I. Einleitende Bemerkungen
Die DDR ist 1989 nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich gescheitert. Als eine Ursache ihres gebremsten Wirtschaftswachstums und ihrer Innovationsschwächen gelten planwirtschaftliche und politische Blockaden der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft ihrer Bürger, darunter die zu geringen, da nicht stimulierenden Lohnunterschiede, Organisationsprobleme und Ressourcenmängel im betrieblichen Alltag sowie die Politisierung von Berufslaufbahnen. Da die Aktivierung wirtschaftlicher Initiative als einer der entscheidenden Wettbewerbsvorteile von Marktwirtschaften gegenüber Planwirtschaften gilt, erhoffte man sich durch die rasche Wiedereinführung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, Selbstheilungskräfte in Gang zu setzen. Im Interesse der notwendigen gesellschaftlichen Erneuerung sollten schlummernde Leistungspotentiale der ostdeutschen Erwerbstätigen geweckt werden. Diese Hoffnungen sind nicht Realität geworden. So kann man sich zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung fragen, ob es diese Leistungspotentiale der Ostdeutschen nicht gegeben hat oder ob sie sich nur nicht entfalten konnten.
Die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsdaten der neuen Bundesländer sind alles andere als rosig. Die Zahl der regulär Erwerbstätigen ging von etwa 9,7 Millionen im Jahr 1990 auf 7 Millionen im Jahr 1996 zurück. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt seit Jahren um 15 Prozent. Das reale Arbeitsplatzdefizit ist weit größer, da beschäftigungspolitische Maßnahmen und Frühverrentungen eine Verringerung der Arbeitsplatznachfrage zur Folge haben. Obwohl Ostdeutschland mit bis zu 200 Milliarden DM Transferzahlungen pro Jahr
Wogen also die Altlasten des DDR-Systems so schwer, dass die Ostdeutschen nicht in der Lage waren, ihr Geschick in die eigenen Hände zu nehmen? Waren sie zu inaktiv, die neuen Gelegenheiten zu nutzen? Oder blieben ihre Mobilitätskompetenzen durch die Begleitumstände des gesellschaftlichen Wandels in den neuen Bundesländern ungenutzt? Zur Beantwortung dieser Frage lassen sich, in Anlehnung an Detlef Pollacks Unterscheidung von Forschungspositionen zur ostdeutschen "Sondermentalität"
Eine in Wissenschaft und Politik häufig vertretene Ansicht ist, dass die Ostdeutschen als "gelernte DDR-Bürger" nicht die Fähigkeiten und die notwendige Eigeninitiative für ein ostdeutsches Wirtschaftswunder mitbrachten, dass sie aufgrund ihrer Sozialisation für die Anforderungen moderner Marktwirtschaften schlecht gerüstet waren. "Die DDR als staatlich regulierte Gesellschaft garantierte einerseits sichere und stabile Erwerbsverläufe und versuchte andererseits, das Ausscheren aus vorgezeichneten Bahnen eher zu unterbinden. Daraus ergeben sich enorme Probleme bei der Umstellung auf marktwirtschaftliche Mechanismen, da diese ein selbstverantwortliches Management der eigenen Berufsbiographie erfordern."
