I. Einleitung
Durch den Bombenanschlag in Düsseldorf sind Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit zu einem zentralen Medien- und Politikthema im Sommer 2000 geworden. Dieses Verbrechen hat zum einen mit dem Einsatz von Sprengstoff eine neue Qualität der Gewaltbereitschaft erreicht, zum anderen verdeutlicht es die gesamtdeutsche Dimension der Problematik. Trotz Vereinheitlichungstendenzen und internationaler Vernetzung in der rechten und Skinhead-Szene sind deutliche Unterschiede zwischen der Situation in Ost- und Westdeutschland zu beobachten. Kennzeichnend ist nicht nur die 'starke Dominanz jugendlicher Rechtsextremisten' in den Jugendtreffs verschiedener ostdeutscher Brennpunkte, sondern die inzwischen erreichte voraussetzungslose Gewaltbereitschaft . Das dahinter stehende Kernproblem ist vielmehr die Toleranz gegenüber der Gewalt, die Alltäglichkeit fremdenfeindlicher Einstellungen in breiten Teilen der ostdeutschen Gesellschaft. Zwar ist die fremdenfeindliche Gewalt ein Handlungsmuster junger Männer, quantitative Untersuchungen zeigen aber, dass die Intoleranz gegenüber Ausländern bei den älteren Ostdeutschen signifikant höher liegt .
In der Diskussion um die Ursachen dieser fremdenfeindlichen Gewalt im Osten hat sich eine starke Polarisierung entwickelt: Entweder wird die problematische DDR-Geschichte zur Erklärung von Politikdefiziten seit 1990 herangezogen oder die Schwierigkeiten der Transformation gelten als hauptsächliche Ursache für wachsenden Rechtsextremismus . Nach unserer Auffassung sollte aber die heutige Fremdenfeindlichkeit in den Neuen Ländern genauso wie die wirtschaftliche Krise als an spezifische Voraussetzungen aus der DDR-Geschichte gekoppelt betrachtet werden. Die sozialhistorische Forschung zu dieser Thematik steckt indessen noch in den Kinderschuhen. Im Vordergrund stand zunächst das politische System der DDR, während die Forschung zu gesellschaftlichen Randgruppen vernachlässigt wurde .
Wir versuchen, einige Erklärungsansätze für die Fremdenfeindlichkeit auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu entwickeln, die sich an den historischen Bedingungen des Umgangs mit und der Wahrnehmung von 'Fremden' in der ehemaligen DDR orientieren. Sowohl ältere mentalitätsgeschichtliche Prägungen der ostdeutschen Bevölkerung als auch sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Bedingungen im Staatssozialismus werden berücksichtigt; im Mittelpunkt stehen allerdings die spezifischen Modalitäten des Aufenthalts von 'Fremden' in der staatssozialistischen Diktatur der DDR. Hervorgegangen ist der Beitrag aus Arbeiten zur Entwicklung eines Forschungsprojektes zu 'Fremden und Fremd-Sein in der DDR', die wir 1999 in der Projektgruppe 'Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur' am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam (ZZF) durchführten .
