Seit dem 20. Januar 2017 haben die Vereinigten Staaten einen neuen Präsidenten – einen Mann, dem man im Wahlkampf lange überhaupt keine und nie wirklich gute Chancen auf einen Sieg eingeräumt hatte. Denn dass auf den ersten schwarzen US-Präsidenten, der bei seiner Wahl 2008 wie kein anderer zuvor Hoffnung und Aufbruch verkörpert hatte, ausgerechnet ein Rechtspopulist mit einer Botschaft des Niedergangs Amerikas folgen könnte – ein Mann, der rassistische und sexistische Ressentiments bedient und sich über Menschen mit Behinderung lustig macht, Fakten nach Belieben verdreht und demokratische Grundwerte infrage stellt –, schien schlicht unvorstellbar.
Nur während einer kurzen Zeitspanne etwa sechs Wochen vor der Wahl sah das plötzlich anders aus. Trump führte erstmals deutlich in den Umfragen, Hillary Clinton, die Kandidatin der Demokraten, war unter dem Eindruck der Affäre um ihre Nutzung privater E-Mail-Konten, einer zunächst verheimlichten Lungenentzündung und der Bestechlichkeitsvorwürfe gegen ihre Familienstiftung in den Beliebtheitswerten stark abgerutscht. Just in diesen Tagen brüteten mein Kollege Stefan Niemann und ich über Titel und Untertitel für unsere ARD-Dokumentation zum Phänomen Donald Trump. Der Film war für den Vorabend der Wahl geplant, die Titel mussten wie üblich spätestens sechs Wochen vorher bei den Programmzeitschriften sein. Wir einigten uns auf "Der Angstmacher", als Untertitel wählten wir das mutige "Warum Donald Trump Hillary Clinton schlagen kann".
Zwei Tage vor Sendetermin verließ uns der Mut. Hillary Clinton lag in allen Umfragen weit vorn. Auf die letzte Minute änderten wir in einem ziemlichen Kraftakt – die Tageszeitungen mussten informiert, Redakteure überzeugt, eine neue Titelgrafik erstellt werden – den Untertitel in das harmlosere "Amerika zwischen Clinton und Trump". Denn dass Trump Clinton schlagen könnte, schien wieder so unwahrscheinlich wie in den langen Wahlkampfmonaten. Ein Tag später war genau das geschehen.
Wie konnte es dazu kommen?
Wer warum Trump gewählt hat, beschäftigt seitdem die Gemüter. Anders als bei vielen rechtspopulistischen Bewegungen in Europa haben die Sehnsucht nach einer scheinbar verlorenen nationalen Identität und die Angst vor "Überfremdung" eher eine Nebenrolle gespielt. Die vielen Trump-Wählerinnen und -Wähler, mit denen wir im Wahlkampf sprachen, nannten fast immer ein wirtschaftliches Motiv: schwindende Mittelklasse, schwindende Arbeitsplätze und das Schwinden der Gewissheit, dass die eigenen Kinder es einmal besser haben würden als man selbst. Auch Ressentiments gegenüber Einwanderern waren fast nie identitär begründet, immer aber wirtschaftlich.
So erlebten wir es zum Beispiel in Youngstown im Bundesstaat Ohio, in jener alten Stahlarbeiterstadt, der Bruce Springsteen vor 20 Jahren einen Song widmete – über Männer, die ihre Jobs verlieren, über einst stolze Stahlwerke, die niemand mehr braucht, über eine Stadt im Niedergang. Dass der Liedtext heute noch aktuell ist, erschloss sich uns gleich bei der ersten Fahrt durch die Stadt, vorbei an verlassenen Fabriken, verlassenen Häusern, durch verwaiste Straßenzüge. Youngstown hatte viele Jahre traditionell demokratisch gewählt, 2016 lieferten sich Trump und Clinton hier jedoch ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
"Vor jeder Wahl kommen die demokratischen Bewerber einmal durch die Stadt. Sie schütteln ein paar Hände, küssen ein paar Babys und können sich unserer Stimmen sicher sein", erklärte uns der Altmetallhändler Ken Greco, "aber hier ändert sich nichts, wir haben uns noch immer nicht von den Krisen der 1970er und 1980er Jahre erholt. Und dann kommt einer wie Trump. Der mag albern sein, laut oder unausstehlich, vielleicht sogar unqualifiziert für das Amt. Aber die Leute haben die Schnauze so voll, sie würden jedem ihre Stimme geben, nur um aufzurütteln, ein Zeichen zu setzen." Trump wählen aus einer Art Notwehr? In Youngstown habe ich zum ersten Mal verstanden, dass auch das ein Motiv sein kann.
