I. Der Wirrwarr mit dem Begriff Nachhaltigkeit
Kaum ein Begriff ist in den Jahren seit der UN-Konferenz in Rio de Janeiro (1992) vielfältiger und unschärfer verwendet worden als der der Nachhaltigkeit. Obwohl im Brundtlandreport von 1987 und in der Agenda 21 klar und eindeutig definiert, wurde Nachhaltigkeit im letzten Jahrzehnt zu einem allumfassenden Modewort mit vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten. Auch Klaus J. Beckmann reiht sich in diesem Heft mit seinen Begriffserweiterungen "soziale, ökonomische, ökologische, kulturelle und psychisch-emotionale Nachhaltigkeit" in die Reihe derjenigen ein, die unter Nachhaltigkeit offenbar Ausgewogenheit oder Zukunftsfähigkeit verstehen. Diese begriffliche Ausweitung der "Nachhaltigkeit" auf fast alle Politikfelder hat dem Anliegen der UN-Konferenzen von Rio de Janeiro (Agenda 21, 1992), Istanbul (Habitat II-Agenda, 1996) und New York (1997) sowie der Klimakonferenz in Kyoto (1997), nämlich vorrangig auf die bedrohliche Gefährdung unserer Lebensgrundlagen hinzuweisen, eher geschadet als genutzt.
Ohne nun noch einmal die Kaiserin Maria Theresia und die von ihr eingeführte Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft bemühen zu müssen, definiere ich die Nachhaltigkeit nachfolgend und wohl auch in Übereinstimmung mit dem Brundtlandreport und den erwähnten UN-Konferenzen ausschließlich ressourcenbezogen. Nachhaltigkeit ist für mich damit ein verantwortliches Handeln, das von den natürlichen Ressourcen unserer Ökosysteme nur so viel verbraucht, wie in natürlichen Regenerationsprozessen in der gleichen Zeit nachwächst. Diese Nachhaltigkeit begründet einen absoluten Handlungszwang aller verantwortungsbewussten Menschen und hat damit einen dramatisch anderen Stellenwert als alle anderen, vielleicht wünschenswerten, aber für den Fortbestand unserer Ökosysteme nicht zwingend erforderlichen "Nachhaltigkeiten".
Damit verengt sich die Nachhaltigkeit wieder auf wenige politische Handlungsfelder, zu denen die Siedlungs- und Mobilitätsplanung mit den Kriterien Flächenverbrauch, Emissionen und Immissionsbelastungen ganz zweifellos und ganz dominant gehört. Die Hauptfrage an die Siedlungs- und Mobilitätsplaner ist also, ob wir im Hinblick auf die Nachwelt so weitermachen dürfen wie bisher oder ob - wie nachfolgend zu zeigen sein wird - grundlegende Änderungen unseres Verkehrsverhaltens als Grundlage einer nachweltorientierten Siedlungs- und Mobilitätsplanung unumgänglich sind. Dass das Vertrauen auf solche Bewusstseinsänderungen nicht weltfremd oder utopisch ist, zeigen meines Erachtens die fundamental gewandelten Einstellungen der Gesellschaft zum Naturschutz und zur Müllbehandlung; ganz abgesehen davon, dass sich die Bundesrepublik Deutschland als einer der Signatarstaaten der Agenda 21, der Habitat II-Agenda und der klimabedingten CO2-Reduktionen zur Nachhaltigkeit verpflichtet hat.
II. Ersatz der nachfrageorientierten durch eine zielorientierte Verkehrs- und Mobilitätsplanung
1. Planungsmethodik
Die nachfrageorientierte Mobilitätsplanungsmethodik der sechziger und siebziger Jahre (vgl. Abbildung 1, links), nach der auch die meisten traditionellen Regional- und Generalverkehrspläne erarbeitet wurden, versuchte, die Verkehrsinfrastruktur mit Hilfe umfangreicher prognostischer Berechnungen der Verkehrsnachfrageentwicklung baulich anzupassen (Anpassungsplanung). Infolge der in dieser Zeit stark zunehmenden Nachfrage im motorisierten Individualverkehr führte dieses Vorgehen zu einem einseitigen Ausbau der Straßeninfrastruktur. Über Leistungsfähigkeits- und Sicherheitsbilanzen wurde die funktionale Notwendigkeit dieser Verkehrsinfrastruktur in der Regel auch nachgewiesen. Die Wirkungen auf die Umwelt, aber auch auf die Ziele des Städtebaus wurden dabei nicht oder im Hinblick auf die Aufgabenverteilung zwischen den Verkehrssystemen nicht hinreichend berücksichtigt.
