Seit 2010 steigt die Zahl der Asylsuchenden, 2015 waren es 1.091.894 registrierte Zugänge. Im ersten Halbjahr 2016 sank die Zahl der neuen Asylsuchenden von 91.671 im Januar auf 16.335 im Juni. Die hohe Zuwanderung hat in den Kommunen zu enormen Anstrengungen geführt, die Flüchtlinge unterzubringen. Daran waren fast alle Dezernate der Verwaltung beteiligt. Es ist das, was man gemeinhin als Querschnittsaufgabe bezeichnet – nur unter den verschärften Bedingungen, dass unterschiedliche Dezernate rasch zusammenarbeiten und neue Organisationen entwickelt werden mussten. Oft war nicht bekannt, wie viele Flüchtlinge am nächsten Tag kommen würden und untergebracht werden mussten. Alle Behörden arbeiteten zumindest 2015 unter erheblicher Planungsunsicherheit. Das Ausmaß dieser Herausforderung ist bislang nicht aufgearbeitet worden. Dazu wollen wir einen Beitrag leisten.
Das Beispiel Hamburg zeigt in eindrucksvoller Weise, wie schwierig es ist, Flüchtlinge in Wohngebieten unterzubringen. Maßnahmen der städtischen Planung führten in mehreren Fällen zu Protesten, einer Vielzahl von Initiativen sowie Anträgen in der Bürgerschaft. Dies hatte zur Folge, dass Pläne in einem Aushandlungsprozess letztlich revidiert werden mussten. Offen bleibt jedoch, welche Auswirkungen solche Diskussionen auf die Akzeptanz von Flüchtlingen haben.
Wir zeigen im Folgenden exemplarisch für Hamburg, wie Politik und Verwaltung diese Aufgabe bewältigt haben. Der erste Abschnitt unserer Analyse beruht auf 22 leitfadengestützten Experteninterviews von rund einer Stunde Länge, die wir im Mai und Juni 2016 geführt haben. Dabei sprachen wir unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung. Zusätzlich haben wir zahlreiche Drucksachen der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg herangezogen. Anschließend analysieren wir im zweiten Abschnitt die Ergebnisse einer Anwohnerbefragung, die im Umkreis der Flüchtlingseinrichtung in Hamburg-Harvestehude gemacht wurde.
Ausgangsbedingungen
Zunächst sind zwei Merkmale für Hamburg besonders hervorzuheben: Erstens ist Hamburg ein Stadtstaat und kann nicht auf Flächen im Umland zugreifen. Zweitens gibt es deshalb alle Verwaltungsebenen nur einmal. Das heißt, die Entscheidungen müssen nicht zwischen Stadt, Regierungsbezirk und Landesregierung abgestimmt werden.
Durch die Verteilung der Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel (für Hamburg 2,53 Prozent) sind zwischen Januar 2015 und Juni 2016 insgesamt 29178 Flüchtlinge nach Hamburg gekommen; von Januar bis April 2017 waren es 1721. Die Zuweisung der Unterbringungsplätze auf die sieben Hamburger Bezirke erfolgt durch die Staatsräte der Behörde für Inneres und Sport (BIS) sowie der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI). Die Aufgabe der Bezirke ist es, Möglichkeiten zur Unterbringung, zum Beispiel in einem Baumarkt, sowie Grundstücke für Gebäude als Erstaufnahmeeinrichtungen oder Folgeeinrichtungen vorzuschlagen. Die Vorschläge werden dann vom Zentralen Koordinierungsstab Flüchtlinge (ursprünglich BIS für Zentrale Erstaufnahmen und BASFI für Folgeunterbringungen) geprüft und genehmigt. Diese neue organisatorische Einheit wurde im Oktober 2015 gegründet. Sie erhielt 29 Stellen vom BASFI und vier Stellen vom BIS.
