I. Die wirtschaftliche Lage der USA am Ende der Clinton-Ära
Der positiven Wirtschaftsentwicklung, dem spürbaren Wachstum und dem damit verbundenen stetigen Rückgang der Arbeitslosigkeit in den USA sowie der entschlossenen Haushaltskonsolidierung seit 1993 verdankt Präsident Clinton nicht nur seine Wiederwahl im Jahr 1996, sondern auch seine trotz zahlreicher aufgeklärter und nicht aufgeklärter Skandale anhaltend hohe öffentliche Zustimmung zu seiner Amtsführung.
Vergleicht man die Rahmendaten der US-Wirtschaft zum Zeitpunkt des Amtsantritts Präsident Clintons 1993 mit den Wirtschaftsdaten seines letzten Amtsjahres (2000), so ist die Aufwärtsentwicklung in nahezu allen Bereichen der amerikanischen Volkswirtschaft in der Tat beeindruckend. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs seit dem Amtsantritt Clintons mit durchschnittlich 3,9 % pro Jahr, wohingegen das Durchschnittswachstum der achtziger Jahre nur 2,7 % betragen hatte. Seit 1991 befinden sich die USA im am längsten anhaltenden Konjunkturaufschwung ihrer Geschichte. Zirka 21 Millionen neuer Arbeitsplätze entstanden zwischen 1993 und Sommer 2000. Die Arbeitslosenquote betrug 1992 7,3 %; seit Mitte 1997 liegt sie kontinuierlich unter 5 %. Im nationalen Durchschnitt lag sie in der ersten Jahreshälfte 2000 bei 4,1 %. Am niedrigsten war sie im Bundesstaat Connecticut, wo bei einer Quote von 2,1 % de facto Arbeitskräftemangel herrscht. Die Arbeitslosigkeit unter der schwarzen Bevölkerung ist noch immer überdurchschnittlich hoch und liegt Anfang 2000 bei ca. 8 %, was dennoch einen historischen Tiefststand für diese Bevölkerungsgruppe markiert. 1992 betrug sie noch 14,2 %. Bei den Hispanics fiel die Quote von 11,6 % im Jahr 1992 auf 6,4 % Ende 1999.
Trotz hohem Wachstum und faktischer Vollbeschäftigung blieb der Geldwert stabil: Die Inflationsrate lag kontinuierlich unter 3 %, 1999 hatte sie einen Stand von 1,9 % erreicht. Auch in der Lohnentwicklung ging es verhalten aufwärts: Seit Clintons Amtsantritt verzeichnen die abhängig Beschäftigten nur einen Reallohnzuwachs von 6,6 %. Zum ersten Mal seit den sechziger Jahren wuchsen die Reallöhne zwischen 1995 und 2000 kontinuierlich. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre lässt sich selbst ein moderater Anstieg der lange Zeit stagnierenden Realeinkommen mittlerer und unterer Einkommensbezieher feststellen. Trotz der regionalen und sektoralen Engpässe auf dem Arbeitsmarkt war in den USA keine Lohnexplosion zu beobachten, die Löhne blieben trotz rückläufiger Arbeitslosigkeit weitgehend konstant. Mehrere Faktoren erklären dieses Paradoxon: Die stark gestiegene Gesamtbeschäftigungszahl wirkte sich insgesamt lohndämpfend aus. In vielen Regionen der USA rekrutieren Arbeitgeber mittlerweile Bevölkerungsschichten, die früher gar nicht oder nur gelegentlich im Arbeitsprozess standen: Das Spektrum des neuen Arbeitskräftereservoirs reicht von Rentnern, Werkstudenten und ehemaligen Hausfrauen bis hin zu ehemaligen Drogenabhängigen in Rehabilitationsprogrammen und ehemaligen Sozialhilfeempfängern usw. Solange diese unausgeschöpften Ressourcen an Arbeitskräften zur Verfügung stehen, ergibt sich für die Unternehmen keine Notwendigkeit, die Gehälter auf breiter Front zu erhöhen. Die Erschließung eines in der Vergangenheit kaum genutzten Reservoirs an Arbeitskräften - insbesondere in Tätigkeiten mit mittlerer bis geringerer Entlohnung und Qualifikation - erklärt auch, weshalb die Segnungen der New Economy nicht von allen Beschäftigten gespürt werden. Mehr Amerikaner als jemals zuvor arbeiten länger als jemals zuvor, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dies erklärt, weshalb das ökonomische Stimmungsbarometer breiter Bevölkerungsschichten weitaus schlechter ist, als die ökonomischen Rahmendaten vermuten lassen.