Ob das "DDR-Erbe" oder der rasche Institutionentransfer den Engpass für die Funktionsweise der neuen Gesellschaft in Ostdeutschland bildete, gehört zu den Schlüsselfragen der Transformation. Doch trotz einer Fülle von Literatur über den gesellschaftlichen Wandel in Ostdeutschland überwiegen in dieser Frage ideologisch vorgeprägte, polarisierende Diskussionslinien. Unser Beitrag nimmt diese Diskussion für einen Teilbereich auf. Wir untersuchen empirisch die Mobilität von Personen auf dem Arbeitsmarkt der Nachwendezeit und die Bestimmungsfaktoren dieser Mobilität. Dabei beschränken wir uns auf Personen, die bereits vor 1989 erwerbstätig waren, denn gerade auf diese bezieht sich der Vorwurf mentaler und qualifikatorischer "Altlasten" aus der DDR. Die bereits in der DDR Erwerbstätigen mussten zudem in besonderem Maße Träger des sozialen Wandels in Ostdeutschland sein, denn der gesellschaftliche Umbruch verlief zu rasch, als dass er sich vor allem auf die beruflichen Neueinsteiger hätte stützen können. Diskutiert wird in unserem Beitrag weniger das Niveau der Qualifikationen und Kompetenzen ostdeutscher Erwerbspersonen. Eine solche Bewertung ist schwierig und sollte zumindest im Ost-West-Vergleich erfolgen. Unser Ansatz ist deshalb, insbesondere die Wirksamkeit von individuellen Qualifikationen und Kompetenzen auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt nach 1989 zu untersuchen. Die Biographie- und die Lebensverlaufsforschung haben seit langem gezeigt, dass Verhaltensroutinen und biographische Muster durch historische Ereignisse nicht einfach aufgehoben werden. Sie können sich unter gesellschaftlichen Bedingungen sogar verfestigen. Wenn also qualifikatorische Schwächen und mangelnde Flexibilität der ehemaligen DDR-Bürger den Engpass im Restrukturierungsprozess der ostdeutschen Wirtschaft darstellten, sollte es Erwerbstätigen mit Eigeninitiative, hoher Berufsorientierung und guter Qualifikation zu DDR-Zeiten auch nach 1989 besser als anderen gelungen sein, neue Berufsfelder zu erschließen sowie frei gewordene und neu geschaffene attraktive Berufspositionen zu füllen. Lässt sich nicht feststellen, dass die Personen, die sich bis 1989 durch hohe Flexibilität und Berufsorientierung auszeichneten, nach der Wende beruflichen Erfolg haben und seltener als andere arbeitslos wurden, spräche dies für eine mangelhafte Nutzung vorhandenen Arbeitsvermögens in der ostdeutschen Transformationssituation.
Unser Beitrag beruht auf Auswertungen der Ostdeutschen Lebensverlaufsstudie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung
II. Berufliche Qualifikationen und Mobilitätserfahrungen in der DDR
Ein wichtiges Guthaben für die Bewältigung der Wirtschaftsreformen in Ostdeutschland nach 1989 war zweifellos das hohe berufliche Qualifikationsniveau der Erwerbstätigen in der DDR. Zwar lag der Anteil der akademischen Ausbildungen seit Mitte der siebziger Jahre unter dem in der Bundesrepublik, doch auch der Anteil der Beschäftigten ohne Berufsabschluss war in der DDR deutlich geringer. Selbst unter den um 1940 Geborenen verfügten nur acht Prozent der Frauen und drei Prozent der Männer 1989 nicht über einen berufsqualifizierenden Abschluss. Bei den Jüngeren waren es jeweils unter fünf Prozent
Weitaus skeptischer als ihre formalen Qualifikationen werden die Fähigkeiten der Ostdeutschen zur selbstbestimmten Gestaltung ihrer Berufsbiographie eingeschätzt, denn auf den ersten Blick spricht einiges dafür, dass Tätigkeitswechsel in der DDR selten waren und überwiegend nicht der individuellen beruflichen Entwicklung dienten. Die Möglichkeiten zum Erwerb von Eigentum und zur Gründung von Unternehmen waren eng begrenzt. Eine zentralistische Arbeitskräftepolitik und das Fehlen von Einrichtungen der zwischenbetrieblichen Arbeitskräftevermittlung haben Wechsel nicht unterstützt. Geringe Lohndifferenzen zwischen Betrieben und Statuspositionen (bzw. die zum Teil existierende Lohnumkehrung zwischen Ungelernten- und Facharbeitertätigkeiten) dämpften die Aufstiegsorientierung der Beschäftigten. Statt der Karrierechancen werden in Berichten über den betrieblichen Alltag häufig die alltäglichen Begleitumstände der Arbeit - der gute Kontakt zu Kollegen, die betrieblichen Freizeitangebote und Sozialleistungen - hervorgehoben. Allerdings gab es ein entwickeltes System beruflicher Weiterbildung, und die staatlichen Beschäftigungsgarantien könnten gerade ein wichtiges Sicherheitsnetz für selbstbestimmte Berufsentscheidungen gewesen sein.
