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Geschichte und Problematik der Weltjugendfestspiele

Erwin Breßlein

/ 3 Minuten zu lesen

Im Sommer 1973 fanden die X. Weltfestspiele in Ost-Berlin statt. Ein Jugendfestival zwischen politischer Inszenierung, Repression und persönlicher Begegnung. Erwin Breßlein analysiert die Geschichte der Weltfestspiele und die Vorbereitungen für Ost-Berlin.

Einleitung

Vom 28. Juli bis zum 5. August 1973 finden in Ost-Berlin die X. Westfestspiele der Jugend und Studenten statt. Wohl noch niemals in seiner Geschichte konnte man dem Weltjugendfestival mit so viel Interesse, ja Spannung entgegensehen wie diesmal. Die Erwartungen beruhen auf zwei deutlichen Tendenzen: die eine macht sich innerhalb der Festivalbewegung bemerkbar, die andere wirkt von außen in das Festival hinein. Die Tendenz innerhalb der Festivalbewegung wird Gegenstand einer expliziten Darstellung sein, die alle voraufgegangenen Festspiele auf ihre besonderen politischen Merkmale untersucht und insbesondere das IX. Festival in Sofia (1968) auf spezifische Erscheinungen hin analysiert. An dieser Stelle sind zunächst jene Kräfte einer kurzen Betrachtung zu unterziehen, die heute die politische Landschaft gestalten und so von außen her dem X. Festival ihren Stempel aufdrücken.

Die X. Weltfestspiele finden eine Welt im Umbruch vor. Das Wort von der Koexistenz der beiden großen Gesellschaftssysteme, Kapitalismus und Kommunismus, stammt aus der Zeit des Kalten Krieges und hat sich von eben dieser Wurzel nie emanzipieren können. Heute, so scheint es, wird zum erstenmal der Versuch unternommen, dem bis dato leeren Begriff Substanz zu geben. Die Verträge von Moskau und Warschau zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion bzw. der Volksrepublik Polen sind ratifiziert und haben – bei allen Schwierigkeiten, die z.T. noch andauern – eine neues Klima in Europa geschaffen. Russen und Amerikaner führen die SALT-Gespräche zur Begrenzung der atomaren Rüstung, NATO und Warschauer Pakt stecken in den Anfängen der dazu korrespondierenden MBFR-Konferenz in Wien, dem ersten ernsthaften Versuch einer ausgewogenen kontrollierten Abrüstung zwischen den Militärblöcken, und nicht zuletzt bereitet eine Vorkonferenz in Helsinki jene lang diskutierte Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) vor, die eine europäische Friedenslösung herbeiführen soll. Das von den Interessen der sowjetischen Politik stets maßgeblich beeinflußte Programm der Weltfestspiele wird in Berlin diesen neuen Gegebenheiten zweifellos angepaßt sein.

Die Wahl Ost-Berlins als Austragungsort der X. Weltfestspiele rückt den Umbruch in den Ost-West-Beziehungen noch deutlicher ins Bewußtsein; denn nirgendwo in der Welt hat die politische Entkrampfung bisher konkretere Ergebnisse erzielt als in den komplizierten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Verbindliche zwischenstaatlich Vereinbarungen mit menschlichen Erleichterungen, vor drei Jahren noch undenkbar, sind inzwischen Realität.

Schwierigkeiten, die eine gradlinige Verbesserung gegenseitiger Beziehungen immer wieder unterbrechen, ergeben sich aus einer Unsicherheit der SED-Führung. Sie fürchtet die Imponderabilien der Entspannung, die aus den vermehrten Kontakten zwischen den Menschen aus den beiden deutschen Staaten erwachsen. Mit bürokratischen Maßnahmen versucht die Politspitze der DDR, den Ablauf der Begegnungen aus Ost und West unter ihre Kontrolle zu bringen. Alle Anstrengungen des orthodoxen Apparats in der DDR weisen einmal mehr darauf hin, dass die neuen Beziehungen nicht das Ergebnis der SED-Initiativen sind, sondern die Entspannung des Ost-West-Verhältnissen vielmehr im Interesse der sowjetischen Außen- und Innenpolitik lag. Der DDR-Führung blieb nichts anderes übrig, als auf den von Moskau in Gang gesetzten, fahrenden Zug zu springen. Dabei wurden widerstrebende Genossen wie Walter Ulbricht auf Geheiß des Kremls politisch kaltgestellt.

Diese kurze Skizzierung der politischen Landschaft beschreibt die für die DDR schwierige Situtation. Einerseits gibt es kein Zurück mehr in die Zeit des kalten Krieges mit geraden, deutlich abgesteckten Fronten; andererseits kann die SED-Führung nicht über ihren, dogmatischen Schatten springen und sich den politischen Herausforderungen des Westens (und von nichtdogmatischen Kommunisten) offen stellen. Diese zwiespältige Lage dürfte auch das X. Weltjugendfestival charakterisieren. Denn in Ost-Berlin treffen sich Zehntausende mit einer Vielfalt an politischen Ansichten, die das ganze Spektrum des sozialistischen Pluralismus zuzüglich radikaldemokratischer und liberaler Meinungen umfasst. Doch ehe dazu Vermutungen geäußert werden, soll ein Blick auf die vergangenen Festivals geworfen werden. Eine Information über die kommenden Weltfestspiele wäre indessen unvollständig ohne eine Übersicht über die Festivalvorbereitungen in der DDR. Nach dem Bericht hierüber soll abschließend kurz auf die vorbereitenden Aktivitäten in der Bundesrepublik eingegangen werden.

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Erwin Breßlein, geboren 1939, war zunächst Bergarbeiter. Nach dem Besuch eines Abendgymnasiums legte er 1963 das Abitur ab und studierte im Anschluss Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaften in Berlin und Köln. Danach war der Autor in der Erwachsenenbildung tätig.