Einleitung
Auf den EU-Gipfeln von Helsinki und Santa Maria da Feira haben die Regierungschefs weitreichende Beschlüsse gefasst, mit denen die institutionellen und militärischen Instrumentarien der EU-Sicherheitspolitik verbessert werden sollen. Nachdem die Europäische Währungsunion erfolgreich eingeführt worden ist, scheint nunmehr der Ausbau der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zum neuen Schwerpunkt der europäischen Integrationsbestrebungen zu werden
I. Bewegung in der EU-Sicherheitspolitik
Die weitgehende formelle Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Erfahrungen der Kosovo-Intervention haben jüngst denjenigen Stimmen größeres Gehör verschafft, die für Europa eine echte Sicherheitsidentität fordern. Der Kontrast zwischen wirtschaftlicher Vergemeinschaftung einerseits und sicherheitspolitischer Zersplitterung und Machtlosigkeit andererseits sei nicht länger hinnehmbar. Europa, so Friedbert Pflüger (CDU), müsse endlich auch zu einer politisch und militärisch geeinten Weltmacht werden. Andernfalls drohe es den internationalen Anschluss zu verlieren und setze das Überleben der "europäischen Hochzivilisation" aufs Spiel
Auf den ersten Blick erscheinen die Aussichten für eine wirkliche sicherheitspolitische Integration so günstig wie schon lange nicht mehr. Vor allem der anglofranzösische Gipfel, der im Dezember 1998 in Saint-Malo stattfand, hat neue Dynamik für die avisierte Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität (ESVI) erzeugt. Nachdem Frankreich sich schon seit geraumer Zeit damit abgefunden hat, dass diese nur mit der NATO und nicht als Alternative zu ihr aufgebaut werden kann, zeigte sich nunmehr auch der britische Premierminister Tony Blair bereit, der EU militärische Handlungsfähigkeit zu verschaffen. London insistiert damit nicht länger auf der Eigenständigkeit der Westeuropäischen Union (WEU), die bislang einer militärischen Rolle der EU im Wege gestanden hatte
Auch Deutschland und die USA haben politische Kurswechsel vollzogen, welche die Voraussetzungen für eine ESVP verbessern: Die Bundesrepublik hat ihre traditionelle Abneigung gegen Kampfeinsätze außerhalb des NATO-Gebietes aufgegeben und sich im Kosovo erstmals aktiv an militärischer Friedenserzwingung beteiligt. Die Vereinigten Staaten zeigen sich zwar hin und wieder noch besorgt, dass die ESVP womöglich zur Konkurrenz für die NATO werden könnte
Ihren vorläufigen Abschluss fand diese Fortentwicklung der ESVP auf den EU-Gipfeln von Helsinki und Santa Maria da Feira. In Helsinki beschloss der Europäische Rat, den Ministerrat mit einer militärischen Kompetenz und der dazu nötigen institutionellen Basis auszustatten. Hierfür werden beim Ministerrat drei neue Organe aufgebaut:
- ein ständiger sicherheitspolitischer Ausschuss auf Botschafterebene, der u. a. für die politische und militärische Leitung von Krisenmanagement-Einsätzen zuständig sein wird;
- ein Militärausschuss, der aus den nationalen Generalstabschefs oder ihren Vertretern besteht und den sicherheitspolitischen Ausschuss beraten und den Miltärstab anleiten wird;
- ein eigener Militärstab, der den beiden anderen Organen zuarbeitet, indem er strategische Planungen, Frühwarn-Funktionen und Lagebeurteilungen durchführt.
Darüber hinaus verpflichteten sich die EU-Mitglieder in Helsinki, die Kapazitäten für schnelle Kriseneinsätze auszubauen. Im Jahr 2003 will die EU dazu in der Lage sein, innerhalb von 60 Tagen eine eigenständig handlungsfähige Eingreiftruppe von bis zu 60 000 Soldaten in ein Krisengebiet zu entsenden. Ein Verband dieser Stärke soll mindestens ein Jahr lang vor Ort eingesetzt werden können
Im Juni 2000 wurden beim Gipfel des Europäischen Rates im portugiesischen Santa Maria da Feira weiterführende Beschlüsse gefasst, die insbesondere die künftige Zusammenarbeit zwischen EU und NATO betreffen. Unter anderem beschloss der Rat, der nordatlantischen Allianz die gemeinsame Bildung von vier informellen Arbeitsgruppen vorzuschlagen. Sie sollen klären,
- wie die Modalitäten für einen eventuellen Rückgriff auf Mittel und Fähigkeiten der NATO gestaltet werden könnten,
- welche Dauerregelungen für Konsultationen mit der NATO getroffen werden müssten;
- wie die EU-Gremien den NATO-Vorschriften für Geheimhaltung entsprechen könnten und
- wie Planungen für die Aufstellung europäischer Eingreifkräfte mit der NATO koordiniert werden sollten.