II. Antifaschistischer Gründungsmythos und mentale Kontinuität
Auch in der Sowjetischen Besatzungszone gab es 1945 keine Stunde Null, und auch die DDR war ein Nachfolgestaat des nationalsozialistischen 'Dritten Reiches'. Von Beginn der SED-Herrschaft an war jedoch in der SBZ/DDR keine öffentliche Debatte, sondern ein parteioffizieller Diskurs vorherrschend, der weniger der Auseinandersetzung der eigenen Gesellschaft mit dem NS-Regime als vor allem der polemischen Abgrenzung vom Westen diente. De facto war öffentliche Rede über den Nationalsozialismus (NS) identisch mit Brandmarkung des Westens als 'klerikalfaschistisch', 'Restauration' etc. - und das machte die Rede über den NS an sich bei der Mehrheit, die nicht antiwestlich zu stimmen war, unglaubwürdig . Die drakonischen Säuberungen in der SBZ der unmittelbaren Nachkriegszeit galten nicht nur ehemaligen Nazis, sondern in zunehmendem Maße Gegnern der kommunistischen Herrschaft . Das schnelle Bekenntnis zur neuen 'antifaschistischen Ordnung' und zur SED konnte dagegen eine Möglichkeit bieten, den Systemwechsel zu mildern und persönliche Konsequenzen abzufedern . Es erscheint demnach fraglich, ob die rassistischen und nationalistischen Stereotype der NS-Propaganda, die in der Bevölkerung zweifelsohne verbreitet waren, allein durch die gebetsmühlenartige Wiederholung des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR tatsächlich aus dem Wertekanon der Bevölkerung getilgt wurden. Es soll hier nicht geleugnet werden, dass zahlreiche derjenigen Menschen, die in dieser Zeit bewusst den 'Aufbau des Sozialismus' unterstützten, sich auch mit dem NS auseinander setzten. Diese stellten aber zu jedem Zeitpunkt eine Minderheit in der DDR-Gesellschaft dar. Zugleich ist auch zu fragen, wie die Erfahrungen und Prägungen aus der Zeit der NS-Herrschaft, die Erlebnisse mit 'Fremdarbeitern' während des Zweiten Weltkrieges und die traumatischen Erfahrungen in den Jahren der sowjetischen Besatzungsherrschaft mit den Aussagen der SED-Propaganda in Verbindung gebracht wurden. Jedenfalls hat die SED während ihrer Herrschaft stets die historische Mitverantwortung des von ihr beherrschten Teils Deutschlands für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland bestritten und konsequenterweise auch (nach dem Ende der Reparationszahlungen an die Sowjetunion) keine Wiedergutmachungszahlungen geleistet . Diese aus der Externalisierung der historischen Verantwortung abgeleitete Verweigerungspolitik konnte von der Bevölkerung auch als Freispruch der (ost-) deutschen Bevölkerung verstanden werden - ein attraktives Integrationsangebot gerade auch für diejenigen, die der SED sonst fern standen.
An die Stelle offener Rede über die Zeit des Nationalsozialismus trat vierzig Jahre lang der Versuch, die DDR-Bevölkerung auf die Minderheitenperspektive der kommunistischen Widerstandskämpfer, die in radikaler Opposition zum Nationalsozialismus standen, einzuschwören. Die Mehrheit der Deutschen hatte die NS-Diktatur aber eher als Unterstützer oder als Mitläufer erlebt, so dass schon früh eine Lücke zwischen den Erfahrungen und Einstellungen der Menschen und der Propaganda der SED entstand. Mit der Auflösung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) 1953 löste sich der Partei-'Antifaschismus' weiter von den konkreten Erinnerungen der kommunistischen Überlebenden und erstarrte in einer abstrakten Rhetorik. So vermochte sich die DDR-Bevölkerungsmehrheit 'ohne Gewissenskonflikte und ohne große Brüche in ihrer bisherigen politischen Mentalität mit dem antifaschistischen Selbstverständnis des Staates zu arrangieren bzw. es selbst verinnerlichen' . Konkret gefragt war Loyalität zur SED-Politik und Konformität im Alltag.
Die Zwanghaftigkeit des Antifa-Mythos resultierte wesentlich aus dem ähnlich gelagerten Verhältnis der DDR-Bevölkerung zur Sowjetunion. 'Die Russen' kamen als fremde Sieger- und Besatzungsmacht, die ihr eigenes diktatorisches Herrschaftssystem mit Hilfe der deutschen Kommunisten in der SBZ implementierte . Prägend für das Verhältnis der ersten Jahre waren die Gewalterfahrungen gegen Kriegsende, insbesondere die Massenvergewaltigungen von deutschen Frauen. Wilde Plünderungen, die Vertreibung aus den Ostgebieten und die anhaltende Demontage wurden auch östlich der Elbe nicht gutgeheißen und schadeten dem Ansehen der als 'Russenpartei' geltenden SED . Weite Teile der Bevölkerung blieben auf Distanz zum neuen SED-Regime . Die enge Kopplung an die Sowjetunion stellte für die SED ein Dilemma dar. Einerseits hätte sich die Einheitspartei ohne die Garantiemacht kaum halten können, andererseits war die Anwesenheit der 'Russen' in der DDR bis zu ihrem Ende ein Symbol für den 'Fremdherrschaftscharakter' des SED-Regimes.