Den dritten und wichtigsten Grund für das Ausbleiben von signifikanten Lohnerhöhungen und anschließendem Inflationsanstieg erkennen die Ökonomen Lawrence Katz (Harvard) und Alan Krueger (Princeton) in demographischen Entwicklungen, die zum Fall der so genannten "natürlichen Arbeitslosenrate" führten. Die natürliche Arbeitslosenrate hält das Angebot und die Nachfrage nach Arbeitskräften im Gleichgewicht und führt so zu stabilen und moderaten Lohnerhöhungen. Liegt die tatsächliche Arbeitslosigkeit deutlich über der natürlichen Rate, lässt der Gehaltsdruck nach und erzeugt keine inflationären Tendenzen. Sinkt die Arbeitslosigkeit jedoch deutlich unter die natürliche Marke, übt dies Druck auf Lohnerhöhungen aus und schürt somit die Inflationsgefahr. In den achtziger und frühen neunziger Jahren schätzten Ökonomen die natürliche Arbeitslosenrate auf ca. 5,5 - 6 %. Da die Arbeitslosenrate seit Mitte der neunziger Jahre deutlich unter diese Marke sank, ohne Lohndruck auf breiter Front und Inflationsgefahr zu erzeugen, muss sich die Natur der US-Ökonomie seit den frühen neunziger Jahren grundlegend verändert haben. Katz und Krueger führen drei demographische Entwicklungen an: Der drastische Anstieg von Zeitarbeitern und der überproportionale Eintritt jüngerer Arbeitnehmer hat die Verhandlungsmacht auf Arbeitnehmerseite geschwächt. Zudem befindet sich in den USA ein sehr hoher Prozentsatz potentiell arbeitsloser Menschen, insbesondere der männlichen schwarzen und der wenig gebildeten weißen männlichen Bevölkerung, in Gefängnissen und taucht somit nicht in der offiziellen Statistik auf.
Diese Tendenzen deuten darauf hin, dass die heute maßgebliche natürliche Arbeitslosenrate, die stabile Lohnzuwächse auf moderater Basis garantiert, deutlich unter 5,5 % liegt. Gleichwohl liegt die tatsächliche Arbeitslosenquote der Jahre 1999 und 2000 mit etwa 4 % unterhalb der natürlichen Rate - ganz gleich, ob man diese bei 5,0 oder gar bei 4,5 % ansiedelt - und erzeugt damit sektoralen und regionalen Lohndruck nach oben, was wiederum Inflationsängste auslöst, die von der Notenbank seit mehr als einem Jahr durch regelmäßige Anhebung der Leitzinsen präventiv bekämpft werden.
Das Hauptthema der amerikanischen Wirtschaftspolitik seit Ende der siebziger Jahre war das unaufhaltsam steigende Haushaltsdefizit. Zu Beginn der Clinton-Administration betrug es nominal 290 Milliarden US-Dollar, die Defizitquote betrug über 4 % des Bruttolandsprodukts (BIP). Ab 1993 ging die Defizitquote zurück und war bis 1998 auf 0,3 % des BIP gefallen. Seitdem zählen die USA zu den wenigen OECD-Ländern, deren Bundeshaushalt Überschüsse ausweist. Bei der Vorlage seines letzten Haushaltsentwurfes für das Fiskaljahr 2001 im Februar 2000 prognostizierte das Haushaltsbüro des Präsidenten einen Etatüberschuss von 746 Milliarden US-Dollar über die nächsten zehn Jahre. Bereits im Juni 2000 verdoppelte das Weiße Haus die Schätzungen auf 1,87 Billionen US-Dollar. Hierin enthalten sind 400 Milliarden US-Dollar erwartete Einnahmen aus der staatlichen Gesundheitsversicherung Medicare, die zur Schuldentilgung verwendet werden sollen. Nicht enthalten sind in dieser Berechnung die Überschüsse des Sozialversicherungstrustfonds, somit der staatlichen Rentenversicherung. Diese belaufen sich auf 2,3 Billionen US-Dollar für die nächste Dekade. Insgesamt beläuft sich der Etatüberschuss der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts somit auf 4,19 Billionen US-Dollar. Im zu Ende gehenden Haushaltsjahr 2000 beläuft sich der Überschuss auf 211 Milliarden, während er 1999 noch 124 Milliarden US-Dollar betragen hatte. Eine negative Bilanz ergibt sich hingegen bei der Entwicklung des Handelsbilanzdefizits, das sich von ca. 60 Milliarden 1993 auf mehr als 250 Milliarden US-Dollar vergrößerte.
II. Rahmenbedingungen der Wirtschaftspolitik
Kontrovers debattiert werden in den USA die Fragen, welche Faktoren für die positive Wirtschaftsentwicklung verantwortlich sind und wessen Verdienst insbesondere der Defizitabbau ist. Ökonomen halten es für realistisch, den Anteil bewusster wirtschafts-, haushalts- und steuerpolitischer Entscheidungen am Gang der Volkswirtschaft auf etwa ein Drittel zu veranschlagen. Zu jeweils einem weiteren Drittel schlagen strukturelle Veränderungen und Effizienzsteigerungen in der Arbeitsweise von Unternehmen und Finanzmärkten - häufig in Reaktion auf technologische Innovationen sowie auf den globalen Wettbewerb - sowie "glückliche Umstände" wie das Ende des Kalten Krieges oder die über weite Strecken der neunziger Jahre niedrigen Energiepreise zu Buche.
