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Amerika, Deutschland und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen - Essay | USA | bpb.de

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Amerika, Deutschland und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen - Essay

Andrew B. Denison

/ 9 Minuten zu lesen

Mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump, der im Wahlkampf mit dem Slogan "America first" punktete, die NATO noch kurz vor seinem Amtsantritt für obsolet erklärte, den Brexit als "klug" bezeichnete und bekundete, die europäische Einigung sei ihm "egal", drängen sich viele Fragen über die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft und der deutsch-amerikanischen Freundschaft auf. Die kommenden Jahre werden jedoch von mehr als Wahlkampfrhetorik geprägt sein. Denn Präsidenten und Regierungschefs kommen und gehen, aber die Interessen bleiben bestehen, und vieles spricht für den weiteren Ausbau der Beziehungen der USA zu Deutschland und Europa.

Neue Geschäftsgrundlage?

Bei seiner ersten persönlichen Begegnung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. März 2017 im Weißen Haus war Donald Trump wie so viele US-Präsidenten vor ihm denn auch voll des Lobes für die deutsch-amerikanische Freundschaft und unterstrich die Bedeutung der NATO. Auf die ihm eigene Art schlug er klassische Töne an und versicherte, die gesamte Welt gehe die Vereinigten Staaten etwas an: "A strong America is in the interests, believe me, of the world as a whole". Wie auch Merkel betonte er die gemeinsamen Interessen und Werte der USA und Deutschlands und hob die Erfolge der engen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern hervor, an die es anzuknüpfen gelte: "The close friendship between America and Germany is built on our shared value. We cherish individual rights, we uphold the rule of law, and we seek peace among nations. Our alliance is a symbol of strength and cooperation to the world. It is the foundation of a very, very hopeful future."

Erst wenige Monate zuvor hatte Merkel mit Trumps Amtsvorgänger Barack Obama die gemeinsamen Ziele angesichts der vielfältigen globalen Probleme durch Krieg, Terrorismus, Armut und Klimawandel vom Ansatz her ähnlich formuliert. Nach Obamas letztem offiziellen Besuch in Berlin im November 2016 hatten sie gemeinsam ein Papier veröffentlicht, in dem sie die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit hervorhoben: "Jetzt, da die Weltwirtschaft sich schneller denn je entwickelt und die globalen Herausforderungen so groß wie nie sind, ist diese Zusammenarbeit wichtiger als jemals zuvor."

Über die Notwendigkeit, zu kooperieren, bestehen zwischen Washington und Berlin also keine Zweifel. Schwieriger scheint es jedoch, sich über die relative Priorität der verschiedenen Ziele auch im Verhältnis zu innenpolitischen Zielen zu einigen. Das gilt vor allem mit Blick auf notwendige Investitionen zur Bewältigung künftiger (gemeinsamer) Herausforderungen. Über Prinzipien hinaus Prioritäten für Investitionen in die Zukunft festzulegen, bedeutet auch, Opportunitätskosten zu erkennen und zu bezahlen.

So beobachten die USA mit zunehmendem Unwillen, dass die europäischen Länder sich offenbar darauf verlassen, dass die Unruhen rund um sie herum entweder nicht gefährlich sind oder in der Verantwortung der Vereinigten Staaten bleiben. Die meisten europäischen Mitglieder der NATO halten ihre Verpflichtung zur Steigerung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht ein. Das belastet auch die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika, denn Europas größte und reichste Volkswirtschaft ist mit einem Verteidigungsbudget in Höhe von 37 Milliarden Euro nach wie vor weit davon entfernt, die NATO-Vorgabe einzuhalten. Bei einem Bruttoinlandsprodukt von 3,1 Billionen Euro müsste die Bundesrepublik eigentlich 62 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben. Diese "Trittbrettfahrerei" Europas hatte auch Obama kritisiert. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger im Weißen Haus, George W. Bush, sei er Europa entgegengekommen und dennoch enttäuscht worden. Gemeinsame Interessen zu verkünden, scheint eine Sache zu sein, gemeinsame Lasten zu teilen, eine andere.

Wie mit Obama verhandelt Merkel jetzt mit Trump vor diesem Hintergrund die Zukunft der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Während der gemeinsamen Pressekonferenz nach ihrem ersten Treffen sprach Trump von "unbezahlten Schulden", forderte eine "faire Verteilung" der Verteidigungskosten und setzte anschließend entsprechende Tweets ab. Gemessen an seiner Würdigung der guten Beziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten sowie des transatlantischen Verteidigungsbündnisses, handelte es sich dabei aber eher um eine Nebensache. Auch Merkel erinnerte an Differenzen, mit denen es umzugehen gelte.

Es scheint, als bilde sich eine neue Geschäftsgrundlage auf Basis alter Interessen heraus: mehr Zusammenarbeit, Handel und Austausch, aber bei vergleichbarem Engagement beider Seiten. Mehr als je zuvor hängt also von Deutschland ab: von seiner Bereitschaft, seine Investitionen in die langfristige Stabilität Europas zu erhöhen, seine Integrationsfähigkeit zu steigern und seine Binnennachfrage zu stärken. Eine solche veränderte deutsche Politik würde eine stärkere transatlantische Partnerschaft bedeuten, die Wladimir Putin in Russland ebenso wenig gefallen würde wie Baschar al-Assad in Syrien oder Ajatollah Khamenei in Iran. Das wiederum ist in Deutschlands Interesse, wer auch immer im Weißen Haus sitzt.