Mit der Gründung der DDR entstand daher die Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) als gemeinsame 'Erfindung einer Tradition' von Sowjetunion und SED. Doch die Dimension der Kontakte zwischen DDR und Sowjetunion, zwischen Deutschen und Russen erschöpfte sich nicht in den offiziellen Freundschaftsritualen der DSF. Vielmehr drangen Elemente der politischen und der Arbeitskultur der Sowjetunion in einem ambivalenten Prozess von Aneignung, Umformung und Ablehnung in das öffentliche Leben und den betrieblichen Alltag der DDR ein . Das Paradox parallelen Zusammen- und Nebeneinanderlebens, von hermetischer Abschottung der sowjetischen Besatzungstruppen und oktroyierter Aneignung sowjetischer Arbeitsmethoden, von propagierter Fortschrittlichkeit des sowjetischen Gesellschaftssystems und erlebter Fremdheit und Rückständigkeit seitens der DDR-Bevölkerung ist bisher noch weitgehend unerforscht. Trotzdem erscheint uns zweifelhaft, ob angesichts dieses Spannungsfeldes von Ideologie und Alltagserfahrung tradierte Aversionen und Stereotype gegen den Osten, die Slawen, überwunden werden konnten.
III. Vom Nationalismus in der DDR zum DDR-Nationalismus?
Folgte man offiziellen Verlautbarungen des SED-Regimes, so hatte der Nationalismus im Arbeiter- und Bauern-Staat durch die 'antifaschistisch-demokratische Umwälzung' endgültig sein Ende gefunden. Gleichwohl nutzte die SED während der gesamten Zeit ihrer Existenz nationale Legitimationsmuster, die inhaltlich variierten, deren Form aber beibehalten wurde . In der Ikonographie der jungen DDR mischten sich nationale mit sozialistischen Komponenten . Während Westdeutschland in der ostdeutschen Propaganda - an ältere antiwestliche und antiliberale Elemente des deutschen Nationalismus anknüpfend - als 'Kolonie des amerikanischen Imperialismus' angegriffen wurde, bezeichnete sich die Regierung der DDR als 'wahrhaft deutsche Regierung' . Mit dem Appell an die nationalen Gefühle der Bevölkerung sollten die Zumutungen der kommunistischen Herrschaft überspielt und Zustimmung zur eigenen Staatsgründung geworben werden. Als die sozialliberale Bundesregierung Ende der sechziger Jahre ihre deutsch-deutsche Politik der Annäherung startete und die einheitlichen Kulturnation betonte, bemühte sich die SED-Führung mit einer Zwei-Nationen-Theorie um Abgrenzung. Zwischen der DDR als 'sozialistischer Nation' und der Bundesrepublik als 'bürgerlich kapitalistischer Nation' bestünden nicht nur grundlegende Unterschiede der Wirtschafts- und Sozialordnung, sondern in deren Konsequenz differierten auch psychisch-moralische Eigenschaften und Gefühle, Kultur und Geschichte beider deutscher Bevölkerungen . In der geänderten Verfassung von 1974 und in programmatischen Texten wurde der Begriff deutsch getilgt und durch sozialistisch oder DDR ersetzt. Doch war dieser Kurs nicht unumstritten, selbst unter mittleren und unteren Kadern. So hieß es etwa kurz nach der Verfassungsänderung in einem der monatlichen Berichte an den SED-Generalsekretär, dass in der ostdeutschen Bevölkerung folgende Themen diskutiert würden: 'Sind wir noch Deutsche? Warum ist der Begriff ,Nation' nicht mehr in der Verfassung zu finden? Mit der Ergänzung und Änderung der Verfassung soll alles abgeschafft werden, was mit dem Namen ,deutsch' verbunden ist.'
Ein Nachgeben gegenüber solchen Bedenken gab es erst, als der sozialistische Charakter des Staatswesens gleich einer Prämisse im Freundschaftsvertrag mit der UdSSR von 1975 und dem Parteiprogramm der SED von 1976 festgeschrieben war. Die Ideologen der SED nahmen die Begriffe 'nationale Gemeinschaft', 'Nationalbewusstsein' und 'nationale Identität' wieder auf und stilisierten die gesellschaftliche Entwicklung des Territoriums der DDR und in der DDR selbst zu einem neuen Nationsbildungsprozess. Das Bild eines durch die Weihen des Sozialismus von historischer Last gereinigten deutschen Ethnos' vereinigte das tradierte Identifikationsmuster, die exkulpierende Zugehörigkeit zu den Siegern der Geschichte und wiederum die Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik .
Das Kalkül der SED, mit dem Appell an das nationale Empfinden der DDR-Bürger gewissermaßen über einen Anker in der Gesellschaft zu verfügen, erfüllte sich nur teilweise. Unabhängig vom SED-Bemühen erhielt sich eine nationale 'deutsche' Identität in verschiedenen Abbildungsfolien, bei Industriearbeitern etwa durch den Bezug auf die aus der Zeit vor 1945 tradierte 'Qualitätsarbeit' . Im ländlichen Bereich bemühte sich die Bevölkerung trotz der mit der Kollektivierung verbundenen Zumutungen ihre Wertewelt von Bodenständigkeit und bäuerlichem Selbstbewusstsein zu erhalten . Die patriotischen Gesten der SED gewannen dagegen nur an Glaubwürdigkeit, wenn sie mit der etablierten Vorurteilsstruktur der Bevölkerung korrespondierten. Hilflos gegenüber der Allgegenwart des Westfernsehens und der wirtschaftlichen Überlegenheit der Bundesrepublik, versuchte die Partei eher durch den Vergleich mit den sozialistischen Bruderländern, den Verweis auf die eigene Spitzenstellung (hinter der Sowjetunion), Punkte zu sammeln. Insbesondere in Krisensituationen war die Parteiführung auch bereit, ungeniert antipolnische Stereotype ('polnische Wirtschaft') zu bedienen . Auch bei ihrem Bemühen um nationale Legitimation stand die SED vor dem Dilemma, entweder den sozialistischen Gehalt ihrer Herrschaftspraxis zurückzustellen oder aber mit ihrer Ideologie in Isolation von der Bevölkerung zu verharren. Gleichwohl konnten auch solch rasche Wandlungen in der Propaganda von der verordneten ,Völkerfreundschaft' zu nationalen Ressentiments die Erosion des SED-Regimes in den achtziger Jahren nicht aufhalten.
In der 'patriotischen Erziehung' der DDR wurden Begriffe wie 'Heimatliebe' oder 'Stolz auf die Errungenschaften' der DDR mit sozialistischer Ideologie aufgeladen. 'Sozialistischer Patriotismus', das hieß unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion, Liebe zur SED und Verehrung für die Parteiführung und Solidarität mit den 'unterdrückten' Völkern der Welt. Uns erscheint aber zweifelhaft, ob die Bevölkerungsmehrheit all diese Implikationen nachvollzog oder ob nicht eher nach der prägenden Kraft dahinterstehender tradierter Denkstrukturen, nämlich der kritiklosen Überhöhung des Eigenen und der exklusiven Identifikation mit dem eigenen Kollektiv zu fragen ist. Beruhte diese 'imagined community' (Benedict Anderson) also auf genau jenen Mechanismen, die für das Gefühl und das Erlebnis, einer ethnisch definierten 'Nation' anzugehören, typisch sind? Einige fachspezifische Forschungsergebnisse weisen in diese Richtung: Die bildungsgeschichtliche Studie von Helga Marburger und Christiane Griese attestiert der DDR-Pädagogik einen starken Homogenisierungsdruck nach innen. 'Das Eigene war kollektives Eigenes und als solches streng genormt.' Lohnend ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf das Verhältnis der Stasi zu den auch in der DDR existenten Skinheadgruppen. In den Stasi-Akten zum Skinheadüberfall auf die Zionskirche von 1987 wird deutlich, wie stark die Denkschemata der Ermittler durcheinander gerieten. Waren doch die Opfer - Ziel des Überfalls war ein Punkkonzert - durch ihren Non-Konformismus bis dahin selbst Objekt von Beobachtung und Verfolgung der Sicherheitsorgane, weil ihre Einstellung als systemfeindlich galt. Was die rechten Schläger betrifft, so reichen die Akten über rechtsextreme Vorfälle bis 1978 zurück. Gleichwohl passte die 'faschistische' Orientierung dieser Tätergruppe nicht in das Raster der klassenkämpferisch geschulten Geheimdienstler, hatten die Skins doch wesentliche 'sozialistische Werte' wie Arbeitsliebe, Ordnung, Sauberkeit und Bereitschaft zum Militärdienst für sich angenommen . Dieses Beispiel verdeutlicht die 'sozial-hygienischen' Gemeinsamkeiten staatssozialistischer und rechtsextremer Leitbilder. Diese Übereinstimmung war es, die eine couragierte und offene Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus unmöglich machte, wären damit doch die genannten Grundwerte der DDR und letztlich der beschriebene Herrschaftsmodus der SED in Mitleidenschaft gezogen worden.