Für die Verteilung gilt die politische Entscheidung des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg, dass Standorte für Flüchtlingseinrichtungen in allen Stadtteilen gleichermaßen infrage kommen sollen. Geeignete Flächen zu finden, kann in einzelnen Fällen sehr schwierig sein. So musste zum Beispiel der Hamburger Bezirk Eimsbüttel innerhalb von einem Jahr Platz für 4000 Flüchtlinge schaffen, was aufgrund seiner hohen Bevölkerungsdichte zunächst kaum möglich erschien.
Das Verfahren zur Erschließung von neuen Flächen sieht eine Bürgerbeteiligung vor: Zwischen der Flächenprüfung und dem Bauantrag findet eine bezirkliche Beteiligung statt. Innerhalb einer Frist von vier Wochen muss sich die Bezirksversammlung mit dem geplanten Bau auseinandersetzen. Dazu gehört unter anderem, eine Informationsveranstaltung für die Anwohner zu organisieren und Kommentare in einer Stellungnahme an die Behörde zu sammeln. Diese ist dann verpflichtet, die Stellungnahme auszuwerten und zu begründen, auf welche Bedenken eingegangen werden kann und auf welche nicht.
Wird eine Fläche für den Bau einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung bestimmt, geprüft und bebaut, übernimmt die Anstalt öffentlichen Rechts "fördern und wohnen" den Auftrag, die Unterkünfte zu verwalten.
Die Stadt Hamburg richtete 2016 einen "Hamburger Integrationsfonds" ein, der ursprünglich mit zehn Millionen Euro ausgestattet war. Die Mittel sollen dazu dienen, einen "Beitrag zu gelingender Integration" in den Stadtteilen zu leisten. So werden zum Beispiel eine neue Begegnungsstätte, Sprachkurse, das Lotsenprojekt "Nachbarschaftsmütter" oder ein Verein, der Patenschaften für Flüchtlinge vermittelt, gefördert.
Prozess der sozialräumlichen Integration
Ein Ziel der sozialräumlichen Integration von Flüchtlingen ist es, sie langfristig in einer eigenen Wohnung unterzubringen (Abbildung). Dahinter steht die Annahme, dass die Flüchtlinge, wenn sie einmal anerkannt sind, nicht in ihre Heimat zurückkehren, sondern dauerhaft in Deutschland bleiben und in die deutsche Gesellschaft integriert werden müssen. Dazu sind die eigene Wohnung und ein stabiles Wohnumfeld wichtige Bedingungen.
Um den Prozess des Ankommens für Flüchtlinge zu vereinfachen, wurde im Mai 2016 in Hamburg-Rahlstedt ein Zentrales Ankunftszentrum für Flüchtlinge eröffnet. Die Registrierung, die ärztliche Erstuntersuchung und der Asylantrag sind im Ankunftszentrum unter einem Dach und innerhalb weniger Tage möglich. Das gilt insbesondere für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive. Bei Flüchtlingen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern soll die Entscheidung über einen Asylantrag innerhalb von zwei bis drei Tagen getroffen werden. Vom Ankunftszentrum in Rahlstedt werden Schutzsuchende in eine Erstaufnahmeeinrichtung verlegt oder über den Königsteiner Schlüssel auf andere Bundesländer verteilt.
Erstunterbringung
Erstaufnahmeeinrichtungen variieren in ihrer Aufnahmekapazität zwischen 70 und 950 Plätzen pro Unterkunft. Die Unterbringungsformen sind unterschiedlich, sie umfassen ehemalige Schulen, Krankenhäuser und andere Gebäude, Container und Gewerbehallen. Im April 2017 lebten in 28 Hamburger Erstaufnahmeeinrichtungen 6.239 Personen.
