- und Schwellenländer bedeutet, dass letztere mehr Güter importieren als sie exportieren? Wer plagt sich damit, dass ein Land wie Deutschland, aus dem Kapital per Saldo abfließt, in seiner Zahlungsbilanz automatisch einen Überschuss im Handel mit Gütern und Dienstleistungen aufweist? Und wen schert es, wenn Ökonomen darauf verweisen, dass das angeblich so mobile Kapital immer noch eine ausgeprägte Neigung aufweist, im eigenen Land zu verharren?
Die meisten Entwicklungsländer - insbesondere solche, die wirtschaftlich noch wenig vorangekommen sind - treibt denn auch mehr die Sorge um, wie sie an der Globalisierung teilhaben könnten. Sie beklagen, dass ihnen der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten versperrt sei. Bestätigt fühlen sie sich durch "Experten", die nachzuweisen glauben, dass internationale Investoren bei ihren Anlageentscheidungen immer nur ganz wenige und schon weit fortgeschrittene Entwicklungsländer im Auge haben und dass die Mehrzahl der armen Entwicklungsländer quasi definitorisch zu den Verlierern der Globalisierung gehört. Auch diese pessimistische Sichtweise hält - wie zu zeigen sein wird - einer genaueren Überprüfung nicht stand.
Mit den jüngsten Finanz- und Währungskrisen haben sich angeblich nun auch die asiatischen und lateinamerikanischen Schwellenländer in die Schar der Globalisierungsverlierer eingereiht. Hochrangige Politiker wie Malaysias Premierminister Mahathir, elder statesmen wie Helmut Schmidt, und prominente Ökonomen wie Jagdish Bhagwati beschuldigen unisono die internationalen Spekulanten, die aufstrebenden Schwellenländer zu Fall gebracht zu haben. Den ausländischen Investoren, die zunächst den Boom anheizten und dann plötzlich die Flucht antraten, wird entweder Böswilligkeit oder Unfähigkeit unterstellt. Häufig wird dabei vergessen, dass es für das Verhalten der internationalen Kapitalmärkte Gründe gegeben hat, die in den Verantwortungsbereich der betroffenen Schwellenländer fallen.
Dieser Beitrag befasst sich im Folgenden hauptsächlich mit der Frage, was die so genannten Globalisierungskrisen der neunziger Jahre für die Funktionsfähigkeit des internationalen Finanzsystems bedeuten. Zuvor wird aber auf längerfristige Aspekte der internationalen Kapitalmobilität eingegangen und die Stellung der Entwicklungsländer im internationalen Wettbewerb um ausländisches Risikokapital aufgezeigt. Aus diesen drei Elementen der Globalisierung lassen sich einige Schlussfolgerungen für die nationale Wirtschaftspolitik und die Gestaltung des internationalen Ordnungsrahmens ableiten. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung wird es zwar als möglich, aber nicht als ratsam erachtet, den Prozess der Einbindung in die Weltkapitalmärkte umzukehren. Die relevante Frage für die Entwicklungs- und Schwellenländer lautet demnach nicht, ob, sondern wie sie sich gegenüber Kapitalzuflüssen öffnen sollten. Auf multilateraler Ebene geht es nicht darum, Sand in das Getriebe der Finanzmärkte zu streuen, sondern darum, die Funktionsfähigkeit dieser Märkte durch eine Reform der internationalen Finanzarchitektur zu verbessern.