Und neben der Hoffnung, Trump werde die Jobs zurückbringen, schien bei unseren Gesprächspartnern oft auch das Gefühl durch, Bürger zweiter Klasse zu sein – wie jemand, der geduldet wird, aber nicht mehr dazugehört. Denn nicht nur wirtschaftliche Existenzsorgen oder die Angst vor Freihandel waren wichtige Motive, für Trump zu stimmen, sondern auch die Befürchtung, auf der Strecke zu bleiben bei der schnellen gesellschaftlichen Entwicklung, die das Land unter Präsident Barack Obama durchlaufen hat – und die viele noch weiter von ihrem Staat entfremdet hat. Denn die Gesellschaft war bereits vor dem Wahlkampf tief gespalten.
So war etwa die landesweite Einführung gleichgeschlechtlicher Eheschließungen in der wertkonservativen Provinz auf weit weniger Verständnis gestoßen als in den urbanen Gesellschaften entlang der Küsten. Während die Entscheidung in den Großstädten bejubelt worden war, hatte sie auf dem Land verbreitet für Unverständnis gesorgt. Die Lebenswirklichkeit in jenen Gegenden im Landesinneren, die manchmal herablassend als flyover country abgetan werden, passte immer weniger zum Lifestyle an Ost- oder Westküste. Auch Obamas Erlass, der die öffentlichen Schulen anwies, Transgender-Schüler selbst wählen zu lassen, welche Toilette sie aufsuchen, hatte diese Spaltung verstärkt. "Dies ist nicht mehr unser Land", hörten wir häufig auf unseren Reisen, besonders in den Bundesstaaten mit starker religiöser Prägung. In Youngstown sagte uns der ehemalige Stahlarbeiter Larry Cavender: "Das sind Luxusprobleme. Bevor er sich um Toiletten für eine Minderheit sorgt, soll er sich um Arbeitsplätze für alle kümmern."
Was kommt jetzt?
Donald Trump hat seine Präsidentschaft mit einem Paukenschlag angetreten: mit einer Rede, in der er so ein düsteres und verzerrtes Bild der Vereinigten Staaten zeichnete, dass gleich in den ersten Minuten seiner offiziellen Amtszeit all jene eines Besseren belehrt wurden, die gehofft hatten, er werde sich angesichts der Bedeutung des Amtes schon ändern. Er war nicht anders, er war wie immer. Und er teilte aus: gegen die Politik, das Washingtoner Establishment, frühere Regierungen. Gegen ebenjene, die an diesem Tag mit ihm vor dem Kapitol standen, die ihm gerade noch gratuliert hatten. Trump sprach von einem "amerikanischen Blutbad" durch Armut und Kriminalität in den Städten, zeichnete das Bild eines Landes, das von einer selbstsüchtigen politischen Klasse regiert worden sei, das umgeben sei von einer gefährlichen Welt, der es nicht länger die Stirn bieten könne. Es war eine zuweilen wütend klingende, voller Halb- und Unwahrheiten steckende Antrittsrede mit deutlich nationalistischem Ton, wie sie das Land noch nicht erlebt hatte.
Sein Wahlkampfslogan "America first" zog sich durch den gesamten Text – dieser Devise habe sich alles unterzuordnen, von der Steuer- und Handelspolitik über die Regulierung der Einwanderung bis hin zu den Außenbeziehungen. Er markiert einen neuen amerikanischen Nationalismus, von dem auch drei Monate später niemand weiß, was er noch bringen wird.
