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Die Suche nach dem Sinn: Zur Zukunft der Arbeit - Essay | Arbeitsmarktpolitik | bpb.de

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Die Suche nach dem Sinn: Zur Zukunft der Arbeit - Essay

Friedericke Hardering

/ 16 Minuten zu lesen

Wie wird Arbeit in Zukunft aussehen? Über die Zukunft der Arbeit wird seit jeher intensiv diskutiert und spekuliert. Angetrieben wurden und werden diese Diskussionen durch unterschiedliche Krisen der Arbeit: So lösten der Umbruch von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und das Aufkommen neuer Serviceberufe wie auch die hohen Arbeitslosenquoten in den 1980er Jahren Fragen nach dem Sinn von Arbeit und nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit aus. Hoffnungen, aber auch Ängste charakterisierten diese Debatten, und es tauchten immer ähnliche Fragen im neuen Gewand auf: Wird es noch genug Arbeit für alle geben? Wird die menschliche Arbeitskraft zusehends durch automatisierte Prozesse ersetzt? Droht das Ende der Arbeit, wie es bereits Hannah Arendt, Ralf Dahrendorf oder Jeremy Rifkin befürchteten? Oder bieten die Veränderungen der Arbeit auch Chancen auf ein selbstbestimmteres, sinnvolleres, freieres und zeitlich autonomeres Arbeiten?

Auch gegenwärtig kursierende Begriffe wie "Arbeit 4.0" oder "New Work" deuten darauf hin, dass sich die Arbeitswelt in einem fundamentalen Wandlungsprozess befindet. Dieser wird unter anderem von der "digitalen Revolution" angetrieben: Heutzutage nutzt ein Großteil der Beschäftigten Informations- und Kommunikationstechniken bei der Arbeit, was dafür sorgt, dass sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. Aber nicht nur die Digitalisierung fungiert als Treiber dieses Wandels, sondern auch andere Megatrends wie die Globalisierung, die stärkere Erwerbseinbindung von Frauen und der demografische Wandel. Zudem werden durch verschiedene Krisen der zurückliegenden Jahre wie die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise oder die Klimakrise grundlegende Selbstverständlichkeiten des Arbeitens und Wirtschaftens wie etwa der Glaube an ein permanentes Wirtschaftswachstum infrage gestellt.

All diese Veränderungen erfordern ein neues Nachdenken darüber, wie Arbeit zukünftig gestaltet sein soll. Während in der Vergangenheit noch einzelne Fragen nach dem Verbleib der sogenannten Stillen Reserve oder der Humanisierung der Arbeit die Debatte über die Zukunft der Arbeit dominierten, steht die aktuelle Debatte vor der Herausforderung, die multiplen Trends und Wandlungstendenzen von Digitalisierung, Globalisierung, Prekarisierung oder Feminisierung in ihrer Gleichzeitigkeit zu denken.

Aktuell jedoch überlappen sich in der Arbeitswelt diese neuen Trends und alte Routinen: Während in manchen Großunternehmen noch das Normalarbeitsverhältnis mit einer fest geregelten und über die Arbeitswoche gleichmäßig verteilten Arbeitszeit dominiert, führen in den Metropolen junge Start-ups immer flexiblere Arbeitsformen ein, arbeiten in Co-Working-Spaces und suchen nach neuen Formen raumzeitlicher Entgrenzung in der Arbeit. All diese Phänomene verweisen darauf, dass sich die Arbeitswelt im Übergang befindet. Um die Richtung des Wandels zu verstehen und gestalten zu können, bietet sich zunächst eine Standortbestimmung an, die gleichzeitig die elementaren Fragen der Arbeitswelt aufgreift: Was verstehen wir heute unter Arbeit, und wie steht es um den Sinn der Arbeit? Welche Wünsche haben Beschäftigte und welche Trends eines neuen Arbeitens zeichnen sich ab? Wie kann Arbeit in Zukunft gestaltet werden? Auf dieser Basis ist es möglich, vom Nachdenken über die Zukunft der Arbeit zum gemeinsamen Arbeiten an der Zukunft der Arbeit zu gelangen.

