Der Kampf gegen Steuerflucht folgte in den vergangenen Jahren der Dramaturgie einer Fernsehserie: Das vermeintliche Ende der Steueroasen wich stets einer Fortsetzung. Diese Zitterpartie ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen öffentlichkeitswirksamen Steuerskandalen und Wirtschaftsinteressen: Während Skandale wie jene um die "Luxemburg-Leaks" oder die "Panama Papers" und prominente Hinterziehungsfälle Handlungsdruck aufbauen, sind von Steuerinitiativen betroffene Interessengruppen oft in der Lage, den Regulierungsprozess zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Im Ergebnis feiern sich Staats- und Regierungschefs für neue, aber unzureichende Regeln, an die Steueroasen ihr Geschäftsmodell anpassen können und somit die Voraussetzung für den nächsten Skandal schaffen. Aber was ist eine Steueroase überhaupt? Wie konnte sich dieses volkswirtschaftliche Modell etablieren und wie kann der beschriebene Zyklus aus Skandal, Anpassung und neuem Skandal unterbrochen werden?
Im Folgenden identifizieren wir zunächst den internationalen Steuerwettbewerb als strukturelle Voraussetzung für die Entstehung von Steueroasen. Danach stellen wir die wesentlichen politischen Entwicklungen im Kampf gegen schädlichen Steuerwettbewerb auf globaler und europäischer Ebene dar. Dabei wird sich zeigen, dass gegen die (legale) Steuervermeidung großer Konzerne bisher wenig erreicht wurde, während es im Kampf gegen illegale Steuerhinterziehung durch Privatpersonen Fortschritte gibt.
Warum gibt es Steueroasen?
Steueroasen entstehen im Rahmen des internationalen Steuerwettbewerbs: Staaten versuchen, durch steuerpolitische Maßnahmen mobile Wirtschaftsgüter – meistens Kapital in Form von Investitionen und Finanzvermögen – aus anderen Staaten anzuziehen. Es regiert das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Nachfrage entsteht durch Privatpersonen und Unternehmen, die ihre Steuerzahlungen minimieren wollen. Angebote in Form von Niedrig- oder Nichtbesteuerung werden durch souveräne Staaten unterbreitet. Kapitalmobilität und gegenseitige Unterbietung ziehen alle Staaten in den Wettbewerb hinein.
Steuerwettbewerb ist also ein systemisches Phänomen, entzieht sich aber keineswegs der politischen Gestaltung. Es hat vielmehr zwei miteinander verbundene politisch-institutionelle Ursachen.
Die zweite Ursache des Steuerwettbewerbs liegt in der politisch herbeigeführten Liberalisierung des internationalen Kapitalverkehrs: Ein Aspekt dieser Liberalisierung ist seit den 1920er Jahren die Vermeidung von Doppelbesteuerung. Unter Führung des Völkerbunds und später der OECD wurden im Laufe der Jahrzehnte Prinzipien erarbeitet, die verhindern sollten, dass sowohl das Herkunftsland als auch der Quellenstaat, in dem der zu versteuernde Ertrag entsteht oder das zu versteuernde Vermögen wirtschaftlich eingesetzt wird, grenzüberschreitende Investitionen besteuern. In diesen Prinzipien, die in Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) umgesetzt wurden, spiegelt sich die De-jure-Souveränität. Sie sind so ausgestaltet, dass sie den Staaten Besteuerungsrechte formal zuteilen, ihnen aber maximale Freiheit lassen, ob und wie sie diese Rechte ausüben. So beseitigt das DBA-Regime mit der Doppelbesteuerung ein Hemmnis für internationale Investitionen, ermöglicht aber die doppelte Nichtbesteuerung. Die Tragweite dieses Konstruktionsfehlers wurde erst nach der Deregulierung der globalen Finanzmärkte und der mit ihr einhergehenden Vervielfachung internationaler Transaktionen deutlich.