Nach dem ersten persönlichen Treffen zwischen Trump und Merkel gilt es also, nochmals zu unterstreichen: Persönlichkeiten sollte man nicht mit Interessen verwechseln.

Amerikanische Interessen

Reduziert auf ihre Essenz, bestehen die amerikanischen Interessen aus dem Streben nach "life, liberty, and the pursuit of happiness" sowie aus der Erwartung der Amerikanerinnen und Amerikaner, dass ihre Regierung diese Interessen schützt. Seit etwa einem Jahrhundert gilt ferner, dass die Erfüllung dieser Erwartung durch den Ausbau und die Sicherung des globalen Friedens, der Freiheit und des Wohlstands einfacher ist.

Zwar wird die Wahl Donald Trumps häufig als Zeichen dafür interpretiert, dass Amerika die Rolle des Anführers der freien Welt nicht mehr ausfüllen könne und sich aus Europa, aus der Welt zurückziehe. Es mag sein, das die Vereinigten Staaten zwischen Kreuzzug und Rückzug hin und her pendeln, aber dass sollte nicht mit einem Verfall der amerikanischen Macht verwechselt werden.

Die Standfestigkeit der amerikanischen Verfassungsordnung und die Wirksamkeit der demokratischen Kontroll- und Ausgleichsmechanismen sind nicht zu unterschätzen. Auch mit einem Präsidenten wie Trump ist das Fortwirken der amerikanischen Macht und die langfristige Hegemonie der Vereinigten Staaten aus der zunehmend vernetzten Welt nicht wegzudenken. Es gibt keine Alternative zu dieser globalen Führungsrolle: Mit oder ohne Trump genießt Amerika große geografische Vorteile gegenüber den anderen vier Großmächten Russland, China, Indien und Europa, die sich ständig auf dem euroasiatischen Kontinent ausbalancieren müssen. Die ganze Welt sichert ihr Geld in den Vereinigten Staaten wie nirgendwo sonst. Der Dollar bleibt stark, genießt Vertrauen und ein besonderes Privileg als globale Reservewährung.

So mögen in der amerikanischen Gesellschaft Dimension und Methode des globalen Engagements der Vereinigten Staaten zwar immer wieder zur Debatte stehen, seine Notwendigkeit aber nicht. In einer Gallup-Umfrage im Februar 2017 sprachen sich rund 80 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner für den Erhalt der NATO aus. Als Gallup 1995 zuletzt diese Frage stellte, waren es noch 64 Prozent gewesen. Auch der regionale Fokus des amerikanischen Engagements wird immer wieder hinterfragt und diskutiert. Die USA sind schon lange sowohl eine pazifische als auch eine atlantische Macht. In Asien mögen die Herausforderungen und Möglichkeiten in den kommenden Jahrzehnten zwar wachsen, aber nach wie vor fließen viel mehr amerikanische Investitionen nach Europa als nach Asien und verdienen die Vereinigten Staaten in Europa auch deutlich mehr: "In the end, it is the U.S.-European partnership that drives global trade, investment and capital flows. No commercial artery in the world is as large as the investment artery forged between the United States and Europe."

Es geht Amerika in Europa aber um mehr als Geld. Massenvernichtungswaffen, gescheiterte Staaten, Flüchtlinge, Bevölkerungswachstum, Klimawandel, Hacker-Angriffe und der Aufstieg Chinas – all diese Herausforderungen sind auch unter Trump für die Vereinigten Staaten mit einem reichen, geeinten, global engagierten Europa als Partner einfacher zu bewältigen. Sind die europäischen Grenzen nicht mehr stabil, die nationale Souveränität in Europa nicht mehr gesichert, und greift Russland westliche Demokratien an, dann ist das auch ein Problem für die Vereinigten Staaten. Denn seit mehr als sieben Jahrzehnten ist der europäische Frieden auch ein amerikanischer Frieden. Amerikas wichtigstes geostrategisches Interesse bleibt also weiterhin der Erhalt von Frieden, Freiheit und Wohlstand in Europa. Als stärkste europäische Macht ist Deutschland damit der wichtigste Partner der Vereinigten Staaten weltweit.