Der wirtschafts- und haushaltspolitische Handlungsspielraum des Präsidenten
Die maßgeblichen Akteure der Wirtschaftspolitik, die nicht nur dem Gemeinwohl, sondern als Amtsträger auch in hohem Maße ihren Eigeninteressen verpflichtet sind, handeln in den USA innerhalb eines gewaltenteiligen und gewaltenverschränkten politischen Systems, dessen Systemlogik die der Machtkontrolle und des Machtausgleichs (checks and balances) ist. Es stellt dem Präsidenten in Gestalt des Kongresses einen "antagonistischen Partner" mindestens gleichgewichtig gegenüber. Zu den Haupteckpfeilern der legislativen Macht des Kongresses in der Wirtschaftspolitik gehört die Etathoheit, d. h. die Kompetenz über die Zuweisung sämtlicher öffentlicher Gelder des Bundes (power of the purse). Obwohl das Haushaltsbüro des Präsidenten den jährlichen Budgetvorschlag erstellt, gelingt es dem Präsidenten nur in Ausnahmefällen, die haushaltspolitische Initiative während des langwierigen Beratungs- und Verabschiedungsprozesses im Kongress zu behalten. Im Normalfall ziehen die Kongressabgeordneten - insbesondere die haushalts- und ausgabenrelevanten Kongressausschüsse - die Linien in der Haushaltspolitik. In der internationalen Handelspolitik sind der Präsident und sein Handelsbeauftragter de facto nur dann voll handlungsfähig, wenn der zustimmungspflichtige Kongress der Exekutive das Privileg zubilligt, über Handelsverträge als Gesamtpaket zu befinden und nicht über einzelne Vertragsklauseln abzustimmen. Seit 1997 hat der Kongress dem Präsidenten diese so genannte "fast-track-authority" verwehrt - unter maßgeblicher Beteiligung führender Abgeordneter der Demokratischen Partei. Mit diesen Kompetenzen ausgestattet, trägt der Kongress einerseits ein hohes Maß an haushalts- und wirtschaftspolitischer Mitverantwortung. Andererseits ist es für den Kongress schwer, eigenständig wirtschaftspolitische Führerschaft zu entwickeln. Der Präsident hat gegenüber der Legislative zwei Trümpfe in der Hand: Für die Administration ist es im Normalfall leichter, eine einheitliche wirtschaftspolitische Strategie zu verfolgen als für die aus verschiedenen Lagern - auch jenseits der Parteigrenzen - zusammengesetzte und unter dem Dauerbeschuss der Sonderinteressen und Lobbyisten stehende Legislative. Wirtschafts- und haushaltspolitisch "regieren" kann der Kongress nur, wenn er glaubhaft in der Lage ist, ein potentielles Veto des Präsidenten mit einer Zweidrittelmehrheit zu überstimmen. Solche Veto-sicheren "Super-Mehrheiten" waren und bleiben indes selten.
Die geldpolitischen Entscheidungen trifft der Gouverneursrat der Notenbank (Federal Reserve). Zwar sind die Notenbank und ihr Vorsitzender dem Kongress auskunftspflichtig, de facto treffen sie ihre zinspolitischen Entscheidungen unabhängig von politischen Erwägungen. Da erwartete und getroffene Zinsentscheidungen der Federal Reserve die Stimmung an den Finanzmärkten und damit unternehmerische Investitionsentscheidungen sowie Wirtschaftswachstum unmittelbar beeinflussen, gelten die "Fed" und der Vorsitzende des Gouverneursrats, Alan Greenspan, heute als das autonomste Machtzentrum der amerikanischen Wirtschaftspolitik. Präsident Clinton hat den republikanischen Notenbankgouverneur Greenspan mehrmals im Amt bestätigt und zudem die Schlüsselpositionen des Schatzamtes (Treasury) mit Persönlichkeiten besetzt, die das Vertrauen Greenspans und der internationalen Finanzwelt besitzen.
III. Eckpunkte der Wirtschaftspolitik unter Präsident Clinton
1. Wirtschafts- und haushaltspolitische Vorhaben der Clinton-Administration in der Phase "geeinten Regierens" (1993/94)
Clintons anfängliches Wirtschaftskonzept bestand in einer Aneinanderreihung in sich widersprüchlicher Wahlkampfversprechen: Den Finanzmärkten wurde die Defizitbekämpfung in Aussicht gestellt, der breiten Mittelschicht eine Steuersenkung versprochen, jüngeren Wählern neue Investitionen in Forschung, Aus- und Weiterbildung angekündigt, der Kernwählerschaft der Demokraten ein staatliches Konjunkturprogramm anempfohlen. Hinter Clintons Wahlkampfversprechen waren die Analysen und Grundsätze einer "neuen Wachstumstheorie" in der Fassung des Clinton-Freundes, Harvard-Dozenten und späteren Arbeitsministers Robert Reich zu erkennen. Eingebettet in eine Analyse der weltwirtschaftlichen Stellung der USA durch die spätere Vorsitzende des Rates der Wirtschaftsberater, Laura D'Andrea Tyson, bestand Clintons Wirtschaftsstrategie u. a. aus folgenden Grundsätzen und Vorhaben:
Amerikas Anspruch auf weltökonomische Führerschaft beruht auf einer Kräftigung der amerikanischen Volkswirtschaft durch hohes Wachstum, neue Arbeitsplätze und Geldwertstabilität. Durch Haushaltsumschichtungen, Einsparungen und Steuererhöhungen für Spitzenverdiener sollten Reserven für öffentliche Investitionen in Bildungsprogramme, Infrastrukturmaßnahmen (Datenautobahn und der Bau von Hochgeschwindigkeitstrassen) und Technologieförderung freigesetzt, durch selektive Steuersenkungen private Investitionsanreize geschaffen werden.
