Die Beschwörungsformeln, mit denen reales Geschehen, das nach der Ideologie nicht sein darf, in ein Wunschbild transformiert wird, haben allerdings nur den zweifelhaften Wert eines Täuschungsversuches. Objektive Betrachter der Szene stellten sich deshalb schon während des Festivals, besonders aber unmittelbar danach die Frage nach der Zukunft der Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Von ihnen hat Hermann Schueler, heute stellvertretender Chefredakteur des "Vorwärts", die "Situation danach" in seiner Zeitung am 15. August 1968 wie folgt gekennzeichnet: Er reflektiert die Aussichten auf ein neues Festival und dessen präsumtiven Verlauf, wobei er die intern geäußerten Ansichten eines rumänischen Delegierten zur Grundlage macht. Danach gäbe es drei Möglichkeiten:
kein Festival;
ein Festival im Vor-Sofioter-Stil – nur noch im allerengsten Kreis absolut sicherer Kantonisten;
ein liberales Festival mit völliger Freiheit der Diskussion.
Schueler selbst glaubt eher an eine Fortsetzung der Festspiele: "Die Differenziertheit, mit der sich eine Reihe kommunistischer Jugendorganisationen in Sofia darstellte, läßt für die dritte Variante noch eine Chance." Damit befindet er sich auf der Seite einer Mehrheit, deren Prognose für eine Neuauflage der Festspiele sich als richtig erwies.
Helmut Herles, Korrespondent der FAZ in Sofia, sieht das Ende des Festivals alten Stils gekommen, ohne an der Fortsetzung der Festspiele zu zweifeln, wenn er am 8. August 1968 schreibt: "In Sofia wurde klar, daß der Bundesjugendring wie auch viele Kräfte im Arbeitskreis Festival mitgeholfen haben, daß das alte kommunistische Festival als barocke Masseninszenierung, als Jubelfest junger Künstler und Sportler, als politischer Karneval tot ist."
Mehr auf den zweiten Weg tippt zunächst der SPD-Pressedienst vom 7. August 1968: "Alle ... Vorgänge auf dem Jugendfestival 1968 sind symptomatisch. Sie zeigen, daß die Jugend der Welt heute gegen die 'Etablierten' auftritt. Dabei wird kein Unterschied gemacht zwischen den Etablierten im Westen und denen im Osten. Selbst die perfektionierteste Organisation vermochte in Sofia nicht zu verhindern, daß die Gegensätze zwischen den einzelnen 'Lagern' offen zu Tage traten. Die Veranstalter werden dies gewiß bedauern und für die Zukunft Sorge tragen, daß ein nächstes Festival nur Besucher hat, die stramm auf dem vorgezeichneten Weg marschieren." Doch auch hier klingen dann Zweifel an, ob ein monolithischer Block selbst unter der Jugend des sowjetkommunistischen Lagers weiter denkbar ist: "Aber wird es jemals wieder einen 'vorgezeichneten Weg' geben? Wir bezweifeln das. Die Fronten sind längst in Rutschen geraten ... . Die vermeintlich festgeführten Blöcke zeigen tiefe Risse; hüben wie drüben."
Ernst Eichengrün, Mitglied der Jungsozialisten-Delegation in Sofia, sieht zunächst die Fortsetzung des Festivals in Frage gestellt, plädiert aber dann für die dritte Lösung eines "offenen Festivals": "Da die Kommunisten an dem Festival in Sofia nicht viel Freude hatten, ist es fraglich, ob sie sich noch einmal auf eine solche Massenveranstaltung einlassen. Für viele westliche Teilnehmer war die folkloristische Komponente eine im Einzelfall zwar angenehme, auf die Dauer die politische Diskussion störende Erscheinung. Ein nächstes Festival sollte also rein politisch sein."
Nicht nur von kritischer westdeutscher Seite, sondern auch aus dem Lager ihrer "Sofioter Verbündeten", von den Tschechoslowaken und Jugoslawen, kam spontan die Forderung nach einem offenen politischen Treffen der Jugend aus aller Welt. Radio Belgrad strahlte am 6. August folgenden Kommentar aus: "Trotz der Tatsache, daß praktisch bei jedem Schritt ... unaufhörlich die Rufe, Freundschaft, Freundschaft (Druschba) wiederholt wurden, schwand die Freundschaft unter dem Feuer der undemokratischen Aktionen der Gastgeber schnell dahin ... . Das Internationale Vorbereitungskomitee wird auf seiner nächsten Sitzung, wenn es die Mißverhältnisse, Zwischenfälle und falschen politischen Manöver, an denen während des IX. Jugendfestivals kein Mangel herrschte, erörtert, scharf über die politische Plattform des Westfestivals der Jugend und Studenten nachdenken müssen, falls es den Wunsch hegt, daß diese Festivals auch noch in Zukunft abgehalten werden."
