Die Schlacht um Stalingrad (heute Wolgograd) von August 1942 bis Anfang Februar 1943 hat sich in das europäische Bewusstsein tief eingegraben als eine entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg. Obgleich andere Schlachten militärisch bedeutender gewesen sein mögen, hatte sie sowohl auf deutscher als auch auf sowjetischer Seite eine besondere psychologische Wirkung. So spielte der symbolüberladene Kampf um die Metropole an der Wolga über Jahrzehnte hinweg, bis in unsere Gegenwart, eine zentrale Rolle in der deutschen und sowjetischen beziehungsweise russischen Erinnerung an den Krieg. Dass diese äußerst unterschiedlich, widersprüchlich, gar gegensätzlich war (und ist), liegt im Ereignis selbst begründet. "Stalingrad" war nicht nur eine bedeutende militärische Auseinandersetzung zwischen Wehrmacht und Roter Armee. Die Schlacht wurde von den Kriegsgegnern ideologisch und weltanschaulich aufgeladen und galt bald als persönlicher Kampf der beiden Oberbefehlshaber Josef Stalin und Adolf Hitler.
Die Ideologisierung der Schlacht wurde nach ihrem Ende auf beiden Seiten weitergeführt: Die Nationalsozialisten inszenierten einen Untergangsmythos, der den Kampfeswillen der kriegsmüden deutschen Bevölkerung ein letztes Mal befeuern sollte. Der von der NS-Propaganda beförderte Stalingrad-Mythos fand seinen Widerhall auch nach 1945, wurde dekonstruiert, erneuert und verändert. Fortan wurde die Schlacht auf vielfältige Weise mit mythischen Ereignissen und legendären Begebenheiten verglichen. Die Sowjetunion dagegen organisierte einen Siegesmythos, um die Überlegenheit des Sozialismus zu demonstrieren und die Soldaten zum Weiterkämpfen zu motivieren. Mit dem Aufstieg zur Atom- und Supermacht nach dem Krieg wurde dieser noch verstärkt, und er sollte bis zum Zerfall der Sowjetunion nahezu unverändert fortwirken. Soldaten und Offiziere der Schlacht wurden auf beiden Seiten als "Helden" verehrt.
Keine Stunde Null
In den Nachkriegsgesellschaften der Bundesrepublik und der DDR wurden die alten Wehrmachtseliten schon bald wieder umworben. Scheinbar nahtlos gingen sie – nun auf verschiedenen Seiten der "Front" – als Autoritäten vom heißen in den Kalten Krieg über. Anders als im Westen Europas verlängerte der Kalte Krieg die Frontstellung im Osten. Eine gemeinsame Erinnerung von Deutschen und Sowjetbürgern war nicht möglich, da man sich bei den ehemaligen Kriegsgegnern kaum auf etwas einigen konnte, an was – und vor allem wie – erinnert werden sollte. Selbst das Gedenken der Deutschen in Ost und West war unterschiedlich und selektiv. Die Ausgangspunkte für einen gemeinsamen Umgang mit der jüngsten Vergangenheit hätten in der Nachkriegszeit nicht ungünstiger sein können. Zu verschieden, ja gegensätzlich waren die Sichtweisen, Deutungen und Wertungen. Eine Aussöhnung, wie sie in Westeuropa nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg zumindest teilweise gelang, war im Osten kaum möglich. Hier hatte Nazideutschland einen unvergleichbar brutaleren Feldzug geführt, der von Anfang an als Vernichtungskrieg geplant gewesen war.
Die Kontinuität von Antikommunismus und Antisowjetismus in der Adenauer-Ära sowie Wiederbewaffnung und Westintegration reaktivierten in Moskau alte Bedrohungs- und Invasionsängste. Andererseits schürte die Stalinisierung der Verhältnisse in der SBZ/DDR in Bonn Befürchtungen vor einem expansiven Kommunismus. An Verhältnisse, in denen es möglich war, sich der Kriegserinnerung gemeinsam – kritisch und vorurteilsfrei – zu nähern, war überhaupt erst zu denken, als die politischen Veränderungen ab Mitte der 1980er Jahre, die nicht nur den Osten Europas, sondern auch – oftmals unbemerkt – Sichtweisen im Westen veränderten, alte Frontstellungen endgültig aufbrachen. Einen bedeutenden Anteil am Gedenken und Erinnern der Schlacht in allen Phasen der Geschichte hatten Schriftsteller und Publizisten. In der Sowjetunion sollen fast 5000 Werke über die Schlacht um Stalingrad entstanden sein.