Das Hauptziel der amerikanischen Handelspolitik besteht in der Öffnung von Märkten, nicht in der Abschottung der heimischen Märkte. Zwei der bedeutsamsten Erfolge Clintons waren daher die Ratifikation der handelspolitischen Verträge zur Schaffung einer Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA (PL 103-182) und zum Abschlussprotokoll der Uruguay-Runde des General Agreement on Tarifs and Trade (GATT). Da Clinton bei der Durchsetzung dieser folgenreichen Handelsgesetze in hohem Maße auf die Hilfe der Republikaner angewiesen war, schärften sie sein Image als "neuer Demokrat".
Die von wirtschaftlichem Strukturwandel und Marktöffnungen negativ betroffenen Bevölkerungsschichten dürfen vom Staat Hilfen zur Selbsthilfe (aktivierender Staat), aber keine dauerhaften Schutz- und Unterstützungsleistungen erwarten. Aktivierende sozial- und bildungspolitische Maßnahmen sind daher Teil des ökonomischen Gesamtkonzepts. Zu den investiven Maßnahmen gehören arbeitsplatz-unabhängige Krankenversicherung zur Erleichterung von Mobilität, Einkommenssteuererleichterungen und Steuergutschriften für Geringverdiener durch die Ausweitung der negativen Einkommensteuer (Earned Income Tax Credit), Ausweitung zinsgünstiger Studienkredite und -beihilfen auf weitere Anspruchsberechtigte, Ausweitung der Anspruchberechtigten eines Vorschulprogramms für sozial schwache Kinder (Head Start), ein nationales Zivildienstprogramm (AmeriCorps) sowie eine Reihe kleinerer bildungspolitischer Maßnahmen.
Die nationalen Wirtschaftsinteressen sind den klassischen Sicherheitsinteressen nicht nachgeordnet. Nationale Sicherheit besitzt gleichberechtigt ökonomische und geopolitische Komponenten. Um die strategische Bedeutung von Wirtschaft und internationaler Wettbewerbsfähigkeit für die Sicherheit der USA nach dem Ende des Kalten Kriegs symbolisch hervorzuheben, errichtete Präsident Clinton einen Nationalen Wirtschaftsrat (National Economic Council) in Analogie zum Nationalen Sicherheitsrat (National Security Council).
Bill Clinton hatte den Wahlkampf mit Wirtschaftsthemen geführt und gewonnen, über ein klares wirtschaftspolitisches Mandat verfügte er jedoch nicht. Unklar war zudem die Instrumentenwahl bei der Wachstumssteigerung: Wie lassen sich kurzfristige Konjunkturprogramme mit langfristigen Investitionen in Humankapital und Technologie vereinbaren, wie ernsthafte Defizitreduzierung und Steuererleichterungen für die Mittelschicht gleichzeitig bewerkstelligen? Bereits in den wirtschaftspolitischen Konsultationen vor dem Amtsantritt Clintons bahnte sich ein schleichender wirtschaftspolitischer Prioritätenwechsel an, der die Umsetzung ambitiöser Investitionsvorhaben in Frage stellte. Die Überzeugung der Finanzmärkte von der Solidität der Clinton'schen Wirtschaftspläne geriet immer stärker in den Vordergrund. Auch Clintons engeres wirtschaftspolitisches Beraterteam war von Anbeginn hinsichtlich der Prioritätensetzung in "Defizitfalken" und "Investitionspolitiker" gespalten.
Das Zusammenspiel mehrerer Faktoren erklärt die nach Amtsantritt einsetzende Hervorhebung des im Wahlkampf eher zögerlich als Priorität akzeptierten Ziels der Defizitreduzierung: Erstens lagen die tatsächlichen Defizitprognosen der Haushaltsbüros des Kongresses (Congressional Budget Office) und des Weißen Hauses für die Fiskaljahre 1993/94 zum Jahresbeginn 1993 deutlich über den während des Wahlkampfs zugrunde gelegten Kalkulationen. Trotz der Einführung von Ausgabenobergrenzen im Gramm/Rudman/Hollings-Gesetz von 1985 und der 1990 zwischen einem demokratischen Kongress und dem republikanischen Präsidenten Bush vereinbarten Maßnahmen zur Defizitbekämpfung prognostizierten die Haushaltsbüros 1993 einen Defizitanstieg auf 350 Milliarden US-Dollar für 1998 und auf 650 Milliarden US-Dollar für 2002 selbst für das optimistische Szenario einer Vollbeschäftigungsökonomie. Vor diesem Hintergrund erwiesen sich zweitens Teile der Wahlversprechen als unfinanzierbar. Dies galt insbesondere für die in Aussicht gestellten Steuererleichterungen für Durchschnittsverdiener, die sich aufkommensneutral nicht hätten realisieren lassen. Eine halbherzige Behandlung der Defizitproblematik, verbunden mit der Umsetzung kostenintensiver Wahlkampfversprechen, hätte drittens falsche Signale an die amerikanische Notenbank und die Finanzmärkte gesendet und damit das übergeordnete Wahlkampfziel, Wachstumssteigerung und Schaffung von Arbeitsplätzen, in Frage gestellt.