Diese nachfrageorientierte Planungsmethodik der Vergangenheit ist mit der starken Zunahme der Motorisierung aller Bevölkerungsgruppen immer problematischer geworden, da die Gesellschaft aus ökonomischen und ökologischen Gründen nicht bereit sein kann und darf, den Wettlauf zwischen Motorisierung und Verkehrswegebau als Folge der Nachfragebefriedigung zu akzeptieren. Es wird daher auch langfristig nicht gelingen, für die auf der Grundlage des freien Spiels der Kräfte prognostizierten Personen- und Güterverkehrsströme die erforderliche Verkehrsinfrastruktur zu schaffen. Vor allem in Ballungsräumen ist die Verkehrsinfrastruktur nicht unbegrenzt erweiterbar, so dass die nachfrageorientierte Mobilitätsplanung als Sackgasse zu betrachten ist.
Seit Anfang der achtziger Jahre setzt sich anstelle der reagierenden nachfrageorientierten Verkehrs- und Mobilitätsplanung immer mehr die agierende zielorientierte Mobilitätsplanung (vgl. Abbildung 1, rechts) durch, bei der stadt- und umweltorientierte Machbarkeitsstudien oder gesellschaftspolitische Zielvorgaben (Regionalstadtkonzepte, Sanierungsziele, verkehrssystemübergreifende Modal-Split-Vorgaben mit Vorrang umweltfreundlicher Verkehrssysteme, qualifizierte Nachfragesteuerung über Vermeidungs- und Verlagerungsstrategien) am Anfang des Mobilitätsplanungsprozesses stehen (Angebotsplanung).
Gleichzeitig wird das traditionelle, vorrangig baulich orientierte Maßnahmenspektrum für Netze, Strecken und Knotenpunkte durch Verkehrsbeeinflussungsanlagen - wie Geschwindigkeitsbeeinflussungs-, Stauwarn-, Wechselwegweisungs- und Fahrstreifensignalanlagen - und zunehmend auch durch nutzerorientierte Informations- und Verkehrsdienste erweitert. Informations- und Kommunikationstechniken sind dabei auch wichtige Bausteine eines systemübergreifenden, informatikorientierten Verkehrsmanagements. Durch diese Bausteine können verträgliche Verhaltensweisen für Umwelt und Gesellschaft gefördert, aber auch die Vorteilhaftigkeit von Alternativangeboten für die Verkehrsteilnehmer selbst verdeutlicht werden.
Die prognostizierte Verkehrsnachfrage und die Verkehrsplanungsmodelle dienen bei dieser Art der Verkehrsplanung nicht mehr vorrangig zur Bemessung von Verkehrsanlagen, sondern im Sinne von Politikberatung zur Abschätzung der Auswirkungen von Planungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der gesellschaftspolitischen Zielvorgaben und der umfeldorientierten Randbedingungen.
Die zielorientierte Planungsmethodik unterstellt die Beeinflussbarkeit menschlicher Verhaltensweisen durch Überzeugung und Aufklärung über die Wirkung von Verhaltensweisen bzw. über alternative nutzerorientierte Verkehrsangebote sowie durch Vorgabe umweltgerechter bzw. stadtverträglicher Rahmenbedingungen. Diese müssen sich stärker als früher an den Zielen der Regional- und Stadtplanung, an der Eignung der verfügbaren Verkehrssysteme für bestimmte Verkehrsaufgaben, an finanziellen Obergrenzen und an der Durchsetzbarkeit in absehbaren Zeiträumen orientieren. Die Mobilität und die Freiheit der Verkehrsmittelwahl wird dabei nicht generell und schon gar nicht ideologisch in Frage gestellt. Zur Vermeidung unerwünschter Verkehrsfolgen werden allerdings gesellschaftliche Grenzen vorgegeben, in denen sich Mobilität und freie Verkehrsmittelwahl vollziehen können.