Das wird besonders davon abhängen, welche Persönlichkeiten in Kabinett und Weißem Haus künftig den Ton angeben. Denn Trumps Mannschaft setzt sich aus höchst unterschiedlichen Figuren zusammen: Zieht man jene ab, deren Posten aus Gründen der Loyalität oder anderweitiger Verbundenheit an sie vergeben wurden – etwa Erziehungsministerin Betsy DeVos, eine Großspenderin der Republikanischen Partei, Verkehrsministerin Elaine Chao, die Ehefrau des Mehrheitsführers der Republikaner im US-Senat, oder Cybersicherheitsberater Rudolph Giuliani, ein Wahlkampfgetreuer –, lässt sich Trumps Team in Pragmatiker und Ideologen aufteilen.
Zu den Pragmatikern zählen gleich mehrere hochdekorierte und über die Parteigrenzen hinweg respektierte Militärs wie Sicherheitsberater H.R. McMasters, Heimatschutzminister John Kelly oder Verteidigungsminister James Mattis, aber auch der politische Newcomer im State Department, Rex Tillerson. Die Ideologen sind zahlenmäßig in der Minderheit, haben jedoch in der Person Stephen Bannons, bis vor Kurzem Herausgeber der rechtskonservativen Website "Breitbart" und nun Trumps Chefberater, uneingeschränkten Zugang zum Oval Office.
An Trumps bisherigen innenpolitischen Weichenstellungen im Zeichen von Deregulierung, Protektionismus und Nationalismus ist ihre Handschrift deutlich zu erkennen. Gleich in seinen ersten Dekreten schrieb Trump den im Wahlkampf immer wieder angekündigten Plan fest, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen, ordnete eine Verschärfung der Einreisepraxis an, leitete erste Schritte zur Abschaffung der als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 eingeführten Wall-Street-Regulierungen ein und zog die USA aus dem transpazifischen Handelsabkommen TPP zurück. Sein Haushaltsentwurf sieht für das State Department eine Etatkürzung von sage und schreibe 28 Prozent vor, ein deutliches Zeichen dafür, welche Bedeutung er der Außenpolitik des Landes beimisst.
Zu den Pragmatikern und den Ideologen kommen die Familienmitglieder. Trumps Tochter Ivanka nimmt häufig an wichtigen Terminen teil, obwohl ihr ursprünglich keine formale Rolle im Weißen Haus zugewiesen wurde. Ihr Mann Jared Kushner, politisch völlig unerfahren, ist für Trump offenbar eine Art Wunderwaffe: Als enger Berater ist er zuständig für "Innovationen" und die Verwirklichung von Wahlkampfversprechen, außerdem ist er eine Art Sonderbotschafter für den Nahen Osten, sitzt aber auch bei anderen weltpolitischen Fragen mit am Tisch. Noch vor dem Außenminister reiste er überraschend in den Irak. Als im Vorfeld des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr langjähriger und krisenfester außenpolitischer Berater Christoph Heusgen in Washington die Lage sondierte, sah er sich bei den Gesprächen dem 36-jährigen Schwiegersohn des Präsidenten gegenüber. Beim eigentlichen Treffen zwischen Trump und Merkel war dann auch Tochter Ivanka anwesend. Wenige Wochen später bezog sie als nun auch offizielle Beraterin des Präsidenten ein Büro gleich neben seinem.
Werden auf absehbare Zeit also ideologische Einflüsterer und loyale Familienmitglieder die Ausrichtung des Landes bestimmen? In den vergangenen Wochen scheinen die Pragmatiker an Boden gewonnen zu haben. Anzeichen dafür sind die Entfernung Stephen Bannons aus dem Nationalen Sicherheitsrat sowie der Luftangriff auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt. Dass Trump, der ein stärkeres Engagement der USA in Syrien immer abgelehnt hatte, sich zu diesem Schritt entschlossen hat, deutet auf einen gestärkten Einfluss von Männern wie McMasters und Mattis hin.
