I. Ambivalenzen amerikanischer Außenpolitik am Ende der Ära Clinton
"Indispensible nation" - "lonely superpower" - "world's policeman" - "rogue superpower": Die Charakterisierungen der USA am Ende der Präsidentschaft William Jefferson Clintons sind mannigfaltig und kontrovers. Unstrittig ist hingegen, dass amerikanische Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts eher das Ergebnis von Ad-hoc-Reaktionen vor dem Hintergrund stark polarisierter innenpolitischer Kräftekonstellationen denn Ausdruck eines klaren strategischen Konzepts ist. Entsprechend widersprüchlich erscheint die Außenpolitik des 42. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Energische internationale Führungsleistung geht einher mit dezidiertem Führungsverzicht, verschärfte Wirtschaftssanktionen kollidieren mit dem Bemühen um weitere Handelsliberalisierung, dem Ruf nach größerer internationaler Arbeitsteilung steht die Tendenz zu einem "globalen Unilateralismus" gegenüber.
Gemeinhin werden diese widersprüchlichen Tendenzen mit der Erosion präsidentieller Macht während der Amtszeit Clintons in Verbindung gebracht. "Divided government" und "impeachment politics" liefern hier die Stichworte, und zweifelsohne wurde Clintons Handlungsspielraum durch das scharfe parteipolitische Tauziehen mit den Republikanern im Kongress ab 1995 und das versuchte Amtsenthebungsverfahren im Zuge der "Lewinsky-Affäre" 1998/99 empfindlich eingeschränkt.
Clinton ist immerhin der erste Demokrat seit Franklin Delano Roosevelt, der wiedergewählt wurde. Er hat auch aus der Sicht seiner Kritiker einige außenpolitische Erfolge vorzuweisen, vor allem in der Außenwirtschaftspolitik: die Zustimmung des Kongresses zur Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (North American Free Trade Agreement), die Schaffung der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization), das wirtschaftliche Stabilisierungspaket für Mexiko, das Management der Asienkrise und die Normalisierung der Handelsbeziehungen mit der Volksrepublik China. Einzelne Erfolge addieren sich jedoch nicht zu einem außenpolitischen Vermächtnis im Sinne einer innovativen Neuorientierung amerikanischer Außenpolitik, wie sie grundsätzlich möglich erschien, nachdem die USA von den Handlungszwängen des Ost-West-Konflikts befreit waren und damit die Außenpolitik nicht mehr länger der Logik einer vorzugsweise militärisch definierten globalen Eindämmungspolitik unterworfen war.
Innovation in der Außenpolitik hätte jedoch angesichts bürokratischer Routine und festgefügter Interessen und Koalitionen auch vom Präsidenten vorangetrieben werden müssen. Doch William Jefferson Clinton, angetreten mit einem innenpolitischen Programm, brachte nur geringes, jedenfalls nicht jenes stete Interesse für die Außenpolitik auf, das eine wichtige Voraussetzung für innovative Führungsleistung ist. Zu unentschlossen war der Führungsstil, zu unklar waren die außenpolitischen Prioritäten, als dass ein nachhaltiges außenpolitisches Vermächtnis hätte erwachsen können. Jedoch machten auch die Strukturen des unter den Bedingungen des Ost-West-Konflikts gewachsenen "Sicherheitsstaates", in dem die Vertreter einer bedrohungsorientierten, stark auf militärische Mittel vertrauenden Außenpolitik eine privilegierte Position gewonnen hatten, eine Neuorientierung schwierig. Dies gilt, zumal der auf größere Mitsprache pochende, den Führungsanspruch des Präsidenten vielfach in Frage stellende republikanisch dominierte Kongress geradezu als Garant des "Sicherheitsstaates" agierte und sich mit dem Ende der Bedrohung durch die Sowjetunion jener Begründungszusammenhang aufgelöst hatte, der von amerikanischen Präsidenten jahrzehntelang dazu benutzt worden war, um ihren Führungsanspruch in der Formulierung der Außenpolitik abzusichern. Insofern traf Präsident Clinton auf strukturelle Rahmenbedingungen, unter denen sich jeder Präsident außenpolitisch schwer getan hätte
II. Außenpolitische Innovation und ihre Grenzen
Präsident Clinton trat 1993 sein Amt mit dem Versprechen an, die USA zu "erneuern". Gemeint war die Reform des Gesundheitswesens, die Bekämpfung der Kriminalität, die Verbesserung der Infrastruktur und des Bildungssystems sowie die Sanierung des Bundeshaushalts. Die Außenpolitik rückte in den Hintergrund, was auch ihrer verringerten Rolle im Bewusstsein der amerikanischen Öffentlichkeit entsprach. Diese befürwortete einen "pragmatischen Internationalismus", der sich enger an den "vitalen" amerikanischen Interessen orientieren sollte, wie John Rielly vom Chicago Council on Foreign Relations es auf den Punkt brachte, da eine direkte nationale Bedrohung nicht mehr in Sicht war. Das schloss die stärkere multilaterale Einbettung amerikanischer Außenpolitik nicht aus, insbesondere wenn dadurch die Kosten für die USA gesenkt werden konnten. Die USA sollten weiter international führen, aber ihre Verpflichtungen stärker an die knapperen Ressourcen anpassen.