Die Orientierung an finanziellen und gesellschaftspolitischen Zielvorgaben sowie an der Durchführbarkeit bedeuten nicht den generellen Verzicht auf den Neubau von Straßen. Die Frage der Notwendigkeit einer Straßenverkehrsanlage und der Substituierbarkeit der Anpassungsplanung durch eine Angebotsplanung mit Vorrang umweltfreundlicher Verkehrsmittel wird jedoch stärker in den Vordergrund einer verantwortungsbewussten Abwägung gestellt als in der Vergangenheit. Diese Abwägung gilt im gleichen Maße auch für die Umweltverträglichkeit von Straßenverkehrsanlagen und für die Möglichkeit einer optimalen Ausnutzung vorhandener oder modifizierter Infrastrukturen mit betrieblichen und verkehrsorganisatorischen Maßnahmen.
Die zielorientierte Mobilitäts- und Verkehrsplanungsmethodik ist im vergangenen Jahrzehnt in Ansätzen bereits für einige Regionalverkehrs- und Verkehrsentwicklungspläne angewendet worden. In der Regel konnte jedoch nicht die ganze Palette denkbarer innovativer Maßnahmen in die Konzepte und ihre Umsetzung einbezogen werden. Dies gilt insbesondere für die Integration vernetzter, nutzerorientierter Informations- und Verkehrsdienste, da diese gegenwärtig erst in der Entwicklung sind und ihr Beitrag zu einer umfassenden und flexiblen Mobilitätsplanung noch nicht hinreichend erforscht ist.
2. Reduktionsstrategien
Die zielorientierte Planungsmethodik und die Forderung nach Nachhaltigkeit setzen - wie bereits dargelegt - voraus, dass die im freien Spiel der Kräfte entstehende Nachfrage im motorisierten Individualverkehr (MIV) reduziert wird. Dies kann (vgl. Abbildung 2) in den vier Stufen MIV vermeiden, MIV verlagern, Fahrzeugtechnik verbessern und nutzungsverträgliche Abwicklung des notwendigen MIV geschehen. Die Stärke der Pfeile in der Abbildung 2 soll andeuten, dass insbesondere in den beiden ersten Stufen erhebliche Anteile des motorisierten Individualverkehrs reduziert werden müssen, um in Stadtregionen mit den vielfach kurzen Fahrtweiten umwelt- und stadtverträgliche MIV-Anteile zu erreichen.
In der ersten Reduktionsstufe zeigt sich am deutlichsten die starke Verknüpfung von nachhaltiger Mobilitäts- und nachhaltiger Siedlungsplanung. Mit nicht verkehrsvermeidenden Raumstrukturen, die sich in der Vergangenheit aufgrund der kommunalen Planungshoheit und der begrenzten Einflussmöglichkeiten der Regionalplanung vorrangig unter dem Diktat nichtverkehrlicher Standortfaktoren (z. B. Bodenpreise) entwickelt haben, lassen sich nennenswerte Anteile von Zwangsmobilität nicht reduzieren. Andererseits wird man die kostengünstige Erreichbarkeit auch peripherer Wohnstandorte und die dortige Verfügbarkeit über Zweit- und Drittwagen bei der Wahl des Wohnstandortes künftig nicht mehr so selbstverständlich voraussetzen können wie in der Vergangenheit. Dazu wird auch die auf EU-Ebene zu erwartende kostenechte Preisgestaltung im individuellen motorisierten Personen- und Güterverkehr beitragen. Schließlich zeigt die in diesem Sommer aufgeheizt geführte Diskussion um die erhöhten Mineralölpreise, wie eng im Falle einer kostenechten Preisgestaltung im Verkehr die Siedlungs- und Mobilitätsplanung bei Standortentscheidungen miteinander verknüpft sind. Trotz der siedlungsstrukturellen Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte ist die Lage der Menschen allerdings nicht hoffnungslos, da die in Deutschland ungeachtet aller planerischen Ohnmacht praktizierte Zentrenstruktur (dezentrale Konzentration mit Grund-, Mittel- und Oberzentren) die verkehrlich erwünschte Stadt der kurzen Wege langfristig immer noch ermöglicht und damit in Verbindung mit der Mischung immissionsverträglicher Flächennutzungen gute Rahmenbedingungen für die erforderliche Vermeidung von motorisiertem Individualverkehr bestehen.