Von der Krise der Arbeit zur Krise des Sinns der Arbeit?

Welche Bedeutung hat Arbeit? Kaum eine andere Metapher beschreibt die Ambivalenzen der Arbeit eindrücklicher als das vom Psychologen und Sozialwissenschaftler Kurt Lewin geprägte Bild von den zwei Gesichtern der Arbeit: Danach ist Arbeit einerseits Mühe, Zwang, Mittel zum Zweck und noch kein eigentliches Leben, andererseits ist Arbeit für den Menschen unabdingbar, denn sie bietet ein Wirkungsfeld und gibt dem Leben Sinn und Bedeutung. Gesellschaftlich kommt der Arbeit heutzutage noch eine weitere Funktion zu: Die gegenwärtige Erwerbsarbeitsgesellschaft ist dadurch charakterisiert, dass in ihr die Erwerbsarbeit als zentrales Medium gesellschaftlicher Integration fungiert. Erwerbsarbeit bietet gesellschaftliche Teilhabe, soziale Anerkennung und strukturiert die Lebensentwürfe von Individuen.

Doch die verschiedenen Krisen der postfordistischen Arbeitswelt sorgen aktuell dafür, dass diese Versprechen der Erwerbsarbeit kaum mehr eingelöst werden: Mit der Prekarisierung der Arbeit und der Ausweitung des Niedriglohnsektors spaltet sich die Arbeitswelt zusehends in einen Bereich gut bezahlter und sicherer Arbeit und einen anderen Bereich mit unterfordernder, unsicherer und nicht-existenzsichernder Arbeit. Zudem sorgen Prozesse der sozialen Beschleunigung dafür, dass sich in vielen Beschäftigungsfeldern die Arbeit enorm verdichtet und es zu einem Anstieg von Zeit- und Leistungsdruck kommt.

Dieser Strukturwandel der Arbeit lässt auch die Psyche der Beschäftigten nicht unberührt: Stress gilt nunmehr als eines der wichtigsten Risiken für die Gesundheit und kann langfristig mit psychischen Folgen wie Burnout oder Depressionen einhergehen. Die Brisanz der Stresszunahme zeigt sich auch daran, dass sich die Anzahl von Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen in den letzten Jahren verdreifacht hat. Die gesundheitlichen Probleme deuten an, dass mit dem Umbau der fordistischen zu einer postfordistischen Arbeitswelt nunmehr ein kritischer Punkt erreicht ist, der die Frage nach individuellen und gesellschaftlichen Alternativen eines gesünderen und nachhaltigeren Arbeitens virulent werden lässt und somit die Frage nach dem Sinn in der Arbeit aufwirft.

Doch inwieweit lässt sich von einer Sinnkrise der Arbeit sprechen? Hier gilt es zunächst, zwei Diskurse über die Krise des Sinns der Arbeit zu differenzieren: Der erste kreist um die Frage des gesellschaftlichen Sinns von Arbeit und der zweite bezieht sich auf individuelle Krisen des Sinnerlebens in der Arbeitswelt.

