Fluchtbedingte Migration bewegt die europäischen Gesellschaften seit 2015 in einem lange nicht mehr gekannten Maß, und sie formt die deutsche Gesellschaft.
Gesellschaftlicher Rahmen für Inklusion durch Bildung
Hintergrund der jüngeren Migrationsbewegungen sind globale Prozesse, die in ihrem Umfang und in ihrer Dynamik als einzigartig bewertet werden. So waren Ende 2016 65,6 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht.
Für die Situation in Deutschland wiederum wurde ermittelt, dass die Altersstruktur der Zugewanderten deutliche Konsequenzen für die Aufgaben der Bildungsarbeit in Deutschland haben wird.
Internationale Vergleichsstudien wie PISA, TIMSS und IGLU machen seit über eineinhalb Jahrzehnten deutlich, dass das deutsche Bildungskonzept merkliche Schwächen aufweist, da es aufgrund sozialer Unterschiede den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund bis zum heutigen Tag nicht dieselben Bildungschancen ermöglicht wie jenen ohne Migrationshintergrund.
Aktuell steht gerade für neu Zugewanderte ein recht heterogenes Bildungsangebot bereit, das grob formuliert drei Ziele zu erreichen versucht: erstens die Vermittlung der deutschen Sprache auf einem Niveau, das eine Verständigung im alltäglichen Umfeld erlaubt; zweitens den Anschluss an die alltägliche Lebensführung der Mehrheitsbevölkerung durch alltagspraktische Kenntnisse und Fähigkeiten; drittens die Vermittlung in Beschäftigung, wozu Praktika, Ausbildungen und unterschiedliche Formen der Erwerbsarbeit gehören.
Einflussfaktoren für die Inklusion in Bildungseinrichtungen
Die Praxis zur Bildung von neu Zugewanderten ist bislang bestenfalls in ersten Ansätzen erhoben,
Zugleich ist bekannt, dass bislang Migrantinnen und Migranten, selbst bei gleichen Leistungen, nicht dieselben Erträge im Bildungssystem
Hierbei ist einem besonderen Vehikel der Integration Aufmerksamkeit zu schenken: Für die deutsche Sprache betont zum Beispiel die Kultusministerkonferenz im Hinblick auf junge Geflüchtete, dass "gelingende Integration der Kinder und Jugendlichen wesentlich davon abhängt, wie schnell und gut sie die deutsche Sprache erlernen und wie schnell sie in die Regelangebote unseres Bildungssystems aufgenommen werden können".
Zugleich zeigt sich, dass der Beherrschung der deutschen Sprache in allen migrantischen Milieus in Deutschland ein hoher Stellenwert beigemessen wird.
Deutlich wird, dass die Effekte eines Bildungssystems, das unter anderem durch die starke Betonung (hoch-)sprachlicher Kompetenzen Ungleichheit zuallererst "produziert", durch solche individuellen Anstrengungen allein nicht reduziert werden können. Die offenkundigen Fehler des deutschen Bildungssystems müssen insofern systematisch angegangen werden.
Geplante Maßnahmen zur Inklusion
Aus der Forschung ist bekannt, dass sich Bildungsinvestitionen dann am meisten lohnen, wenn sie möglichst früh erfolgen. So wurde errechnet, dass der größte Nutzen von Bildungsinvestitionen daraus gewonnen werden kann, dass die Dauer der vorschulischen Bildung merklich erhöht wird.
Kitas
Gerade auf kommunaler Ebene, auf der die öffentlichen Kindertagesstätten verortet sind, finden sich Planungen mit dem Ziel, integrative Maßnahmen zu etablieren.
Weitere Planungen beziehen zum Beispiel Kulturabende ein, bei denen man fremde Kulturen miteinander bekannt machen möchte. Dass dabei unterschiedlichste Menschen aus einem Herkunftsland homogenisiert und kulturell als "fremd" markiert werden, die sich in jenem Herkunftsland in aller Regel nicht bekannt oder gar suspekt waren, wird dabei für gewöhnlich nicht diskutiert.