In der zweiten Reduktionsstufe geht es darum, auf der regionalen und auf der kommunalen Ebene Planungsstrategien zu verfolgen, die die Verkehrsmittel des Umweltverbundes (ÖPNV, Fußgänger- und Radverkehr) im Sinne einer - notfalls betriebswirtschaftlich auch defizitären - Angebotsplanung offensiv fördern und den Autoverkehr aufgrund seines größeren spezifischen Flächenbedarfs im Sinne der Nachhaltigkeit bereichsweise mit verkehrsreduzierenden Beschränkungen (z. B. durch gebietsspezifische Stellplatz- und Fahrraumbewirtschaftungen) belegen.
Die nach der zweiten Reduktionsstufe verbleibende Verkehrsnachfrage im MIV ist in der Regel notwendig und durch Maßnahmen der Fahrzeugtechnik und der flächenhaften Verkehrsberuhigung umwelt- und nutzungsverträglich zu machen.
3. Nahverkehrsstrategien
Aus der dargestellten Kombination von schiebenden (push-) und ziehenden (pull-)-Maßnahmen leiten sich die in regionalen Verdichtungsräumen und in peripheren Räumen bzw. Randbezirken jeweils zweckmäßigen Nahverkehrsstrategien ab (vgl. Abbildung 3). Es ist eindeutig erkennbar, dass mit der Strategie "ÖPNV als Daseinsvorsorge" in einem Planungsraum nur geringe Nahverkehrsanteile (fünf bis zehn Prozent) erreichbar sind und der MIV als Vorrangsystem anzusehen ist. Diese Strategie führt im Allgemeinen nur zu einem Mindestbedienungsstandard im Nahverkehr (z. B. drei Fahrtenpaare je Tag) und ist daher nur in peripheren Räumen mit geringer Bevölkerungsdichte und gleichzeitig hoher Motorisierung akzeptabel.
Für regionale Verdichtungsräume kommen demgegenüber zumindest außerhalb der Schwachverkehrszeiten (abends, samstags, sonntags) nur die Strategien "ÖPNV als Konkurrenzsystem" und "ÖPNV als Vorrangsystem" in Betracht. Welche Zusatzqualitäten dabei angeboten werden sollen oder können, um die Haus-zu-Haus-bezogenen Reisezeitvorteile des MIV durch einen dichten Fahrplan zumindest teilweise auszugleichen, ist wegen der daraus resultierenden Betriebskosten (und in der Regel Defizite) eine fundamental politische Frage und damit wieder ein Beweis für die Notwendigkeit einer zielorientierten Mobilitätsplanung. Noch viel politischer ist natürlich die Frage, welche Restriktionen im MIV als flankierende Maßnahmen politisch erwünscht und durchsetzbar sind, um den ÖPNV zum Vorrangsystem zu machen und damit ÖPNV-Anteile von mehr als 50 Prozent bis 60 Prozent zu erreichen. Solche Restriktionen sind in dicht bebauten Gebieten mit begrenzter Flächenverfügbarkeit und straßenräumlichen Nutzungskonkurrenzen zwischen fließendem, ruhendem und lieferndem Kraftfahrzeugverkehr, mit öffentlichem Personennahverkehr, mit Fußgänger- und Radverkehr, mit Aufenthaltsansprüchen an die Seitenräume und Begrünung unentbehrlich
4. Planung als Ideologie?
Die dargestellte zielorientierte Planungsmethodik mit einer Mischung aus Angebotsplanungen und Restriktionen wird von den Anhängern einer nachfrageorientierten Mobilitätsplanung häufig als "ideologisch" abgetan, ohne dabei die eigene Ideologie zu erkennen und zu hinterfragen. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Grundsatz des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage in unserer Gesellschaft generell eine hohe Akzeptanz besitzt und auf das knappe Gut "innerstädtische Straßen- und Platzräume" daher zwangsläufig mit Nachfragesteuerungen zu reagieren ist.
Erinnert werden muss auch noch einmal daran, dass die Strategie der zielorientierten Mobilitätsplanung keine neue Idee ist. Inhaltlich ähnliche Planungsempfehlungen enthält bereits der wegen seiner Weitsicht immer noch aktuelle und lesenswerte Bericht der "Sachverständigenkommission zur Untersuchung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden"² aus dem Jahre 1965 (siehe Kasten).
Der zitierte Sachverständigenbericht war übrigens auch Grundlage des "Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG)", mit dem in der Bundesrepublik Deutschland eine nunmehr fast 40 Jahre dauernde segensreiche Förderung der regionalen und kommunalen Nahverkehrssysteme möglich wurde.