Gesellschaftlicher Sinn von Arbeit


Bezieht man die Krisendiagnose auf das gegenwärtige Gefüge der Arbeitsgesellschaft, lassen sich die verschiedenen Überlastungssymptome der Arbeitswelt als Hinweis darauf deuten, dass das postfordistische Modell an seine Grenzen stößt und das gegenwärtige System der Erwerbsarbeit überdacht werden muss. Hier wird der Sinn der Erwerbsarbeit als zentraler Integrationsmechanismus infrage gestellt. Auch die Frage nach unterschiedlichen Formen der Arbeit, wie sie bereits von Hannah Arendt aufgegriffen wurde, wird hier erneut diskutiert. Arendt hatte bereits in der "Vita activa" darauf hingewiesen, dass eine reine Fixierung auf die Lohnarbeit ein verkürztes Arbeitsverständnis darstellt und dem Menschen andere Zugänge zu reicheren Tätigkeiten versperrt. Tatsächlich ist das gegenwärtige Verständnis von Arbeit stark auf die Erwerbsarbeit fixiert, und üblicherweise auch auf die männlich dominierte Form der Vollzeiterwerbsarbeit im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses. Dieses verkürzte Arbeitsverständnis schließt freilich eine Vielzahl von Tätigkeiten aus, insbesondere Care-Arbeiten in der Familie oder auch gesellschaftlich relevante Freiwilligenarbeit. Diskussionen über erweiterte Arbeitskonzepte und New Work, also breitere Verständnisse von Arbeit, schließen genau hier an, und fordern einen Umbau der Arbeitsgesellschaft, der andere Tätigkeitsformen aufwertet und so die dominante Stellung der Erwerbsarbeit einhegt. Zwar verfügen neue Arbeitskonzepte bisweilen über keine breite gesellschaftliche Akzeptanz, nichtsdestoweniger zeichnen sich die Risse des postfordistischen Gefüges immer deutlicher ab, weshalb die Rede von einer Krise des Sinns der Arbeit breiten Anschluss findet.

Individueller Sinn von Arbeit


Von einer Krise des Sinns wird aber auch in einem anderen Kontext gesprochen, nämlich dann, wenn der Sinn innerhalb der Arbeit problematisch wird und Beschäftigte ihre Arbeit nicht mehr als sinnvoll erleben. Während dies früher als ein Problem insbesondere geringqualifizierter und stark fragmentierter Tätigkeiten galt, finden sich mittlerweile auch Hinweise auf solche Problematiken aus hochqualifizierten Beschäftigungssegmenten: Auch Ärztinnen und Ärzte, Hochschullehrende oder IT-Fachkräfte klagen mittlerweile darüber, dass sie durch zahlreiche neue, besonders administrative Aufgabenanteile gar nicht mehr zu ihrer eigentlichen Arbeit kommen. Berichtet wird davon, dass für subjektiv wichtige Aufgaben immer weniger Zeit ist und gleichzeitig scheinbar sinnlose Arbeiten zunehmen. Ausgehend von solchen Befunden könnte vermutet werden, dass sich auch in größeren Surveys eine Krise des Sinns in der Arbeit abzeichnet. Bemerkenswerterweise zeigen nun verschiedene Befragungen, dass Beschäftigte in Deutschland mehrheitlich einen Sinn in ihrer Arbeit erkennen können: Laut DGB-Index Gute Arbeit, der jährlich das Arbeitserleben und auch das Erleben sinnvoller Arbeit von abhängig Beschäftigten in Deutschland erfragt, gaben 2016 etwa 81 Prozent der Befragten an, einen Sinn in ihrer Arbeit zu sehen. In der Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (European Working Conditions Survey) gaben 86 Prozent der Befragten an, immer oder meistens das Gefühl zu haben, eine nützliche Arbeit zu tun.

Die Daten muten zunächst äußerst positiv an und scheinen Thesen eines wachsenden individuellen Sinnverlustes oder zunehmender Entfremdung zu widerlegen. Doch diese Interpretation ist zu kurz gegriffen, da bereits ältere Studien über monotone und stigmatisierte Arbeit immer wieder zeigen konnten, dass Beschäftigte auch sinnlose Arbeiten als sinnvoll deuten können: Sie richten dann ihre Aufmerksamkeit nicht auf die belastenden oder gleichförmigen Aspekte der Arbeit, sondern konzentrieren sich auf den größeren Nutzen ihres Tuns. So bewerten sie ihre Arbeit neu und schreiben ihr einen neuen Sinn zu. Die Sinnzuschreibung dient ihnen dazu, ihre Arbeitsidentität zu stabilisieren und handlungsfähig zu bleiben.