Ein Verzicht auf die Defizitbekämpfung hätte der amerikanischen Notenbank keine Veranlassung zu der als notwendig erachteten, wachstumsfördernden Zinssenkung gegeben. Viertens darf der Perot-Faktor nicht übersehen werden. Der texanische Unternehmer hatte mit seinem selbstfinanzierten und ganz auf die Defizitproblematik abgestellten Wahlkampf zwar keinen Einzelstaat, aber immerhin 19 % der abgegebenen Stimmen gewonnen. Eine größere Zahl demokratischer Kongressabgeordneter erkannte die Popularität des Schuldenabbaus in ihren Wahlkreisen und unterstützte den Präsidenten in seinem Vorhaben, das Defizit in den Vordergrund zu rücken.
2. Der Kern der Clintonomics: Das Haushaltsgesetz für 1994 (PL 103-66)
Clintons am 17. Februar 1993 vor dem Kongress dargelegter Budgetvorschlag setzte sich zum Ziel, das Haushaltdefizit bis 1997 von zu erwartenden 346 Milliarden auf 206 Milliarden US-Dollar zu reduzieren. Das Sanierungspaket sah Haushaltseinsparungen in einem Gesamtvolumen von 496 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von fünf Jahren (1994-1998) vor. Zur Finanzierung waren zu etwa gleichen Teilen Ausgabenkürzungen sowie die Erhöhung von Steuern und Abgaben geplant. Bei den Kürzungen stand eine drastische Verringerung der Verteidigungsausgaben im Vordergrund. Darüber hinaus standen Mittelkürzungen für die Bundesverwaltung durch Stellenabbau und Gehaltseinfrierungen sowie die Begrenzung des Anstiegs der Bundesausgaben im Gesundheitswesen auf der Tagesordnung. Die Einführung einer Energiesteuer, die höhere Besteuerung von Unternehmensgewinnen (Körperschaftssteuer) und von Sozialleistungen für wohlhabende Senioren (Krankenhausversicherungssteuer) sowie die Anhebung der Einkommensteuer für Spitzenverdiener (Verheiratete mit einem Jahreseinkommen über 140 000 US-Dollar) dienten nach den Vorstellungen des Weißen Hauses zur Entlastung des Haushalts auf der Einnahmenseite. Während der Sommermonate 1993 verabschiedete der Kongress Clintons Haushaltsentwurf in zum Teil stark verwässerter Form mit der denkbar knappsten Mehrheit von jeweils einer Stimme in beiden Häusern.
Erwartungsgemäß stieß die Energiesteuer auf den Widerstand der Petroleumindustrie und anderer Wirtschaftsverbände, aber auch auf die Ablehnung von (demokratischen) Senatoren aus öl- und energieproduzierenden Bundesstaaten des amerikanischen Westens. Der verabschiedete Budget-Kompromiss enthielt statt einer Energieabgabe die leichte Anhebung der Benzinsteuer um umgerechnet 1,8 Pfennige pro Liter. Weitere Teile des ursprünglichen Wirtschaftsplans wie der eines staatlichen Beschaffungsprogramms zur Ankurbelung der US-Wirtschaft scheiterten am legislativen Ungeschick der Administration im Senat. Dagegen fielen die Konzessionen des Präsidenten im Bereich der Einkommensteuererhöhungen moderat aus. Das verabschiedete Haushaltsgesetz enthielt sowohl die vorgesehene Steuererhöhung für "Besserverdienende" - inklusive eines "Topzuschlags" für Spitzeneinkommen ab 250 000 US-Dollar im Jahr - als auch die Beibehaltung des Spitzensteuersatzes von 28 Prozent auf Kapitalerträge. Marginale Korrekturen gab es lediglich bei der Körperschaftssteuer und der Sozialversicherungssteuer für Senioren. Die Republikaner lehnten das Budget aufgrund der Steuererhöhungskomponente geschlossen ab ("größte Steuererhöhung der amerikanischen Geschichte") und prognostizierten als Konsequenz der Fiskalpolitik Clintons das nahe Ende des einsetzenden Wirtschaftsaufschwungs. Fazit: Clintons Etatgesetz von 1993 wurde wegen halbherziger Ausgabenkürzungen zu Recht kritisiert, die Voraussagen der Republikaner erwiesen sich dennoch in doppelter Hinsicht als falsch: Weder erstickten die Steuererhöhungen das Wirtschaftswachstum noch blieben die Haushaltsanierungsmaßnahmen wirkungslos.