II. Finanzmärkte: global, regional oder lokal?
Der gängigen These von den außer Rand und Band geratenen internationalen Finanzmärkten entgegentreten zu wollen erscheint fast aussichtslos. Beeindruckende Zahlen machen die Runde: Nach Schätzungen beliefen sich die täglichen Umsätze im internationalen Devisen- und Wertpapierhandel bereits Mitte der neunziger Jahre auf 1,5 Billionen US-Dollar und damit auf etwa 70 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts Deutschlands; innerhalb von nur drei Jahren waren diese Umsätze um ca. 50 Prozent gestiegen
Der Begriff "Spekulation" ist in der Öffentlichkeit eindeutig negativ besetzt. Es ist deshalb nur ein kleiner Schritt, es den "entfesselten" Finanzmärkten zuzuschreiben, dass das Wohl und Wehe ganzer Nationen in der Hand von Devisen- und Wertpapierhändlern liege, die weitgehend frei von staatlicher Kontrolle agieren könnten
Die "entfesselten" Finanzmärkte täuschen schließlich einen Grad an Globalisierung vor, der in entscheidender Hinsicht gar nicht existiert. Das Kapital ist immer noch überraschend wenig mobil. Die reale Kapitalmobilität lässt sich am Saldo der Leistungsbilanz von Ländern ablesen. Ein Land mit einem Leistungsbilanzdefizit tätigt Netto-Kapitalimporte, und die Investitionen übertreffen dort die nationalen Ersparnisse. Die Leistungsbilanzsalden - und damit die reale Kapitalmobilität - sind typischerweise erheblich geringer, als es die immensen Finanzmarkttransaktionen suggerieren. In den neunziger Jahren belief sich der jahresdurchschnittliche Leistungsbilanzsaldo in zwei Dritteln aller Industrie- und Entwicklungsländer (mit einer Bevölkerung von mindestens einer Million) auf weniger als fünf Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts.
Bei perfekter internationaler Kapitalmobilität müsste die nationale Spartätigkeit für die nationale Investitionstätigkeit ohne Bedeutung sein; die Korrelation zwischen diesen beiden Größen wäre dann nahe null. Tatsächlich ergab sich in den sechziger und siebziger Jahren jedoch eine sehr hohe Korrelation (von etwa 0,8); die Investitionen wurden also weitestgehend durch die nationalen Ersparnisse bestimmt
Abgesehen von dieser Konzentration auf den nationalen Raum vollzieht sich der grenzüberschreitende Kapitalverkehr hauptsächlich zwischen den Industrieländern. Diese haben im Zeitraum 1991-1997 mehr als vier Fünftel des weltweiten Stroms von ausländischen Direktinvestitionen, Portfolio-Investitionen und sonstigem Kapital (einschließlich Kredite) absorbiert (Schaubild 1). Der Anteil der Entwicklungs- und Schwellenländer am weltweiten Kapitalstrom war bei den ausländischen Direktinvestitionen (mit durchschnittlich 38 Prozent) deutlich am höchsten, wohingegen er bei den Portfolio-Investitionen (mit 13 Prozent) besonders niedrig ausfiel.
Die regionale Verteilung der deutschen (Netto-) Kapitalanlagen im Ausland verstärkt den Eindruck, dass von einem weltumspannenden Kapitalverkehr bisher nur sehr eingeschränkt die Rede sein kann. Es erweist sich eine ausgeprägte regionale Fokussierung der grenzüberschreitenden Kapitalanlagen Deutschlands (Schaubild 2). Allein die Partnerländer der EU zogen mehr als die Hälfte der deutschen Kapitalanlagen auf sich. Für Europa insgesamt steigt der Anteil auf fast 70 Prozent. Unter den außereuropäischen Anlageländern werden die Entwicklungs- und Schwellenländer zudem klar von Industrieländern (insbesondere den Vereinigten Staaten) dominiert.
Die internationalen Finanzmärkte haben also bei weitem nicht alle Fesseln abgestreift. Eine wirklich globale Strategie von Kapitalanlegern - unter Einbeziehung der Entwicklungs- und Schwellenländer - zeichnet sich am ehesten bei den ausländischen Direktinvestitionen ab. Gerade für diese Form des internationalen Kapitaltransfers ist es aber sehr umstritten, ob die Mehrzahl der Entwicklungs- und Schwellenländer dem Wettbewerb um Auslandskapital gewachsen ist.