Thomas Wright, Außenpolitikexperte der Denkfabrik Brookings, hält es grundsätzlich für möglich, dass die Traditionalisten in der US-Regierung das Land zumindest außenpolitisch zunächst auf Kurs halten werden. Trump müsse für das operative Tagesgeschäft auf sie zurückgreifen, weil es keine Fachleute gebe, die seine Weltsicht – Geringschätzung von Allianzen, Bewunderung autokratischer Herrscher, EU-Skepsis – in Politik ummünzen und umsetzen wollten. So versuchten die Pragmatiker denn auch, die Zweifel an der transatlantischen Treue der USA zu zerstreuen, nachdem Trump in einem Interview mit den Tageszeitungen "Times" und "Bild" die NATO zunächst als obsolet bezeichnet hatte.
Dennoch sieht Wright wenig Grund zur Zuversicht. Ein Präsident werde in Krisenzeiten getestet. Dann werde Trump die Entscheidungen fällen. "Das ist der Moment, in dem Trumps gesamte Weltsicht, sein 'America first', seine Feindlichkeit gegenüber Bündnissen und einer offenen Weltwirtschaft, seine Sympathie für Russland ins Spiel kommen. Und dann werden auch sein Temperament, seine Dünnhäutigkeit und die Tendenz, alles persönlich zu nehmen, in den Vordergrund rücken. Bannons Nähe zum Präsidenten wird sicherstellen, dass in diesen Schlüsselmomenten radikale Stimmen Gehör finden."
Grund zur Hoffnung?
Dabei hat Trump im Weißen Haus einen Start mit vielen Fehlzündungen hingelegt. Manche seiner Gegner schöpfen genau daraus Hoffnung. Gleich eines der ersten Dekrete, ein Einreisestopp für Staatsangehörige sieben muslimischer Länder, wurde von den Gerichten kassiert: Heißt das nicht, dass die Gewaltenteilung funktioniert und dem Präsidenten gezeigt wird, wo die Grenzen seiner Macht sind? Trumps Sicherheitsberater Michael Flynn musste wegen geheim gehaltener Russland-Kontakte gehen, Betsy DeVos wäre aufgrund der Zweifel an ihrer Qualifikation als Erziehungsministerin am Senat gescheitert, hätte nicht Vizepräsident Michael Pence von seinem Stimmrecht Gebrauch gemacht – ein bisher einmaliger Vorgang. Und Trumps Gesundheitsreform ist trotz republikanischer Mehrheit im Kongress krachend gescheitert. Zeigt das nicht, dass auch die Republikanische Partei nicht bereit ist, alles mitzutragen? Und schließlich all die kleinen und großen Skandale etwa um die ungenierte Werbung von Ivanka Trump für ihre Schmucklinie beim offiziellen Termin im Weißen Haus, um die allen Beweisen trotzende Behauptung des Trump-Lagers, das Publikum der Inaugurationsfeier sei das größte aller Zeiten gewesen, oder um die verschwiegenen Russland-Kontakte von Justizminister Jeff Sessions – wurde nicht alles von den Medien beschrieben, aufgedeckt und kritisiert?
Dennoch scheint es den Präsidenten bislang wenig zu beeindrucken. Den Kampf gegen die Gerichte hat Trump längst aufgenommen und nennt es juristische Kompetenzüberschreitung, wenn ein Richter ihm widerspricht. Die Republikaner im Kongress sind tief zerstritten und mit ihren eigenen Flügelkämpfen beschäftigt: Trumps gescheiterte Gesundheitsreform ist nicht Ausdruck des Widerstands der Republikaner gegen ihn, sondern schlicht der Uneinigkeit der Fraktion. Und die Medien bezeichnet der US-Präsident als "Volksfeind" und sieht sich im Krieg mit der Presse.