Radio Prag schlug am 7. August dazu vor, "in der Zukunft sollten die Festspiele einem wirklich breiten Meinungsaustausch über Politik, Ideologie und anderem dienen, damit die Jugend die aktuellen Probleme gut kennenlernen und sich richtig orientieren könne", und Radio Bratislawa forderte, "daß die veränderte Lage in der Welt auch einen bestimmten organisatorischen Umbau des Jugendfestivals erforderte. In der Zukunft sollten diese Treffen weniger manifestativ, deshalb aber wirksamer ... ausgerichtet sein".
Für die Jugend aus der Bundesrepublik stellte sich damals schon die Frage nach der weiteren Teilnahme bei zukünftigen Festivals. Dabei ergaben die differenzierten Antworten ein Spiegelbild des politischen Spektrums der westdeutschen jungen Generation. Von der SDAJ, dem stalinistischen Flügel des SDS und den anderen sowjetkommunistisch ausgerichteten Gruppen war nichts anderes als stereotype, kritiklose Zustimmung zum Festival zu erwarten. Ihnen entspricht der antiquierte starre Einheitsstil von Tanz, Verbrüderung und blinder Begeisterung für den Osten sowie von Demonstrationen und Standard-Haßgesängen gegen den Westen. Auch die kritischen Linken im AKF plädierten für die weitere Teilnahme an den Festivals. Sie hofften aber dabei, daß über alle Uniformierung des Geistes das kritische Potential der jungen Menschen, getragen von dem Wunsch nach Emanzipation aus parteigebundener Abhängigkeit und effektiver Selbstbestimmung, auch im Osten siegen würde. Den kritischen Linken ging es logischerweise deshalb um die Fortsetzung der Festspiele als "offene" Veranstaltungen. Schroff gegen die Teilnahme an zukünftigen Welfenfestspielen äußerte sich die – in Sofia offiziell nicht vertretene – "Junge Union". Ihre Haltung erscheint allerdings widersprüchlich, wenn einer ihrer Sprecher nach dem Bericht in der "Welt" vom 8. August 1968 feststellte, die Jugend der Bundesrepublik sei in Sofia unzulänglich vertreten gewesen, und forderte, "bei den nächsten Weltfestspielen die gesamte Breite der politischen Anschauung der Jugend auftreten zu lassen und nicht allein linksextreme oder unpolitische Gruppen zu entsenden."
Die Jungsozialisten plädierten dagegen bei allen Vorbehalten gegen die administrativen Praktiken in Sofia eindeutig für die Fortsetzung der Festspiele. Sie stellten abschließend fest: "Wir meinen ..., daß die Reise nach Sofia kaum jemanden geschadet haben dürfte. Vielleicht ist man hier und dort um einige Illusionen ärmer geworden, hat dafür aber seine Erfahrungen im Umgang mit jungen Menschen aus anderen Nationen bereichert. Aufmerksame Teilnehmer werden gespürt haben, wie sehr die jungen Menschen in aller Welt in Bewegung geraten sind und wie stark das Argument der Freiheit sein kann, wenn es so in der Diskussion dargestellt wird, daß es auch Grenzen der Voreingenommenheit, des Mißtrauens und der Dogmatik sprengt."
Von Interesse ist auch die Bilanz der DBJR-Gruppe, die einige Male in besonderer Weise mit der einseitigen ideologischen Ausrichtung der Festspiele konfrontiert wurde. Aber auch ihre Abschlußerklärung verweist auf die positiven Seiten in Sofia: "Das Festival geht zu Ende: Wir sind froh, nach Sofia gekommen zu sein. Wir haben hier zahlreiche Gespräche und Begegnungen mit jungen Menschen aus fünf Erdteilen erlebt, die unterschiedliche politische Auffassungen vertraten. Wir verlassen dieses Festival in der Überzeugung, daß die Aussichten für eine Politik weltweiter Friedenssicherung, für einen Sieg der Vernunft in den Beziehungen der Völker und Staaten nicht schlecht sind."
Nach einer Kritik an den Mißständen des Sofia-Festivals und einem Dank an die bulgarischen Gastgeber enthält die Erklärung eine Passage, die auch den DBJR als Teilnehmer weiterer Festivals ankündigt und zugleich seine Vorstellungen von künftigen Festspielen umreißt: "Wir werden Sofia am Mittwoch in der Gewißheit verlassen: Die Idee eines weltumspannenden Dialogs der Jugend wird Torheit und Engstirnigkeit einiger Bürokraten ebenso überdauern wie die Angriffe derer, die sich gegen Entspannung und Friedenssicherung wenden."