III. Ausländische Direktinvestitionen: Entwicklungsländer auf dem Abstellgleis?
Der Boom ausländischer Direktinvestitionen in Entwicklungs- und Schwellenländern sticht bei einer längerfristigen Betrachtung noch stärker ins Auge als in Schaubild 1. In den neunziger Jahren ist es diesen Ländern zusammen genommen gelungen, ihren Anteil am weltweiten Strom von Direktinvestitionen gegenüber den siebziger und achtziger Jahren fast zu verdoppeln
Dennoch hält sich hartnäckig die Meinung, nur wenige große und weit fortgeschrittene Entwicklungsländer hätten an dem Boom ausländischer Direktinvestitionen teilgehabt
Eine hohe Konzentration der Direktinvestitionen auf wenige Entwicklungs- und Schwellenländer lässt sich in der Tat ermitteln, wenn man auf absolute Stromgrößen abstellt. So flossen zum Beispiel im Jahr 1997 mehr als zwei Drittel aller Direktinvestitionen außerhalb der OECD-Länder in nur zehn Länder, die sich durch ihre Größe und/oder einen recht hohen Entwicklungsstand auszeichneten. Solche Konzentrationsmaße sind jedoch irreführend. Sobald der Zustrom von Direktinvestitionen auf das Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Empfängerlandes bezogen wird, zeigt sich, dass auch kleine und weniger fortgeschrittene Entwicklungsländer von ausländischen Direktinvestitionen profitiert haben - großenteils sogar stärker als die, absolut gesehen, bedeutendsten Empfängerländer
Selbst in Sub-Sahara Afrika haben einzelne Länder wie Namibia und Swaziland - am Bruttoinlandsprodukt gemessen - ein Vielfaches dessen an Direktinvestitionen angezogen, was sich im Durchschnitt für die hoch entwickelten OECD-Staaten errechnet. Auch in kleinen und armen Entwicklungsländern haben die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger also Einfluss auf den Zustrom von Direktinvestitionen und damit auf die externe Finanzierungsstruktur, der für die Vermeidung von Finanz- und Währungskrisen eine große Bedeutung zukommt.
IV. Finanzkrisen: Markt- oder Politikversagen?
Vernichtende Pauschalurteile über die Funktionsfähigkeit der internationalen Finanzmärkte haben seit Ausbruch der Asienkrise im Jahr 1997 Hochkonjunktur: Nach Helmut Schmidt droht die Geldgier weniger Finanzhaie Weltkrisen auszulösen
Es ist nicht zu bezweifeln, dass das internationale Finanzsystem spätestens mit den jüngsten Krisen erhebliche Marktmängel offenbart hat
Innovative Finanzierungsinstrumente sowie zweischneidige Vorsichtsmaßregeln der Gläubiger und der Finanzaufsicht in den Industrieländern trugen das ihre zum Herdenverhalten bei. So führte die Hebelwirkung kreditfinanzierter Engagements vor der Krise dazu, dass so genannte Hedgefonds ein Vielfaches ihrer Eigenmittel in Asien einsetzten. Die Hebelwirkung schlug abrupt in einen massiven Abzug von Kapital um, als die Kreditfinanzierung der Hedgefonds ins Stocken geriet, weil deren Gläubigerbanken Forderungen fällig stellten.
Gemäß der internen Risikoevaluierungssysteme westlicher Geldgeber wurden mit den anfänglichen Turbulenzen in Thailand auch nicht unmittelbar betroffene Schwellenländer in ihrer Bonität zurückgestuft. Diese Neubewertung von Risiken wiederum führte automatisch zu einem weiteren Abzug von Auslandskapital: Nach den in einigen Industrieländern geltenden finanziellen Sicherheitsstandards dürfen zum Beispiel institutionelle Investoren wie Lebensversicherungen nur Aktiva höchster Bonität halten. Wegen der herabgesetzten Kreditwürdigkeit waren diese Investoren gezwungen, ihre in asiatischen Schwellenländern aufgebauten Aktiva zu verkaufen, womit die dortigen Aktienmärkte und Währungen weiter verfielen.
Trotz der auf diese Weise erhöhten Ansteckungsgefahr lässt sich die Behauptung nicht halten, dass durch die Panik ausländischer Investoren auch Länder in den Krisenstrudel gerissen worden sind, in denen überhaupt kein Anlass für einen Rückzug bestand
Der Fall Koreas mag auf den ersten Blick als ein plausibleres Beispiel für eine Krise durch Ansteckung ohne interne Gründe herhalten. Dem makroökonomischen Kurs der dortigen Regierung wurde noch kurz vor der Krise höchstes Lob gezollt
Wegen einer höchst problematischen Struktur der externen Finanzierung war Korea zudem sehr anfällig für einen Stimmungswandel auf den internationalen Finanzmärkten. Die Auslandsfinanzierung Koreas beruhte hauptsächlich auf Krediten, während ausländische Direktinvestitionen kaum eine Rolle spielten. Allein der Bestand kurzfristig fälliger Kredite übertraf die koreanischen Devisenreserven schon Ende 1996 um ein Vielfaches. Es war deshalb gar nicht möglich, die nationale Währung, den Won, erfolgreich zu verteidigen, als der Wechselkurs unter Druck geriet. Die extreme Abhängigkeit von kurzfristigen Auslandskrediten war der koreanischen Regierung anzulasten: Diese hatte in den frühen neunziger Jahren den kurzfristigen Kapitalverkehr liberalisiert, während der Zustrom langfristigen Auslandskapitals (insbesondere von ausländischen Direktinvestitionen) reglementiert blieb.
