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Digitale Infrastruktur. Zwischen Fördermilliarden und Netzrealitäten | Infrastruktur | bpb.de

Infrastruktur Editorial Eine kurze (Alltags-)Geschichte der Infrastruktur Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Ausverkauf Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Vorteil Digitale Infrastruktur. Zwischen Fördermilliarden und Netzrealitäten Mit angezogener Handbremse: Zum Stand der Energiewende Kommunale Infrastrukturpolitik. Zwischen Konsolidierung und aktiver Gestaltung

Digitale Infrastruktur. Zwischen Fördermilliarden und Netzrealitäten

Jürgen Kuri

/ 15 Minuten zu lesen

"50 Megabit pro Sekunde!" "100 Megabit pro Sekunde!" "Ein Gigabit pro Sekunde!" – Die Internet-Provider überbieten sich geradezu mit ihren Ankündigungen über verfügbare Datenübertragungsraten. Und die Bundesregierung ist darum bemüht, als Antreiberin für den entsprechenden Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland wahrgenommen zu werden: Jüngst kündigte sie 100 Milliarden Euro Gesamtinvestitionen für den Breitbandausbau in einem "Gigabit-Deutschland" an, wobei für den Bund drei Milliarden Euro pro Jahr anfallen würden. Was aber lässt sich von den Ankündigungen halten – welche Hoffnungen sind realistisch, welche nicht? Und wie ist der aktuelle Zustand der digitalen Infrastruktur einzuschätzen?

Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten, denn die Akteure des Breitbandausbaus und die Protagonisten der Digitalisierung hierzulande sind sich nicht einmal über Voraussetzungen und Kriterien wirklich einig. Wenn die "Netzallianz Digitales Deutschland", in der unter der Ägide des Bundesministers für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt (CSU), Telekommunikationsfirmen und -verbände zusammengeschlossen sind, davon spricht, "bis 2025 gigabitfähige konvergente Netze realisieren" zu wollen, heißt das ja nicht, dass bei jedem User auch Internetanschlüsse mit Bandbreiten im Gigabit-Bereich ankommen. Zudem sind manche Zahlen recht verwirrend: Breitbandanschlüsse für 90 Prozent der Bevölkerung hört sich als Ziel zwar gut an, sorgt in unterversorgten ländlichen Gebieten aber für frustrierte Lacher.

Wer braucht’s?

Woher aber überhaupt der Drang, Millionen und Milliarden in noch schnellere Netze zu investieren? Die Voraussetzungen bleiben allzu oft im Nebulösen, die Notwendigkeit wird vorausgesetzt. Manchem Bürger und mancher Bürgerin aber mögen die Investitionsvorhaben übertrieben erscheinen. Die Legitimation solch weitgehender Ausgaben für eine digitale Infrastruktur, die den Bewohnern der Ballungsräume bereits als völlig ausreichend erscheint, ist nicht automatisch gegeben. Und die Digitalisierung der Gesellschaft ist nicht für jeden von vornherein positiv besetzt.

Schaut man sich die heutige Situation genauer an, wird rasch deutlich, wie wichtig eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur für die Gesellschaft ist – und zwar sowohl für den einzelnen Verbraucher als auch für die Wirtschaft sowie für Organisationen und Behörden. Wer privat moderne Internetangebote nutzen will, wird mit einem Netzanschluss unter 50 MBit/s nicht glücklich. Dazu tragen geänderte Nutzungsgewohnheiten, die mit neuen Angeboten einhergehen, bei. Musik- und Videostreaming, Fernsehen übers Internet, Homeoffice und so weiter – wer Dienste wie Netflix, Maxdome oder Amazon Prime nutzt, kommt schnell auf 100 bis 200 Gigabyte Datenvolumen pro Monat, wobei Fernsehen über den Internetanschluss (IPTV) noch gar nicht mitgezählt ist.