Im ursprünglichen Modell des Ökonomen Charles Tiebout konkurrieren Gebietskörperschaften um mobile Steuerzahler. Durch die "Abstimmung mit den Füßen" ordnen sich die Steuerzahler der Gebietskörperschaft mit der gewünschten Ausstattung an öffentlichen Gütern zu. In Analogie zu Märkten für Privatgüter stellen Steuern also einen Preis dar, dessen Höhe der Nachfrage nach öffentlichen Leistungen entspricht. Der Steuerwettbewerb führt demnach zu einer effizienten Verteilung öffentlicher Güter.
Eine wichtige Erweiterung des Standardmodells betrifft die Bevölkerungsgröße eines Landes. Kleine Staaten können relativ zu ihrer Bevölkerung mehr ausländisches Kapital anziehen als große Staaten. Sie können die Einnahmeverluste, die sich aus niedrigeren Steuersätzen ergeben, also durch den herbeigeführten Zufluss ausländischen Kapitals ausgleichen. Da dies großen Staaten nicht möglich ist, erheben kleine Staaten im Steuerwettbewerb niedrigere Sätze und erhöhen gleichzeitig ihre Wohlfahrt. Aufgrund ihrer niedrigen Sätze gewinnen sie aber weniger hinzu, als die Großen an Wohlfahrt verlieren.
Um Steuerwettbewerb zu verstehen, ist außerdem die Unterscheidung zwischen realem und virtuellem Wettbewerb wichtig. Bei ersterem konkurrieren die Staaten um reale ökonomische Aktivität, also ausländische Direktinvestitionen. Da Standortentscheidungen auch von Faktoren wie Bildungsniveau, Arbeitskosten, Marktzugang und lokaler Infrastruktur abhängen, ist der Einfluss der Steuerpolitik hier erkennbar, aber nicht sehr hoch.
Die legale Steuervermeidung von Konzernen wird durch den Wettbewerb um sogenannte Papiergewinne ermöglicht. Steueroasen nehmen Zins- oder Lizenzeinkünfte beispielsweise von der Besteuerung aus oder erkennen firmeninterne Verrechnungspreise ungeprüft an. Unternehmen können dort also Gesellschaften gründen, die Konzerntöchter in Normalsteuerländern mit Krediten finanzieren und deren Gewinne über Zinszahlungen absaugen. Eine andere Strategie ist die Auslagerung von Lizenzrechten an diese Gesellschaften. Die Konzerntöchter in Normalsteuerländern müssen dann hohe Lizenzgebühren für die Nutzung von Software oder Markenrechten abführen, sodass dort (gewinn- und steuermindernde) Kosten entstehen, während der zu versteuernde Gewinn in der Steueroase realisiert wird. Empirisch zeigt sich, dass die deklarierten Unternehmensgewinne tatsächlich stark auf Steuersatzdifferenziale zwischen Staaten reagieren.
Die illegale Steuerhinterziehung insbesondere von Privatanlegern wird hingegen durch die zwischenstaatliche Konkurrenz um Portfolioanlagen ermöglicht. Das Geschäftsmodell der Steueroasen basiert hier auf extrem niedrigen oder gar keinen Steuern auf Kapitalerträge und einem strikten Bankgeheimnis. Dazu werden häufig Stiftungen, Trusts oder Briefkastenfirmen angeboten, die es Investoren erlauben, anonym zu bleiben und ihre Kapitaleinkünfte entgegen ihrer rechtlichen Verpflichtung vor dem Finanzamt am Wohnsitz zu verstecken.
In der Praxis geht es also überwiegend um virtuellen Wettbewerb: Anders als in den eingangs vorgestellten Modellen ziehen Steueroasen meist wenig realwirtschaftliche Aktivität an. Die Steuerzahler bleiben mit ihren Produktionsstandorten beziehungsweise Wohnsitzen in den Normalsteuerländern und verlagern lediglich ihre steuerpflichtigen Einkünfte oder Vermögen in Steueroasen. Sie nutzen also Infrastruktur und öffentliche Güter in den Ländern, in denen sie produzieren oder leben, ohne sich im vorgesehenen Umfang an deren Finanzierung zu beteiligen. Statt mit funktionierendem Wettbewerb haben wir es mit Schwarzfahrerei zu tun.