Sowjetische Erinnerung: "Schlacht des Jahrhunderts"
Der sowjetische Marschall Wassili Tschuikow nannte die Schlacht um Stalingrad später die "Schlacht des Jahrhunderts".
Bereits unmittelbar nach dem Ende der Schlacht sorgte eine Historikerkommission unter Leitung des angesehenen Moskauer Professors Isaak Minz für eine umfangreiche Befragung von Soldaten und Zivilisten, die die Kämpfe erlebt hatten. Dadurch, dass die Kommission verschiedene Zeugen zu den gleichen Vorgängen befragte, entstand ein fundiertes und differenziertes Gesamtbild – traditionsstiftend aber wurde es nie. "Die sowjetische Stalingrad-Geschichtsschreibung ist eine sehr heroisierende, die in ihrer Heroisierung auch dazu neigte, die einzelnen sprechenden Zeitzeugen zu unterdrücken."
Nach 1945 wurde zu den Jahrestagen der Sieg von Stalingrad in allen Medien gefeiert. Die grundlegende Perspektive änderte sich in sowjetischer Zeit kaum. Zu Anfang standen allein Stalin und – mit gebührendem Abstand – einige seiner Generale im Fokus. Ihnen beigeordnet waren ausgewählte Geschichten über "Helden" aus dem einfachen Volk, etwa des berühmten Scharfschützen Wassili Saizew. Die Masse der Soldaten spielte keine wesentliche Rolle, die Darstellung ihrer prekären Lebensverhältnisse und mangelhaften Ausrüstung ging über zaghafte Versuche nicht hinaus. Dass auch sie unter Angst und Hunger litten, private Probleme hatten, mit der Kommunistischen Partei nicht immer einer Meinung waren oder von einem Leben jenseits des Krieges träumten, spiegelte sich in der öffentlichen Erinnerung nicht oder nur kaum wider. Eine der Ausnahmen stammt von Viktor Nekrassow. Sein Roman "In den Schützengräben von Stalingrad" erschien bereits 1946. Der Autor war Offizier und schildert die Schlacht um Stalingrad aus der Sicht des unmittelbar Beteiligten. Sein Roman, den er im Lazarett zu schreiben begann, gilt bis heute als einer der authentischsten zum Thema. Die literarische Verarbeitung des Krieges hatte in der Sowjetunion allgemein eine große Bedeutung.
Nach der partiellen Entstalinisierung ab 1953 und dem "Tauwetter" verlor Stalin allmählich seine herausragende Rolle in den offiziellen Erinnerungen. Vergessen wurde sie jedoch nie. Ab Ende der 1950er Jahre dominierten nun Einzelschicksale die offizielle Erzählung von der "großen Schlacht an der Wolga". "Der Personenkult wurde quasi auf viele Volkshelden aufgeteilt, die – jeder an seiner Stelle oder in seiner Abhandlung – zum kultisch verehrten Helden stilisiert wurden: zu heldenhaften Scharfschützen, heldenhaften Artilleristen, heldenhaften Sanitäterinnen."
Die Krönung der sowjetischen Erinnerung bedeutete der Bau der Denkmalsanlage auf dem Mamajew-Hügel 1959 bis 1967. Sie wird weithin sichtbar dominiert von der Figur der "Mutter Heimat", die mit ihren 84 Metern zu den höchsten Statuen der Welt gehört. Auch wenn in der Ruhmeshalle eine Endlosschleife von Robert Schumanns "Träumerei" läuft, ist hier kein Platz für die Erinnerung an den Kriegsgegner, der in einem überlebensgroßen Relief der Außenanlage symbolisch zu einer Schlange verkommt, die der sowjetische Recke vernichtet.
Bundesdeutsche Erinnerung: Verratene Soldaten, verlorene Siege
In den Westzonen beziehungsweise in der Bundesrepublik ließ sich nach dem Krieg relativ unproblematisch an die alten bürgerlichen Gesellschaftsstrukturen anknüpfen. Die Teile der NS-Eliten, die 1949 in den Staatsdienst übernommen wurden, hatten nun ihren – erstaunlich geräuschlosen – Anteil am Aufbau einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Für die westdeutsche Sicht in der Nachkriegszeit wurde der Titel von Erich von Mansteins Memoiren prägend: "Verlorene Siege". Manstein war als Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Don direkter Vorgesetzter der in Stalingrad eingekesselten 6. Armee gewesen. In seinem Erinnerungen findet sich zwar die Einschätzung, der deutsche Überfall auf die Sowjetunion hätte der dortigen Zivilbevölkerung "Leid und unvermeidliche Härten gebracht", doch seien diese "nicht zu vergleichen mit dem, was der Bombenterror für die Zivilbevölkerung in Deutschland gebracht" habe.