3. Konfrontation und Kooperation mit dem republikanischen Kongress (1995-2000)
Während für die Clinton-Administration die Defizitreduzierung ein wirtschaftspolitisches Ziel unter mehreren darstellte, zeigten sich die siegreichen Kongress-Republikaner 1995 fest entschlossen, einen vollständigen Haushaltsausgleich durch Ausgabenkürzungen in kurzer Zeit zu erreichen und darüber hinaus das Gebot des ausgeglichenen Haushalts in der Verfassung zu verankern. Haushaltsausgleich als Politikziel und Verfassungsgebot war der Kern des "Vertrags mit Amerika". Bill Clinton hatte sich 1993/94 damit zufrieden gegeben, den Anstieg des Budgetdefizits zu revidieren, den Haushalt sozial ausgewogen zu sanieren, um gleichzeitig Investitionsmittel freizusetzen. Einen vollständigen Haushaltsausgleich sahen die 1993 eingeleiteten Maßnahmen jedoch nicht vor. Ein ausgeglichener Haushalt und Steuersenkungen waren für die republikanische Kongressführung jedoch nur Mittel zur Erreichung des übergeordneten Zwecks der Zurückdrängung des amerikanischen Sozialstaats. Dazu mussten die Republikaner bei denjenigen gesetzlich garantierten Leistungen ansetzen, die nicht nur klar identifizierbaren Bevölkerungsminderheiten zugute kommen, sondern die von der breiten Mehrheit weißer Mittelschichtsamerikaner in Anspruch genommen werden. Zu diesen Leistungen gehören in erster Linie die gesetzliche Krankenversicherung für Senioren, die Bundeszuschüsse für Schulen und Hochschulen sowie Ausbildungs- und Studienbeihilfen. Trotz ihres Wissens um die Popularität dieser Sozialleistungen in der Mittelschicht glaubten die Republikaner, die ungeliebten Einschnitte mit der ebenfalls populären Notwendigkeit des Haushaltsausgleichs erfolgreich begründen zu können.
Nach einer Phase abwartender Unsicherheit ergriff der bereits als relevante politische Größe abgeschriebene Präsident Clinton erneut die wirtschaftspolitische Initiative. Unter dem maßgeblichen Einfluss des neu verpflichteten Strategieberaters Dick Morris entschied sich Clinton am 13. Juni 1995 dazu, das von den Republikanern vorgegebene Ziel eines Haushaltsausgleichs - bei einer Sanierungsdauer von zehn Jahren - im Prinzip zu akzeptieren. Im Vordergrund stand von nun an nicht das Ob, sondern das Wie der Haushaltssanierung. Mit dieser als "Triangulation" bezeichneten Strategie konnte sich Bill Clinton als haushaltspolitischer Reformer und Defizitfalke mit Augenmaß sowie als Verteidiger überparteilich populärer Ausgabenprogramme für Kinder, Rentner und sozial Schwache profilieren, gegen deren Kürzungen er sein Veto einlegte. So positionierte sich der Präsident "staatsmännisch" einerseits zwischen seinen Parteifreunden im Kongress, die einen Zeitplan für den Haushaltsausgleich rundweg ablehnten, und andererseits der republikanischen Mehrheit, die als Radikalsanierer ohne soziales Augenmaß erschienen. Obwohl sie von den Zweidrittelmehrheiten in beiden Häusern weit entfernt waren, suchte die Kongressmehrheit im Herbst 1995 und im Winter 1995/96 die haushaltspolitische Machtprobe mit dem Präsidenten.
Als Druckmittel nutzte die Kongressführung um Newt Gingrich die Geldbewilligungskompetenz der Legislative. Die amerikanische Verfassung schreibt vor, dass sämtliche Ausgaben des Schatzamtes, somit sämtliche Posten des Staatshaushalts wie z. B. Gehälter der Staatsbediensteten, gesetzlich vom Kongress bewilligt werden müssen. Verweigern die zuständigen Kongressausschüsse die Mittelbewilligung, kann zu Beginn eines neuen Haushaltsjahres der Fall eintreten, dass weite Teile des Regierungsapparats solange schließen müssen, bis die Bewilligung erfolgt. In der alleinigen Bewilligungskompetenz des Kongresses ist die Verfassung eindeutig. Aus der Bestimmung geht indes nicht hervor, dass der Kongress berechtigt ist, die Bewilligung aus politisch-taktischen Gründen zurückzuhalten. Die Mehrheit der Bürger gab folgerichtig der Kongressführung die Schuld an den peinlichen Behördenschließungen. Mit der Wahlniederlage des republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Bob Dole, bei den Präsidentschaftswahlen 1996 war der konfrontative haushaltspolitische Kurs der Republikaner endgültig gescheitert. Früh in Clintons zweiter Amtszeit einigten sich die Kongressführung der Republikaner und der Präsident auf ein Rahmenabkommen zur Defizitbeseitigung bis zum Jahr 2002. Der Kompromisscharakter des Balanced Budget Act vom 5. August 1997 ist evident: Er enthielt auf der Ausgabenseite sowohl Senkungen der Kapitalertragssteuern und der Grundsteuer als auch Steuergutschriften für Kinder in der Hochschulausbildung und weitere Bildungsbeihilfen für sozial Schwache. Auf der Einnahmenseite stehen erhöhte Tabaksteuern und eine Flughafensteuer für internationale Flüge sowie Einsparungen in den Krankenversicherungen für Rentner und Sozialhilfeempfänger.
