Nach den Erfahrungen des Sofia-Festivals, bei dem die orthodoxe Jugend ideologisch hoffnungslos ins Hintertreffen geraten war, beeilte sich die SED-Führung unmittelbar nach Bestimmung Ost-Berlins zum Austragungsort der X. Welfenfestspiele, die FDJ ideologisch aufzurüsten. Dazu schrieb das Studentenorgan "Forum" einigermaßen allgemein zu einer Jugendkundgebung, "aber sie werden nicht ausreichen, wenn wir in den Debatten der Augusttage 1973 bestehen wollen. Debatten die uns alles abverlangen werden: an präzisem marxistisch-leninistischem Wissen; an Erfahrung um das Wirken der Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Ordnung; an Vermögen, solche Kenntnis überzeugend zu vertreten; an Verständnis auch dafür, daß andere Bedingungen andere Kampfmethoden erfordern."
So ist schon im Aufruf des NVK der DDR vom Februar 1972 eine Passage zu finden, die sich an die Studenten wendet: "Fest verbunden mit der Arbeiterklasse, nach besten Studienergebnissen zu streben, leidenschaftliche Propagandisten des Marxismus-Leninismus und der Ideen des VIII. Parteitages der SED zu sein, das ist Euer Klassenauftrag!"
Die Einsicht in die Notwendigkeit der ideologischen Stabilisierung führte auf der 4. Tagung des Zentralrates der FDJ am 29. Februar 1972 zu sehr präzisen Beschlüssen. Als Punkt Nr. 1 der Maßnahmen zur Vorbereitung ist dort aufgeführt: "Für das intensive Studium des Marxismus-Leninismus, der Richtschnur unseres Handelns." Daß dieses von allen verlangte Studium weniger der individuellen Schulung dienen soll, sondern vordringlich als Abwehr gegen demokratische Einflüsse verstanden wird, davon zeugt ein erklärender Unterabschnitt des Beschlusses: "Die Gegensätze zwischen Sozialismus und Imperialismus sind unüberbrückbar. Wir grenzen uns von diesem verhaßten System entschieden ab; nichts verbindet uns mit der imperialistischen BRD. Den Imperialismus und seine antikommunistische Ideologie, in welcher Spielart – ob Nationalismus oder Sozialdemokratismus – sie auch auftreten möge, bekämpfen wir kompromißlos."
Praktische Konsequenzen hatte der FDJ-Zentralratsbeschluß dann insbesondere auf einer Sekretariatssitzung am 27. April 1972, wo das "Studienjahr der FDJ 1972/73" eingeführt wurde. Dazu heißt es: "Zur Vorbereitung der X. Welfenfestspiele finden einheitlich in allen Grundorganisationen und Gruppen der FDJ Zirkel junger Sozialisten statt. Sie stehen unter dem Leitmotiv: 'Sozialistischer Patriot – proletarischer Internationalist'. Die Zirkel beginnen im November 1972 und enden im Juni 1973." Über Ihren Zweck ist zu lesen: "Die Teilnehmer am Studienjahr erkennen, daß die Vorbereitung und Durchführung der X. Weltfestspiele ein wesentlicher Beitrag in der internationalen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus ist. Sie erweitern ihr Wissen um den Kampf der demokratischen Weltjugend und bereiten sich so auf ihr politisches Auftreten während der Weltfestspiele vor."
Eine vorläufige Bilanz, gezogen im März dieses Jahres, weist mehr als 1,3 Millionen Mädchen und Jungen bei der Teilnahme am FDJ-Studienjahr aus. 228 447 Jugendliche legten bis dahin die Prüfung zum Abzeichen "Für gutes Wissen" ab, weitere 30 000 wollen es noch tun. Dabei waren in erster Linie die Studenten als Hauptakteure vorgesehen; in diesem Zeichen standen auch die FDJ-Studententage an der Berliner Humboldt-Universität im März 1972. Studenten wurden auch zu Seminaren mit jungen Arbeitern herangezogen, um mit ihnen Marxismus-Leninismus zu studieren, so zum Beispiel in Leipzig, wo 240 Studenten der Karl-Marx-Universität mit Arbeitern des DISAG-Kombinates das Kommunistische Manifest büffelten. Tausende von "Agitatorenkollektiven" der FDJ entstanden, bei denen sich junge Arbeiter regelmäßig unter der Leitung eines FDJ-Agitators treffen. Mit dem Näherrücken der Weltfestspiele ist eine zunehmende Nervosität unter den SED-Funktionären zu konstatieren.