Von daher überrascht es nicht, dass Clinton zu Beginn seiner Präsidentschaft eine auf Multilateralisierung, Demokratisierung, und Ökonomisierung ausgerichtete Vision propagierte. Die Zone demokratischer Staaten sollte erweitert und die bislang eher unilateral verstandene Weltführungsrolle redefiniert werden. Die USA sollten sich nicht nur auf ihr überlegenes "hartes" Machtpotential wie etwa ihre militärische Stärke stützen, sondern ihre "weichen" Machtressourcen wie z.B. ihre kulturelle und politische Anziehungskraft ausspielen, um die internationale Agenda zu strukturieren. "Assertive multilateralism", erklärte Madeleine Albright, damals noch Botschafterin bei den Vereinten Nationen (VN), programmatisch, "to me is using the new setting of an international community to bring about agendas that are good not only for the United States, but the entire world by asserting American leadership within that particular setting and realizing assertive multilateralism has a multiplier effect."
Hier wurden realistische und idealistische Traditionsmuster amerikanischer Außenpolitik verwoben. Die USA sollten auf ihre militärische Stärke setzen, wenn grundlegende Interessen gefährdet erschienen. Sie sollten aber auch die internationale Kooperation und mit ihr die Bildung internationaler Institutionen fördern - ganz im Sinne jener liberalen Denktradition, die einer Regimewelt größere und dauerhaftere Kooperationschancen in der internationalen Politik zuschreibt. Entsprechend sollten kollektive Sicherheitssysteme gestärkt und der Schutz der Menschenrechte gefördert werden. Das bedeutete weder eine radikale Kehrtwende noch einen Rückzug aus der Welt. Die USA sollten weiter führen. Allerdings stärker im Sinne einer "wohlwollenden" Beeinflussung internationaler Institutionen und Normen als durch kompromisslose Alleingänge.
Hatte es zu Beginn von Clintons Amtszeit danach ausgesehen, als werde den Vereinten Nationen jene herausgehobene Rolle in der amerikanischen Außenpolitik zuwachsen, die ihnen Präsident Bush in seiner Rede von der "Neuen Weltordnung" zumindest rhetorisch zugewiesen hatte, so war die "Schnelle Eingreiftruppe" der Vereinten Nationen, von der Clinton im Wahlkampf 1992 gesprochen hatte, bald vergessen. Ebenso wurde der "assertive multilateralism" schnell von sehr restriktiven Richtlinien für den Einsatz amerikanischer Streitkräfte im Rahmen der Vereinten Nationen abgelöst. Die weithin als Scheitern wahrgenommene humanitäre Intervention in Somalia und die zum Teil unrühmliche Rolle der VN in Bosnien trugen dazu bei, die VN in den USA zu diskreditieren. Multilaterale Friedensoperationen waren bereits in den beiden ersten Jahren der Clinton-Administration - also noch vor dem Wahlsieg der Republikaner - das strittigste außenpolitische Thema zwischen Präsident und Kongress.