Die Bewertung des Sinnerlebens von Beschäftigten gibt also vielmehr Einblicke in subjektive Deutungsleistungen, Ressourcen und Bewältigungsprozesse, als dass sie Aufschluss über Fehlentwicklungen in der gesellschaftlichen Organisation von Arbeit bietet. Kritik von Beschäftigten an der Zunahme als sinnlos empfundener Aufgaben oder daran, dass es immer schwerer wird, gute Arbeit zu leisten, wird über diese Bewertungen nicht abgebildet. Zusammengenommen bedeutet dies, dass sich ein hohes Sinnerleben von Beschäftigten, welches sich in Befragungen zeigt, und ein subjektives Leiden unter Sinnverlust und Erfahrungen der Entfremdung nicht ausschließen. Ein eindeutiges Bild über die Erfahrung von Sinnverlust oder Sinnlosigkeit in der Arbeit lässt sich daraus nicht ableiten. Vielmehr zeigt sich, dass positive Bezüge auf den Sinn in der Arbeit und Erfahrungen des Verlustes von Sinnhaftigkeit differenziert erfasst und analysiert werden müssen.

Jenseits dieser Befunde zeigt sich insgesamt eine höhere gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Fragen des Sinns und des Sinnerlebens in der Arbeit, die einerseits auf die stärkere Einbindung und Forderung von Subjektivität in der Arbeit, andererseits aber auch auf zunehmende Belastungserfahrungen und Entfremdungstendenzen zurückzuführen sind. Dadurch werden individuelle Reflexionsprozesse angeregt, die nicht selten zu einer Kritik an der Norm der Normalarbeit und zu einem Nachdenken über neue Arbeitskonzepte führen.

Neue Sinnsuchende der Arbeitswelt

Wer sich aktuell auf die Suche nach neuen Arbeitskonzepten begibt, wird in Wirtschaftsmagazinen, Blogs und Vlogs schnell fündig: So mehren sich Beiträge über anderes Arbeiten, in denen die Geschichten einzelner Vordenkerinnen oder Vordenker der neuen Arbeit erzählt und zu einem heroisch verklärten Wandlungsnarrativ verdichtet werden. Das Narrativ basiert vielfach auf einer gleichen Struktur: Danach sorgt eine berufliche oder private Krise dafür, den gelernten und lukrativen Beruf aufzugeben, um sich einer subjektiv und gesellschaftlich sinnvolleren Tätigkeit zuzuwenden. Im Zuge der Umorientierung werden vormalige Arbeitsvorstellungen revidiert und durch neue, subjektiviertere Vorstellungen von Arbeit ersetzt.

Die Wünsche nach einer neuen, anderen und auch sinnvolleren Arbeit werden vielfach mit bestimmten Gruppen assoziiert, die eine Art Vorreiterrolle einnehmen und ein neues Arbeitsverständnis reklamieren. Die wohl populärste Gruppe, die für das Einfordern neuer Werte steht, ist die sogenannte Generation Y. Die zwischen 1980 und 1995 Geborenen werden seit einigen Jahren als neue Arbeitsmarkakteure mit veränderten Wertevorstellungen gehandelt. Wichtig sei ihnen, so eine häufige Interpretation ihres Generationsnamens, besonders das Y (Why?), das Warum ihres Arbeitens. Wie wir aus verschiedenen Studien wissen, will die Generation Y allerdings nicht nur mehr Sinn in der Arbeit, sie fordert nicht weniger selbstbewusst auch eine bessere Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche und einen sicheren Arbeitsplatz.

Eine weitere Gruppe, die neue Werte einfordert, sind freiwillige Berufswechselnde, die sich infolge einer beruflichen Krise umorientieren und nun einer anderen, subjektiv bedeutsameren Tätigkeit nachgehen. Auch sie werden wie die Generation Y als Gruppe angeführt, die höhere Ansprüche an die Vereinbarkeit reklamiert und der vor allem nach dem Erreichen persönlicher Karriereziele das gesellschaftliche Wohl am Herzen liegt.