5. Verkehrs- management
Wichtige Elemente einer zielorientierten Mobilitätsplanung sind betriebliche und verkehrsorganisatorische Maßnahmen, die unter dem Oberbegriff "Ver-kehrsmanagement" (VM) zusammengefasst werden. Die wichtigsten VM-Maßnahmen sollen im Folgenden aufgelistet werden sollen³. Abbildung 4 zeigt typische VM-Maßnahmen für den Güterverkehr. Die Optimierung der logistischen Transportketten mit Güterverkehrszentren und Regionallogistikkonzepten, die systemübergreifenden Verknüpfungen und die Beeinflussung des Nachfrageverhaltens sind dabei wichtige Bausteine einer zielorientierten Verkehrsplanung.
Analog enthält Abbildung 5 die wichtigsten VM-Maßnahmen für den Personenverkehr mit den Gruppen Individualverkehr (IV), Öffentlicher Personenverkehr (ÖV), Koordination von IV und ÖV und Beeinflussung des Nachfrageverhaltens.
Die Beeinflussung des Nachfrageverhaltens, eine dynamische Steuerung der Lichtsignalanlagen und die Beschleunigung von Nahverkehrsfahrzeugen sind dabei besonders wichtige Bausteine einer zielorientierten Mobilitätsplanung.
6. Dynamischer Entwurf von Straßenverkehrsanlagen
Ein letzter innovativer Baustein der zielorientierten Planungsmethodik ist die bewusste Kombination entwurfstechnischer und betrieblich-organisatorischer Maßnahmen unter Einbeziehung "der Zeit als neue Entwurfsstrategie". Man kann diese Kombination auch "Dynamischer Entwurf von Straßenverkehrsanlagen" nennen.
Das Grundprinzip des dynamischen Entwurfs von Straßenverkehrsanlagen lässt sich wie folgt erläutern:
- Traditionell werden
- In der Lichtsignaltechnik hat man demgegenüber die Statik der Festzeitsteuerungen schon seit Jahren verlassen und passt sich der (instationären) Verkehrsnachfrage durch die Signalprogrammauswahl bzw. durch die Signalprogrammbildung an. Die Folge sind optimal ausgenutzte Sraßenverkehrsanlagen, geringe (weil unnötige) Reserven und geringe Wartezeiten.
- Der Grundgedanke einer neuen, flächensparenden Entwurfsphilosophie ist nun, beide Strategien zu kombinieren, indem die Straßenverkehrsanlagen nur für eine Grundbelastung entworfen und gebaut werden und zur Bewältigung von Spitzenbelastungen auf die bauliche Anlage Elemente der Signaltechnik und der Telematik aufgesetzt werden. Diese noch in der Anfangsphase befindliche Entwurfsphilosophie versucht also, auf die dynamische (instationäre) Verkehrsnachfrage mit einem "dynamischen Entwurf" zu antworten.
Besonders erfolgversprechend anwendbar ist diese neue Entwurfsstrategie in planfreien Knotenpunkten von Autobahnen und bei der Optimierung von Stadtbahnen in engen innerörtlichen Straßenräumen.
Für die Integration betrieblicher Maßnahmen in planfreie Knotenpunkte von Autobahnen konnten in den Jahren 1995 bis 1997 anlässlich der Verkehrsplanungen für die Weltausstellung EXPO 2000 in einer Forschungsarbeit
Auch für die optimale Kombination entwurfstechnischer und betrieblicher Maßnahmen in Stadtbahnsystemen liegen nach mehr als zehnjähriger Forschungstätigkeit am hiesigen Institut nun konkrete Einsatzempfehlungen vor
III. Verkehrsplanungs- und Verkehrsmanagementkonzept für die Weltausstellung EXPO 2000
In der Zeit vom 1. Juni bis 31. Oktober 2000 fand eine Weltausstellung erstmalig in der Bundesrepublik Deutschland statt: die EXPO 2000. Das 160 Hektar große Ausstellungsgelände liegt im Südosten von Hannover und schließt aus Gründen der Flächenersparnis (Nachhaltigkeit!) das hannoversche Messegelände ein. Die lange Dauer von fünf Monaten bzw. 153 Tagen erforderte grundsätzlich andere Verkehrsplanungs- und Steuerungsmaßnahmen als die bewährte Verkehrslenkung der Polizei zu den hannoverschen Großmessen. Die Einwohner von Hannover hatten die Weltausstellung EXPO 2000 in einem Bürgervotum nach einer kontroversen Diskussion lediglich mit 52 Prozent befürwortet und erwarteten, dass die Belastungen der Stadt und der an das Ausstellungsgelände angrenzenden Wohngebiete durch den An- und Abreiseverkehr auf ein unvermeidbares Minimum reduziert würden. Es wurden insgesamt 40 Millionen Besucher erwartet. Das sind im Durchschnitt 261 000 Besucher/Tag bei einem Maximum von 400 000 Besuchern/Tag an Samstagen. Diese Prognosen waren nach den Erfahrungen mit früheren Weltausstellungen keinesfalls utopisch, sie haben sich aber aus verschiedenen außerhalb der Mobilitätsplanung liegenden Gründen als falsch erwiesen.