Daten der Ostdeutschen Lebensverlaufsstudie zeigen, dass Beschäftigte in der DDR etwa so häufig den Arbeitsplatz wechselten wie in der Bundesrepublik. Auch das Verhältnis von berufsbezogenen zu familienbezogenen bzw. privaten Motiven für die Stellenwechsel ist vergleichbar. Allerdings erfolgten in der DDR Arbeitsplatzwechsel etwas häufiger innerhalb des Betriebes. Zudem nahm die Mobilität der Beschäftigten in der DDR zwischen den fünfziger und den achtziger Jahren ab, während die Beschäftigten in der alten Bundesrepublik über die Jahrzehnte eher mobiler wurden
Von unseren Befragten konnte Ende 1989 immerhin jeder Dritte auf mehrfache Betriebs- und jeder Vierte auf mehrfache Berufsfeldwechsel ohne Lohneinbußen oder berufliche Abstiege zurückblicken. Etwa jeder Vierte hatte mehrfach in Eigeninitiative einen Arbeitsplatz gesucht. Obwohl die um 1950 und vor allem die um 1960 Geborenen in der DDR aufgrund ihrer kürzeren Berufslaufbahnen weniger Gelegenheiten zu Berufs- und Arbeitsplatzwechseln hatten, vollzogen sie ähnlich viele Wechsel wie die Älteren. Unterschiede gab es zwischen Männern und Frauen, mit dem zunächst überraschenden Befund, dass Frauen in der DDR bei der Arbeitsplatzsuche mehr Eigeninitiative zeigten als Männer. Erklären lässt sich das damit, dass sie auch in der DDR die Hauptverantwortung für Haushaltsorganisation und Kinderbetreuung trugen. Um dies mit der Erwerbstätigkeit verbinden zu können, suchten sie häufig Arbeitsstellen in räumlicher Nähe zur Wohnung oder Tätigkeiten mit Arbeitszeitregelungen, die ein verstärktes häusliches und familiäres Engagement erlaubten
Eine wichtige Voraussetzung für den Zugang zu Erwerbsarbeit sind soziale Netzwerke. Sie erleichtern Beschäftigungssuchenden und Wechselwilligen die Orientierung auf Arbeitsmärkten, ferner sind sie eine Quelle für Kontaktpersonen und Fürsprecher bei Bewerbungen. Nahezu alle unsere Befragten verfügten über enge und dichte persönliche Kommunikationsbeziehungen
Abbildung 1 zeigt Mobilitätserfahrungen und die Unterstützungsnetzwerke der ostdeutschen Beschäftigten zu Beginn der Transformation noch einmal im Überblick. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die DDR-Bürger 1989 in Bezug auf berufliche Qualifikationen, zurückliegende erfolgreiche Stellenwechsel und berufliche Unterstützungsnetzwerke in einer unterschiedlichen Ausgangssituation befanden. Es ist jedoch nicht gerechtfertigt, von einem allgemeinen Kompetenz- und Mobilitätsdefizit auszugehen.
III. Arbeitsmarktmobilität nach der Wende
Im Folgenden soll gezeigt werden, inwieweit der Arbeitsmarkt der Nachwendezeit offen genug war, um für ostdeutsche Erwerbstätige Neuorientierungen auf der Grundlage unterschiedlicher beruflicher Kompetenzen und Aspirationen zu ermöglichen. Nur wenn es überhaupt in größerem Umfang zu Arbeitsplatz-, Betriebs- und Berufswechseln kam
Wenig überraschend ist, dass die ostdeutschen Frauen und Männer nach 1989 häufiger als zuvor den Arbeitsplatz und den Betrieb wechselten. Wenn man für die befragten Personen der Ostdeutschen Lebensverlaufsstudie einen Zeitraum von reichlich sechs Jahren vor der Wende mit einem Zeitraum von reichlich sechs Jahren nach der Wende vergleicht (September 1983-Dezember 1989 versus Dezember 1989-März 1996), zeigt sich, dass sie nach der Wende mehr als doppelt so viele Betriebswechsel vollzogen. Auch Arbeitsplatzwechsel nahmen drastisch zu, waren öfter als zuvor mit einem Betriebswechsel verbunden, und dies obwohl die befragten Personen älter wurden (und damit eigentlich immobiler). Vergleiche mit anderen Arbeitsmärkten zeigen, dass die Mobilität in den neuen Bundesländern ungewöhnlich hoch war. Zwischen 1991 und 1995 wechselten ostdeutsche Arbeitnehmer etwa doppelt so oft den Betrieb oder den Beruf wie westdeutsche