Ferner wurden die Pläne für den Einsatz ziviler Krisenreaktionskräfte präzisiert und Vorschläge präsentiert, wie europäische NATO-Mitglieder, die nicht der EU angehören, an deren militärischen Einsätzen beteiligt werden könnten
Ungeachtet dieser bemerkenswerten Entwicklung bleiben noch gravierende Hindernisse zu überwinden, bevor eine echte Sicherheitsidentität der Europäer verwirklicht werden kann. Ein Problem stellt nach wie vor der Sonderstatus der neutralen EU-Mitglieder dar. Vor allem Finnland, Irland und Schweden lehnen eine komplette Eingliederung der WEU ab, weil sie deren militärische Beistandsverpflichtung nicht übernehmen möchten. Bislang wurde für dieses Problem nur ein Formelkompromiss gefunden, dem zufolge die EU von der WEU diejenigen Funktionen übernehmen soll, "die sie zur Erfüllung ihrer neuen Aufgaben benötigt"
Offen blieb bei diesen Beschlüssen jedoch insbesondere, wie die neuen Einsatztruppen und vor allem ihre Ausrüstung finanziert werden sollen
II. Die Ausrüstungsdefizite der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
Die NATO-Intervention im Kosovo hat erneut offenbart, wie sehr die Europäer den USA unterlegen sind, wenn es darum geht, militärische Macht jenseits der Bündnisgrenzen zur Geltung zu bringen. Fast 80 Prozent aller geflogenen Kampfeinsätze und 90 Prozent der verwendeten Bomben und Raketen gingen auf das Konto der USA. Jedes französische Flugzeug, das einen Kampfeinsatz über der Bundesrepublik Jugoslawien flog, musste zur Sicherheit von vier amerikanischen Maschinen begleitet werden
Defizite weisen die europäischen Streitkräfte vor allem in den Bereichen Allwetteraufklärung (z. B. Radarsatelliten und luftgestützte Zielerfassungssysteme), Kommunikation, Luft- und Seetransport, Luftbetankung, verlegbare Truppen mit hoher Kampfkraft, allwetterfähige Kampfflugzeuge und Abstandswaffen (z. B. Marschflugkörper) auf
Für die Entwicklung einer europäischen Sicherheitsidentität sind diese militärischen Defizite alles andere als trivial. Zum einen schwächen sie die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU auch im Bereich der klassischen Diplomatie. Wer militärisch nicht handlungsfähig ist, wird als Partner, Vermittler oder Gegenspieler meist nicht ernst genommen. Diese schmerzliche Erfahrung musste die EU nicht nur im ehemaligen Jugoslawien, sondern auch im Irak mit Saddam Hussein machen. Der Diktator weigerte sich während der Golf-Krise, die "Troika" der EU zu treffen, und sein Außenminister Tarek Asis erklärte sich dazu nur unter der Bedingung bereit, dass seine europäischen Kollegen zu ihm nach Bagdad reisten
Zum anderen spielen gemeinsame Militäraktionen eine herausragende Rolle, wenn eine von den Bürgern empfundene Sicherheitsidentität der Europäer entstehen soll. Das Bewusstsein, dass die Sicherheit aller EU-Staaten untrennbar miteinander verknüpft ist, dass die Sicherheit des einen auch die Sicherheit des anderen ist, wird ohne europäische Kampfeinsätze kaum wachsen können. Wirtschaftliche Hilfen, administrative Unterstützung, Embargos oder diplomatische Vermittlungsinitiativen mögen in vielen Fällen weitaus nützlicher sein als militärische Aktionen. Gelegentlich können sie auch sehr viel kostspieliger sein. In das öffentliche Bewusstsein dringen sie jedoch kaum. (Beispielsweise dürfte den wenigsten Bürgern bekannt sein, dass die EU-Mitglieder bis 1998 etwa 190 Mrd. DM allein für die Stabilisierung Mittel- und Osteuropas bereitgestellt haben.)