Schutzsuchende sind bis zum Ablauf ihrer Residenzpflicht nach sechs Monaten an die Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen gebunden. Je nach Status kann sich der Aufenthalt jedoch verlängern, zum Beispiel bei Duldungsentscheiden oder bei einer verzögerten Bearbeitung des Asylantrags. Bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen gibt es verschiedene, vor allem durch Ehrenamtliche realisierte Angebote wie Kinderbetreuung oder Beschäftigung und erste lockere Beschulungsangebote für Kinder, oft verknüpft mit einer Erhebung von Erstinformationen über Alphabetisierung, Bildungsnähe und Alter. In der Regel teilen sich vier Personen eine Fläche von zehn bis 15 Quadratmetern sowie weitere Gemeinschaftsflächen wie Sanitäranlagen. Kochen ist in großen Gemeinschaftsunterkünften nicht möglich. In Einzelfällen, etwa bei Kranken oder besonders Schutzbedürftigen, wird eine vorzeitige Verlegung in eine Folgeunterbringung vorgenommen.
Die seit dem Frühjahr 2016 geringere Zahl von Geflüchteten hat die Möglichkeit eröffnet, neue Flächen für kleinteiligere Standorte zu erschließen. Die interviewten Experten räumten ein, dass dies in Anbetracht der Zugangszahlen in der zweiten Jahreshälfte 2015 nicht möglich war: "da hätten die Leute auf der Straße geschlafen", so ein Experte.
Nach Aussage einer anderen Expertin gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl auftretender Konflikte und der Größe der Wohnunterkünfte. Vielmehr sei die Qualität der Unterbringung entscheidend für das Konfliktpotenzial: "Mit der Verschlechterung der Bedingungen in den Erstaufnahmen konnte man sehen, wie die Konflikte steigen". Generell funktionierten jedoch auch große Einrichtungen sehr gut. In Konflikten ginge es häufig um das alltägliche Zusammenleben, wie es auch aus anderen Wohngemeinschaften bekannt ist: unterschiedliches Verständnis von Sauberkeit, Reihenfolge der Waschmaschinennutzung oder Nachtruhe. Solche Themen würden teilweise in Konflikte der Nationalität oder Religion umgewandelt und auf größere Gruppen ausgeweitet. Ganz zu verhindern seien solche Konflikte zwar nicht, aber es gebe Möglichkeiten, durch Verlegungen darauf zu reagieren. Inzwischen gibt es auch erste Unterkünfte nur für Frauen, die um Schutz vor Übergriffen durch (Ehe-)Männer ersuchen.
Folgeeinrichtung
In den 120 Folgeeinrichtungen (unter anderem Baumärkte, Container, Modulbauten, Hallen) lebten im April 2017 noch 26.422 Personen. Die Verteilung der Flüchtlinge mit Bleibeperspektive auf die Folgeunterkünfte koordiniert die Aufnahme- und Vermittlungsstelle von "fördern und wohnen". Die Größe der Unterkünfte variiert zwischen acht und 950 Plätzen pro Unterkunft. Bereits bei der Verteilung auf neu errichtete Unterkünfte oder erneut verfügbare Plätze wird auf das Verhältnis von Alleinreisenden zu Familien (40 zu 60) sowie eine möglichst ausgewogene Durchmischung verschiedener Nationalitäten geachtet. An erster Stelle stehen jedoch folgende Bedingungen: Ablauf der Residenzpflicht, Aufenthaltserlaubnis und gesundheitliche Freigabe. In der Regel steht zwei Personen ein Zimmer beziehungsweise zehn bis 15 qm zur Verfügung, in den Gemeinschaftsunterkünften werden Sanitäranlagen und Küchen weiterhin geteilt, eine eigenständige Versorgung ist jedoch möglich. Die Kosten für einen Platz pro Monat im Jahr 2016 betrugen 1951 Euro. Es sollen weitere Folgeeinrichtungen geschaffen werden, bei denen es ausdrücklich auch darum geht, "eine vielfältige Zusammensetzung der Bewohnerschaft im Quartier zu gewährleisten".