IV. Fremde und Ausländer in der DDR
Spätestens seit dem Mauerbau waren Auslandsreisen und internationale Mobilität aus dem Alltag der DDR verbannt. Nur wenige konnten sich private Urlaubsreisen etwa nach Bulgarien oder Ungarn leisten. Besuche im Westen waren Ausnahmen im Falle wichtiger Familienangelegenheiten. Für die Mehrheit der DDR-Bürger war Reisen ein staatlich gewährtes Privileg. Diesen eingeschränkten Erfahrungshorizont gilt es zu berücksichtigen, wenn man den Aufenthalt von Fremden und Ausländern in der DDR betrachtet. Die staatssozialistische Diktatur mit ihrem allumfassenden Regelungsanspruch 'offizialisierte' jede Form und Gelegenheit des Kontakts zu Fremden, so wie sie das mit allen sozialen Beziehungen zu verwirklichen suchte. 'Gesellschaft' im Sinne eines relativ autonomen Bereichs sozialer Beziehungen und Institutionen, wie er für bürgerlich-liberale Staaten typisch ist, sollte es in der DDR nicht geben, und das galt auch und gerade auf diesem Gebiet. Kontakte und Umgang außerhalb der staatlich festgelegten Regeln waren nicht vorgesehen, entweder explizit verboten, zumindest aber unerwünscht. Angehörige unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten sollten sich der SED-Ideologie zufolge gewissermaßen daher immer als 'Repräsentanten' ihrer jeweiligen Staatsvölker, quasi in diplomatischer Funktion, begegnen , nicht jedoch auf einer 'Von-Mensch-zu-Mensch-Basis'. Das einander Akzeptieren als 'Menschen wie du und ich', als individuelle Gäste und Gastgeber, Durchreisende und Einheimische, als Zufallsbekanntschaften etc. wurde dadurch von vornherein erschwert bzw. erforderte bewusstes, eigensinniges Gegenhalten - wofür es durchaus Beispiele gab! Die Botschaft der offiziellen Regelungswut war aber: 'Staatszugehörigkeit' (und die machte sich praktisch an der Nationszugehörigkeit fest) ist eminent 'wichtig', der Internationalismus stellte die Vorrangstellung der Nation nie infrage .
Für die allermeisten DDR-Bürger reduzierte sich die 'Erfahrung' mit Fremden auf eher unfreiwillige Mitgliedschaft in entsprechenden Massenorganisationen und von 'oben' inszenierte Rituale. Deutsch-Sowjetische Freundschaft, Solidaritätskomitees, die Liga für Völkerfreundschaft oder der FDGB sollten die Bürger für den 'proletarischen Internationalismus' mobilisieren, dies aber indessen eher auf einer formalen Ebene, etwa durch Beitragssammlungen oder Massenpetitionen.