Wodurch erklärt sich, dass das Defizit so schnell (im Haushaltsjahr 1999) und so nachhaltig ausgeglichen wurde? Neben den genannten vernünftigen haushalts- und steuerpolitischen Entscheidungen der neunziger Jahre trugen die Zinsentscheidungen der Zentralbank sowie "glückliche" Entwicklungen außerhalb des direkten politischen Einflussbereichs maßgeblich zur Beseitigung bei. Ursächlich für die Geschwindigkeit der Defizitreduzierung war das von der Geldpolitik der Zentralbank ausgelöste und gestützte Wirtschaftswachstum. Eine stabilere Konjunktur löste weniger Schwankungen in einzelnen Wirtschaftssektoren aus als in früheren Aufschwungphasen. Niedrige Inflationsraten erzeugten ein stabiles Geschäftsklima. Neue, zu Beginn des Jahrzehnts kaum absehbare Investitionschancen in der so genannten New Economy, d. h. in den Bereichen Informationstechnologie, Kommunikation, Biotechnologie, Computer, Internetanwendungen etc., lösten einen Börsenboom aus. Die ungleichen Einkommenszuwächse zugunsten der Reichen und die dadurch wachsende Oberklasse führten zu höheren Steuereinnahmen. Die Steuermehreinnahmen durch den Börsenboom wurden von höheren Einnahmen aus Kapitalerträgen begleitet. Schließlich brachten die neunziger Jahre unvorhersehbare Entwicklungen und Ereignisse mit positiver Auswirkung auf die Wirtschaft: eine, wenngleich moderate, Friedensdividende durch sinkende Verteidigungsausgaben, sinkende Gesundheitskosten durch Health Management Organizations, Steuergewinne durch höhere Löhne und Profite. Seit 1996 verhalfen die durch den starken Dollar verursachten preiswerten Importe zu niedrigen Verbraucherpreisen. Das Anwachsen der Ausgaben für die beiden staatlichen Krankenversicherungen Medicare und Medicaid verlief schwächer als erwartet, letzteres aufgrund rückläufiger Zahlen bei den Sozialhilfeempfängern. Schließlich befand sich der Ölpreis bis Ende der neunziger Jahre nahe historischer Tiefststände, bis er Mitte 2000 neue Rekordhöhen erreichte.
IV. Fazit und Ausblick
Die gegenwärtige unangefochtene Spitzenstellung der USA auf militärischem, wirtschaftlichem und technologischem Gebiet sollte nicht dazu verleiten, diesen Zustand für den Rest des 21. Jahrhunderts festzuschreiben. Kurzfristig wird es darauf ankommen, ob die längste Wachstumsphase der US-Geschichte innerhalb des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zu Ende geht oder ob sich die These vom Ende der Konjunkturzyklen als substantiell erweist. Das dünne soziale Sicherheitsnetz der USA kann wirtschaftliche Rezessionen weniger gut auffangen als europäische Sicherungssysteme und steht daher ständig unter Veränderungsvorbehalt. Ein gleichzeitig einsetzender Aufschwung in Europa und Asien könnte selbst die alte Diskussion vom relativen Niedergang der USA wieder aufflammen lassen. Ein beachtlicher Teil des amerikanischen Produktivitätsanstiegs während der neunziger Jahre beruhte auf der Revolution in der Informationstechnologie sowie in anderen High-Tech-Bereichen. In einer globalisierten Welt mit freiem Informationsfluss könnte sich der technologische US-Vorsprung gegenüber Europa und Japan schneller verringern, als dies bei früheren technologischen Revolutionen - z. B. der Einführung der industriellen Massenproduktion - der Fall war.
Das neue Zeitalter der Haushaltsüberschüsse hat die Debatte über nationale haushaltspolitische Prioritäten transformiert. Die politischen Ausgabenvorschläge haben sich aus dem Korsett der Defizitbekämpfung befreit. Zudem besteht bei verantwortungsvoller Haushaltsführung die reale Möglichkeit, die Staatsschuld bis ca. 2013 vollständig abzutragen. Dies sind keine kleinen Erfolge. Viele europäische Staaten können von dieser Ausgangslage nur träumen. Die zukünftigen wirtschaftlichen Herausforderungen an die Stellung der USA liegen zum einen in den ökonomischen Kosten, die mit der Rolle als Welthegemon einhergehen, sowie in möglichen inneren Belastungen. Den USA stehen weiterhin schwierige und politisch hochkontroverse haushaltspolitische Entscheidungen ins Haus: Die Zukunftsfähigkeit der staatlichen Rentenversicherung steht ebenso zur Disposition wie der Leistungsumfang der staatlich garantieren Krankenfürsorge für Senioren. Vordergründig geht es um die Verhinderung von Insolvenzen der staatlichen Rentenkasse, wenn die Babyboom-Generation in den Ruhestand tritt, grundsätzlich um die Rolle des öffentlichen Sektors bei der Daseinsvorsorge. Zwei Lösungsrichtungen zeichnen sich ab: die Sozialabgaben mit allgemeinen Steuereinkünften aufzubessern, um das bestehende System zu erhalten - wie Vizepräsident Al Gore vorschlägt -, oder mit der Teilprivatisierung der staatlichen Rente zu beginnen, eine Lösung, die Gouverneur George W. Bush bevorzugt. Ein weiteres Dauerthema bleiben die Steuern. Sprudelnde Einnahmen durch Steuern auf Kapitalerträge tauchen nicht bei der Berechnung des Bruttoinlandsproduktes auf, heben aber das Steueraufkommen nahe an den historischen Höchststand von 20,9 % des BIP, der im vorletzten Jahr des Zweiten Weltkriegs erreicht wurde. Während dies für die Republikaner als klarer Imperativ für allgemeine Steuersenkungen verstanden wird, weisen Demokraten auf die gegenwärtige Ausnahmesituation hin und plädieren dafür, die Mehreinnahmen für Schuldentilgung, für einen Schlechtwetterfond bzw. als Manövriermasse für neue fiskalische Herausforderungen zu verwenden.