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Folgeeinrichtungen beträgt zwei bis drei Jahre. Insbesondere im Falle einer Unterstützung durch Ehrenamtliche kann der Wechsel in eine Privatwohnung schneller vollzogen werden. Das Beschäftigungsangebot durch Ehrenamtliche ist in Folgeunterkünften sehr viel umfangreicher als in Erstaufnahmeeinrichtungen: Es reicht von Sprachkursen über Hausaufgaben- und Kinderbetreuung bis hin zu Fahrradwerkstätten, Garten-AGs und Sportaktivitäten.
Die Unterkunftsleitung ist dafür verantwortlich, den sozialen Frieden zu wahren und für die Sicherheit der Bewohner zu sorgen. Sie verfolgt kein eigenes Integrationskonzept, versucht jedoch die Bewohner aus den Unterkünften in die jeweiligen Stadtteile zu locken – um "die Brücke zur Integration zu bauen", wie eine Expertin es formulierte.
Eigene Wohnung
Flüchtlinge mit einem Aufenthaltstitel von mindestens einem Jahr sind nach Ablauf ihrer Residenzpflicht berechtigt, eine private Wohnung zu mieten, gegebenenfalls mit Unterstützung aus Erziehungs- und Sozialhilfen. Unterstützung finden Flüchtlinge bei verschiedenen Beratungs- und Vermittlungsstellen oder den bezirklichen Fachstellen für Wohnungslose mit sozialer Betreuung. Aus Sicht mehrerer Experten ist beim Umzug in privaten Wohnraum der Kontakt zu Ehrenamtlichen oder schon länger in Hamburg lebenden Personen höchst bedeutsam für den Erfolg dieses Vorhabens. Im Gegensatz zu Folgeunterkünften stehen keine Sozialarbeiter als Ansprechpartner zur Verfügung, um den Flüchtlingen zu helfen, sich in der Bürokratie und mit Verhaltensregeln in Wohnhäusern zurecht zu finden. Eine gewisse Wohnfähigkeit und Selbstständigkeit scheint in der fremden Umgebung nicht immer gewährleistet: "Ob die Integration funktioniert, zeigt sich erst in privatem Wohnraum", so eine Expertin.
Wenn alle Flüchtlinge langfristig in Wohnungen untergebracht werden sollen, setzt dies ein Angebot preiswerter Wohnungen voraus, mithin öffentlich geförderten Wohnungsbau. Die Bundesrepublik schiebt aber seit Jahren ein Defizit an Sozialwohnungen vor sich her; allein zwischen 1995 und 2005 hat sich in den 15 größten Städten Deutschlands der Bestand an Sozialwohnungen halbiert. Für die Flüchtlinge besteht deshalb auf dem Wohnungsmarkt, zumindest in den Jahren 2016 und 2017, nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, eine eigene Wohnung zu finden. Um jede preiswerte Wohnung besteht ein beträchtlicher Wettbewerb; hier hat eine Flüchtlingsfamilie am ehesten eine Chance, wenn ein deutscher Pate sie begleitet.
Das Hamburger Wohnungsbauprogramm sieht für die nächsten Jahre vor, 10.000 Wohnungen jährlich zu bauen, ein Drittel davon Sozialwohnungen. Diese Planung bestand bereits vor dem vermehrten Zuzug Schutzsuchender, wurde in dessen Rahmen jedoch von 6000 auf 10.000 Wohnungen pro Jahr aufgestockt. Dennoch ist die Konkurrenz auf dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt hoch, und die Unterbringung von Flüchtlingen ist umstritten.
Konflikte
Wie groß darf die Unterkunft in einem Wohngebiet sein? Ab welcher Zahl der Plätze trägt sie nicht mehr zur Integration der Flüchtlinge bei? Dazu haben Senat und Bürgerschaft zwischen 2015 und 2016 unterschiedliche Positionen bezogen. Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen in der zweiten Hälfte des Jahres 2015 gelangte man Anfang 2016 zu folgender Schätzung des Bedarfs an Unterbringungsplätzen: 40.000 bis Ende 2016 und insgesamt 79.000 Plätze. Diese zusätzlichen Unterbringungsplätze sind nach Ansicht des Zentralen Koordinierungsstabs Flüchtlinge "vorwiegend in der Form größerer Gemeinschaftsunterkünfte bereitzustellen und können ganz überwiegend nicht in Form kleiner und kleinster Unterkünfte (etwa in privaten Wohnungen) zur Verfügung gestellt werden".