Tatsächlicher Kontakt der Bürger mit Ausländern stellte für die SED-Diktatur dagegen ein Sicherheitsrisiko dar. So unterlagen auch die wenigen internationalen Veranstaltungen wie die 'Weltfestspiele der Jugend und Studenten' im Sommer 1973 oder die 'Festivals des politischen Liedes' politischer Kontrolle . Eine ganz andere Herausforderung stellte dagegen der dauerhafte Aufenthalt von Ausländern in der DDR dar. Die größte Gruppe von permanent in der DDR lebenden Ausländern bildeten die sogenannten Vertragsarbeiter aus Vietnam, Mosambik sowie Angola, Kuba, Algerien, Ungarn und anderen sozialistischen Staaten, die auf der Grundlage von geheimen Regierungsabkommen in der DDR arbeiteten . Während der Zeit ihres Aufenthalts wurden die Vertragsarbeiter grundsätzlich kollektiv und nach Geschlechtern getrennt in Wohnheimen des Einsatzbetriebes untergebracht. Die Ausstattung - 'nach dem Prinzip der strengsten Sparsamkeit' - war exakt festgelegt. Fünf Quadratmeter pro Person, maximal vier Personen pro Raum, für 50 Personen einen Klubraum . Für die DDR galten die fremden Arbeiter als Sicherheitsrisiko: 'Die Gemeinschaftsunterkünfte sind so abzugrenzen, dass Ordnung und Sicherheit gewährleistet sind. Der Betrieb hat die durchgehende Einlasskontrolle zu sichern.' Übernachtungen von Bekannten waren nur 'bei freier Bettenkapazität' für höchstens drei Nächte möglich, und um 'illegalen Übernachtungen' beizukommen, veranstalteten besonders vietnamesische Gruppenleiter mit den deutschen Heimleitungen nächtliche Razzien . Bis 1988 durften Vertragsarbeiterinnen keine Kinder bekommen. Sie standen vor der Alternative Abtreibung oder Zwangsrückkehr . In binationalen Beziehungen zwischen VertragsarbeiterInnen und DDR-BürgerInnen waren die Beteiligten erheblichem Druck ausgesetzt. Häufig verweigerten DDR und Entsendeland die Heirat, und der/die Vertragsarbeiter(in) musste zurückkehren. Vietnam erpresste von seinen Vertragsarbeitern Lösegeld, wollten diese in der DDR bleiben . Diese Politik grenzte binationale Beziehungen aus und verfestigte die Distanz der Bevölkerung gegenüber Ausländern.
Aufgrund der Abschottung erfuhren die DDR-Bürger nur wenig über die Vertragsarbeiter. So hielten sich viele Gerüchte, etwa über die Bezahlung in Valuta bzw. Bezahlung aus Solidaritätsbeiträgen der DDR-Bürger . Dem staatlichen Misstrauen und der Segregationspolitik gegen die Fremden folgte nun Misstrauen seitens der Bürger.
In den Betrieben wurden die Vertragsarbeiter entsprechend der Rahmenrichtlinie für den Vertragsarbeitereinsatz vom 1. Juli 1980 in Gruppen ab 50 eingesetzt. In den letzten Jahren taten die Vertragsarbeiter vornehmlich die Arbeit, für die sich kein DDR-Bürger mehr fand; monotone Maschinenarbeit, körperlich schwere Arbeit, Schichtarbeit . Die Betriebe versuchten, durch den Masseneinsatz fremder Arbeiter Versorgungsmängel zu beheben. Diskriminierungen bzw. Konflikte gehörten zum Alltag. Mosambikaner wurden mit dem Hinweis, sie seien ja ohnehin schon schwarz, an besonders ölverschmutzte Großmaschinen geschickt. Wenn Vertragsarbeiter gegen Anweisungen, die sie als diskriminierend empfanden, protestierten, drohten ihnen Vorgesetzte mit Polizei und Zwangsrückkehr wegen Verstoßes gegen die 'sozialistische Arbeitsdisziplin'. Die Funktionsweise solcher Konflikte beschreibt ein Vertragsarbeiter aus Hoyerswerda : Der Meister hatte einen Mosambikaner geschlagen, dieser hatte sich außerhalb des Betriebes revanchiert und sollte nun in die Heimat geschickt werden. Als aber der mosambikanische Gruppenleiter verlangte, den rassistischen Hintergrund des Streites zu den Akten zu nehmen, wurde der betroffene Vertragsarbeiter versetzt. Da die offizielle antirassistische Ideologie dieses Problem als Konsequenz kapitalistischer Gesellschaftsordnungen und damit als alleiniges Problem der 'imperialistischen' Staaten, insbesondere der USA, interpretierte, war eine ernsthafte Auseinandersetzung mit rassistischen Stereotypen unmöglich. Vorfälle wie dieser wurden in der kontrollierten Öffentlichkeit der DDR tabuisiert.