Schulen
Für die schulische Bildung wird die Trias von individueller (Sprach-)Förderung, rascher Integration in das Regelsystem sowie Unterstützung für die Schulkarriere maßgeblich gemacht. Analyseinstrumente zur Erhebung von "Potenzial & Perspektiven" (Baden-Württemberg) wurden entwickelt, um die schulischen Angebote der Situation der neu Zugewanderten individuell angleichen zu können. Während der Schulphase können Schullaufbahnberatung und -konferenzen durchgeführt werden, sodass sich die individuellen Fortschritte in Form und Umfang des Unterrichts niederschlagen. Schulsozialarbeit ist eine Bildungsform, die auch Geflüchtete gut erreichen kann. Die sogenannten Willkommens-, Vorbereitungs- oder VABO
An einzelnen Schulen werden eigene Sprachförderzentren etabliert, die Schülerinnen und Schüler im Wechsel mit dem Fachunterricht besuchen können (Nordrhein-Westfalen). Ferner werden in schulischer Hinsicht sprachsensible Unterrichtsmodelle (Zukunftsbaukasten für Inklusivklassen, Frankfurt am Main), empowerment-orientierte Online-Bildungsangebote (Kiron Open Higher Education, Berlin) oder die Vorbereitung Geflüchteter auf die Bewerbung für das Studium an einer Kunst- oder Designhochschule (*foundationClass, Berlin) entwickelt und auf diese Weise Inklusion auf dem Weg von Bildung angestrebt.
Im Bereich der Hochschulen finden sich unterschiedliche Initiativen, etwa weitere Lehrveranstaltungen auf Englisch anzubieten, um so Menschen mit geringen Deutschkenntnissen den Zugang zu akademischer Bildung zu eröffnen. Gleichzeitig werden höher qualifizierende Sprachkurse angedacht, die mit dem Sprachniveau C1 den Hochschulzugang gewährleisten können.
Tandem-Projekte, in denen regulär eingeschriebene Studierende und neu Zugewanderte in einer Art von Patenschaft miteinander lernen oder gemeinsam Freizeitaktivitäten ausüben, sind weitere Formen, in denen sich Hochschulen in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren.
Im Hinblick auf Erwerbsarbeit werden unterschiedliche Bildungsangebote realisiert. Auch hier scheint der Fokus auf der bekannten Trias zu liegen: "Sprache, Ausbildung und Arbeit sind Schlüssel zur Integration."
Zur praktischen Arbeit mit Geflüchteten wird ferner dargestellt, dass sich einige Konzerne mit betreuten und innerhalb des Konzerns anschlussfähig verorteten Praktika und mit Ausbildungsangeboten engagieren. Aus den handwerklichen Betrieben wiederum sind die Stimmen gegenwärtig doppeldeutig. Gelegentlich wird berichtet von einzelnen Verantwortlichen, die sich neu Zugewanderter in besonderer Intensität annehmen und dabei fast schon zum persönlichen Garanten der Inklusion einzelner Schutzsuchender werden. Nicht zu überhören sind jedoch auch jene Stimmen, die sich einen nach ihrer Vermutung hohen bürokratischen Aufwand ersparen wollen, den sie für den Fall der Bereitstellung eines Praktikums- oder gar Ausbildungsplatzes für einen Geflüchteten befürchten. Umgekehrt wird ebenso geschildert, dass dennoch angebotene Praktika als gewinnbringend für alle Beteiligten erlebt wurden.
Dass sich Inklusion gerade über Freizeit-und Sportaktivitäten erzielen lässt, scheint vielen Beteiligten bekannt zu sein. Immer mehr öffentliche Einrichtungen, Mitarbeitende der Wohlfahrtspflege sowie Schutzsuchende selbst suchen den Kontakt zu Vereinen in der Umgebung. Durch gemeinsame Aktivitäten bieten sie den neu Zugewanderten die Möglichkeit, mehr über den "deutschen Alltag" zu erfahren – und nicht zuletzt die Gelegenheit, die eigenen sprachlichen Fähigkeiten zu verbessern. Die mitunter für Geflüchtete gegebene Armut (Einkommen, Wohnen, Arbeit) schließt sie allerdings von einigen Angeboten direkt aus.
Längerfristige Auswirkungen der Zuwanderung auf das Bildungssystem
Diese Planungen und begonnenen Maßnahmen haben ihrerseits Konsequenzen für das Bildungssystem. Wie diese im Einzelnen aussehen können, soll nun auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen geschätzt werden, um einige Hinweise auf mögliche Szenarien zu bieten.