Deutsche Interessen

Und auch Deutschlands Interessen sprechen für eine stärkere Partnerschaft mit Amerika – samt notwendiger Zugeständnisse und Investitionen. "Unser Land ist in besonderem Maße auf gesicherte Versorgungswege, stabile Märkte sowie funktionierende Informations- und Kommunikationssysteme angewiesen. Diese Abhängigkeit wird weiter zunehmen", wird im Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr festgestellt, das die Bundesregierung im Juli 2016 veröffentlicht hat. Dieses Dokument, in dem neue Gefahren diskutiert werden, die mit den Entwicklungen der Cyber- und Massenvernichtungstechnologien einhergehen, aber auch klassische Herausforderungen geopolitischer und strategischer Art, wie der Aufstieg der asiatischen Großmächte, der Staatszerfall im Nahen Osten und in Afrika oder hybride Kriegsführung, leistet einen wichtigen Beitrag zur Definition deutscher Interessen und ihrer zukünftigen Sicherung. Ein "frühzeitiges Erkennen, Vorbeugen und Eindämmen von Krisen und Konflikten" sowie die "Stärkung von Zusammenhalt und Handlungsfähigkeit in Nordatlantischer Allianz und Europäischer Union" werden als strategische Prioritäten festgelegt. Zusammengefasst lautet die Botschaft: Deutschland muss sich global stärker engagieren und mehr investieren, um der Zukunft gewachsen zu sein.

Den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wird vor diesem Hintergrund ein hoher Stellenwert eingeräumt. Als Exportnation ist Deutschlands zentrales Interesse ein wirtschaftliches: Der große amerikanische Markt und die Aufrechterhaltung des offenen, globalen Handelssystems sind für die Bundesrepublik, deren Bruttosozialprodukt fast zur Hälfte im Ausland erwirtschaftet wird, von großer Bedeutung. Amerikanische Kunden sind für deutsche Firmen wichtig wie kaum andere sonst, und das umso mehr, wenn der Wert des Dollars und das Wirtschaftswachstum in den Vereinigten Staaten zunehmen. Angesichts seines Leistungsbilanzüberschusses, der selbst den chinesischen übertrifft, muss Deutschland sich darauf verlassen können, dass die deutschen Dollar-Reserven nicht an Wert verlieren.

Von noch größerer Bedeutung als die globalen Märkte sind für Deutschland die Sicherheit, Stabilität und Zahlungsfähigkeit der europäischen Partnerländer. Würde etwa Estlands Hightech-Wirtschaft durch russische Hacker-Angriffe lahmgelegt, wäre davon auch Deutschland betroffen. Für die Unversehrtheit der europäischen Grenzen bleibt die amerikanische Militärmacht im Rahmen der NATO für die Bundesrepublik lebenswichtig, denn die geopolitische Situation inmitten einer Nachbarschaft zu Russland über Zentralasien bis zum Nahen Osten und Afrika droht, immer gefährlicher zu werden.

Markt und Militärmacht sind die eine Seite des deutschen Interesses an einer engen Partnerschaft mit Amerika, die andere Seite ist europapolitisch. Für Deutschland ist es viel einfacher, eine Führungsrolle innerhalb der Europäischen Union einzunehmen, wenn Amerika in Europa stark engagiert ist und die Beziehungen zwischen Washington und Berlin gut sind.

Ob die Vereinigten Staaten sich nun auf Interventions- oder auf Rückzugskurs befinden und ob der US-Präsident nun George W. Bush, Barack Obama oder Donald Trump heißt – Deutschland bleibt gegenüber amerikanischer Sicherheitspolitik sehr sensibel, weil es so abhängig von ihr ist. Diese Abhängigkeit ist jedoch gegenseitig, wenn auch nicht gleich groß, sodass für Deutschland die Möglichkeit besteht, mit mehr Einsatz auch mehr aus dieser Partnerschaft herauszuholen. Würde die Bundesrepublik stärker in Europa investieren sowie in Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Verteidigung, würde es seinen Einfluss auf die USA vergrößern und die eigene Rückversicherung stärken, etwa für den Fall, dass Amerika weniger von einer spezifischen internationalen Krise betroffen ist als Deutschland.

Um ein Übergewicht des Militärischen zu vermeiden, ohne Deutschlands Einfluss auf die unruhigen europäischen Nachbarschaften zu vernachlässigen, schlägt etwa der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, vor, für alle auswärtigen Haushaltsposten drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts auszugeben. Das entspräche rund 93 Milliarden Euro. Zurzeit hat das Auswärtige Amt einen Haushalt von 5,2 Milliarden Euro und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ein Budget von 8,5 Milliarden Euro. Verteidigungsausgaben eingerechnet, summieren sich die drei Posten auf rund 50 Milliarden Euro. Gäbe Deutschland 43 Milliarden Euro mehr für diese Außenposten aus, könnte selbst Donald Trump Deutschland nur schwerlich Trittbrettfahrerei vorwerfen. Solche Investitionen öffnen auch neue Möglichkeiten für die Gestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Für Deutschland gibt es mit amerikanischen Partnern – ob staatlich oder nicht – genug gemeinsame Interessen.

Die Investition lohnt sich. Denn auch nach Trumps und Merkels Amtszeiten wird es keinen anderen Machtverbund geben, der in dem Ausmaß fähig ist, die Lebensgrundlagen des Planeten zu sichern und der Unterentwicklung, Überbevölkerung und Anarchie zu begegnen, wie dieser von Deutschland und Amerika getragene pax atlantica für einen pax humana.

ist promovierter Politikwissenschaftler und Direktor von Transatlantic Networks in Königswinter. E-Mail Link: denison@transatlantic-networks.de