Ferner gibt es Hinweise auf einen ausgeprägten zeitlich ungleichen Verlauf der Restrukturierung des ostdeutschen Beschäftigungssystems. Der von Burkart Lutz geprägte Begriff "Zeitfenster der Neuverteilung von Chancen"
Fragt man allerdings nach der Qualität der Mobilitätsprozesse auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt, so stimmt die Bilanz wenig optimistisch, denn für die Arbeitnehmer waren die Chancen beruflicher Verbesserung nach 1989 deutlich geringer als die Risiken, entlassen zu werden oder beruflich abzusteigen. Abbildung 2 zeigt beispielsweise, dass Betriebswechsel in der Regel nicht mit beruflichem Fortkommen verbunden waren. Sie wurden häufiger von Abstiegen als von Aufstiegen begleitet
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Intensität von Arbeitsplatz-, Betriebs- und Berufswechseln der Erwerbstätigen im Zuge der ostdeutschen Transformation sehr hoch war. Die Ostdeutschen waren nach 1989 auf dem Arbeitsmarkt deutlich mobiler als die Westdeutschen. Insbesondere häuften sich Veränderungen in der Periode rascher betrieblicher Reorganisation bis Mitte 1992. Nicht die Immobilität der Arbeitskräfte erscheint daher als Problem, sondern die fehlende Attraktivität von Arbeitsmarktoptionen. Arbeitsplatz-, Berufs- und Betriebswechsel waren nach 1989 in Ostdeutschland selten weiterführende Stationen in Berufskarrieren, sondern zumeist hochriskante Versuche der Beschäftigungssicherung. Schon das erschüttert die Hypothese, dass fehlende individuelle Kompetenzen und Mobilitätsbereitschaft den ostdeutschen Aufschwung verhinderten.
IV. Mobilitätskompetenzen und Erwerbschancen in der Nachwendezeit
Kann man davon ausgehen, dass es den Personen, die sich bereits vor 1989 durch Eigeninitiative und berufliche Flexibilität auszeichneten, besser als anderen gelang, ihre berufliche Position zu sichern oder zu verbessern? Um diese Frage beantworten zu können, haben wir unterschiedliche Arten von Arbeitsmarktmobilität ostdeutscher Erwerbstätiger nach der Wende untersucht und dabei nach der Bedeutung der Mobilitätserfahrungen und Netzwerke gefragt, die sie aus DDR-Zeiten mitbrachten. Betrachtet haben wir Wechsel in Arbeitslosigkeit, Wiedereintritte in Beschäftigung, Auf- und Abstiege entlang beruflicher Statuspositionen, direkte Betriebs- und Berufswechsel
Wir konnten feststellen, dass sich Mobilitätserfahrungen aus der DDR auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt durchaus bewährten, wenn auch in begrenztem Maße. Erfolgreiche Betriebs- und Berufswechsel vor 1989 - d. h. Wechsel ohne Lohneinbußen oder Abstiege - erhöhten die Wahrscheinlichkeit, dass den Personen in der Phase des "Zeitfensters" von Januar 1990 bis Juni 1992 ein direkter Betriebswechsel bzw. eine Übernahme in eine betriebliche Ausgründung gelang. Dies ist umso bedeutsamer, als solche frühen Betriebswechsel im weiteren Verlauf der Transformation das Arbeitslosigkeits- und Abstiegsrisiko stark minderten. Personen mit Berufswechselerfahrungen aus DDR-Zeiten waren auch von 1990 bis 1992 beruflich besonders flexibel. Ferner hatten sie bessere Chancen, aus Arbeitslosigkeit wieder eingestellt zu werden. Offensichtlich waren Menschen, die zu DDR-Zeiten Berufe und Betriebe gewechselt hatten, zumindest bis 1992 tatsächlich besser als andere in der Lage, den Anforderungen der wirtschaftlichen Umbruchssituation zu begegnen und Arbeitslosigkeit durch berufliche Mobilität zu beenden. Ab Mitte 1992 gingen diese Vorteile allerdings weitgehend verloren - und zwar sowohl die verbesserten Wiedereinstiegschancen dieser Personen als auch die höhere Wahrscheinlichkeit direkter Betriebswechsel. Stattdessen war ihr Arbeitslosigkeitsrisiko gestiegen. Berufliche Flexibilität zu DDR-Zeiten begünstigte jedoch nach wie vor berufliche Anpassungen und Neuorientierungen in Form von Berufswechseln.