Die Frage nach deutscher Schuld wurde in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit der Nachkriegszeit kaum gestellt beziehungsweise galt nach den Urteilen in den Nürnberger Prozessen als erledigt. Die Aversion gegen die Sowjetunion war aufgrund der Erinnerung an die harten Bedingungen in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern, die sich oftmals in unwirtlichen Gegenden befanden, und der langen Internierungszeit weit verbreitet. Ausgeblendet wurde dabei, dass die Versorgung der deutschen Kriegsgefangenen zwar karg und oft nicht ausreichend war, aber in der Regel nicht schlechter als die der meisten Sowjetbürger, und dass die Wehrmacht mit der Politik der verbrannten Erde an der prekären wirtschaftlichen Situation durchaus ihren Anteil hatte. Die restriktive Informationspolitik der Sowjetunion in Bezug auf den Verbleib vieler Kriegsgefangener nährte – haltlose – Spekulationen über "Schweigelager" in Sibirien und die Existenz von Sklavenbataillonen in sibirischen Erzgruben, die die Boulevardpresse dankbar aufnahm und beförderte. Selbst zaghafte Annäherungsversuche zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern stießen auf heftigen Unwillen in der westdeutschen Öffentlichkeit. Ottmar Kohler, ein durch die Medien weithin bekannter Wehrmachtsarzt der 6. Armee, polemisierte im Oktober 1954 in einem offenen Brief heftig gegen ein Eishockeyspiel von Dynamo Moskau in Köln.
Mit den gesellschaftlichen Veränderungen ab 1968 und dem Regierungsantritt von Willy Brandt verlor sich in der Bundesrepublik das meist rückwärtsgewandte Interesse an Stalingrad. Der Zeitgeist hatte sich – etwas – gedreht. Dass die Aufmerksamkeit für Stalingrad auf einen Tiefpunkt sank, war "nicht nur auf die Abneigung der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft und ihrer Medien gegenüber dem Thema zurückzuführen. Auch die davon unmittelbar Betroffenen, also jene ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die ‚Stalingrad‘ und Kriegsgefangenschaft überlebt hatten, waren zu dieser Zeit an einer Rethematisierung offenbar wenig interessiert. (…) Einerseits offenbar in hinreichender Distanz zu der traumatischen Erfahrung ihrer jungen Erwachsenenzeit, andererseits noch nicht alt genug, um das Bedürfnis zu verspüren, sich ihr in bilanzierender Weise noch einmal zu stellen."
Anders als in der DDR, wo die Erinnerung an die gefallenen Wehrmachtsangehörigen verdrängt wurde, wurde sie in der Bundesrepublik zu einem Ritual erhoben. Lange spielten dabei nur die eigenen Opfer eine Rolle. Regelmäßig veranstaltete der 1958 gegründete Bund ehemaliger Stalingradkämpfer Gedenkveranstaltungen, teilweise unter Beteiligung der Bundeswehr. Das Gedenken hatte dabei auch immer einen Bezug zur aktuellen politischen Verfasstheit der Gesellschaft. So protestierte der Stalingradbund 1988 – erfolglos – gegen die Würdigung des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) und des Bundes Deutscher Offiziere (BDO) in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Beide Organisationen waren 1943 kurz nach der Schlacht von Stalingrad von deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion gegründet worden, was sie in den Augen vieler Mitglieder des Stalingradbundes pauschal zu kommunistischen Handlangern machte. Die Blockbildung nach 1945 hatte die alte Kameradschaft offenbar ausgehöhlt. 1990 nahm der Stalingradbund einige neue Mitglieder aus der DDR auf. Einem teilnehmenden Pfarrer kamen Zweifel am Ritual: "Ist das, was wir hier tun, nicht anachronistisch, von der Geschichte nicht längst überholt?"