Und weiter: Die Freie und Hansestadt Hamburg sei "aufgrund der dargestellten derzeitigen Situation gehalten, allein im Bereich der Folgeunterbringung gleichzeitig etwa 30 neu zu errichtende Gemeinschaftsunterbringungen mit jeweils etwa zwischen 50 und 1000 Plätzen konkret zu planen und darüber hinaus ein Vielfaches davon an möglicherweise geeigneten Flächen auf ihre Eignung hin zu überprüfen". Damit sollten alle Argumente, größere Einheiten zu verhindern, widerlegt werden. "Würde die Freie und Hansestadt Hamburg den dargestellten kurzfristigen Bedarf an Unterbringungsplätzen in der Größenordnung von zehntausenden Plätzen durch eine Vielzahl kleiner Unterkünfte zu decken versuchen, würde dadurch der Bedarf bei Weitem nicht gedeckt. Zugleich würde sie dies vor unüberwindbare Schwierigkeiten bei der Planung, Errichtung und dem Betrieb der Unterkünfte in ausreichender Menge stellen, und Synergieeffekte durch größere Einheiten könnten nicht genutzt werden."
Es sind eben diese Grundstücke und die geplanten Größen der Unterkünfte, gegen die sich zahlreiche Proteste, vor allem von Initiativen in einzelnen Wohngebieten, aber auch Klagen vor dem Verwaltungsgericht oder bereits dem Oberverwaltungsgericht, richteten. So klagten Anwohner von elf Wohngebieten, darunter in Harvestehude. Zudem entstand im Februar 2016 die gesamtstädtische Volksinitiative "Hamburg für gute Integration", die letztlich den Senat dazu bewegte, Abstriche von den Plänen vorzunehmen. Es wurden (geplante) Standorte gestrichen und einige verkleinert.
Im Juli 2016 behandelte die Bürgerschaft einen gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen, ein Anliegen einer Sammlung von Initiativen, zusammengeschlossen in der "Volksinitiative". Die Initiative legte einen umfangreichen Katalog von Zielen für die Integration der Flüchtlinge vor, darunter: in Folgeeinrichtungen und Wohnbauvorhaben nicht mehr als 300 Flüchtlinge unterzubringen, die Verweildauer in den Zentralen Aufnahmeeinrichtungen auf zwei Monate zu begrenzen, zwischen zwei Standorten mit mehr als 100 Flüchtlingen einen Mindestabstand von 1.000 Metern einzuhalten, Kooperationsvereinbarungen mit anderen Bundesländern zur Unterbringung von Flüchtlingen zu schließen.
Das Ersuchen hatte ferner das Ziel: Der Prozess der Unterbringung solle "neue Standorte, kleinere Einrichtungen, Belegungsreduzierung der größeren Standorte" enthalten, und er sei verbindlich bis 31.12.2019 abzuschließen. Die durchschnittliche Kapazität sei auf 300 Plätze je Einrichtung zu begrenzen, was etwa 300 Standorte erfordere. Damit wendet sich die Bürgerschaft deutlich von der bereits erwähnten früheren Position der großen Einheiten ab; der Flächenbedarf ist offenkundig nicht mehr entscheidend. Die Konzentration wird aufgegeben zugunsten einer vergleichsweise kleinteiligen Verteilung der Unterkünfte mit dem neuen Argument, es sei "leichter möglich, die Unterkünfte gerechter über die ganze Stadt zu verteilen und große Unterkünfte (wesentlich größer als 300) zu vermeiden".