Obwohl der Steuerwettbewerb die Gesamtwohlfahrt mindert, produziert er Gewinner und Verlierer. Bei erster Betrachtung verlieren die großen, wirtschaftlich starken Länder, während Steueroasen profitieren, indem sie Buchgewinne und Portfoliokapital anziehen. Der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman schätzt, dass Steuervermeidung allein die USA 150 Milliarden Euro jährlich kostet, während Steuerhinterziehung weltweit pro Jahr Einnahmeausfälle in Höhe von 190 Milliarden Euro produziert.
Auch in Bezug auf die Verteilung der Steuerlast ergeben sich innerhalb der großen Industrieländer Probleme. Erstens hat die Art der Steuersenkungen Konsequenzen für die Verteilung der Steuerlast auf verschiedene Unternehmensgruppen. So haben die Industrieländer die Bemessungsgrundlagen verbreitert, um die Absenkung der nominalen Körperschaftsteuersätze zumindest teilweise zu finanzieren. Alle Unternehmen profitieren von der Absenkung der Sätze, aber nur die kleinen und mittelständischen Unternehmen sind von der Erweiterung der Bemessungsgrundlage betroffen, da sie weniger Möglichkeiten zur Gewinnverlagerung haben als multinationale Konzerne.
Steueroasen profitieren hingegen vom Steuerwettbewerb. Zwischen 1982 und 1999 erzielten sie höhere Wachstumsraten als der Rest der Welt, allerdings mit erheblichen Schwankungen, abhängig von der Qualität ihrer jeweiligen Institutionen.
Zusammengefasst: Der Steuerwettbewerb produziert einen globalen Wohlfahrtsverlust, der den Industriestaaten hohe Kosten aufbürdet. Die Steueroasen profitieren, die Nachhaltigkeit ihrer Gewinne ist aber zweifelhaft. In der funktionalen und interpersonalen Verteilungsperspektive profitiert eine kleine Zahl von Kapitalbesitzern zulasten vieler Arbeitnehmerinnen und Konsumenten.
Kampf gegen schädlichen Steuerwettbewerb
Die wenigen Profiteure innerhalb der Industriestaaten sind oft einflussreich genug, um die Eindämmung des internationalen Steuerwettbewerbs zu verhindern. Dementsprechend setzen die Regierungen der Industriestaaten internationale Regeln zur Bekämpfung von Steuerflucht meist nur durch, wenn betroffene Profiteure des Steuerwettbewerbs wenig politischen Einfluss haben. Wie die Analyse der wichtigsten Initiativen gegen schädlichen Steuerwettbewerb zeigt, haben die Industriestaaten aus diesem Grund bisher wenig gegen Steuervermeidung durch Konzerne ausgerichtet, während sie jüngst Erfolge bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung durch Privatpersonen erzielt haben.
Erste OECD-Maßnahmen
Zwischen 1991 und 1994 machten mehrere Berichte der OECD und des Internationalen Währungsfonds die Staatengemeinschaft darauf aufmerksam, dass Banken einen Großteil der internationalen Transaktionen in Steueroasen abwickelten und der Bestand komplett unversteuerter Gewinne und Vermögen stark angewachsen war. Um diese selbstgeschaffenen Trends wieder einzudämmen, riefen die Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industrienationen (G7) die OECD 1996 dazu auf, einen multilateralen Ansatz zur Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs zu entwickeln.
Die OECD antwortete 1998 mit einem Bericht, der schädliche Steuerpraktiken identifizierte und sich für deren Beseitigung aussprach.
Nach dem Amtsantritt von US-Präsident George W. Bush brach das Projekt zusammen. Mit einer regressiven Steueragenda angetreten, bewies seine Regierung ein offenes Ohr für Lobbyisten, die den Steuerwettbewerb als Disziplinierungsinstrument für einen überbordenden Staat priesen und die OECD verdächtigten, ein weltweites Steuerkartell schaffen zu wollen. Sie zog die US-Unterstützung für das Projekt und die dahinterstehende Sanktionsdrohung zurück und zwang die Organisation, die Steuervermeidung multinationaler Unternehmen von der Agenda zu nehmen. In der Folge sollte die OECD lediglich die Ausweitung des Informationsaustausches auf Anfrage erwirken, eine Maßnahme, die hauptsächlich auf die Vermeidung von Steuerhinterziehung durch Privatpersonen zielte. Dies gelang ihr ohne eine glaubhafte Sanktionsdrohung der G7 allerdings nicht. So weigerten sich selbst die OECD-Mitglieder Luxemburg, Österreich und Schweiz, eine Neuformulierung des Amtshilfeparagrafen in bilateralen Steuerabkommen anzuwenden.