Zuletzt findet sich im Kontext der Postwachstumsbewegung ein neues Nachdenken über die Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft. Charakteristisch ist hier der Wunsch nach einer nachhaltigen und ressourcenbewussten Arbeit, die sich am individuellen Bedarf orientiert. Noch grundlegender werden innerhalb dieser Bewegung auch die eigenen Konsumvorstellungen kritisch reflektiert und gemeinsame Formen des solidarischen Wirtschaftens erprobt. Die Sharing-Economy, die Rückbesinnung auf das Selbermachen der Do-it-yourself-Bewegung oder Urban-Gardening-Projekte lassen sich als Ausdrucksformen neuer Suchbewegungen nach anderen Formen des Wirtschaftens werten. Doch welche Schlagkraft haben die in solchen Konzepten zum Ausdruck kommenden neuen Werte im gesellschaftlichen Gefüge? Werden sie bereits zur neuen Normalität, oder fallen sie empirisch kaum ins Gewicht?

Neue Werte in der Arbeit?

Bereits in den 1970er Jahren im Zuge der Wertewandeldiskussion wurde über das Auftreten neuer Arbeitswerte verhandelt. Diskutiert wurde, ob die Sicherheit und Stabilität des fordistischen Arrangements dafür sorgen, dass neue Werte wie Selbstverwirklichung an Bedeutung gewinnen und die Beschäftigten sich mehr denn je für die Inhalte der Arbeit statt für den Lohn interessieren. Solche Debatten über die Relevanz unterschiedlicher Werteorientierungen in der Arbeit haben immer wieder gezeigt, dass sich das Interesse für die Inhalte der Arbeit und für die materielle Sicherheit nicht gegeneinander ausspielen lassen: Beide Aspekte sind für die Beschäftigten wichtig und sind Bestandteil der Erwartungen an gute Arbeit. Individuell finden sich jedoch je nach Lebenslage und -situation ganz unterschiedliche Gewichtungen der Erwartungen an Arbeit.

Wie aktuelle Befragungen zur Wichtigkeit verschiedener Aspekte der Arbeit zeigen, fühlen sich viele Beschäftigte aktuell stark verunsichert, weshalb auch die Sicherheit der Arbeit und die Stabilität des Arbeitsverhältnisses für sie besonders wichtig sind. Auch die Zusammenarbeit mit netten Kollegen, gute Führung, guter Lohn und der Einsatz eigener Fähigkeiten sind aus Sicht der Beschäftigten wichtige Aspekte guter Arbeit.

Jenseits solcher allgemeinen Befunde gibt es ganz heterogene Anspruchsmuster an Arbeit, die sich durch je unterschiedliche Priorisierungen auszeichnen. Eine Untersuchung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, in der Erwerbspersonen in Deutschland interviewt wurden, unterscheidet sieben "Wertewelten", die für je andere Sichtweisen ihrer Angehöriger auf Arbeit stehen: Die Wertewelt mit der größten Zustimmung stellt die Sicherheit und Sorgenfreiheit in der Arbeitswelt ins Zentrum (28 Prozent der Befragten). Daneben findet sich eine Vielzahl anderer Wertewelten: So beziehen sich zwei Wertewelten auf Leistung (11 Prozent) und auf Leistungsgerechtigkeit (15 Prozent). Eine andere Wertewelt stellt den Wunsch nach einer guten Balance von Arbeit und Leben ins Zentrum (14 Prozent) und wieder eine andere stellt den Wunsch nach einer starken Solidargemeinschaft heraus (9 Prozent). Zwar zeigt sich bei den Wertewelten ein Überhang tradierter Vorstellungen der Arbeitswelt, die Sicherheit und Leistungsgerechtigkeit hoch bewerten, nichtsdestoweniger finden sich auch andere Wertewelten: Die Wertewelt der Selbstverwirklichung konzentriert sich auf zukünftige Potenziale der Arbeit für eine autonomere und bessere Arbeitsgestaltung (10 Prozent) und die Wertewelt "Sinn außerhalb seiner Arbeit suchen" steht schließlich für ein breiteres Verständnis von Arbeit (13 Prozent). Danach ist Erwerbsarbeit nicht die einzig sinnvolle Form der Arbeit; wichtiger ist der gesellschaftliche Beitrag des Tuns sowie wie die Orientierung an Altruismus und sozialer Gerechtigkeit. Hier findet sich eine andere Sicht auf Arbeit, die sich nur in einigen Bereichen der Arbeitswelt jenseits des Mainstreams finden lässt.