Unerwartet fielen die Ergebnisse für Personen aus, die bei der Arbeitsplatzsuche in der DDR eine hohe Eigeninitiative gezeigt und sich aus beruflichen oder privaten Gründen aktiv um einen Arbeitsplatz bemüht hatten. Diese Personen erlebten bis Mitte 1992 weniger berufliche Abstiege und Übergänge in Arbeitslosigkeit. Doch gerade angesichts ihrer eigeninitiierten Arbeitsplatzwechsel in der Vergangenheit überrascht ihre Immobilität nach der Wende. Bereits in der Periode des "Zeitfensters" wechselten sie seltener als andere Arbeitnehmer den Betrieb oder den Beruf. Sie vollzogen seltener berufliche Aufstiege, und wenn sie arbeitslos wurden, dann hatten sie keine besseren Chancen eines Wiedereinstiegs. Erklären lässt sich diese unerwartete Passivität damit, dass diese Personen durch ihre selbstbestimmte Arbeitsplatzsuche zu DDR-Zeiten relativ gute Arbeitsplätze gefunden hatten, die ihnen nach der Wende eine etwas höhere Chance des Verbleibs sicherten. Einmal von diesem Arbeitsplatz verdrängt, erwiesen sich jedoch die zu DDR-Zeiten Initiativreichen nicht als besser auf die turbulente Arbeitsmarktsituation vorbereitet als andere Erwerbspersonen. Die Tatsache, dass eigeninitiierte Wechsel zu DDR-Zeiten nach 1992 ihre Bedeutung für Arbeitsmarktmobilität fast gänzlich verloren, stützt diese Interpretation: Offensichtlich haben sie eher zu befristeten Vorteilen einer guten Platzierung zu Beginn der Transformation geführt als zu langfristigen Vorteilen auf dem Arbeitsmarkt.
Schließlich entsprechen die Ergebnisse zur Wirksamkeit von persönlichen und instrumentellen Netzwerken aus der DDR-Zeit in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft nicht den Erwartungen, die Medienberichte über "Stasi-Seilschaften" und "alte Kader" womöglich schürten. Ob Personen in der DDR über enge Sozialbeziehungen verfügten, spielte für ihr Arbeitsmarktschicksal nach der Wende eine untergeordnete Rolle. Für ihr privates Umfeld hatten fast alle von starker Unterstützung berichtet (vgl. Abbildung 1). Folgerichtig lassen sich auch Erfolg oder Misserfolg nach der Wende nicht auf die Qualität der Unterstützung im Familien- und Freundeskreis zurückführen. Doch überraschenderweise waren auch instrumentelle Netzwerke aus der Vorwendezeit, bzw. die Fähigkeit, solche Beziehungen aufzubauen, nach 1989 nur sehr eingeschränkt wirksam. Immerhin hatten Personen mit dichten instrumentellen Netzwerken zu DDR-Zeiten ein geringeres Risiko, nach 1989 arbeitslos zu werden - bis Mitte 1992 deutlicher als danach. Ansonsten lässt sich nicht feststellen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt der neuen Bundesländer günstigere Aussichten hatten. Offensichtlich konnten viele Beziehungen nicht erhalten und erneuert werden oder sie waren irrelevant geworden.
Die aus der DDR mitgebrachten Mobilitätserfahrungen und Sozialbeziehungen haben für die Berufswege ostdeutscher Erwerbstätiger nach 1989 also durchaus eine Rolle gespielt. Doch ihr Einfluss war nicht besonders stark, und er beschränkte sich auf einzelne der untersuchten Mobilitätsprozesse. Im Unterschied zur schwachen Wirksamkeit von Mobilitätserfahrungen, beruflicher Eigeninitiative und Netzwerkbeziehungen auf dem ostdeutschen Transformationsarbeitsmarkt war der formale berufliche Bildungsabschluss der Erwerbstätigen von zentraler Bedeutung für ihren Berufsweg nach der Wende. Personen ohne Berufsabschluss wurden wesentlich häufiger als Facharbeiter arbeitslos und ihre Chancen, wieder eingestellt zu werden, waren sehr gering. Mit zunehmendem Verlauf der Transformation stieg die Arbeitsplatzsicherheit von Personen mit Hoch- und Fachschulausbildungen nicht nur gegenüber den Ungelernten, sondern auch gegenüber Facharbeitern deutlich an. Es kam zu einem kaskadenartigen Verdrängungsprozess niedrig qualifizierter Arbeitnehmer, in dem sich die jeweils besser Ausgebildeten ihre Beschäftigungssicherheit durch berufliche Abstiege "erkauften".