Erste EU-Maßnahmen
Parallel zur OECD begann auch die EU, Maßnahmen gegen Steuerflucht zu treffen. Hierbei wurde sie allerdings von der sogenannten Politikverflechtungsfalle aufgehalten. So hatten sich die Mitgliedsstaaten zwar auf eine Liberalisierung des Kapitalverkehrs einigen können. Die unterschiedlichen Interessen von kapitalimportierenden und kapitalexportierenden Mitgliedsstaaten gepaart mit der Weigerung, eine Kernkompetenz des Nationalstaates auf die supranationale Ebene zu delegieren, hinderten sie allerdings daran, die fiskalischen Konsequenzen mittels gemeinsamer steuerrechtlicher Regeln abzufedern. Im Bereich der Unternehmensbesteuerung konnte der Europäische Rat 1997 zwar einen Verhaltenskodex gegen staatliche Steuervergünstigungen für ausländische Firmen verabschieden. Mitgliedsstaaten wie Irland, Luxemburg und die Niederlande reagierten darauf aber mit einer generellen Absenkung der Körperschaftssteuersätze und großzügigen Verrechnungspreiszusagen für einzelne Unternehmen. Sie konnten die im Verhaltenskodex kritisierten Steuerregime also abschaffen, ohne als Holdingstandort an Attraktivität einzubüßen.
Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung unterlag einer ähnlichen Dynamik. Das wichtigste Instrument in diesem Bereich war die EU-Zinsrichtlinie, die nach jahrzehntelangen Bemühungen 2003 verabschiedet wurde. Die Richtlinie sah vor, dass EU-Mitglieder und einige über Abkommen assoziierte Nichtmitglieder Informationen über Zinseinkünfte ausländischer Anleger austauschen. Allerdings wies ihre Erstfassung erhebliche Schwachstellen auf. Erstens konnten einige Steueroasen, darunter die EU-Mitglieder Österreich und Luxemburg, nur durch das Angebot zur Unterzeichnung bewegt werden, statt des automatischen Informationsaustausches eine Quellensteuer einzuführen. Drei Viertel der Einnahmen flossen anonym, also ohne Nennung der Anleger, an die Heimatstaaten. Zweitens war der Informationsaustausch auf Zinseinkommen beschränkt. So konnten Steuerhinterzieher die Richtlinie umgehen, indem sie statt in zinstragende Papiere in Aktien investierten. Alternativ gründeten sie eine Stiftung, die als Unternehmen ebenfalls nicht unter die Zinsrichtlinie fiel.
Bekämpfung von Steuerhinterziehung seit 2008
In den 2000er Jahren erkannten die Steuerfahnder der großen Industriestaaten, dass sie Steuerhinterziehung mit dem Informationsaustausch auf Anfrage nicht bekämpfen konnten. Stattdessen kamen sie durch Datenankäufe und Whistleblower an Informationen über Offshorevermögen. Politiker von SPD und US-Demokraten brachten die so gewonnenen Erkenntnisse in Deutschland und den USA an die Öffentlichkeit. Daraus entstanden 2008 die Skandale um die Bankhäuser LGT und UBS, die Befürworter eines härteren Vorgehens gegen Steuerhinterziehung nutzten, um ihr Anliegen auf die G20-Agenda zu heben. Die G20 delegierten die Aufgabe erneut an die OECD, die zunächst den Informationsaustausch auf Anfrage so verschärfte, dass nationale Gesetze Amtshilfe nicht mehr verhindern durften. Parallel erstellte die Organisation eine neue schwarze Liste und führte mit dem Global Forum on Transparency and Exchange of Information einen Prozess ein, in dem Steuerbeamte die Transparenz der Steuer- und Finanzsysteme anderer Länder bewerten. In der Folge setzten viele Steueroasen die OECD-Vorgaben formal um, wendeten die verschärften Regeln aber kaum an.