So forderte der Sekretär des Zentralrates der FDJ, Johannes Rech, trotz aller bis dahin unternommenen Anstrengungen zur Förderung des kommunistischen Bewußtseins im Dezember 1972: "Die neue Etappe in unserer Arbeit ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß wir die politisch-ideologische Erziehung aller Jugendlicher, die Festigung ihrer marxistisch-leninistischen Klassenposition konsequent in den Mittelpunkt der gesamten Tätigkeit der FDJ stellen" (horizont, 14.12.1972).
Das Politbüromitglied Paul Verner unterstrich in einer Rede von FDJ-Funktionären an der Jugendhochschule "Wilhelm Pieck" am 1. März 1973 die Notwendigkeit, "die politisch-ideologische Arbeit im Jugendverband selbst und unter der gesamten Jugend zu verstärken" (BZ, 2.3.1973). Und Harry Smettan, 1. Sekretär der FDJ-Bezirksleitung Berlin, empfiehlt in einem Appell an die FDJ: "Jedem FDJ-Mitglied geben wir den Rat, das Kommunistische Manifest zur Hand zu nehmen und sich durch das Studium dieser Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Sozialismus gut auf die Diskussion mit der Jugend der Welt vorzubereiten."
Diese hektischen Vorbereitungen der FDJ lassen es als sicher erscheinen, das die DDR sich des unabwendbaren Risikos bewußt ist, wenn sie ihre Tore für die Jugend aus aller Welt öffnet. Das klang schon bei FDJ-Chef Jahn im März 1972 an, als er "die Notwendigkeit, ein politisch profiliertes Festival vorzubereiten und durchzuführen" (Junge Welt, 25.3.1972), betonte; es wurde bekräftigt im März 1973 vom Vorsitzenden des Staatlichen Komitees für Rundfunk in der DDR, Rudi Singer, der im Sender Radio DDR erklärte, es sei eine "höchst normale Sache", daß nicht jeder Gast die Auffassungen der FDJ teile. Wenn er allerdings von "Gedanken politischen Abenteuertums" spricht, so wird eine bisher von der SED unterschlagene Stoßrichtung in der befürchteten politischen Auseinandersetzung deutlich. Alle Erklärungen zum Sinn der politischen Massenbildung richteten sich verbal gegen den "Imperialismus", in den ja auch die SPD-Politik ausdrücklich einbezogen wird. Sicherlich empfinden die SED-Dogmatiker Unbehagen bei dem Gedanken, daß Vertreter des bei der Bevölkerung in der DDR überaus populären "Sozialdemokratismus" auf dem Festival offen sprechen werden.
Wem jedoch die Intensivschulungen eigentlich gelten, macht noch deutlicher als Singer die Studentenzeitung "Forum" klar, die neben den "liberalen, sozialdemokratischen" auch die "linksopportunistischen Richtungen" ausdrücklich erwähnt. Hier wird jene Furcht vor ideologischer Konfrontation sichtbar, die sich in Sofia in Prügelorgien manisfestiert hatte. Zwischen nichtorthodoxen Sozialisten und Liberalen einerseits und orthodoxen FDJ-lern, SDAJ-Mitgliedern und "Spartakus" Anhängern andererseits sind harte Diskussionen zu erwarten. Von den nichtdogmatischen Sozialisten wird der Machtanspruch der Partei über die Arbeiterschaft bestritten, die Unterwerfung unter dem Führungsanspruch Moskaus verweigert und eine reale sozialistische Demokratie gefordert werden.