Tatsächlich scheint Trump journalistische Arbeit als feindseligen politischen Akt zu begreifen. Dieses Verständnis von Journalismus erinnert mich stark an meine Zeit in Moskau, wo ich ab Mitte der 1990er Jahre insgesamt 13 Jahre lang gearbeitet habe. Denn bei aller Unterschiedlichkeit – in Russland ist die Presse nicht frei – gibt es im Umgang mit den Medien erstaunliche Parallelen zwischen Trumps Amerika und Putins Russland. Präsident Putin hält seine seltenen Pressekonferenzen vor Hunderten von Reportern kleiner und kleinster Regionalmedien aus dem ganzen Land ab und nimmt sich viel Zeit, ihre meist freundlichen und eher irrelevanten Fragen zu beantworten. Zum Pressekorps des Weißen Hauses gehören neuerdings neben Vertretern der renommierten Medien auch Talk-Radio-Moderatoren, eher unpolitische Blogger und Reporter bis dato unbekannter Websites. Bei Trumps Pressekonferenz kurz vor seiner Amtseinführung, in der er das Medienportal "Buzzfeed" "einen versagenden Haufen Müll" nannte und den Nachrichtensender CNN als "Fake News" bezeichnete, gab es für manche seiner Antworten laute Zustimmung aus dem Saal. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen – mir kam das sehr bekannt vor.
Auch droht Trump, das Verleumdungsgesetz zu verschärfen. In Russland wurde der Tatbestand der Verleumdung 2012 wieder ins Strafgesetzbuch aufgenommen – ein Akt, der vor allem gegen die Medien gerichtet war. Trump kann seine Drohung nicht ohne ein Urteil des Obersten Gerichtshofes umsetzen, doch das Signal ist deutlich: Kritischer Journalismus ist nicht erwünscht.
Bei seinen Unterstützern scheint der eher holprige Start dem Präsidenten bislang wenig zu schaden. Die endlose Reihe immer neuer Skandale und Vorwürfe scheint nur jene zu interessieren, die Trump ohnehin skeptisch gegenüberstehen. Zwar sind seine Beliebtheitswerte nicht gerade gut für einen frisch gewählten Präsidenten, doch sind trotz aller Rückschläge und Skandale noch immer 40 Prozent der befragten Amerikanerinnen und Amerikaner mit der Arbeit ihres Präsidenten zufrieden.
Paralleluniversen
In den ersten Monaten von Trumps Amtszeit scheint das Land sich verändert zu haben – oder werden nun schlicht Veränderungen sichtbar, die längst unter der Oberfläche gereift waren?
Noch während des Vorwahlkampfes hatten wir an der Georgetown University die junge schwarze Historikerin Marcia Chatelain interviewt. Sie war eine der Wenigen, die es bereits damals für durchaus möglich hielten, dass Donald Trump Präsident werden könnte, und sie gab uns mit einer Aussage zu denken: "Ich habe weniger Angst vor Donald Trump selbst als vor seinen Wählern, vor all denen, die seine Wahlversprechen auf ihre Weise verstehen. Wenn er verspricht, Amerika wieder großartig zu machen, hören sie etwas ganz anderes: dass er Amerika wieder weiß machen will." Wir überlegten damals lange, ob der Satz nicht zu hart sei, um ihn zu zitieren, ob er eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Präsidentschaftskandidaten in unserem Film von vorneherein unmöglich mache. Heute, knapp eineinhalb Jahre später, würde sich kaum jemand mehr über Marcia Chatelains Einschätzung wundern.
Rassismus tritt wieder offener zutage. Noch in der Wahlnacht sagte uns eine Studentin vor dem Weißen Haus, dass sie an diesem Tag zum ersten Mal in ihrem Leben "Nigger" geschimpft worden sei. In Washington hielt Anfang 2017 eine ultranationalistische Gruppierung und selbsternannte "Alternative Rechte" ihren Kongress in aller Öffentlichkeit ab. Unverhohlen war dort die Rede von einer Überlegenheit der "weißen Rasse", bewusst provokativ grüßte der Kopf der Gruppe die Zuhörer mit "Hail Victory, Hail Trump".