Ein Rückgriff auf Stäbe und Ausrüstung der NATO im Rahmen der CJTF-Struktur wird die militärischen Defizite der Europäer nur sehr begrenzt ausgleichen können. Systeme, die der NATO selbst gehören (z. B. das luftgestützte Aufklärungssystem AWACS), können allenfalls einen Teil der europäischen Ausrüstungslücken schließen. Die benötigten Waffenplattformen besitzen nämlich ganz überwiegend die USA. Selbst wenn Washington grundsätzlich bereit wäre, diese zu verleihen, könnten europäische Streitkräfte sie schwerlich einsetzen - schon allein deshalb nicht, weil ihren Soldaten zumeist das erforderliche Einsatztraining fehlen würde. Außerdem werden die Europäer Systeme, die ihnen die NATO oder deren übrige Mitglieder überlassen, schwerlich nach eigenem Gutdünken einsetzen können. Insbesondere die USA werden bei CJTF-Einsätzen immer eine gewichtige Rolle spielen - selbst dann, wenn sie sich selbst nicht beteiligen und dem Einsatz grundsätzlich zugestimmt haben. Die franko-amerikanischen Auseinandersetzungen um die Details der entsprechenden Transfer- und Kontrollverfahren lassen darauf schließen, dass amerikanische Diplomaten und NATO-Offiziere auch auf die Durchführung laufender Operationen immer wieder entscheidenden Einfluss nehmen würden
Europas Entscheidungsträger haben erkannt, dass die Sicherheitsidentität nur verwirklicht werden kann, wenn Europas militärische Fähigkeiten verbessert werden. Nachdem über die institutionellen Anpassungen von EU und NATO weitgehend Konsens erzielt werden konnte, ist das größte Desiderat die Ausrüstung der Streitkräfte. Wird dieses Manko nicht beseitigt, bleiben selbst die umsichtigsten Reformen von Gremien und Entscheidungsstrukturen ohne nachhaltige Wirkung. "Ohne den ernsthaften Willen zur Beschaffung der erforderlichen Instrumente", so der amtierende Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Admiral Guido Venturoni, "wird die Europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität nur eine noble Idee bleiben."
Militärische Beschaffungsprogramme, die den Rückstand gegenüber den USA wirklich verringern könnten, würden die europäischen Haushalte jedoch stark belasten. Amerikanische Experten schätzen, dass allein der Ausbau der europäischen Transportkapazitäten rund 125 Mrd. DM kosten würde. Damit könnten die Europäer notfalls acht bis zehn Divisionen und die zugehörigen Luftstreitkräfte über mehrere tausend Kilometer verlegen und versorgen
Die jüngste Fusion von DASA, Aérospatiale und der spanischen CASA zur European Aeronautic, Defence and Space Co. (EADS) ist daher ein Lichtblick. Ob sie allerdings den erhofften Durchbruch zu kostengünstigeren Strukturen bringen wird, bleibt abzuwarten. Gerade im militärischen Bereich sind die Einsparungspotentiale der EADS gar nicht so groß. Im Unterschied zum zivilen Sektor, wo die Zusammenfassung der AirbusProduktion zu einem einheitlichen Unternehmen kostspielige Managementstrukturen vereinfachen wird, sind im Rüstungssektor wenig Effizienzgewinne zu erwarten. Hier ergänzen sich die Produktions- und Entwicklungskapazitäten der drei Fusionspartner bereits heute so sehr, dass überflüssige Verdoppelungen eher die Ausnahme sind. Noch ist außerdem unklar, inwieweit die Beteiligung des französischen Staates mögliche Rationalisierungsmaßnahmen überhaupt zulassen würde. Ob entsprechende Zusicherungen seitens der Regierung de facto wirksam werden, muss sich erst noch zeigen. Als wichtige Kunden werden die Regierungen aber ohnehin immer auch Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben. Dies wird der betriebswirtschaftlichen Effizienz nicht durchweg förderlich sein. Wahrscheinlich ist vielmehr, dass Regierungen auf eine ausgewogene Verteilung der Arbeitsplätze unter den beteiligten Nationen drängen werden, wenn der Auf- oder Abbau von Kapazitäten ansteht
Ferner ist zu befürchten, dass die Konzentration auf ganz wenige europäische Großunternehmen wie EADS und British Aerospace nationale Rüstungsmärkte gegen andere Wettbewerber abschotten wird. Wenigstens darf man gespannt sein, ob beispielsweise die britische Regierung ein preiswerteres ausländisches Waffensystem ordern wird, solange British Aerospace ein vergleichbares Produkt anbietet. So begünstigt der augenblickliche Trend eher multinationale Rüstungsmonopole, die auf ihren nationalen Märkten weit weniger Konkurrenz fürchten müssen als vergleichbare Unternehmen in den USA