Zu einem ökonomischen Thema oberster Priorität wird die Bildungspolitik, da sich die globale Führungsnation ein bestenfalls mittelmäßiges Breitenschulwesen mit hohen Abbrecherraten auf Dauer nicht leisten kann. Zwar machen Bundesmittel nur etwa 10 % der 300 Milliarden US-Dollar Gesamtbildungsausgaben aus, doch kann der Bund Leistungsmaßstäbe aufstellen und so lokale Initiativen zur Qualitätsverbesserung unterstützen. Während Mittelerhöhungen für Vorschulerziehung (Head Start) sowie für die fachliche Aus- und Fortbildung der Lehrer überparteiliche Zustimmung erhalten, werden Reformen der Schulorganisation kontrovers diskutiert. Insgesamt dominieren Antibürokratisierungsvorschläge die Diskussion, insbesondere die Zulassung von Wettbewerbselementen. Der radikalste Vorschlag auf Seiten der Republikaner ist die Einführung eines Gutscheinsystems, mit dem insbesondere arme Eltern einen Gutschein in Höhe der Pro-Kopf-Bildungsleistungen des Staates erhalten, den sie sowohl an öffentlichen, privaten oder kirchlichen Schulen ihrer Wahl einlösen könnten. Bereits getestet und von den Demokraten für gut befunden wurden so genannte Charter-Schulen, das sind öffentliche Schulen mit verwaltungstechnischem Sonderstatus. Charter-Schulen akzeptieren regelmäßige Leistungsevaluationen und werden im Gegenzug von zahlreichen bürokratischen Bestimmungen der Schulaufsicht freigestellt. Das Prinzip, dass in den Bildungsbereich fließende Steuergelder des Bundes nicht nach bürokratischen Kriterien verteilt, sondern an die Wahl der einzelnen Schüler gekoppelt werden, gewinnt immer mehr Zustimmung.
Die wachsende Einkommens- und Vermögensungleichheit bleibt aufgrund der stark individualistischen Wertestruktur der USA solange politisch beherrschbar, wie sich - wie in den neunziger Jahren geschehen - nahezu alle Einkommensgruppen verbessern. Zwischen 1979 und 1997 fielen die inflationsbereinigten Einkommen der 20 % einkommensschwächsten US-Bürger, erst seit 1997 steigt auch deren Einkommen real. Insgesamt nahm die Ungleichheit weniger durch Einkommensverluste der Armen als durch immense Zuwächse bei den reichsten 20 % zu. Die Steuerpolitik Clintons versuchte armutsverhindernd gegenzusteuern, indem die Besteuerung niedriger Einkommen aufgehoben wurde und arbeitende Geringverdiener durch Steuergutschriften entlastet wurden. Schließlich übernahm die öffentliche Hand die Gesundheitsversicherung für Kinder sozial schwacher Eltern oberhalb der Armuts- und Sozialhilfegrenze. Gleichzeitig wurden die Hilfen für nichtbehinderte Arme im arbeitsfähigem Alter drastisch gekürzt, so dass heute wenig materielle Anreize bestehen, im Sozialhilfestatus zu verharren. Sollten in Zukunft dagegen die unteren Einkommensschichten stagnieren, während sich die Kapitalvermögen und Gehälter der Modernisierungsgewinner weiterhin vermehren, könnte sich dies - überlagert durch ethnische Spannungen - zu einem gefährlichen Gemisch anreichern, das sich explosionsartig entladen könnte.
Die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Wähler gibt heute zu Protokoll, dass es ihr wirtschaftlich noch niemals so gut ging wie zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die neue politische Führung wird sich trotz aller Rekorddaten weiter mit der Frage beschäftigen müssen, wie sich die Dynamik der amerikanischen Wirtschaft bei niedriger Inflation aufrechterhalten lässt, wenn man gleichzeitig den Verlierern von Modernisierung und Fortschritt eine faire sozialpolitische Chance geben will.
Die Wirtschaftsgesellschaft Amerikas der Clinton-Ära eignet sich vielleicht nur bedingt als Vorbild für Europa und Deutschland, aber sie ist in jedem Fall eine wichtige Inspirationsquelle. Die USA, die noch Anfang der neunziger Jahre als Gesellschaft auf Abstiegskurs und Wirtschaftsmacht im Niedergang gedeutet wurden, haben unter Beweis gestellt, dass sich unerwünschte wirtschaftliche und soziale Trends revidieren und in positive Entwicklungen verwandeln lassen.