Als ebenso einflussreich für das Erwerbsschicksal ostdeutscher Arbeitnehmer erwies sich das wirtschaftsstrukturelle Umfeld der Arbeitsplätze. Während Beschäftigte im öffentlichen Dienst vergleichsweise stabile Erwerbsverläufe realisieren konnten, war das Entlassungsrisiko im verarbeitenden Gewerbe und in der Landwirtschaft um ein Mehrfaches höher. Auch das private Dienstleistungsgewerbe war trotz des beeindruckenden Wachstums einzelner Branchen kein sicherer Hafen. Auf einzelbetrieblicher Ebene entschieden vor allem die gewählten Sanierungsstrategien, das Ausmaß des Personalabbaus sowie das Tempo und der Erfolg der betrieblichen Privatisierung über die Weiterbeschäftigung von Arbeitskräften. Formale Qualifikationen, die ausgeübte Tätigkeit und betriebliche Sanierungserfolge waren für das Schicksal der ostdeutschen Beschäftigten nach der Wende von deutlich größerem Einfluss als Mobilitätsbereitschaft und Netzwerkressourcen.
V. Schlussbemerkungen
Marktwirtschaften leben von einer Leistungsethik. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit muss glaubhaft bleiben, dass sich individuelle Anstrengungen, Erfahrungen und Qualifikationen auszahlen und dass sie den Zugang zu Erwerbsarbeit und Einkommen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund stimmen die Ergebnisse unserer Untersuchung nachdenklich. Diejenigen Ostdeutschen, deren DDR-Karriere am ehesten durch Selbstbestimmung und Eigeninitiative geprägt war, waren nach 1989 wohl vorübergehend etwas besser vor Entlassungen geschützt oder besser in der Lage, durch direkte Betriebswechsel einer Arbeitslosigkeit vorzubeugen. Doch zum einen sind diese Effekte nur in den ersten Jahren der Transformation feststellbar. Zum anderen war ihr Gewicht gegenüber formalen Qualifikationen und gegenüber den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Arbeitsplatzes gering. Es ließ sich nicht feststellen, dass die zu DDR-Zeiten besonders initiativreichen und berufsorientierten Personen bessere Chancen als andere gehabt hätten, nach 1989 in attraktive Berufspositionen aufzusteigen.
Dass die ehemaligen DDR-Bürger aufgrund ihrer Vergangenheit nicht in der Lage waren, Leistungsmotivation und Unternehmergeist zu entwickeln, erscheint uns angesichts der empirischen Ergebnisse als zu einfache Erklärung. Dagegen sprechen nicht nur das kräftige Wachstum der Zahl der Selbständigen und Freiberufler oder der Berufspendler und -migranten. Erwerbskarrieren in der DDR waren auch durchaus nicht so starr und fremdbestimmt, wie Plan- und Markt-Ideologien behaupten. Tätigkeits- und Betriebswechsel waren keine Seltenheit und dienten häufig der Verwirklichung beruflicher Ziele.
Der ostdeutsche Arbeitsmarkt bot nach 1989 trotz hoher Turbulenzen nur wenig Chancen für Neuorientierungen und berufliche Aufstiege. Arbeitsplatzwechsel dienten in erster Linie der Beschäftigungssicherung. In den Altbetrieben waren durch massiven Personalabbau, Zerlegungen und Abteilungsschließungen betriebsinterne Karrierewege weitgehend zusammengebrochen. Vom externen Arbeitsmarkt gingen mit den massiven Beschäftigungsverlusten in Landwirtschaft und Industrie gleichfalls zunächst wenig Signale aus, an denen sich Arbeitslose in ihrem Erwerbsverhalten hätten orientieren können
Unsere Analysen lassen noch offen, welche konkreten Institutionen des Arbeitsmarktes und der neuen Eigentumsstrukturen zur Blockade von Arbeitsvermögen geführt haben und inwiefern vor allem die Geschwindigkeit des Wandels wenig Raum für die Entfaltung von wirtschaftlicher Initiative und beruflicher Kompetenz ließ. Hierzu sind weitere Analysen spezieller Beschäftigungs- und Eigentümerkonstellationen nötig, wobei Studien von Andreas Willisch und Kai Brauer über Gewinner und Verlierer der Transformation in einer dörflichen Umgebung
Internetverweise der Autoren:
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www.wiedervereinigung.de