Der liberale Internationalismus war im Aushandlungsprozess zwischen Präsident, Kongress, Öffentlichkeit und Medien nicht konsensfähig. Clinton reagierte, und bereits zur Jahreshälfte 1994 gehörte die Vision eines "assertive multilateralism" der Vergangenheit an. Zu tief scheint die ambivalente Haltung gegenüber internationalen Institutionen in der politischen Kultur und im politischen System der USA verwurzelt. Internationale Institutionen sind aus dieser Sicht dann nützlich, wenn sie außenpolitischen Aktionen internationale Legitimität verleihen und die Kosten für die USA verringern helfen. Die Handlungsmöglichkeiten der USA sollen so gesehen möglichst nicht beschränkt werden. Eine Souveränitätseinbuße durch Einordnung in multilaterale Verfahren muss zudem einem auf größere Mitsprache drängenden Kongress als Einschränkung seiner Kontrollmöglichkeiten erscheinen.
Geringeren innenpolitischen Widerständen ausgesetzt war das zweite Element von Clintons anfänglicher Vision: die Ökonomisierung der Außenpolitik. Der Präsident unterstrich die Aufwertung wirtschaftlicher Themen in der Außenpolitik institutionell mit der Einrichtung des National Economic Council (NEC), der für die Koordinierung binnen- und außenwirtschaftlicher Entscheidungen zuständig sein sollte und schon vom Namen her in Analogie zum National Security Council (NSC) verstanden wurde. Strategisch drückte sich die Ökonomisierung vor allem in der Big Emerging Market Strategy aus, einer konzertierten Anstrengung, um die amerikanische Wettbewerbssituation über steigende Exporte in Märkte mit großem Wachstumspotential zu verbessern. Bilaterale und multilaterale Handelsabkommen mit dem Ziel der Marktöffnung und Handelsliberalisierung, die Lockerung der eigenen, aus der Zeit des Kalten Krieges stammenden Exportbeschränkungen und eine verstärkte staatliche Unterstützung und Absicherung von Exporten waren die zentralen Elemente dieser Politik. Aktiver als vorausgehende Regierungen schaltete sich die Clinton-Administration in die Förderung des Rüstungsexports ein. Waffenexporte sollten vor allem dazu dienen, die eigene rüstungsindustrielle Basis aufrechtzuerhalten und Arbeitsplätze zu sichern.
Die Öffnung ausländischer Märkte wurde zu einem ausgeprägten Markenzeichen der Außenwirtschaftspolitik der Clinton-Administration, insbesondere unter Einbeziehung der WTO. Die wirtschaftliche Öffnung sollte auch - besonders im Falle Chinas - die politische Öffnung fördern. Außenwirtschaftspolitik war damit zugleich in langfristiger Perspektive ein Instrument der Sicherheitspolitik, ja die Hoffnung auf die segensreichen politischen Wirkungen wirtschaftlicher Globalisierung wurde geradezu eine Art ideologisches Vermächtnis Präsident Clintons: "In the new century, liberty will spread by cell phone and cable modem . . . In the knowledge economy, economic innovation and political empowerment, whether anyone likes it or not, will inevitably go hand in hand."
Doch auch in der Außenwirtschaftspolitik drohte die innenpolitische Grundlage wegzubröckeln. Dem Präsidenten gelang es in zwei Anläufen nicht, eine Mehrheit für die Erneuerung des Schnellverfahrens für Handelsabkommen, die so genannte "fast-track authority", im Kongress zu finden. Hier war es vor allem der wiedererstarkende Einfluss der Gewerkschaften innerhalb der Demokratischen Partei, die negative Folgen der Globalisierung befürchteten, aber auch die Machtverlagerung innerhalb der Republikanischen Partei zugunsten des nationalistischen Flügels, die zu einem empfindlichen Rückschlag für den Freihandel führte. Clintons Niederlage war nicht nur den Republikanern zuzuschreiben. Im Gegenteil: Sie hatte ihren eigentlichen Ursprung innerhalb der demokratischen Fraktion des Repräsentantenhauses. Trotz einer massiven Beeinflussungskampagne gelang es Clinton nicht, diesem Widerstand die Spitze zu nehmen. Zwar kann der amerikanische Präsident den Kongress im Wege bilateraler Handelsabkommen umgehen. Eine großflächige Ausweitung des Freihandels im Rahmen der Erweiterung der NAFTA kann jedoch nur mit Zustimmung der Legislative erfolgen. So ist das Scheitern von "fast-track" denn auch das bislang sichtbarste Zeichen für die Erosion des seit den dreißiger Jahren in den USA fest verankerten Freihandelsgedankens.