Das Ergebnis ist bemerkenswert, denn in der Tat willigte die Bürgerschaft ein, diese Höchstgrenze einzuhalten. Sie folgt sehr weitgehend dem Antrag beider Fraktionen. Darüber hinaus schließt sie acht "Bürgerverträge" mit einzelnen Ortsteilen. Sie drücken den verbindlichen Konsens zwischen Senat und Bürgerinitiativen aus, sind Teil des Bürgerschaftsbeschlusses und somit umzusetzen. Insgesamt ist es den verschiedenen lokalen Bürgerinitiativen und der gesamtstädtischen Organisation "Volksinitiative" innerhalb eines Jahres gelungen, erhebliche Abstriche von den ursprünglichen größeren Planungen des Senats – mehr und größere Standorte – zu erreichen. Dies ist auch umgesetzt worden, wie die Sitzung der Bürgerschaft vom 10.1.2017 belegte.
Es bleibt jedoch die Frage, welche unterschiedlichen Meinungen über die Flüchtlingsunterkünfte in den betroffenen Wohngebieten herrschen. Die Stärke des Protestes steigt mit dem sozialen Status der Bewohner des Gebiets, dies lässt jedoch noch keine Aussagen darüber zu, ob die Ablehnung der Einrichtungen in solchen Wohngebieten auch tatsächlich höher ist. Gleichfalls sollte nicht übersehen werden, dass es beides gibt: Protest- und Unterstützungsinitiativen.
Proteste in Hamburg-Harvestehude
Ein Beispiel für die Proteste gegen eine Flüchtlingsunterkunft sind die Ereignisse in Hamburg-Harvestehude 2015, einem Wohngebiet der oberen Mittel- und Oberschicht. Hier haben Anwohner dagegen geklagt, dass im ehemaligen Kreiswehrersatzamt an der Sophienterrasse ein Flüchtlingsheim entsteht. Es war der erste deutsche Prozess gegen die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft. Die Kläger gewannen vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht, sodass die Bauarbeiten gestoppt werden mussten. Das Oberverwaltungsgericht schlug aber auch einen Kompromiss vor, der unter anderem vorsah, statt 220 nur 190 Plätze vorzuhalten. Dieser Kompromiss wurde später angenommen, das Gebäude umgebaut und im Februar 2016 von Flüchtlingen bezogen. Gleichzeitig hatte sich 2015 aber auch eine "Flüchtlingsinitiative Harvestehude" gebildet, die das geplante Flüchtlingsheim und die Flüchtlinge unterstützen wollte. Das Flüchtlingsheim liegt relativ zentral im Stadtteil Harvestehude. Die Bewohner stammen unter anderem aus Syrien, Irak, Iran, Afghanistan und Eritrea.
Wenn man die folgenden Ergebnisse unserer Befragung und der amtlichen Statistik heranzieht, ist Harvestehude ein sehr homogenes Wohnviertel. Deutlich wird dies am Lohn- und Einkommenssteuersatz je Steuerpflichtigen, der im Jahr 2010 88.273 Euro betrug, wohingegen der Wert für das gesamte Stadtgebiet Hamburgs bei 35.567 Euro lag. Gleichzeitig liegt der Anteil an Hartz-IV-Empfängern mit 3,0 Prozent deutlich unterhalb der gesamtstädtischen Quote von 9,9 Prozent. Darüber hinaus geht aus unserer Stichprobe hervor, dass auch das Bildungsniveau weit über dem Durchschnitt liegt. So haben 81,9 Prozent der Befragten mindestens Abitur, und 63,5 Prozent gar ein Hochschulstudium als höchsten Bildungsabschluss angegeben.
