"Sein Name", kündigte Friedrich Engels 1883 bei der Beerdigung von Karl Marx an, "wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk". Dass Marx als Kristallisationspunkt des Sozialismus eine große Wirkung auf die politische Weltgeschichte hatte, ist eine Binsenweisheit. Dennoch ist die heutige Marx-Faszination erstaunlich: 150 Jahre nach Erscheinen des ersten Bandes von Marx’ Hauptwerk "Das Kapital" besteht immer noch großes Interesse an seinen Schriften sowie daran, sie zu verstehen und in Lesekreisen über ihre "richtige" Auslegung zu diskutieren.
Marx selbst bezeichnete sein Hauptwerk als "Saubuch", weil sich der Schreibprozess immer länger hinzog. Zu Lebzeiten konnte er nur den ersten Band beenden. Erst nach seinem Tod veröffentlichte Engels den zweiten und dritten Band aus den vorhandenen Manuskripten. Über die Gründe der Nichtvollendung wird bis heute spekuliert: Waren es Marx’ gesundheitliche Probleme, seine materielle Not oder seine bisweilen unsystematische Arbeitsweise, die ihn vom Schreiben am "Kapital" abhielten? Oder stand er schlichtweg vor theoretischen und konzeptionellen Widersprüchen, die er nicht auflösen konnte?
Nachdem Marx mit dem Ende der Sowjetunion 1991 "in der Praxis" widerlegt zu sein schien, erlebte sein Werk mit dem Beginn der globalen Finanzkrise eine Renaissance: So war "Das Kapital" in der Hochphase der Krise im Oktober 2008 zeitweise vergriffen und musste nachgedruckt werden. Banken-, Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise hielten das Interesse aufrecht. Doch was erwarten Leserinnen und Leser in Krisenzeiten von einer tausendseitigen ökonomischen Studie, deren Lesart umstritten ist und deren Lektüre Jahre beanspruchen kann? Oder anders: Warum leben Marx und sein Werk durch die Jahrhunderte fort?