Die mittlerweile von Barack Obama geführte US-Regierung verlor mit dem langsamen OECD-Prozess bald die Geduld. Getrieben vom UBS-Skandal und einer progressiven Steueragenda, erarbeitete sie 2009 den Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA), der Anfang 2010 vom US-Kongress verabschiedet wurde. Das Gesetz verpflichtet ausländische Banken, ihre amerikanischen Kunden und deren Kapitaleinkünfte automatisch bei den US-Steuerbehörden zu melden. Weigert sich ein Finanzinstitut, werden alle Zahlungen, die es aus den Vereinigten Staaten erhält, mit einer Quellensteuer von 30 Prozent belegt. Aufgrund dieser Sanktionsdrohung signalisierten internationale Banken rasch Kooperationsbereitschaft. Allerdings wollten viele Regierungen vermeiden, dass "ihre" Banken in Vertragsbeziehungen mit einer US-Behörde eintreten. Die Vereinigten Staaten betteten FATCA also in bilaterale Verträge ein, die Partnerregierungen entweder verpflichteten, Informationen bei den lokalen Finanzinstituten einzusammeln und selber weiterzuleiten oder rechtliche Voraussetzungen für die direkte Meldung zu schaffen. Der Abschluss dieser Abkommen zwang Steueroasen somit, ihr Bankgeheimnis aufzugeben. Da aber der Zugang zum US-Finanzmarkt auf dem Spiel stand, stimmten sie ausnahmslos zu.
Damit verschlechterten sie auch ihre Verhandlungsposition gegenüber Drittstaaten. Innerhalb der EU zwang eine Meistbegünstigtenklausel Luxemburg und Österreich, am automatischen Informationsaustausch mit den anderen Mitgliedsstaaten teilzunehmen. Nichtmitglieder wie die Schweiz machten das gleiche Zugeständnis, da sie sich nicht mehr hinter der prinzipiellen Gültigkeit des Bankgeheimnisses verstecken konnten und ihre Finanzindustrien einen globalen Standard parallelen Prozeduren für verschiedene Länder vorzogen. Somit war der Weg frei für den multilateralen automatischen Informationsaustausch. Ab 2013 konzipierte die OECD den auf FATCA basierenden gemeinsamen Berichtsstandard, der 2014 mit einem multilateralen Abkommen verabschiedet wurde. Diesem Abkommen sind bisher 100 Staaten beigetreten, darunter alle traditionellen Steueroasen, nicht aber die USA. Tatsächlich verweigert das Land, das den automatischen Informationsaustausch durchgesetzt hat, auch in den FATCA-Verträgen die Reziprozität. Damit fügt sich die US-Regierung dem Widerstand heimischer Finanzinstitute gegen weitere Berichtspflichten. Anders als in Liechtenstein oder der Schweiz können Ausländer daher in einigen US-Staaten weiterhin anonym Briefkastenfirmen eröffnen und Vermögen vor dem heimischen Fiskus verstecken. Die Konsequenz ist eine Umverteilung von Kapital aus den traditionellen Steueroasen in die USA.
Bekämpfung von Steuervermeidung seit 2012
Wie bei der Steuerhinterziehung fußt auch der neuerliche Aktivismus bei der Bekämpfung von Steuervermeidung auf Skandalen, die die Unzulänglichkeit vorhandener Regeln unterstreichen. Zwar hatten deutsche und britische Finanzbeamte schon länger moniert, dass US-Unternehmen Gewinne unversteuert aus dem Binnenmarkt schleusen. Erst mit der Enthüllung des Steuermodells der Kaffeehauskette Starbucks gelang es aber, das Thema zu politisieren und auf die G20-Agenda zu setzen. Ziel war, Druck auf Irland, Luxemburg und die Niederlande auszuüben, die Konzernen nicht nur Zugang zum Binnenmarkt, sondern auch die steuerfreie Weiterleitung von Lizenzeinnahmen aus den übrigen EU-Mitgliedsstaaten ermöglichen. Dafür nehmen sie diese Einnahmen von der Besteuerung aus oder machen Unternehmen großzügige Verrechnungspreiszusagen. Gleichzeitig können sie EU-weite Gegenmaßnahmen im Ministerrat blockieren, während der Nichtdiskriminierungsgrundsatz des EU-Rechts Sanktionen einzelner Mitgliedsstaaten verhindert. Die Vereinigten Staaten waren der deutsch-britischen Initiative gegenüber zunächst aufgeschlossen, da US-Unternehmen die in Europa vermiedenen Steuern nicht etwa im Heimatland zahlen, sondern ihre Gewinne in Steueroasen wie Bermuda parken. Gemeinsam sorgten die drei Länder also dafür, dass die G20 wiederum die OECD beauftragten, einen Bericht über base erosion and profit shifting (BEPS) multinationaler Unternehmen vorzulegen.