So ist zunächst anzunehmen, dass die Zuwanderung die bisherigen Formen und etablierten Praktiken infrage stellen wird. Dies muss nicht zwingend deshalb erfolgen, weil neu Zugewanderte tatsächlich gänzlich andere oder schlicht keine Vorerfahrungen mit institutioneller Bildung mitbrächten, sondern bereits, weil eine diesbezügliche Vorannahme bei manchen Akteuren in den Bildungseinrichtungen (Schulleitungen, Schulverwaltung, Lehrende, Elternschaft) vertreten zu sein scheint. So genügt mitunter bereits die Ankündigung, dass alsbald Geflüchtete in die Schulklassen aufgenommen werden sollen, um rege Betriebsamkeit und Spekulationen über die Notwendigkeiten von besonderen Beschulungsformen in Gang zu setzen.
Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund eine Potenzialanalyse, die in einem Landkreis Baden-Württembergs erprobt wurde. Ziel des Verfahrens ist, die individuellen Potenziale von Schutzsuchenden sichtbar zu machen. Damit ließe sich ein Unterricht, der ohnehin mit Heterogenität umzugehen versteht, auf die Bildungsbedarfe neu Zugewanderter umstellen. Gleichwohl muss eine solche Bildungspraxis mit spezifischen Kompetenzen der Fachkräfte, multiprofessionellen Teams sowie finanziellen, räumlichen und zeitlichen Ressourcen gekoppelt sein, um tatsächlich zu "funktionieren".
Des Weiteren erscheint es sinnvoll, institutionelle Entwicklungen im Hinblick auf zum Beispiel Klassengrößen und Unterrichtsformen anzustoßen, um auf diese Weise die exkludierenden Mechanismen einer gesonderten Beschulung von neu Zugewanderten möglichst zu vermeiden.
Als weitere Auswirkung wäre eine tatsächlich höhere fachdidaktische Differenzierung der Bildungsprozesse zu erwarten. Sofern unterschiedliche Kenntnis- und Kompetenzstände vorliegen und zudem die Bildungshochsprache weiterhin hauptsächliches Vehikel des Unterrichtens ist, müssen die verschiedenen Voraussetzungen für Bildung in unterschiedliche Ausgestaltungen dieser Bildungsarbeit münden. Dass dazu angemessene Lehrmaterialien erstellt und diagnostische Instrumente entwickelt sowie Kompetenzen für die Fachkräfte in den Bildungsinstitutionen vermittelt werden müssen, zeigen frühere Schulversuche.
Die sozialräumliche Orientierung der Bildungseinrichtungen (wie die Arbeit mit sozialen Netzwerken vor Ort) kann gerade für neu Zugewanderte einen weiteren Schwerpunkt der Entwicklungen ausmachen. Dies gilt angesichts der alltäglichen Lebensführung von Geflüchteten, die sich um die Inklusion in den deutschen Alltag, wie zum Beispiel das Vereinsleben, bemühen. Die dortigen Akteure stellen insofern wertvolle Unterstützungspotenziale für die inklusiven Prozesse innerhalb der Bildungsinstitutionen dar. Gerade die wachsende Zahl der Ganztagsschulen bietet hier zugleich den Rahmen, der solchen sozialräumlichen Akteuren ein angemessenes Setting eröffnen kann.
Von besonderer Bedeutung ist ganz offensichtlich die Sprache. Andernorts wurde bereits vorgeschlagen, den "monolingualen Habitus"
Des Weiteren sollten grundlegende Regelungen überdacht werden, wie sich insbesondere im Hinblick auf unbegleitete Minderjährige zeigt: "Hilfreich wäre es, wenn bundesweit die Schulpflicht nicht im Alter von 18 Jahren endete und Schulen den Bildungserwerb weiter unterstützen könnten. Sinnvoll wäre ferner, wenn bei Geduldeten die Altersgrenze bei Beginn einer Ausbildung höher angesetzt oder entfallen würde."
Ausblick
Von all diesen Auswirkungen können nicht nur neu Zugewanderte profitieren. Es ist letztlich nicht die Frage, wie "Andere" durch Bildung dazu gebracht werden können, "uns" gemäß zu leben. Vielmehr geht es um eine inklusive "Vergesellschaftung statt Integration"