Künftig werden Smart-home- und Telemedizin-Anwendungen, Ambient Assisted Living (auf Deutsch etwas holprig "computergestütztes Altern" genannt) oder Virtual-Reality-Techniken für die heimische Unterhaltung das Datenvolumen auch bei den privaten Verbrauchern weiter nach oben treiben. Smart home führt zudem zum Stichwort "Internet der Dinge" und damit zu den Anforderungen moderner Betriebe an die digitale Infrastruktur. Mit der "Industrie 4.0" kommt die vernetzte Produktion mit einer vollständig digitalisierten Herstellungs- und Lieferkette. Für die Wirtschaft insgesamt wird damit die Qualität des Netzes zu einem Überlebens- und Wachstumsfaktor – und dies gilt natürlich besonders für die stark mittelständisch geprägte deutsche Wirtschaft, die zu beträchtlichen Teilen in ländlichen Regionen verankert ist.

"Deutsche Wirtschaft" meint dabei nicht nur klassische Produktionsbetriebe oder Dienstleistungsunternehmen. Die Energiewirtschaft benötigt mit smart metern und smart grids (intelligente Stromzähler und Netze) zwar nicht unbedingt hohe Bandbreiten, aber überall zuverlässig verfügbare Netzanschlüsse. Und mit smart farming zieht die Digitalisierung in zahlreiche Bauernhöfe ein – manch Bauer hat bereits heute mindestens genauso viel IT-Technik und Netzanbindungen zu verwalten wie ein mittelständisches Unternehmen. Vom per Netz gesteuerten Melkroboter über den GPS- und App-gesteuerten autonomen Trecker und mittels Big Data ausgeklügelter Feldbestellung bis hin zur per Netzanbindung kontrollierten Biogasanlage: Die moderne Landwirtschaft ist digital und braucht Bandbreite.

Eine westliche Industriegesellschaft ist weder für Verbraucher noch für die Wirtschaft ohne eine schnelle, zuverlässige, sichere (ausfallsichere und gegen Angriffe abgesicherte) digitale Infrastruktur denkbar. Und diese muss tatsächlich flächendeckend ausgeführt sein. Die aktuellen Zahlen, die von einzelnen Landesregierungen und der Bundesregierung vorgelegt werden, geben für sich allein über die tatsächliche Situation oft nur unzureichend Auskunft.

Wie steht’s?

Aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamts zufolge hatten 38 Prozent aller Unternehmen in Deutschland mit zehn und mehr Beschäftigten 2016 einen Internetanschluss mit einer Datenübertragungsrate von mindestens 30 MBit/s. Damit liegt Deutschland im europäischen Mittelfeld; Spitzenreiter ist hier Dänemark mit 65 Prozent aller Unternehmen dieser Größe. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil der Unternehmen in Deutschland mit Breitbandinternet immerhin deutlicher gestiegen als der EU-Durchschnitt: in Deutschland um sieben Prozentpunkte, in der EU um fünf Prozentpunkte. Wem schon 38 Prozent aller Unternehmen wenig vorkommen, muss berücksichtigen, dass dies Durchschnittszahlen sind, die wenig über die Versorgung der einzelnen Firmen aussagen.

Firmen in ländlichen Regionen (und natürlich auch die privaten Verbraucher) klagen schon lange und anhaltend über Unterversorgung. Der Landesverband der Familienunternehmer in Schleswig-Holstein etwa stellte noch im Februar 2017 fest, dass die Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen in den ländlichen Regionen des Landes in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt worden sei: "Während in der Landeshauptstadt Kiel mehr als 95 Prozent einen Breitbandanschluss haben, sind viele ländliche Regionen mit nicht einmal zehn Prozent Breitband von der digitalen Welt abgeschnitten." Solche Beschwerden lassen sich aber nicht auf einzelne Bundesländer einschränken. In einer im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellten Studie beklagten die befragten Unternehmen, das größte Hemmnis für den Ausbau der Digitalisierung sei mit 40 Prozent eine "Unterversorgung mit leistungsfähigem Breitband".