Weder Brasilien noch Korea stützen also die These, dass die globalisierten Finanzmärkte selbst dort Krisen heraufbeschwören, wo makroökonomische Inkonsistenzen vermieden werden und die internen Finanzsysteme funktionsfähig sind. Um "Globalisierungskrisen" handelt es sich nur insofern, als die Konsequenzen makroökonomischer Fehlentwicklungen und institutioneller Defizite mit zunehmender Kapitalmobilität dramatischer ausfallen.
V. Folgerungen für die nationale Wirtschaftspolitik: Weltwirtschaftliche Öffnung passé?
Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs dient nach Jagdish Bhagwati dem Interesse ausländischer Investoren: "They want the ability to take capital in and out freely."
Die lebhafte Debatte über Kapitalverkehrskontrollen straft diejenigen Lügen, die die finanzielle Globalisierung für einen zwangsläufigen und wirtschaftspolitisch nicht zu steuernden Prozess halten. Die relevante Frage lautet deshalb nicht, ob die Globalisierung überhaupt gestoppt werden kann, sondern ob und - wenn ja - wie dieser Prozess gestaltet werden sollte. In diesem Kontext ist vor Vereinfachungen und Übertreibungen zu warnen. Wenn Länder wie Korea, Malaysia und Thailand heute zu Globalisierungsverlierern abgestempelt werden, scheint in Vergessenheit geraten zu sein, dass sich das dortige Pro-Kopf-Einkommen in den letzten drei Jahrzehnten vervielfacht hat. Dieser Einkommenszuwachs, der nicht zuletzt durch die weltwirtschaftliche Öffnung begünstigt worden ist, ist durch die Krise geschmälert, aber bei weitem nicht zunichte gemacht worden.
Der wirtschaftliche Rückschlag war zudem weder in Asien noch in Lateinamerika so hart wie zunächst befürchtet. Das koreanische Bruttoinlandsprodukt übertraf schon Anfang 2000 wieder das vor der Krise erreichte Niveau
Eine völlige Abschottung gegenüber Kapitalimporten würde die Wachstumsaussichten vor allem in solchen Entwicklungs- und Schwellenländern beeinträchtigen, in denen die Investitionsmöglichkeiten durch niedrige nationale Sparquoten begrenzt werden. Aber selbst bei hohen nationalen Sparquoten sind Kapitalimporte nützlich, beispielsweise wenn dadurch zugleich der Zugang zu international verfügbaren Technologien erleichtert wird. Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer werden deshalb auch in Zukunft bestrebt sein, Auslandskapital anzuziehen. Um gleichzeitig die Gefahr von Finanzkrisen zu begrenzen, gilt es einige Lehren aus der jüngsten Vergangenheit zu beherzigen:
- Erstens verschärft sich mit zunehmender Kapitalmobilität das wirtschaftspolitische Trilemma, wonach ein freier Kapitalverkehr, ein fixierter Wechselkurs und eine eigenständige Geldpolitik nicht miteinander vereinbar sind
- Zweitens kommt der zeitlichen Abfolge von Liberalisierungsschritten eine wesentliche Bedeutung für die Krisenvermeidung zu. Diese Erkenntnis war in den siebziger und achtziger Jahren fast Allgemeingut, geriet zwischenzeitlich aber in Vergessenheit. Führende Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) räumen ein, dass "countries need to prepare well for capital-account liberalization"
- Drittens lässt sich die Zusammensetzung von Kapitalimporten beeinflussen. Vor allem in frühen Phasen der Liberalisierung empfiehlt es sich, in erster Linie auf ausländische Direktinvestitionen zu setzen, weil sich diese in Krisenzeiten als recht stabil erwiesen haben. Die von Korea in den frühen neunziger Jahren gewählte Abfolge von Liberalisierungsschritten sollte deshalb in ihr Gegenstück verkehrt werden. Selbst die Leitung des IWF befindet: "A case can be made that countries with weak financial systems should restrict short-term inflows."
