US-Präsident Donald Trump wird seine Erklärungen aus dem Wahlkampf, er wolle eng mit Russland zusammenarbeiten, rückblickend womöglich als "Geschwätz von gestern" abtun. Vier Monate nach seiner Vereidigung holt das Amt den Wahlkämpfer ein: Die NATO ist nun doch nicht mehr "obsolet", Moskau soll die Krim an die Ukraine zurückgeben, und er selbst befindet sich mit Russland tatsächlich nicht mehr "auf einer Wellenlänge".
Noch am gleichen Tag verurteilte der Kreml die US-Bombardierungen zu Recht als "völkerrechtswidrig". Es handele sich um "eine Aggression gegen einen unabhängigen Staat unter einem erfundenen Vorwand". Moskau zeigte sich enttäuscht: Immerhin hatte Trump den Kampf gegen den internationalen Terrorismus, insbesondere gegen den selbsternannten "Islamischen Staat", als eines seiner prioritären sicherheitspolitischen Ziele ausgegeben, und der Kreml hatte gehofft, zumindest auf diesem Feld enger mit den USA zusammenzuarbeiten. Russlands Präsident Wladimir Putin bewertete den US-Schlag daher nicht nur als "Versuch, von den vielen zivilen Opfern im Irak abzulenken", sondern auch als Hebel, um "das Feindbild Russland" zu reaktivieren und "die westlichen Mächte zu konsolidieren".
Empört reagierte das russische Außenamt auch auf Unterstellungen der baltischen Nachbarländer, Russland sei eine akute Bedrohung für Europa. Insbesondere der Appell der litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaitė an die USA, man möge Truppen und Raketenabwehrsysteme in Litauen stationieren, wiesen Russlands Diplomaten als "absurd" und "russophobe Paranoia" zurück. Die Politiker der baltischen Staaten seien besessen vom "Damoklesschwert einer mythischen russischen Bedrohung". Dabei bekämpfe Russland "mit allen Kräften jeden Versuch einer internationalen Aggression".
Verhältnis zu den USA
Moskaus Hoffnung, mit Donald Trump könnte ein pro-russischer US-Präsident ins Oval Office gelangt sein, hat sich bislang offenbar nicht erfüllt – zu tief sind die sicherheitspolitischen Differenzen zwischen beiden Großmächten. Zudem sind Trumps Aufrüstungsbestrebungen und seine isolationistische Agenda ("America first") dazu geeignet, Russland und die USA weiter auseinanderzutreiben. Allein die Ankündigung, den Militäretat der Vereinigten Staaten um 54 Milliarden US-Dollar erhöhen zu wollen – also um mehr als zwei Drittel des gesamten russischen Verteidigungsbudgets
Wie in vielen Punkten unterscheidet er sich auch hierin von seinem Amtsvorgänger Barack Obama. Dieser hatte im Herbst 2009 die Planungen für ein Raketenabwehrsystem in Osteuropa auf Eis gelegt, seine Entscheidung aber auf innenpolitischen Druck der Republikaner hin zurücknehmen müssen. Positiv hatte Moskau auch Obamas Bereitschaft bewertet, im April 2010 in Prag den russisch-amerikanischen Vertrag zur Verringerung strategischer Atomwaffen (New START) zu unterzeichnen (den Trump dann später in seinem ersten Telefonat mit Putin barsch als "schlechten Deal" bezeichnete).
Das einigermaßen positive Bild Obamas in Moskau wandelte sich aber spätestens, als er 2014 den aus russischer Sicht "faschistischen Machtwechsel" in Kiew und die europäische Sanktionspolitik gegen Russland nach der "Eingliederung" der Krim unterstützte. Moskau prangerte die "US-Aggression" an und kritisierte die "russophobe US-Politik".