Ein Grund für die Vergabe der Weltausstellung an Deutschland war sicherlich das einprägsame, vielversprechende Motto "Mensch - Natur - Technik". Dieses Motto beinhaltet auch, dass die Weltausstellung an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend zu einer ausgewogenen Neuorientierung weltweiter Lebens- und Entwicklungsstandards und zur konsequenten Umsetzung des in der Habitat II-Agenda und in der Istanbul-Deklaration vereinbarten Agierens der Signatarstaaten im Sinne einer nachhaltigen Siedlungs- und Mobilitätsentwicklung beitragen musste. Das gewählte Motto hatte bereits bei der planerischen Vorbereitung der Weltausstellung einschneidende Zielvorgaben zur Folge:
- Es sollten nur solche Baumaßnahmen geplant und realisiert werden, für die nach dem Jahr 2000 eine überzeugende Nachnutzung nachgewiesen werden konnte.
- Die in der Nähe des Weltausstellungsgeländes liegenden Wohngebiete waren wegen der langen Betroffenheit (153 Tage!) konsequent vor dem Kraftfahrzeugverkehr der Weltausstellung zu schützen.
- Die Verkehrslenkung sollte nicht wie bisher durch Polizisten, sondern durch innovative technische Maßnahmen erfolgen.
Die zielorientierte Verkehrs- und Mobilitätsplanung konnte während der Vorbereitung der EXPO 2000 damit erstmalig systematisch angewendet werden. Dazu wurden die folgenden strategischen Randbedingungen festgelegt:
- Alle Infrastrukturmaßnahmen sollten mit einem starken Vorrang der öffentlichen Verkehrssysteme (für 75 Prozent der Tagesbesucher) realisiert werden.
- Die mögliche Verkehrsnachfrage sollte aus der Kapazität der Infrastruktur abgeleitet werden, die nach der EXPO 2000 für die regionale Verkehrsabwicklung unter Einbeziehung der hannoverschen Leitmessen notwendig ist.
- Die erwünschte Lenkung des EXPO-bedingten Kraftfahrzeugverkehrs auf erwünschten Hauptrouten musste durch eine Integration betrieblicher und informationstechnischer Maßnahmen in den Verkehrsplanungsprozess realisiert werden.
Neubaumaßnahmen wurden nur bei sichergestellter Nachnutzung nach dem Jahr 2000 im Sinne eines vorgezogenen Ausbaus mit folgenden Einzelmaßnahmen realisiert:
- neues S-Bahn-System für die Region Hannover;
- Ausbau des Bahnhofs Hannover-Messe-Laatzen als ICE-Halt;
- neue S-Bahn-Station Hannover-Messe-Laatzen für das regionale S-Bahn-System;
- neue S-Bahn-Station Hannover-Flughafen für das regionale S-Bahn-System in Verbindung mit einem dritten Terminal für den Flughafen;
- Neubau einer Stadtbahnlinie D-Süd;
- Neubau einer vierspurigen Ringstraße um das Weltausstellungsgelände, die aufgrund ihrer geringen Leistungsfähigkeit allerdings als Schwachstelle des gesamten Systems zu betrachten ist und daher optimal gelenkte und gerichtete Fahrzeugströme ohne spontanen Parksuchverkehr erforderte;
- vorgezogener sechsspuriger Ausbau der Autobahnen A2 (Ost-West) und A7 (Nord-Süd) auf der Grundlage des prognostizierten Zusatzverkehrs für die EXPO 2000 und in Übereinstimmung mit dem Ausbauplan für die Bundesfernstraßen;
- Schaffung von Stellplätzen für 25 000 Pkw und 1 400 Busse rund um das Weltausstellungsgelände;
- Bau von 25 000 überwiegend temporären Park-and-Ride-Plätzen in der Region Hannover.