Welche Einstellungen haben die Anwohner, nachdem 190 Flüchtlinge das Heim bezogen haben? Wir haben den Anwohnern mehrere offene Fragen gestellt, welche Einstellungen sie zu Flüchtlingen und zu dem Flüchtlingsheim haben. Die Ergebnisse sind überwiegend positiv. Betrachtet man nur die ersten Nennungen zu Einstellungen zum Flüchtlingsheim, so sind 73,4 Prozent von ihnen zustimmend. Sehr häufig wurden aber mehrere Antworten genannt, von denen wir bis zu drei berücksichtigt haben. Die beiden häufigsten genannten positiven Äußerungen waren: Ich finde es gut, dass das Flüchtlingsheim in Harvestehude steht (37,8 Prozent); das Viertel hat freie Kapazitäten (32,6 Prozent). Die beiden häufigsten genannten negativen Äußerungen waren: Die Gegend ist unpassend für Flüchtlinge (17,2 Prozent); das Viertel bietet keine angemessenen Einkaufsmöglichkeiten (15,8 Prozent).
Auch bei den Angaben zu den Vor- und Nachteilen des Heims überwiegen die positiven Einstellungen, und es ergeben sich unerwartete Ergebnisse (Tabelle). Fast ein Viertel der Befragten hält es für vorteilhaft, dass die Anwohner mit "der Realität" der Flüchtlinge konfrontiert und damit möglicherweise dazu gezwungen werden, ihre Vorurteile abzubauen. Die Ergebnisse der Umfrage suggerieren, die Kläger hätten nur einen sehr kleinen Anteil der Anwohner vertreten. 83 Prozent der Befragten sagten, das Flüchtlingsheim habe Vorteile und 53 Prozent fanden, dass es Nachteile habe.
Auf die Frage, ob man Angst habe, dass zu viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen, antworteten in Harvestehude 18,0 Prozent mit "eher ja", aber 74,0 Prozent mit "eher nein". Allerdings sind die Einstellungen zu den Flüchtlingen abhängig davon, aus welchen Gründen sie kommen. 62,8 Prozent akzeptieren "uneingeschränkt" den Zuzug von Personen, die aus Ländern kommen, in denen Krieg herrscht, 60,5 Prozent von Personen, die in ihrer Heimat politisch verfolgt werden, aber nur 8,7 Prozent von Zuwanderern, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen. Hier sagen sogar 27,9 Prozent der Befragten, der Zuzug sollte unterbunden werden.
Fazit
Wir haben am Beispiel der Freien und Hansestadt Hamburg dargestellt, wie schwierig es war und ist, die große Zahl von Flüchtlingen unterzubringen, die Unterbringung zu organisieren, gleichzeitig bürokratische Strukturen zu verändern und neue zu etablieren. Auf die Frage, wie es möglich sei, in so kurzer Zeit neue Verwaltungsstrukturen zu entwickeln, die zudem die Kooperation unterschiedlicher Behörden und die Abgabe von Stellen an eine neue Einrichtung erfordern, lautet die Antwort fast aller Experten: Es war "der politische Wille". Der Erste Bürgermeister, die Staatsräte und Dezernenten haben zusammengearbeitet. Das zeigen auch die erfolgreichen Maßnahmen zur sprachlichen, schulischen Integration und zur Integration auf dem Arbeitsmarkt.
Zudem mussten die Interessen der Bürgerinnen und Bürger berücksichtigt werden. Sie richteten sich häufig nicht pauschal gegen eine Flüchtlingsunterkunft im Wohngebiet, sondern gegen deren Größe – und vor allem gegen die mangelnde Bürgerbeteiligung. Das Hamburger Ergebnis ist wegweisend: Einrichtungen über 300 Flüchtlinge werden nicht akzeptiert. Wahrscheinlich liegt dem folgende Hypothese zugrunde: Je größer die Einrichtung, desto schlechter lassen sich die Flüchtlinge integrieren und desto weniger kümmert man sich um sie. Die Ergebnisse der empirischen Befragung zeigen, dass die ursprünglichen Proteste verebbt sind. Vielmehr gibt es ganz überwiegend positive Urteile über die Unterkunft, zudem auch zahlreiche Angebote der "Flüchtlingsinitiative Harvestehude" für die Flüchtlinge.
Die schwierigsten Aufgaben sind nun, die Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen, sie weiter zu qualifizieren und Arbeitsplätze für sie zu finden. Diese Integration wird noch Jahre beanspruchen.