Vor diesem Hintergrund schien Donald Trump, der seine Präsidentschaftskandidatur mit dem Versprechen antrat, gegen Washingtons liberales Establishment regieren zu wollen, für den Kreml der günstigere Kandidat zu sein. Seine Kontrahentin Hillary Clinton hatte sich bereits öffentlich für eine klare Machtpolitik gegen Russland ausgesprochen. Zudem unterstützte sie das Fracking, um die USA unabhängiger von Öllieferanten zu machen. Ihre Pläne, dadurch frei werdende Ressourcen zu verwenden, um "unseren europäischen Verbündeten [zu] helfen, ihre Abhängigkeit von Russland zu verringern",
Bedrohungswahrnehmung
Die aktuelle NATO-Strategie gegenüber Russland, die auf "Abschreckung und Dialog" setzt, wird in Moskau als Bestätigung vermeintlicher Angriffspläne aufgefasst. Dem transatlantischen Bündnis werden dabei eine "Dämonisierung" Russlands und das Herbeireden einer "nicht-existierenden Bedrohung aus dem Osten" vorgeworfen.
Die Feststellung, dass Russland bedroht werde, findet sich zuhauf in sicherheitspolitischen Reden Moskauer Politiker, in Fernsehsendungen und zahlreichen Studien. Sie vermitteln den Eindruck eines von Feinden eingekreisten Landes, das sich gegen einen Dritten Weltkrieg wappnen müsse.
Besonders dieser letzte Punkt ist Präsident Putin wichtig; denn die Entscheidung des Kiewer Parlaments Ende 2014, den Status eines blockfreien Staates abzulegen und der Ukraine damit potenziell den Weg in die NATO zu eröffnen, hat zugleich verhindert, dass das "Bruderland" Mitglied in der von Russland geprägten Eurasischen Wirtschaftsunion wurde. Mit Russlands Intervention auf der Krim und der Unterstützung der selbsternannten Donezker und Luhansker Republiken förderte der Kreml jedoch nicht nur den antirussischen Kurs der Ukraine, sondern auch die Herausbildung einer ukrainischen Nation.
Mit oder ohne Ukraine bleibt die NATO-Osterweiterung ein Stachel im Fleisch der Moskauer Sicherheitspolitik.
Auch der renommierte Soziologe Lew Gudkow, dessen unabhängiges Lewada-Meinungsforschungsinstitut Ende 2016 vom Justizministerium zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, kritisiert die "antiwestliche Mobilisierungsrhetorik des Kremls gegenüber dem Feind im Westen".
So verfällt der Kreml nur zu gerne in eine Opferrhetorik. Solange wir "bitter arm und schwach waren", hätten die westlichen Politiker Russland "lieb" gehabt, sagte Putin etwa im Frühjahr 2015 in einem Interview. "Nachdem wir uns erhoben haben", wolle man Russland "wieder auf die Knie zwingen". Es störe die internationalen Partner offenbar, "dass Russland selbstbewusst seine geopolitischen Interessen" verteidige.
"postwestliche Weltordnung"?
Nach dem Scheitern der Modernisierungspolitik in den 1990er und 2000er Jahren setzte die russische Staatsführung ab 2012 auf die Idee eines "russischen Sonderweges". Zu den Kernelementen dieses Sonderwegs gehören der imperiale Patriotismus, die Sakralisierung der Macht und die Neuerfindung der eurasisch-russischen Zivilisation auf der Grundlage konservativer Werte.
Der offiziellen russischen Propaganda zufolge sei das "zivilisatorische Segment" der russischen Sicherheitspolitik an ein Wertesystem gebunden, das als einziges "die wahren christlich konservativen Werte" in Europa und in der Welt verteidige. Selbst die völkerrechtswidrige Annexion der Krim wird als Widerstand gegen die dekadente westliche Zivilisation dargestellt.
Während Lawrow bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2017 eher vage von einem "postwestlichen" Zeitalter sprach, präzisierte er seine Vorstellungen einer neuen Weltordnung bei einem Treffen mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel am 9. März 2017: "Die Welt wird objektiv ‚postwestlich‘, das heißt, das westlich-liberale Zeitalter ist gescheitert, im Vordergrund steht jetzt das Nationale." Die pervertierten abendländischen Werte gehörten nicht zu den universellen Werten der Weltreligionen, daher müsse "westlich" neu definiert werden.