Dass schließlich gerade unter einer Administration, die in so hohem Maße die Förderung amerikanischer Exporte betrieb, Sanktionen eine so prominente Rolle in der Außenpolitik spielten, hängt ebenfalls sehr stark mit den veränderten innenpolitischen Rahmenbedingungen zusammen, denen sich Clinton bei der Formulierung seiner Außenpolitik gegenüber sah. Die Republikaner nutzten die Sanktionspolitik als eine Art ständiges Misstrauensvotum gegen den Präsidenten. Gerade die beiden 1996 verabschiedeten umfassenden Sanktionsgesetze mit extraterritorialer Reichweite, der Cuban Liberty and Democratic Solidarity (LIBERTAD) Act und der Iran and Libya Sanctions Act, zeigen aber auch exemplarisch, dass der republikanische Kongress seinen großen Einfluss vor allem deshalb ausüben konnte, weil der Präsident gewillt war, innenpolitisch strittige Themen selbst um den Preis heftiger außenpolitischer Konflikte mit den Verbündeten beizulegen.
Wie groß der Widerstand gegen eine Neuausrichtung amerikanischer Außenpolitik am Übergang in das 21. Jahrhundert war, zeigte sich auch in der Politik gegenüber den Vereinten Nationen, die von den Republikanern ein ums andere Mal brüskiert wurden. Zahlungsblockaden, ultimativ gestellte Reformforderungen oder die Verknüpfung der amerikanischen Haltung zur Weltorganisation mit der Reorganisation des außenpolitischen Apparates und zuletzt mit der Abtreibungskontroverse in den USA gehörten hier zu den Blockadeinstrumenten. Clinton hielt zwar mit seinem Veto dagegen, gab dann aber in der Verknüpfung mit der Abtreibungsproblematik 1999 nach, um endlich die Begleichung der amerikanischen Schulden bei den VN sicherzustellen. Auch in der Umweltpolitik wurde der Handlungsspielraum Clintons sowohl mit Blick auf die Klima- als auch die Biodiversitätspolitik stark eingeschränkt. Gleiches galt für die internationale Drogenpolitik, in der die Legislative zum Motor einer Amerikanisierung und Militarisierung wurde, der Clinton sich nicht zu entziehen vermochte.
III. Traditionelle Sicherheitspolitik unter veränderten Rahmenbedingungen
III. Traditionelle Sicherheitspolitik unter veränderten Rahmenbedingungen
Die Priorität außenwirtschaftlicher Fragen wich in der zweiten Amtszeit Clintons wieder den klassischen Themen der Außenpolitik. Mit dem Abschluss von GATT und NAFTA waren wichtige Ziele der Außenwirtschaftspolitik erreicht; der wirtschaftliche Aufschwung schien kein Ende zu nehmen. Eine harte Marktöffnungspolitik im Dienste der eigenen Wirtschaft verlor an Dringlichkeit. Die Beschäftigung mit Sicherheitspolitik, jenem Bereich, in dem die Republikanische Partei traditionell einen Kompetenzvorsprung genießt, wurde Clinton geradezu aufgezwungen, wollte er in der Auseinandersetzung mit dem republikanischen Kongress die strittigen außenpolitischen Themen mit Blick auf die Wahl 1996 neutralisieren beziehungsweise außenpolitische Führungsstärke beweisen.