Nicht viel besser sieht es für Europa im Bereich Forschung und Entwicklung aus. Dort gibt es ähnliche Ineffizienzen, die von unnötigen Doppelprogrammen herrühren
Europäische Verteidigungsminister haben gegenüber ihrem amerikanischen Kollegen also nicht nur viele Beschaffungsmaßnahmen nachzuholen, sie müssen dafür auch noch unverhältnismäßig viel Geld ausgeben, vor allem, wenn sie nicht noch weiter gegenüber den USA zurückfallen wollen. Mit einem Kostenaufwand, der 60 Prozent der amerikanischen Militärausgaben entspricht, erreichen die Europäer nur etwa zehn Prozent der amerikanischen Leistungskraft
III. Haushaltspolitische Engpässe
Die Mehrausgaben, welche für den zügigen Aufbau einer schlagkräftigen Eingreiftruppe erforderlich wären, werden die meisten Mitglieder der Währungsunion vorerst nicht finanzieren können. Die Budget-Auseinandersetzungen zwischen Finanzminister Eichel und Verteidigungsminister Scharping zeigen, dass der Spielraum für neue Rüstungsprogramme nicht zu-, sondern abnehmen wird. Scharping forderte in den nächsten zehn Jahren Mehrausgaben in Höhe von 30 bis 40 Mrd. Mark, um die Bündnisfähigkeit der Streitkräfte sicherzustellen. Das Sparpaket des Finanzministers sieht hingegen vor, dass bis 2003 im deutschen Verteidigungshaushalt rund 19 Mrd. DM eingespart werden
In den anderen EU-Staaten sieht es kaum besser aus. Auch Frankreich musste unlängst seine Beschaffungsvorhaben kürzen, und die italienische Regierung will bis 2001 das Haushaltsdefizit auf ein Prozent verringern, um Zweifel an ihrer haushaltspolitischen Zuverlässigkeit zu zerstreuen
Ein finanzieller Zielkonflikt zeichnet sich im Zusammenhang mit der Osterweiterung der EU ab. Bei den Beitrittsgesprächen mit den Kandidaten ist zuletzt deutlich geworden, dass die Kosten dieses Projekts anfangs unterschätzt worden sind. Inzwischen geht die Europäische Kommission davon aus, dass allein im Verkehrs- und Umweltsektor Investitionen in Höhe von über 210 Mrd. Euro erforderlich sind, damit die Beitrittsländer in Stand gesetzt werden, den Acquis Communautaire zu erfüllen. Die EU will bis 2006 freilich nur 45 Mrd. Euro zur Förderung der Anpassungsmaßnahmen bereitstellen. Es erscheint jedoch mehr als fraglich, ob die Kandidaten die Restsumme werden aufbringen können. Von daher ist es keineswegs auszuschließen, dass die EU ihre zugesagten Mittel noch aufstocken muss. Zusätzlicher Finanzierungsbedarf könnte sich im Zuge der Osterweiterung auch für den Struktur- und den Agrarhaushalt ergeben - es sei denn, deren bisherige Nutznießer finden sich ohne weiteres damit ab, dass ein Großteil der bisher dafür vorgesehenen Mittel künftig zu ihren Lasten umverteilt wird
Noch schwerer wiegen freilich die Finanzierungsengpässe, die mit der Einführung des Euro einhergehen. Wie die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) wiederholt betont haben, müssen die meisten europäischen Finanzminister die fiskalpolitische Handlungsfähigkeit ihrer Regierungen deutlich erhöhen; andernfalls drohen sie an den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu scheitern, der im Zuge der Währungsunion vereinbart worden ist
Seither hat sich die Lage kaum verbessert. Die EZB mahnt daher unverändert aktive Konsolidierungsmaßnahmen an, um die günstige konjunkturelle Lage zur nachhaltigen Haushaltssanierung zu nutzen
Gerade für die Teilnehmer an der Währungsunion hat der fiskalpolitische Handlungsspielraum stark an Bedeutung gewonnen. Zum einen ist die geldpolitische Steuerungskompetenz vergemeinschaftet worden. Nationale Entscheidungsträger können Geldmenge und Zinsniveau nicht länger der nationalen Konjunkturentwicklung anpassen. Unter diesen Bedingungen bleibt ihnen für die makroökonomische Steuerung nur noch das Instrumentarium der Fiskalpolitik. Zum anderen gingen zwischen den Mitgliedern der Währungsunion die bisherigen Stabilisierungseffekte flexibler Wechselkurse verloren. Nationale Wechselkurse können nicht länger als Puffer wirken, die asymmetrische Schocks und ungleichmäßige Entwicklungstrends abfedern würden. Plötzliche Preisschübe in einem Land verschlechtern ungemindert dessen Wettbewerbssituation, statt wie bisher durch den Kursrückgang der nationalen Währung gedämpft zu werden. Der Verlust komparativer Vorteile aufgrund technologischer Versäumnisse wird nicht mehr durch die Verbilligung der eigenen Währung aufgefangen, sondern führt sehr viel rascher zu Absatzeinbußen und Beschäftigungsrückgang.