Die prozentuale Verteilung verdeutlicht, dass solche alternativen Arbeitskonzepte entgegen ihrer medialen Präsenz bisher nur vereinzelt auftreten. Trotzdem bieten sie enormes Potenzial für die zukünftige Gestaltung der Arbeitswelt. Doch welche Möglichkeiten der Gestaltung bieten sich an, und welche konkreten Modelle für den Umbau der Arbeitswelt werden aktuell diskutiert? Die Debatte um New Work bietet Antworten.

New Work gestalten

Wofür genau New Work steht, ist alles andere als eindeutig: Einerseits werden damit organisationale und technische Veränderungen der Arbeit beschrieben, beispielsweise die flexibleren Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung durch digitale Arbeit. Andererseits steht New Work für ein neues, erweitertes Arbeitsverständnis, welches die Zentralität der Erwerbsarbeit im Leben aufzubrechen sucht und darauf zielt, auch anderen Formen der Arbeit wie Subsistenz- oder Care-Arbeit Raum zu geben. New Work steht somit für ein neues Denken über Arbeit und für das Ausprobieren neuer Arbeitskonzepte. Mit New Work wird der vorherrschende Arbeitsbegriff grundlegend infrage gestellt. Der Begriff geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück, der in den 1980er Jahren vor dem Eindruck des Niedergangs der amerikanischen Automobilindustrie die Idee einer neuen Arbeit entwickelte. Wesentlich ging es ihm darum, die Abhängigkeit von der Lohnarbeit zu reduzieren und andere Arbeitsformen wie Selbstversorgung und selbstbestimmte Arbeit zu revitalisieren.

Die "neue Arbeit" besteht nach Bergmann aus drei Elementen: einem Drittel Erwerbsarbeit, einem Drittel Selbstversorgung und einem Drittel Arbeit, die man "wirklich, wirklich will". Mit einem solchen Modell sollten die Defizite der Erwerbsarbeit abgefedert werden, die sich durch monotone Tätigkeiten, aber auch durch Unterbrechungen wie Phasen der Arbeitslosigkeit ergeben, und die zentrale Stellung von Erwerbsarbeit für Gesellschaft und Individuum aufgebrochen werden. In der aktuellen New-Work-Diskussion spielt Bergmanns Modell nur noch als historische Referenz eine Rolle. Die bei Bergmann angelegte Kritik der Zentralstellung von Erwerbsarbeit als einzige Form der Arbeit ist aber nach wie vor aktuell.

Auch Unternehmen haben bereits das Potenzial der New-Work-Formel erkannt und diskutieren unter diesem Konzept vor allem neue Formen der Arbeitsorganisation und flexible Arbeitszeitmodelle, die sich an den unterschiedlichen Bedarfen der Beschäftigten nach Sabbaticals, Elternzeit oder Altersteilzeit orientieren. Für die Unternehmen eröffnet sich dadurch die Chance, Mitarbeitende langfristig zu binden. Die Etablierung eines neuen Arbeitsverständnisses und eine Aufwertung anderer Arbeitsformen findet durch solche organisationalen New-Work-Konzepte jedoch nicht oder nur rudimentär statt. Für eine grundlegende Debatte über Sinn und Zukunft der Arbeit ist es deshalb wichtig, den Begriff New Work nicht vorschnell auszuhöhlen oder auf organisationale Arbeitszeitmodelle zu reduzieren. Auf Basis der neuen und alten New-Work-Diskussion lassen sich abschließend drei Anregungen nennen, die für die Gestaltung einer Arbeitswelt im Umbruch Orientierung bieten können:

Debatten versachlichen, Ambivalenzen nicht ausblenden


Gerade die Digitalisierung hat eine stark polarisierte Debatte über Chancen und Gefahren für die Arbeit angestoßen. Um den Wandel entlang von Vorstellungen einer wünschenswerten Arbeit zu gestalten, bedarf es weder Schreckensszenarien, nach denen massenhaft Arbeitskräfte freigesetzt werden, noch ist ein überbordender Optimismus mit Blick auf die neuen Freiheitsgrade in der Gestaltung von Arbeit zielführend.