Deutsch-russische Verhältnisse
Umfragen des Moskauer Instituts für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften zufolge ist Deutschlands Ansehen in Russland seit einigen Jahren schlagartig gesunken: Demnach zählten im März 2014 rund 19 Prozent der Befragten Deutschland zu den "Feinden Russlands". Die Bundesrepublik belegt damit den dritten Platz hinter den USA (74 Prozent) und der Ukraine (30 Prozent). 1995 hatten noch 69 Prozent eine "eher positive Meinung" über Deutschland – diese Zahl sank 2014 auf 44 Prozent, zugleich stieg der Anteil der "eher negativ" Eingestellten von 12 auf 36 Prozent.
Eine Ursache für den Stimmungswandel liegt darin, dass Deutschland die EU-Sanktionen unterstützt, die wegen der Krim-Eroberung gegen Russland verhängt wurden. Da Moskau derzeit eher vorsichtig gegenüber den USA agiert, stehen vor allem Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Feuer der russischen Kritik – ihr wird nun quasi stellvertretend die Rolle des Erzfeindes zugewiesen. Das gilt sogar für eher wissenschaftliche Publikationen wie dem Magazin "Internationales Leben", das vom russischen Außenministerium herausgegeben wird. Zugleich wird den deutschen Medien unterstellt, Hass auf Russland zu schüren. In Moskau hofft man daher auf einen Wechsel im Kanzleramt, auf einen zweiten Willy Brandt und eine "neue Ostpolitik".
Die deutschen Korrespondenten, die aus Moskau berichten, erwähnen die antideutsche Hysterie, die im russischen Fernsehen zu bestaunen ist, allenfalls beiläufig. Ein früher Auslöser für den Beginn der Hetze war der letztlich gescheiterte Vermittlungsversuch des früheren deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier zu Beginn des Ukraine-Konflikts. Dank seiner Bemühungen hatten der damalige ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch und Oppositionsvertreter der Euromajdan-Bewegung am 21. Februar 2014 die deeskalierende "Vereinbarung über die Beilegung der Krise in der Ukraine" geschlossen.
Welche Blüten Verschwörungstheorien in der russischen Politik und in den staatlich gesteuerten Medien treiben, zeigt eine skurrile Begründung für die deutsche Unterstützung der "ukrainischen Faschisten": Demnach habe Berlin einen "Anschluss" der Ukraine an die EU als neues "Reich" unter deutscher Führung erreichen wollen. Der populäre Moderator der Fernsehsendung "Militärgeheimnis" und Buchautor Igor Prokopenko war sich sogar nicht zu schade, Mutmaßungen über die Abstammung der Bundeskanzlerin anzustellen, um ihre Haltung gegenüber Russland zu erklären: "Böse Zungen in Europa" würden nicht müde, "Gerüchte zu verbreiten, dass Bundeskanzlerin Merkel die wahre Tochter von Adolf Hitler ist". Später dementierte er diese Mär zwar,
Doch trotz all des Vertrauens, das in den vergangenen Jahren verloren ging, und auch wenn in Moskau "die Experten" im Fernsehen zurzeit den alten Kriegsspruch "Nach Berlin!" hinausposaunen, bleibt berechtigte Hoffnung auf eine Verbesserung: Denn Russland ist und bleibt auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland angewiesen. Eine Normalisierung der deutsch-russischen Beziehungen ist daher nicht unwahrscheinlich. Viel wird auch davon abhängen, ob es gelingt, den Minsker Prozess in der Ostukraine wiederzubeleben und so die Sanktionspolitik zu beenden. Wie Präsident Putin zuletzt bei seinem Treffen am 2. Mai 2017 mit Bundeskanzlerin Merkel in Sotschi auf der gemeinsamen Pressekonferenz betonte, ist Deutschland mit 16 Milliarden US-Dollar nach wie vor der größte Investor in Russland. Umgekehrt zeigte sich auch Kanzlerin Angela Merkel an einer Entspannung der bilateralen Beziehungen interessiert: Mit Blick auf die lange Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen sei es "geboten, dass die heute Verantwortlichen dieses Gespräch auch immer wieder suchen".