Die NATO-Erweiterung bot sich hierfür als geeignetes Projekt an. Sicher, der Weg zur Aufnahme neuer Mitglieder in die Allianz wurde nicht nur aus wahltaktischen Motiven beschritten. Idealistische Ambitionen wie die Schaffung einer "demokratischen Sicherheitsgemeinschaft" mischten sich mit Worst-Case-Überlegungen, die ein sicherheitspolitisches Vakuum in Mitteleuropa befürchteten und von den Beitrittskandidaten genährt wurden. Innenpolitische Kalküle vermengten sich mit dem allianzpolitischen Interesse an der Bewahrung der amerikanischen Führungsrolle, und das just zu dem Zeitpunkt, als die Zweifel an der Bedeutung der NATO für die Konfliktbewältigung vor dem Hintergrund des Krieges in Bosnien gewachsen waren. Nicht zuletzt aber spielte der Druck des republikanisch dominierten Kongresses eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der NATO-Politik. Die Republikaner drängten mit dem NATO Expansion Act und dem NATO Revitalization Act auf die zügige Aufnahme neuer Mitglieder in die Allianz. Dahinter stand ein kaum verhülltes Interesse am Neo-Containment Russlands. Dabei war die Haltung zur NATO-Erweiterung innerhalb der Administration anfänglich ambivalent. Dass daraus ein überparteilich zustimmungsfähiges, die traditionelle Linie amerikanischer Außenpolitik fortsetzendes Projekt wurde, kann als außenpolitisches Vermächtnis Clintons bewertet werden, wenngleich die Handschrift des republikanisch dominierten Kongresses unverkennbar ist.
In der Sicherheitspolitik hat Clinton ansonsten kein Vermächtnis hinterlassen. Reformen wurden nur halbherzig betrieben und bei Widerstand der Militärbürokratie und ihrer Verbündeten im Kongress schnell fallen gelassen. Anfänglich hatte Clintons erster Verteidigungsminister Les Aspin anstelle der bereits unter Präsident Bush geltenden Zwei-Kriege-Strategie eine "win-hold-win-Strategie" favorisiert. Danach sollten die amerikanischen Streitkräfte im Falle zweier gleichzeitig ausbrechender regionaler Kriege in der Lage sein, an einem Schauplatz schnell zu siegen, am anderen aber mit Luftstreitkräften und einer kleineren Zahl von Bodentruppen die Front solange zu halten, bis Truppen vom ersten Kriegsschauplatz als Ersatz herbeigeführt würden. Es muss dahingestellt bleiben, woran eine Neuausrichtung letztlich scheiterte: am Widerstand der Militärs oder an der Sorge um die politischen Rückwirkungen auf Südkorea zu einer Zeit, in der die nordkoreanische Atomrüstung die Aufmerksamkeit erregte. Grundlage der amerikanischen Militärstrategie blieb in der Ära Clinton eine Planung, der zufolge die amerikanischen Streitkräfte in der Lage sein sollten, zwei größere regionale Kriege - etwa am Persischen Golf und auf der koreanischen Halbinsel - gleichzeitig zu führen und zu gewinnen.
Auch eine Neuausrichtung der Nukleardoktrin kam nicht zustande. Pentagon und Republikaner verwiesen auf die weiter bestehende Gefahr eines nuklearen Überraschungsschlages durch Russland und China. Die Nuclear Posture Review bestätigte Bekanntes. Die Militärplaner hielten grundsätzlich an der Abschreckungslogik fest, die jetzt jedoch nicht mehr gegen einen konkreten Gegner gerichtet war. Die USA sollten weiterhin über ein Nukleararsenal verfügen, das ausreichte, jedweden Staat davon abzuschrecken, gegen vitale amerikanische Interessen vorzugehen. Dies geht aus der Presidential Decision Directive zur Nuklearplanung hervor, die Präsident Clinton im November 1997 unterzeichnete. Darin wurde zwar die ohnehin illusionäre Vorstellung eines Sieges in einem Nuklearkrieg aufgegeben. Doch die russischen Nuklearwaffen sowie die militärische und die zivile Führung blieben Gegenstand der amerikanischen Zielplanung.