Anders als in den USA reicht die Flexibilität der europäischen Produkt- und Arbeitsmärkte nicht, um asymmetrische Entwicklungen auszugleichen. Im Gegensatz zu ihren amerikanischen Kollegen werden die meisten europäischen Arbeitnehmer in Konjunkturflauten kaum dazu bereit sein, größere Lohneinbußen hinzunehmen oder zweitausend Kilometer entfernt eine neue Stelle anzutreten
Ohne haushaltspolitische Konsolidierungsmaßnahmen würde der Stabilitätspakt die betroffenen Regierungen in der Flaute aber genau zum Gegenteil zwingen, nämlich zu einer Politik, welche den Konjunkturrückgang zusätzlich verstärken würde. Fehlt den Finanzministern der Spielraum für eine höhere Neuverschuldung, können sie auf den konjunkturellen Rückgang der Steuereinnahmen nur mit einer Senkung der Staatsausgaben reagieren. Sie müssten dann eine prozyklische Politik betreiben, welche zu weiteren Produktions- und Beschäftigungseinbußen führen würde. Erst bei einer tief greifenden Rezession würden die Verschuldungsrestriktionen des Stabilitätspaktes zeitweilig aufgehoben
Die europäischen Regierungen müssen sich also entscheiden, ob sie die für die Stabilität der Währungsunion unabdingbaren Haushaltskonsolidierungen durchführen oder kostspielige Rüstungsprogramme für die zügige Verwirklichung einer Sicherheitsidentität beschließen. Theoretisch wären auch noch Steuererhöhungen oder erhebliche Umschichtungen innerhalb der nationalen Haushalte denkbar. Letzteres würde auf massive politische Widerstände stoßen, insbesondere wenn die Rüstungsausgaben auf Kosten der Sozialleistungen gesteigert würden. Eine solche Umschichtung erscheint auch deshalb undenkbar, weil die zunehmende Überalterung der westeuropäischen Gesellschaften die Belastung der sozialen Sicherungssysteme eher noch erhöhen wird - ein weiterer Punkt, der für eine entschlossene Sanierung der Staatsfinanzen spricht
Größere Steuererhöhungen wären schwer durchzusetzen und würden die Chancen für mehr Wachstum und Beschäftigung stark verringern. Im Zeitalter der Globalisierung müssten Steuererhöhungen primär bei immobilen Faktoren, insbesondere bei Arbeit und Verbrauch, ansetzen. Dies würde den in Europa ohnehin schon sehr hohen "Steuerkeil" zwischen den Arbeitskosten der Unternehmer und den Konsumentenlöhnen der Beschäftigten weiter vergrößern. Ein Rückgang der Beschäftigung und eine zeitweilige Zunahme der Arbeitslosigkeit wären die Folgen
Wenn die Europäer die Währungsunion nicht ohne Not riskieren wollen, dann erscheint es ratsam, die Fortentwicklung der Sicherheitsidentität nur langsam voranzutreiben. Solange sich keine massiven Bedrohungen abzeichnen und die USA ein verlässlicher Sicherheitspartner bleiben, sollte die Rüstungspolitik nicht auf Kosten der Haushaltskonsolidierung betrieben werden. Monetäre Integration und wirtschaftliche Erholung dürfen nicht aufs Spiel gesetzt werden für großangelegte Rüstungsprogramme, die Europas Prestige dienlicher sind als seinen aktuellen Sicherheitsbedürfnissen. Im Interesse einer zukunftsfähigen Währungsunion sollten sich die Europäer bis auf weiteres damit abfinden, dass sie bestenfalls sicherheitspolitischer Juniorpartner der USA sind.