Mit der Veröffentlichung des BEPS-Berichts 2015 traten die Interessenkonflikte zwischen den großen EU-Staaten und den USA jedoch offen zutage. Während Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Aktivitäten von US-Unternehmen an der Quelle besteuern wollen, verteidigen die Vereinigten Staaten ihr Besteuerungsrecht für das aus diesen Aktivitäten entstehende passive Einkommen. Sie möchten die Quellensteuerlast ansässiger Unternehmen also minimieren, um die von deren ausländischen Töchtern an die einheimische Mutter ausgeschütteten Erträge zu maximieren. Dieses Ziel verfolgen auch die EU-Staaten gegenüber Schwellenländern. Daher hält der BEPS-Bericht am Fremdvergleichsgrundsatz fest, der es Konzernen ermöglicht, Gewinne zwischen Niederlassungen zu verschieben. Gleichzeitig empfiehlt er Steuerbehörden aber die Ablehnung von Verrechnungspreisabsprachen, wenn die Niederlassung, die für die Nutzung eines Wirtschaftsguts Zahlungen von ihren Schwestern erhält, dieses nachweislich nicht kontrolliert. Während der BEPS-Bericht also an Grundprinzipien festhält, die Steuervermeidung erst ermöglichen, wehren sich die USA nachdrücklich gegen die Erweiterung des Quellenprinzips. Es ist daher unwahrscheinlich, dass das BEPS-Projekt Steuervermeidung nachhaltig einschränkt.
Vielversprechender erscheint hier der Vorschlag der EU-Kommission, eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage (GKKB) einzuführen. Diese sieht vor, den gesamteuropäischen Gewinn großer Konzerne zu ermitteln und dann anhand realwirtschaftlicher Faktoren wie Lohnsumme, Umsatz und Betriebsvermögen auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen. Gewinnverlagerungen ohne die gleichzeitige Verschiebung realwirtschaftlicher Faktoren wären damit im Binnenmarkt unmöglich.
Ausblick
Der bisherige Kampf gegen die schädlichen Aspekte des internationalen Steuerwettbewerbs und gegen Steueroasen war immer dann erfolgreich, wenn die USA glaubhaft mit Sanktionen gedroht haben. Sie tun dies allerdings nur unter einer von den Demokraten geführten Regierung, die sicherstellen muss, dass mächtige Interessengruppen möglichst nicht betroffen sind. Die USA gehen daher nicht nachdrücklich gegen Steuervermeidung durch Konzerne vor und haben beim automatischen Informationsaustausch einen doppelten Standard durchgesetzt, der die heimische Finanzindustrie bevorteilt. Die EU könnte diesen Zustand beenden, da sie mit dem Binnenmarkt ebenfalls über eine große Machtressource verfügt. Dafür müssen Kommission, EU-Parlament und Zivilgesellschaft aber dafür sorgen, dass einzelne Mitgliedsstaaten wirksame Maßnahmen gegen schädlichen Steuerwettbewerb nicht länger im Ministerrat blockieren. Staatsbeihilfeverfahren, Untersuchungsausschüsse sowie skandalträchtige Leaks und breite öffentliche Aufmerksamkeit sind ein guter Anfang. Sie müssen aber intensiviert werden, damit eine geeinte EU die Einhaltung globaler Standards auch von den USA einfordern kann. Bis dahin heißt es: Fortsetzung folgt.