Konflikte erwuchsen aber auch aus einer wirtschaftlichen Konkurrenz zwischen Vertragsarbeitern und DDR-Bürgern. Jene wollten aus ihrem begrenzten Aufenthalt das Maximale herausholen. In Thüringen kam es so zu Beginn der achtziger Jahre zu einem Überfall einheimischer Jugendlicher auf ein Vietnamesenwohnheim, die die Vertragsarbeiter - laut FDGB-Bericht - von weiterer zu hoher Normerfüllung abhalten wollten . Um die Reglementierungen des Lohntransfers zu umgehen, bemühten sich besonders die vietnamesischen Vertragsarbeiter um Mangelgüter und lukrative Nebentätigkeiten, was die DDR-Behörden wie -Bevölkerung gegen sie aufbrachten. Häufig betrieben sie neben der Arbeit (und wenn es sich rentierte, auch statt der Arbeit) einen schwunghaften Handel mit selbstgenähten Jeans oder gehorteten Elektrogeräten, um in den 'Besitz eines bestimmten Mehrgeldbetrages zu gelangen' . Als Wertanlagen, die es in die Heimat zu schicken galt, waren Fahrräder und Mopeds begehrt. Mit der Zuspitzung der Versorgungskrise der DDR Ende der achtziger Jahre hielten die Schlagworte 'Schmuggel' und 'Warenabkauf' durch Ausländer Einzug in die gesteuerten DDR-Medien, versuchte die SED doch auf diesem Wege von ihrer verfehlten Wirtschaftspolitik abzulenken . Die im Band Ausland DDR veröffentlichte Leserbriefsammlung der Berliner Zeitung aus der Zeit des Mauerfalls zeigt, welche Blüten die Fremdenfeindlichkeit bereits weit vor der Einheit getrieben hatte. Sie bietet ein Panorama aus besonders antipolnischen Vorurteilen ('arbeitsscheu', 'faul'), Ausverkaufs- und Überfremdungsängsten ('wollen wir etwa eine Mischrasse?'), aber auch wenigen mahnenden Stimmen .
V. Fazit
Vom grundlegenden Legitimationsdefizit der SED-Diktatur waren Fremde und Ausländer besonders betroffen. Jeder Ausländer galt immer auch als Repräsentant seines Landes, und der Aufenthalt der meisten wurde in irgendeiner Form aus der Solidaritätspolitik der DDR erklärt. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang, inwieweit Ausländer aufgrund dieser 'Offizialisierung' in der Wahrnehmung vieler DDR-Bürger nicht auch zum Symbol sozialistischer Herrschaft wurden.
Fremde trafen in der DDR auf eine Gesellschaft, in der politisch motivierte Ausgrenzungsmechanismen eine historische Kontinuität darstellten. Während der Antifaschismus, Internationalismus und die internationale Solidarität in abstrakter Akklamationsrhetorik erstarrt waren, blieb die Nation trotz wechselnden Inhalts wichtiger Bezugspunkt für Regime und Bevölkerung. Die Klassengemeinschaft war zu allererst eine nationale der DDR-Deutschen. Die meisten Ausländer lebten dementsprechend von den DDR-Bürgern abgeschirmt. Im Alltag rieben sich dann die jeweiligen Rollen des demütigen Empfängers von Solidarität und des Solidarität gewährenden DDR-Bürgers an der Realität, ohne dass über Konflikte offen gesprochen werden durfte.
In der Versorgungskrise der achtziger Jahre folgte die SED den Vorbehalten aus der Bevölkerung und grenzte Ausländer als illegitime Konsumkonkurrenten aus. Und auch die Wiedervereinigungseuphorie Anfang der neunziger Jahre hat das nationalistische, fremdenfeindliche DDR-Potenzial bestätigt. Jetzt ist es die Transformationskrise, die den Wertewandel in Ostdeutschland hemmt, denn das System Demokratie mit all seinen Implikationen muss sich erst in den persönlichen Lebenssituationen der ostdeutschen Bürger bewähren, bevor es Akzeptanz findet . Ohne den kritischen Blick zurück in die DDR aber wird nicht klar, welches Denken jetzt bei einem großen Teil der ostdeutschen Bevölkerung vorherrscht.