Die Karte zeigt, in welchen Kreisen Deutschlands der Schwellenwert von 50 Mbit/s Datenübertragungsrate bereits erreicht beziehungsweise noch nicht erreicht wurde (Stand: Mitte 2016). (© Breitbandatlas © Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur/TÜV Rheinland, © GeoBasis-DE/Bundesamt für Kartographie und Geodäsie 2016 (geoportal.de))

Was an realen Bedingungen hinter den Zahlen steckt, sollte man sich nicht nur mit Blick auf die Wirtschaft genau anschauen. So ergab eine EU-Studie Mitte 2016, dass die Bundesrepublik beim Internetzugang "gute Fortschritte" erzielt habe: "Basis-Breitbanddienste" bis zu 30 MBit/s über Festnetz, Mobilfunk oder Satelliten seien landesweit verfügbar; auch im ländlichen Bereich seien 93 Prozent aller Haushalte angeschlossen. Laut dem aktuellen Report "State of the Internet" des Netzdienstleisters Akamai befindet sich Deutschland allerdings lediglich auf Platz 25, was die durchschnittlich verfügbare Bandbreite angeht. Länder wie Finnland, Dänemark, die Schweiz, Schweden oder Norwegen liegen mit ihrer durchschnittlich verfügbaren Bandbreite bei teilweise deutlich über 20 MBit/s, Deutschland erreicht lediglich 14,6 MBit/s. Da Ballungsgebiete mittlerweile weitgehend mit Bandbreiten von 50 MBit/s und mehr versorgt sind, bleibt für die ländlichen Regionen dann nicht mehr viel übrig (Abbildung).

Hinzu kommt, dass die Versorgung mit Breitbandanschlüssen nur der eine Teil des Problems ist – der andere sind die Kosten, die für Verbraucher und Firmen natürlich ebenso eine große Rolle spielen. Sowohl im Festnetz als auch bei Mobilfunktarifen steht Deutschland diesbezüglich nicht gerade glänzend da. Vor allem die Mobilfunkraten hierzulande verbieten es Verbrauchern geradezu, das Internet über Mobilgeräte intensiver zu nutzen. Während etwa in Finnland, Polen und Dänemark für die monatliche Mobilfunkgebühr ein unbegrenztes Datenvolumen zur Verfügung steht, bekommt man in Deutschland für monatlich 30 Euro im Schnitt gerade mal sechs Gigabyte Datenvolumen. Entsprechend sieht auch das verbrauchte Datenvolumen im Durchschnitt aus: In Deutschland kommen die User gerade einmal auf 0,6 Gigabyte pro Monat, in Polen sind es schon 1,2 Gigabyte, in Dänemark 3,1 und in Finnland sogar 9,5 Gigabyte.

Welche Technik?

Der Stand des Breitbandausbaus und die verfügbare digitale Infrastruktur in Deutschland sind also weiterhin als durchwachsen zu bezeichnen, trotz aller Bemühungen und Investitionen von Bundes- und Landesregierungen. Dabei reicht es nicht, allein die Internetanschlüsse bei Privatkunden und Firmen zu betrachten. Steht dahinter nicht ein leistungsfähiges Netz beziehungsweise leistungsfähige sogenannte Backbones, die für den gesamten Datentransport sorgen, ist einem nicht geholfen. In den Backbones bündeln sich die Datenraten beziehungsweise Datenvolumina aller User, sie müssen daher nicht nur besondere Kapazitäten bewältigen können, sondern müssen auch besonders geschützt und ausfallsicher aufgebaut sein: Der Ausfall eines Backbones verhindert die Kommunikation aller Nutzer, die über ihn in das Gesamtnetz gelangen. Bislang sind wir hier aber weit von den Kapazitätsgrenzen entfernt; moderne Glasfasernetze übertragen bis zu mehrere Terabit pro Sekunde über einzelne Faserpaare oder Glasfaserkabel. Investitionen werden aber trotzdem notwendig, wenn sich die Bandbreitenanforderungen weiter erhöhen und die Backbones für sehr schnelle Internetanschlüsse wirklich in jede Region gleichermaßen geführt werden sollen.