Der Einfluss des republikanisch dominierten Kongresses auf die Sicherheitspolitik zeigte sich besonders in der Auseinandersetzung um den Bau eines landesweiten Raketenabwehrsystems (National Missile Defense, NMD). Da spielte es keine Rolle, dass diese Pläne mit dem ABM-Vertrag kollidierten, der die Stationierung eines eben solchen Systems verbietet. Im Missile Defense Act von 1999, der auch unter Demokraten Zustimmung fand, wurde festgelegt, dass mit dem Bau von NMD zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen werden sollte. Die Bedrohung durch Raketen in den Händen von Staaten wie Nordkorea und Iran hatte der Nationalen Raketenverteidigung eine schier unaufhaltsame politische Dynamik verliehen - um den Preis einer Gefährdung der nuklearen Abrüstungszusammenarbeit mit Russland, die gegen Ende der Clinton-Administration weitgehend zum Stillstand gekommen ist. Clinton überließ die Entscheidung über NMD schließlich seinem Nachfolger im Weißen Haus - wohl auch, um den Präsidentschaftswahlkampf seines Vize Al Gore nicht zu belasten, dessen republikanischer Kontrahent George W. Bush Jr. sich vorbehaltlos für NMD ausgesprochen hat.
Dies ändert jedoch nichts daran, dass das vom Kongress forcierte NMD-Projekt zur Krise des Rüstungskontrollansatzes in der amerikanischen Sicherheitspolitik beigetragen hat. Den bislang größten Erfolg bei ihrem auf breiter Front vorgetragenen Angriff gegen die aus ihrer Sicht die Macht der USA in gefährlicher Weise fesselnden Rüstungskontrollabkommen konnten die Republikaner im Falle des umfassenden nuklearen Teststoppvertrages (Comprehensive Test Ban Treaty, TBT) im Oktober 1999 verbuchen. Das Votum des Senats gegen die Ratifizierung des Vertrages, den Präsident Clinton drei Jahre zuvor unterzeichnet hatte, unterstrich die Bereitschaft der Republikaner zur Konfrontation, auch wenn sie damit der Glaubwürdigkeit amerikanischer Weltführung schwersten Schaden zufügten und Konflikte mit den Verbündeten heraufbeschworen. Zweierlei machte die gescheiterte Ratifizierung deutlich: erstens die Neigung der Republikaner zu einem kompromisslosen nationalistischen Unilateralismus, der nach dem Motto: "Act alone or do nothing" ein größtmögliches Maß an Handlungsfreiheit verlangt; zweitens der zögerliche Führungsstil des Präsidenten, der seine Überzeugungskampagne zugunsten des CTBT verspätet und halbherzig führte. Da half es wenig, dass Clinton die Entscheidung des Senats nach seiner Niederlage als "reckless partisanship" geißelte, denn dieser Prozess hatte schon fünf Jahre zuvor eingesetzt, und hatte der Präsident nicht im Haushaltskonflikt 1995/96 bewiesen, dass die Republikaner in ihre Schranken verwiesen werden konnten?
IV. Doch eine "Clinton-Doktrin"? Die Interventionspolitik
Entscheidungen über den Einsatz der Streitkräfte gehörten stets zu den schwierigsten Problemen der amerikanischer Außenpolitik. Sie waren in jedem Fall untrennbar mit der Frage nach den eigenen weltpolitischen Interessen verbunden, die einen solchen Schritt mit allen seinen Unwägbarkeiten und Kosten innenpolitisch rechtfertigen konnten. In der Ära Clinton kristallisierte sich in Programmatik und Praxis eine "Doktrin" heraus, die im Unterschied zur gelegentlich moralisch sehr ambitionierten Rhetorik rein humanitären Interventionen nur eine Rolle am Rande zuweist.