All dies sind Randerscheinungen, doch sie haben bedrohlich zugenommen. Zwar ist Trump kein Antisemit, und er ruft nicht zu rassistischer Gewalt auf. In seiner ersten Rede an den Kongress hat er die Friedhofsschändungen demonstrativ verurteilt. Und es wäre falsch zu behaupten, die Mehrheit seiner Wähler seien Rassisten – auch wenn es wohl einige unter ihnen gibt, die sich eine Gesellschaft wie in den 1950er und 1960er Jahren zurückwünschen. Aber im gegenwärtigen Klima eines offensiv vertretenen "neuen nationalistischen Geistes", den Trump in seiner Antrittsrede beschwor, gedeihen ganz offensichtlich auch die hässlichen Ableger des Patriotismus.
Aber zugleich greift eine neue demokratische Aufbruchsstimmung um sich. Zeitungen verkaufen mehr Abos, Nachrichtensender verzeichnen Quotenrekorde, Politikseminare an den Universitäten sind überfüllt, und Late-Night-Shows werden zu Unterrichtsstunden in Staatskunde. Es gibt einen Hunger nach politischem Diskurs und das Bedürfnis, selbst aktiv zu werden. Bereits einen Tag nach der Amtseinführung demonstrierten im ganzen Land Hunderttausende Frauen gegen den Präsidenten, fast eine halbe Million allein in der Hauptstadt Washington. Wissenschaftler organisieren sich zum Protest gegen die wissenschaftsfeindliche Politik der neuen Regierung. Seminare mit dem schönen Titel "Ready to Run", die Interessentinnen darauf vorbereiten, für politische Ämter zu kandidieren, sind ausgebucht. Und in meinem Washingtoner Stadtteil stecken neuerdings Schilder mit der spanischen, arabischen und englischen Botschaft "Egal woher du bist, wir freuen uns, dein Nachbar zu sein" in den Vorgärten.
In vielerlei Hinsicht erinnert die neue Bewegung, lose vereint unter dem Schlagwort "resist", an die Anfänge der republikanischen Tea-Party-Bewegung, die 2009 als Reaktion auf die Wahl Barack Obamas als Graswurzelbewegung am rechten Rand der Republikanischen Partei entstand. Sie spülte christlich-konservative Politiker in die regionalen Parlamente und den Kongress, wo die Konfrontation mit Obamas Demokraten zur politischen Blockade führte. Von der Tea Party lernen, das hört man oft in diesen Wochen.
Vielleicht hat diese Bewegung das Zeug dazu, die Demokratische Partei zu verändern. Schon einmal hätten die Demokraten sich grundlegend erneuern können: Der erste Wahlsieg Obamas 2008 hatte viele junge Leute mobilisiert und für Politik begeistert. Marcia Chatelain gehörte zu ihnen. Doch die Energie der vielen Wahlkampfhelfer und Aktivisten sei sehr schnell verpufft, sagt sie heute, sie seien an den verkrusteten Strukturen der Partei gescheitert: "Es gab keinen Platz für die Neuen. Alle Posten waren belegt, die Kandidaten für die kommenden Wahlen standen auf allen Ebenen längst fest. Bis hin zur Präsidentschaftswahl – schon 2008 war klar, dass nach Obama Clinton kandidieren würde. Damals ist eine historische Chance vertan worden." Die Wahl von Donald Trump ist eine neue Chance für die Demokraten. Und eine neue Chance, junge Leute für Politik zu interessieren.
Doch bleiben die "Resist!"-Aufkleber an den Stoßstangen und die T-Shirts mit dem Aufdruck "Not my President" ein Phänomen der großen Städte und der Gegenden mit demokratischen Mehrheiten – der einen Seite des gespaltenen Landes also. Die andere ist mit ihrem Präsidenten zufrieden und lebt, so scheint es, in einer ganz anderen Welt mit eigenen Fernsehsendern, eigenen Informationen, aber auch eigenen Sorgen. Diese Paralleluniversen wieder in eines zu führen, ist die wohl schwierigste Aufgabe. Nach seinen ersten Schritten im neuen Amt zu urteilen wird der Präsident sie nicht in Angriff nehmen.