Den Chancen, die sich aus der Digitalisierung sowie aus flexibleren und selbstbestimmteren Arbeitsformen ergeben, stehen auch vielfältige neue Risiken gegenüber. Dies zeigt sich beispielsweise im Bereich des Crowdworking, wo sich einerseits flexible Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung finden, andererseits soziale Absicherungsmechanismen aber weitestgehend fehlen. Ohne eine nachhaltige Gestaltung der neuen Arbeit besteht die Gefahr, dass sich die neuen Freiheiten in Potenziale der Selbstausbeutung verkehren. Hohe Gestaltungschancen in der Arbeit sind für die einen ideal und wünschenswert, für andere hingegen bedeuten sie Stress. Deshalb sind auch Schutzmechanismen vor einer weitreichenden Entgrenzung wichtig. Die Gefahren flexibler Arbeit dürfen nicht individualisiert werden, sondern müssen in Unternehmen und politisch abgefangen werden. Eine konstruktive Gestaltung der Arbeitswelt wird dann möglich, wenn Trends und Best Practices, aber auch problematische Nebenfolgen von Entwicklungen frühzeitig und fundiert erforscht und nachjustiert sowie in einem objektiven Umfeld debattiert werden können.

Gute Arbeit fördern


Nebst allen Verheißungen der Arbeit 4.0 und ihrer Potenziale verweist die Spaltung der Arbeitsgesellschaft auf die Notwendigkeit der Gewährung von guter Arbeit, also von Erwerbsarbeit, die sich an der Würde von Beschäftigten orientiert und Existenzsicherung bietet.

Gute Arbeit steht als Leitbild sowohl für faire Löhne als auch für sichere Beschäftigungsverhältnisse und für die Eindämmung von belastender und einseitiger Arbeit. Aus der Arbeitsforschung sind zudem die Faktoren einer gesundheitsförderlichen, guten Gestaltung von Arbeitsplätzen bekannt: Dazu zählen ein Mindestmaß an Aufgabenkomplexität, Autonomie, Entwicklungsmöglichkeiten, soziale Einbettung und Anerkennung. Nicht minder wichtig ist, die eigene Arbeit im produktiven Zusammenhang zu sehen und nicht ausschließlich mit fragmentierten Aufgabenanteilen betraut zu sein. All diese Faktoren tragen zu einer Humanisierung der Arbeit bei, die trotz jahrzehntelanger Forderungen noch nicht hinreichend realisiert ist.

Alternative Arbeitsformen aufwerten


Die Debatte um New Work zeigt, dass Arbeit auch jenseits der fordistischen Nine-to-five-Normalarbeit zu denken und ein erweitertes Verständnis von Arbeit unabdingbar ist. Selbst in der Hochphase des Fordismus der 1950er und 1970er Jahre hatte die informelle Ökonomie die Funktion, die Normalarbeit zu stützen und ihre Defizite auszugleichen. Informelle Arbeiten wie Nachbarschaftshilfe, familiäre Sorge und Pflegearbeiten oder Selbsthilfe waren und sind für die Funktionsfähigkeit der Normalarbeit unabdingbar. Doch mangelt es nach wie vor an der Akzeptanz und Wertschätzung für solche Tätigkeiten. Dementsprechend sind aktuell Antworten darauf zu finden, wie wir gesellschaftlich als wichtig und nützlich erachtete Arbeiten wie Care-Arbeit aufwerten und anderen Formen der Freiwilligenarbeit mehr Wertschätzung zukommen lassen können. Eine Möglichkeit der Aufwertung könnte bereits dadurch gelingen, dass über bessere zeitliche Verzahnungsmöglichkeiten unterschiedlicher Arbeitsformen nachgedacht wird. Aktuell finden sich bereits Konzepte wie die Elternzeit oder die Arbeitsfreistellung für die Pflege Angehöriger, die darauf zielen.