Dreierlei ist charakteristisch für die Entwicklung der amerikanischen Interventionspolitik unter Clinton: Erstens das Bemühen, sich aus der Zwangsjacke der "Weinberger-Powell-Doktrin" zu befreien. Die hatte den Einsatz des Militärs im Dienste der Diplomatie praktisch ausgeschlossen. Die Einflussnahme auf interne Prozesse anderer Länder und die Durchsetzung politischer Veränderungen auf dem Wege militärischer Drohungen ("coercive diplomacy") wurde dagegen zum Markenzeichen amerikanischer Interventionspolitik unter Clinton, wobei jedoch die grundlegende Annahme weiterhin gilt, dass die amerikanische Öffentlichkeit nur schnelle Interventionen zu minimalen Kosten zu tolerieren bereit sei. Zweitens musste die Clinton-Administration die Rolle der USA bei multilateralen Friedensoperationen neu bestimmen. Nach der kurzen Blütezeit des "assertive multilateralism" erfolgte die Rückkehr zur Kontinuität einer in der Praxis zurückhaltenden, eng begrenzten Unterstützung von Friedensoperationen. Drittens hat die Clinton-Administration im Hinblick auf Interventionsentscheidungen nationalen Interessen drei Kategorien zugewiesen und die eigene Politik mit Blick auf eine Hierarchie dieser Interessen zu legitimieren versucht:
Dabei handelt es sich einmal um jene Fälle, in denen "vitale" Interessen bedroht sind. Nordkorea und Irak gelten als Staaten, die eine Bedrohung "vitaler" Interessen darstellen. Hier herrschte ein breiter Konsens zwischen Administration, Bürokratie und republikanischem Kongress. Entsprechend unkontrovers war denn auch der "stille Krieg" gegen den Irak, den die USA (mit britischer Unterstützung) seit der Operation Desert Fox im Dezember 1998 ohne explizites und formelles Mandat des Sicherheitsrats auf völkerrechtlich mehr als zweifelhafter Grundlage führen.
Nachgeordnet sollten jene Fälle angesiedelt werden, bei denen ein "humanitäres" Interesse im Vordergrund steht. Schwere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen ethnischer Konflikte machen ein Handeln erforderlich, wobei nicht-militärischen Mitteln der Vorrang eingeräumt würde. Streitkräfte sollten nur dann eingesetzt werden, wenn das Risiko für die amerikanischen Soldaten minimiert werden kann. Dass die Clinton-Administration nicht einmal im Falle eines Völkermords zu einer rein humanitären Intervention bereit war, zeigte sich im Falle Ruandas.
Innenpolitisch waren jene Fälle am umstrittensten, in denen keine vitalen Interessen bedroht waren, die USA aber nach Ansicht der Clinton-Administration gleichwohl ein "wichtiges" Interesse am Ausgang des Konflikts hatten und daher selektiv und begrenzt intervenierten. Die Interessenabwägung kann in solchen Fällen für oder gegen eine Intervention sprechen. In den drei Entscheidungen für eine Intervention - also in Haiti, Bosnien und im Kosovo - war am Ende die internationale "Glaubwürdigkeit" der USA ausschlaggebend. Dennoch waren die Entscheidungen innenpolitisch keineswegs unumstritten, obwohl die Führungsrolle des Präsidenten von Kongress und Öffentlichkeit im Kern unangetastet blieb, da keine nennenswerten amerikanischen Verluste zu beklagen waren.
V. Die Macht der Strukturen und Clintons Vermächtnis
Clintons Außenpolitik ist nicht ohne Ironie: Statt einem Neuanfang im Sinne der liberalen Tradition, die anfänglich eine Rolle spielte, beendete der Präsident seine Amtszeit mit einer Außenpolitik, die im Wesentlichen einem konservativen Internationalismus verpflichtet ist. Nicht Multilateralisierung und Ökonomisierung, sondern ein starker unilateraler Impuls und die Dominanz traditionell verstandener Sicherheitspolitik kennzeichnen die amerikanische Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Insbesondere nach dem Erdrutschsieg der Republikaner 1994 wurde Clinton auf ein hegemonial-unilaterales Verständnis nationaler Interessen zurückverwiesen.
Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die der Logik des amerikanischen Verfassungssystems innewohnende Fragmentierung des Entscheidungssystems, in dem Präsident und Kongress durch checks and balances aufeinander verwiesen sind. Die daraus erwachsende institutionelle Rivalität hat in der Ära Clinton unter den Bedingungen geteilter Herrschaft zugenommen. Freilich ist divided government kein neues Phänomen, sondern stellt seit 1946 eher die Regel als die Ausnahme im politischen System der USA dar, ohne dass die privilegierte Position amerikanischer Präsidenten im außenpolitischen Entscheidungssystem so radikal in Frage gestellt wurde wie in der Ära Clinton. Das verstärkte Tauziehen kann deshalb nicht alleine auf die parteipolitische Polarisierung seit 1995 zurückgeführt werden. Vielmehr müssen neben situativen Faktoren - der geringen Achtung, ja der Verachtung, die ihm konservative Republikaner entgegenbrachten, und dem weiteren Ansehensverlust im Zuge der Lewinsky-Affäre - strukturelle Faktoren, wie vor allem das schwindende Interesse der amerikanischen Öffentlichkeit an außenpolitischen Themen nach dem Wegfall einer alles umspannenden äußeren Bedrohung, berücksichtigt werden, um die wachsende Konfliktbereitschaft einordnen zu können.
In der Ära Clinton ist die der Logik des amerikanischen Verfassungssystems entsprechende Selbstbehauptung des Kongresses weiter vorangeschritten. Dieser Strukturwandel in Richtung einer wachsenden Mitsprache des Kongresses setzte bereits in den siebziger Jahren ein und erfasste in den achtziger Jahren auch den Kernbereich amerikanischer Sicherheitspolitik im Verhältnis zu Russland. Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts entfiel der internationale Kontext, der in der Außenpolitik ein starkes Präsidentenamt legitimiert hatte. Mittlerweile ist im Kongress eine Generation von Politikern nachgerückt, die ihre politische Sozialisation nicht im Kalten Krieg durchlief und für die Überparteilichkeit in der Außenpolitik keineswegs mehr die normative Leitlinie ist. Da der Stellenwert von Außenpolitik für die amerikanische Öffentlichkeit zurückgegangen ist, erhöhte sich für die Mitglieder des Kongresses der Spielraum, Politik nach eigener ideologischer Neigung und politischem Kalkül zu gestalten - zumindest in Bereichen, in denen keine Rücksicht auf Interessengruppen geboten ist, die für Wiederwahl und Wahlkampffinanzierung wichtig sind.
Der unter Republikanern vorherrschende Unilateralismus ist dabei auch Reflex der Ideologie des "Sicherheitsstaates" und der sie tragenden bürokratischen Interessen, die über Jahrzehnte im außenpolitischen Entscheidungssystem privilegiert wurden und in den Republikanern einen mächtigen Koalitionspartner fanden. Diesen gewachsenen Strukturen hat sich die Clinton-Administration letztendlich gefügt. Mehr noch: Sie hat sie geradezu verstärkt, indem sie während ihrer Amtszeit dem "rogue-state"-Konzept zu einer prominenten Rolle im außenpolitischen Diskurs verholfen hat. Wurde ein Staat erst einmal in die Kategorie der nach Nuklearwaffen strebenden, den Terrorismus fördernden und amerikanische Interessen in kritischen Regionen gefährdenden "Schurkenstaaten" eingeordnet und dämonisiert, dann blieb kaum mehr als eine Politik der Eindämmung und Isolierung möglich. Selbst vorsichtige Schritte zu einem kooperativen Ansatz waren der Kritik ausgesetzt. Was anfänglich der innenpolitischen Mobilisierung für eine internationalistische Außenpolitik dienlich war und vom Pentagon als nützliche Planungsgrundlage für die Militärstrategie und als Legitimation höherer Verteidigungsausgaben aufgenommen wurde, engte am Ende den Handlungsspielraum der Administration empfindlich ein, ja die nahezu obsessive Konzentration auf "Schurkenstaaten" wie den Iran und Irak führte zu harten Konflikten mit den Verbündeten. Die späte Abkehr von der "Schurkenstaaten"-Rhetorik zugunsten der Rede von "states of concern" zeugt vom Unbehagen der Clinton-Administration mit diesem Teil ihres außenpolitischen Vermächtnisses.
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http://www.whitehouse.gov htttp://www.state.gov http://www.whitehouse.gov/ WH/EOP/NSC/html/nschome.html http://www.house.gov/ htttp://www.senate.gov/ http://thomas.loc.gov http://www.foreignaffairs.org http://www.pipa.org http://brookings.edu http://www.hsfk.de/deu/links/index.htm http://www.rz.uni-frankfurt.de/zenaf/CR