Zahlreiche kleinere Stalingrad-Gedenkstätten entstanden in Westdeutschland und Österreich, die stets ausschließlich an Leid und Tod der Wehrmachtsangehörigen erinnerten – die prominenteste wohl in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Berlin. Hier fand die von Kurt Reuber in sowjetischer Gefangenschaft geschaffene "Stalingrad-Madonna" nach dem Krieg ihren Platz. Heute werden hier auf einer Informationstafel zumindest auch die Stalingrader Zivilisten erwähnt, die im deutschen Bombenhagel starben.
Erinnerung in der DDR: Auf der Seite der Sieger
In der SBZ/DDR war die Einbeziehung der Wehrmachtseliten in die neue Gesellschaftsordnung, vor allem aber deren Legitimierung, komplizierter als in der Bundesrepublik. Die Deutschen hatten "noch mit allen Vieren Granaten gedreht für Hitler" (Heiner Müller). Wie konnte man mit ihnen jetzt den Sozialismus aufbauen? Prägend für die ostdeutsche Nachkriegsgesellschaft ist der Begriff der "Wandlung" in einer Mischung aus Legende, Opportunismus, ehrlichem Angebot und bewusstem Bestreben. Die Anschauungen vieler Angehöriger der 6. Armee hatten sich durch ihre Erfahrungen zum Teil radikal verändert: "Das fürchterliche Stalingrad hat uns aufgerüttelt und sehend gemacht", schrieb etwa der ehemalige Wehrmachtsgeneral Otto Korfes in einer seiner ersten Postkarten aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft.
Am überzeugendsten war eine solche Wandlung in vielerlei Hinsicht bei den "Stalingradern". Wie keine andere Gruppe von Wehrmachtsangehörigen fühlte sie sich von der NS-Führung "verraten", was der an Heinrich Gerlach erinnernde Romantitel "Verratene Grenadiere" (1967) von Helmut Welz dokumentiert. Es waren ehemalige Stalingrad-Kämpfer, die 1943 maßgeblich an der Gründung des NKFD beteiligt gewesen waren. An der Seite emigrierter deutscher Kommunisten und Sozialisten, Politiker und Künstler hatten sie sich, geschult durch sowjetische Intellektuelle und Angehörige der Roten Armee, aktiv für einen Sturz des NS-Regimes und eine rasche Beendigung des Zweiten Weltkrieges eingesetzt. Da sich viele Stalingrader als verlässliche Partner im Kampf gegen Hitler erwiesen hatten, wurde ihnen auch im Nachkriegsdeutschland eine wichtige Rolle zugedacht. Weil an ihnen nach Kriegsende im Westen das Stigma des Verrats haftete, war es durchaus plausibel, nach der Entlassung aus der Gefangenschaft in die SBZ zu gehen. Ein gewisser Druck der Roten Armee tat sein Übriges.
So wurde der genannte General Korfes, im Zivilberuf Archivar, zunächst Leiter des DDR-Zentralarchivs in Potsdam. Doch schon kurze Zeit später verließ er diesen Posten wieder: "Sie waren mir in Stalingrad ein so guter Gegner – solche Männer wie Sie braucht die zukünftige Armee der DDR." Mit diesen Worten soll Marschall Tschuikow, inzwischen Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, Korfes überzeugt haben, wieder Militär zu werden.
Zur Beerdigung von Paulus in Dresden erschienen 1957 viele ehemalige Wehrmachtsangehörige. Hier soll die Idee geboren worden sein, die Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Offiziere (AeO) zu gründen. Doch dies ist eine Legende. Die Gründung der AeO erfolgte auf Initiative der SED-Führung.
So könnte man annehmen, zumindest für ein gemeinsames sowjetisch-ostdeutsches Erinnern hätte es günstige Voraussetzungen gegeben. Die Freundschaft mit der Sowjetunion besaß ab 1968 in der DDR Verfassungsrang, die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft zählte mehrere Millionen Mitglieder. Doch über die Vergangenheit gab es keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Die Erinnerung in der DDR galt hauptsächlich ebenfalls den sowjetischen Opfern und "Helden" des Krieges. Selbst ein kritisches Erinnern an die Angehörigen der 6. Armee, die Täter eines barbarischen Krieges waren und in Stalingrad zugleich seine Opfer, war Tabu. Da die Wehrmacht undifferenziert als faschistisch betrachtet wurde, war das Gedenken an die deutschen Gefallenen in der DDR unerwünscht. Die Freundschaft zum "großen Bruder" Sowjetunion wurde im Laufe der Zeit immer stärker ritualisiert. Die staatlich verordnete Beziehung blieb weitgehend Fassade, obgleich es dahinter durchaus auch private Freundschaften gab. Mehrfach fanden aufwendig inszenierte "Festivals der Freundschaft zwischen dem Komsomol und der FDJ" statt, eines davon 1977 in Wolgograd. Höhepunkt war ein Fackelzug Tausender Jugendlicher zur "Mutter Heimat" auf dem Mamajew-Hügel.