Ergänzt wurden die Neubaumaßnahmen durch ein Verkehrslenkungs- und Managementkonzept, das aus folgenden Bausteinen besteht
- zielorientierte Steuerung der Verkehrsmittelwahl und des Besuchstages über den Kartenvorverkauf mit dem weltweit verfügbaren Ticketing-Konzept;
- möglichst weitgehende Vorbuchung der Stellplätze für Personenkraftwagen mit verkehrstechnisch optimaler Zuordnung der Anreiserichtungen zu den Parkbereichen Rot (Nord), Blau (Ost), Gelb (West) und Grün (Süd) über einen regional differenzierten Vorverkauf;
- Lenkung des An- und Abreiseverkehrs mit Kraftfahrzeugen vorrangig über die Autobahnen und die städtischen Schnellverkehrsstraßen durch ein Verkehrsbeeinflussungssystem auf der Autobahn A2, ein Verkehrsbeeinflussungssystem auf dem Messeschnellweg mit der Möglichkeit, einen sechsspurigen Einbahnverkehr einzurichten (Abbildung 6), und durch Ergänzung der Autobahnknotenpunkte mit Fahr-
streifensignalen, die ein zweispuriges Abbiegen über Eck ermöglichen (Abbildung 7);
- zurückhaltende und äußerst defensive Aktivierung der Ausweichrouten im nachgeordneten Straßennetz (B 65 West, B 65 Ost, B 6 Süd), da diese durch Kleinstädte und Dörfer führenden Straßen nicht als Auffangräume zur Umgehung von Staus auf Autobahnen dienen sollten und erfahrungsgemäß auch nach kurzer Zeit in ihrer Leistungsfähigkeit erschöpft wären;
- Ergänzung der Ringstraße um das EXPO-Gelände durch Fahrstreifensignale und das größte derzeit bekannte Parkleitsystem;
- Schutz der an das Weltausstellungsgelände angrenzenden Wohngebiete vor Fremdparkern durch einen umfangreichen Maßnahmenkatalog für insgesamt ca. 16 500 Stellplätze zur Priorisierung der Anwohnernutzung.
Zur Konsensfindung bei Politikern und betroffenen Bürgern in der Region Hannover wurde das Gesamtkonzept auf Rechnern abgebildet, um die verkehrlichen Auswirkungen EXPO-bedingter Zusatzverkehre auf das relevante Hauptverkehrsstraßennetz prüfen zu können. Durch die Modellrechnungen
- die für die Anreise erforderliche Leistungsfähigkeit nur mit einem Einrichtungsverkehr (Maßnahme A) auf dem Messeschnellweg geschaffen werden kann;
- für die Abreise in den späten Abendstunden kein Einrichtungsverkehr auf dem Messeschnellweg erforderlich sein wird;
- die bei Einbahnregelungen auf dem Messeschnellweg verdrängten Süd-Nord-Verkehre sich vorrangig auf die Autobahn A 7 verlagern;
- im parallelen nachgeordneten Straßennetz nur hinnehmbare Zusatzbelastungen auftreten werden;
- eine insgesamt ausreichende Leistungsfähigkeit für ein Angebot von 25 000 Stellplätzen in der Nähe des Weltausstellungsgeländes erreicht werden kann und
- während der hannoverschen Großmessen Cebit und Hannover Industrie in der Nachnutzung (mit dann 40 000 Stellplätzen) sowohl für die Anreise als auch für die Abreise ein Einrichtungsverkehr (Maßnahmen A und R) auf dem Messeschnellweg erforderlich sein wird.
Alle aufgrund des beschriebenen Planungsprozesses notwendigen Infrastrukturmaßnahmen konnten vor der EXPO 2000 realisiert werden und standen der Verkehrsleitzentrale move (Mobilität und Verantwortung) während der Veranstaltungsdauer für situative Lenkungsmaßnahmen zur Verfügung. Da die Besucherzahlen bekanntlich hinter den prognostizierten Planungsgrundlagen zurückblieben, wird das Gesamtkonzept seine Vorteilhaftigkeit gegenüber weniger nachhaltigen baulichen Maßnahmen wie geplant vorrangig anlässlich der Großmessen in der Nachnutzung nachweisen können.