- Schließlich dient es der Risikovorsorge, ein ausreichendes Liquiditätspolster zu halten. Dies kann durch eigene Devisenreserven geschehen oder durch Vereinbarungen mit den internationalen Banken über vorbeugende Kreditlinien, aus denen im Fall unerwarteter Finanzierungsengpässe Beistandskredite gezogen werden können.
VI. Der internationale Ordnungsrahmen: Wo besteht Reformbedarf?
Es wäre allzu heroisch anzunehmen, dass Finanz- und Währungskrisen der Vergangenheit angehören, sobald die Entwicklungs- und Schwellenländer die Wiederholung alter Fehler vermeiden. Insofern ist es eine gute Nachricht, dass auch auf multilateraler Ebene intensiv über eine Reform der Finanzarchitektur nachgedacht wird. Allerdings ist bisher - abgesehen von verbesserten Daten- und Transparenzstandards - wenig erreicht worden, um zukünftige Krisen wirksamer bekämpfen zu können oder, besser noch, vermeiden zu helfen
Die wiederbelebte Diskussion über eine international harmonisierte Besteuerung grenzüberschreitender Finanztransaktionen bietet ein Beispiel für mangelnde Problemsicht. Selbst Befürworter der so genannten Tobin-Steuer gestehen ein, dass "clearly, the Tobin tax cannot serve as a disincentive to large-scale speculation against a currency"
Auf einem Irrweg dürfte man sich auch bei der angestrebten Revision der so genannten Basler Konvention befinden
Extreme Standpunkte werden vor allem dann eingenommen, wenn es um die zukünftige Rolle des IWF geht. Während es die eine Seite befürwortet, den IWF durch eine großzügige finanzielle Ausstattung zum internationalen Kreditgeber der letzten Instanz auszubauen, wird von der Gegenseite gefordert, den IWF ganz abzuschaffen oder seine Kreditvergabe zumindest drastisch zu beschneiden. Beide Positionen verkennen, dass zwischen Krisenvermeidung und wirksamer Bekämpfung unvermeidbarer Krisen ein Dilemma besteht, wenn man sich allein auf den IWF kapriziert:
- Wenn der IWF einen besseren Schutz vor den Ausbreitungseffekten von Krisen böte, stiege die Gefahr, dass die Marktteilnehmer Kreditrisiken vernachlässigen und deshalb zusätzliche Krisen heraufbeschwören.
- Ohne ein multilaterales Sicherheitsnetz hätte man zwar die Anreize für ein bewusstes Fehlverhalten der Marktteilnehmer ausgeschaltet. Die Annahme, dass dann keine Krisen mehr aufträten, ist aber wenig überzeugend. Nicht vermeidbaren Krisen wäre man schutzlos ausgeliefert.
Um dieses Dilemma zu entschärfen, müssten die Marktteilnehmer enger als bisher in Strategien zur Vermeidung und Bekämpfung von Finanzkrisen eingebunden werden. Es mangelt nicht an Vorschlägen, wie das Risikobewusstsein der Marktteilnehmer geschärft, dem Herdenverhalten entgegengewirkt und für eine angemessene Lastenverteilung im Krisenfall gesorgt werden könnte. Hierzu gehören: die Vereinbarung vorbeugender Kreditlinien zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern und den internationalen Banken; Vertragsklauseln, die dem Schuldner die Option einer verlängerten Rückzahlungsfrist (mit einem festgelegten Zinsaufschlag) einräumen; Regeln, die im Krisenfall ein "Stillhalten" der privaten Investoren erleichtern und damit dem Koordinationsversagen vorbeugen; privat gespeiste Krisenfonds, aus denen die Interventionsmittel des IWF aufgestockt werden könnten.
Die Tatsache, dass bisher kaum einer dieser Vorschläge zum Baustein einer reformierten Finanzarchitektur geworden ist, ist weniger auf ökonomisch stichhaltige Einwände zurückzuführen. Es fehlt an einem politischen Konsens, der nicht zuletzt am Widerstand von Interessengruppen wie den internationalen Banken scheitert. Es steht deshalb zu befürchten, dass die Finanzmärkte von der nächsten Krise ähnlich schlecht vorbereitet getroffen werden, wie es bei der Asienkrise der Fall war.