Damit Arbeit nicht, wie Bergmann meinte, einer "milden Krankheit" gleichkommt, sind darüber hinaus auch die Gegengewichte zur Arbeit im Diskurs über zukünftiges Arbeiten mitzudenken. Detachment – im Sinne einer mentalen Distanzierung von der Arbeit –, Muße und Antiwork als Kritik an der Erwerbsarbeitsfixierung sind hier die Stichworte, die in der beschleunigten Arbeitswelt an Relevanz gewinnen werden, um die Balance zwischen Arbeit und Nichtarbeit wieder ins Lot zu bringen. Für die Politik stellt sich hier die Aufgabe, eine bessere soziale Absicherung auch jenseits der Normalarbeit zu gewährleisten.

Sicherlich können die genannten Punkte, die zusammen zu denken sind, nur als erste Schritte in Richtung einer Transformation der Arbeitswelt gewertet werden, die an die Bedürfnissen der Menschen anschließt und neue Sinnperspektiven der Arbeit eröffnet. Werte können die Handlungspraxis anleiten, aber auch die Praxis kann Werte verändern. Zwar ist auch die Diskussion über den Wandel Teil des Veränderungsprozesses, nichtsdestoweniger ist die Zeit reif für neue Modelle und Prototypen und damit für ein engagiertes Arbeiten an einer Zukunft der Arbeit, die gute Arbeit in ihren verschiedenen Erscheinungsformen Wirklichkeit werden lässt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kurt Lewin, Die Sozialisierung des Taylorsystems. Eine grundsätzliche Untersuchung zur Arbeits- und Berufspsychologie, Praktischer Sozialismus: Vol. 4, Berlin 1920.

  2. Vgl. Hannah Arendt, Vita activa oder Vom tätigen Leben, München 20075 (1960), S. 16ff.

  3. Vgl. Beate Littig/Markus Spitzer, Arbeit neu. Erweiterte Arbeitskonzepte im Vergleich, Literaturstudie zum Stand der Debatte um erweiterte Arbeitskonzepte, Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 229/2011.

  4. Vgl. Christoph Handrich/Carolyn Koch-Falkenberg/Gerd-Günter Voß, Professioneller Umgang mit Zeit- und Leistungsdruck. Baden-Baden 2016, S. 155ff; Friedericke Hardering, Wann erleben Beschäftigte ihre Arbeit als sinnvoll? Befunde aus einer Untersuchung über professionelle Dienstleistungsarbeit, in: Zeitschrift für Soziologie 1/2017, S. 39–54, hier S. 45.

  5. Vgl. Institut DGB-Index Gute Arbeit, DGB-Index Gute Arbeit. Der Report 2016, Wie die Beschäftigten die Arbeitsbedingungen in Deutschland beurteilen, Berlin 2016.

  6. Vgl. Eurofound, Sixth European Working Conditions Survey 2015, Externer Link: http://www.eurofound.europa.eu/surveys/data-visualisation/sixth-european-working-conditions-survey-2015.

  7. Vgl. Heather Hofmeister/Friedericke Hardering, Auf der Suche nach dem Sinn. Die Bedeutung der Arbeit für das Leben, in: Forschung & Lehre 7/2014, S. 520ff.

  8. Vgl. Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin (ffas)/Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas)/Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik (FFP), Gewünschte und erlebte Arbeitsqualität, Abschlussbericht, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Berlin 2014.

  9. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales/Nextpractice, Wertewelten. Arbeiten 4.0, Berlin 2016.

  10. Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur, Freiamt im Schwarzwald 20085.

Lizenz

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ist promovierte Politikwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiterin des Projekts "Gesellschaftliche Vorstellungen sinnvoller Arbeit und individuelles Sinnerleben in der Arbeitswelt". E-Mail Link: f.hardering@soz.uni-frankfurt.de