Die Erinnerung an Stalingrad in der DDR unterschied sich nicht wesentlich von der in der Sowjetunion. Auch hier wurde nach der Entstalinisierung der Terminus "große Schlacht an der Wolga" bevorzugt. Zu allen runden Jahrestagen wurde ihr stets erhebliche Beachtung zuteil. Die Presse berichtete auf den Titelblättern, allen voran die "National-Zeitung" der NDPD, die zu diesen Anlässen häufig prominente Stalingrad-Offiziere für sich schreiben ließ. In der Honecker-Ära verschoben sich die politischen Gewichtungen. Berichte über die Schlacht wurden im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" nunmehr ausschließlich von sowjetischen Autoren, zumeist Generälen, verfasst. Betont wurde die Kampfeskraft der Roten Armee und ihr herausragender Anteil an der Zerschlagung des Faschismus – als Warnung für die aktuellen Gegner im Kalten Krieg.
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Die "freundschaftliche Verbindung zwischen Städten", wie diese Überschrift heißt, also Städtepartnerschaften, begründeten seit Ende der 1980er Jahre neue Formen gemeinsamer Geschichtsaufarbeitung. Für einen historischen Ausgleich bedarf es jedoch nicht nur Kenntnisse der Sprache des Anderen, um ihn zu verstehen. Es bedarf auch einer Akzeptanz anderer Denkweisen und kultureller Prägungen sowie des Bemühens, sie mit dem Eigenen in Verbindung zu bringen.
Bereits in den 1970er Jahren knüpften Westberliner Gewerkschaften – nicht ganz offiziell – Kontakte mit den Gewerkschaften in Wolgograd. 1991 veranstalte dann der Deutsche Gewerkschaftsbund Berlin/Brandenburg, nunmehr offizieller Partner der Wolgograder Gewerkschaften, zum ersten Mal in der Geschichte eine Ausstellung über die Schlacht um Stalingrad, in der man sich bemühte, beide Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen und das Gemeinsame im scheinbar Trennenden auszuloten.
Wie wichtig für wirklich gemeinsames Gedenken und Erinnern die Akzeptanz in der Bevölkerung jenseits der Staatsräson und Initiativen "von unten" sind, beweisen die deutschen Städtepartnerschaften mit Wolgograd: Seit 1988 gibt es sowohl mit Köln als auch mit Chemnitz (damals noch Karl-Marx-Stadt) entsprechende Verbindungen. Besonders der rege Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft in Köln – eine Gründung von Bürgerinnen und Bürgern, der einige Jahre später die Gründung eines Partnervereins in Wolgograd folgte – hat über Jahrzehnte feste Kontakte zu Wolgogradern geknüpft, aus denen viel gegenseitiges Verständnis erwuchs.
Dass Versöhnung und gemeinsames Gedenken möglich sind, unterstreichen auch die Aktivitäten jüngerer Generationen, deren Biografien nicht mehr durch eigenes Kriegserleben belastet sind. Vielleicht bedurfte es dieser Distanz, nach all den von Deutschland ausgegangenen und später wechselseitig verübten Verbrechen, um die gemeinsame historische Erfahrung auch in eine gemeinsame Erinnerung einfließen zu lassen. Heute gibt es verschiedene Initiativen und Programme für einen gegenseitigen Jugendaustausch. Die Außenminister Russlands und Deutschlands verkündeten im März 2016 in Moskau als Schirmherren das deutsch-russische Jahr des Jugendaustausches 2016/17 der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch. Die Stiftung fördert Projekte wie etwa das Projekt "Völkerverständigung: Stalingrad/Wolgograd – Geschichte des zweiten Weltkriegs" des Max-Planck-Gymnasiums München oder die Erarbeitung und Aufführung der Kantate "Die Madonna von Stalingrad" durch die SingAkademie Niedersachsen und den Studentenchor der Finanzuniversität Moskau im Rahmen einer Musikwoche. Über sieben Jahrzehnte nach den blutigen Kämpfen scheint die Zeit gekommen, der Schlacht schließlich doch gemeinsam gedenken zu können.