Das Ziel "Breitbandanschluss" – was genau also darunter zu verstehen ist – erweist sich allerdings als sehr beweglich. Vor nicht allzu langer Zeit hieß es bei Förderprogrammen für Breitbandanschlüsse noch, jeder solle ein MBit/s bereitgestellt bekommen: Eine Datenübertragungsgeschwindigkeit, die allen, die nicht gerade in chronisch unterversorgten ländlichen Gebieten wohnen, wie ein Witz vorkommen muss. Dann waren es 50 MBit/s für 90 Prozent der Bevölkerung – ein angenehmes Ziel, da es sich durch die Versorgung der großen Ballungsräume rasch erreichen lässt, während die berühmten deutschen "mittelständischen Weltmarktführer im Schwarzwald" weiter unter miserablen Anbindungen ans weltweite Netz leiden. Mittlerweile spricht man allenthalben von Gigabit-Infrastrukturen für Deutschland, wobei unklar bleibt, ob damit (längst weit darüber hinaus ausgebaute) Backbone-Netze oder flächendeckende User-Versorgung gemeint ist.

Teilweise sprechen nicht einmal bei den technischen Grundbedingungen alle Beteiligten die gleiche Sprache. So meint man bei der Deutschen Telekom, wenn vom massiven Ausbau von Glasfaseranschlüssen die Rede ist, etwa auch VDSL- und Vectoring-Anschlüsse mit Kupferkabel, die über Glasfaser bis zum Kabelverteiler auf der Straße versorgt werden (fiber to the curb, FTTC). Andere, besonders lokale Netzbetreiber, meinen mit Glasfaseranschlüssen dagegen tatsächlich Glasfaseranschlüsse bis in die Wohnung der Anwender (fiber to the home, FTTH).

Neben den klassischen Providern mit ihren Kupfer- und Glasfaserkabeln spielen beim Breitbandzugang mittlerweile auch die Kabelgesellschaften eine wichtige Rolle: Eigentlich als TV-Kabel (Koaxialkabel) verlegt, werden die TV-Kabelnetze mittlerweile auch für Telefonie und Internetzugänge genutzt. Auf den bestehenden Kabelinstallationen sind mittlerweile 100 MBit/s und mehr möglich, die Kabelgesellschaften haben dafür auch heftig in ihre Glasfaserbackbones investiert, um die Bandbreiten mit Daten füllen zu können.

Regulierung ist beim Ausbau der digitalen Infrastruktur natürlich ebenfalls relevant. Das geht bis hin zur Frage, wie denn etwa Kabel für Internetanschlüsse zu verlegen seien. Erst mit einer Neuregelung des Telekommunikationsgesetzes im Mai 2012 beispielsweise wurde das sogenannte Microtrenching möglich: Geringere Verlegetiefen für Glasfaserleitungen erlauben seither eine einfache Verlegung mittels Einfräsen von Kabelnuten in Straßen und Gehwege.

Wer macht’s?

Für den weiteren Ausbau der digitalen Infrastruktur gibt es mittlerweile mehrere Stakeholder: Die mit eigenem Interesse Beteiligten sind vor allem die privaten Verbraucher und die Wirtschaft, die aber lediglich durch ihre Vertreter beziehungsweise öffentliche Äußerungen Einfluss nehmen können. Das Feld derjenigen, die Infrastruktur weiterentwickeln, in sie investieren und die Entscheidungen treffen müssen, ist groß – fast so groß wie das Feld derjenigen, die vom Ausbau der digitalen Infrastruktur direkt oder indirekt profitieren wollen.

Da wären als Erstes natürlich die Internetdienstanbieter (Provider, Carrier und Backbone-Betreiber). Sie haben keineswegs alle das gleiche Interesse – die Telekom möchte vor allem auf Basis ihres vorhandenen Netzes möglichst viel aus den Kupferleitungen auf der "letzten Meile" (dem eigentlichen Endanwenderanschluss) herausholen. Konkurrenten wie Vodafone, die mit Kabel Deutschland auch im TV-Kabelgeschäft aktiv sind, sehen das skeptisch, sind aber auch nicht gerade Freunde der vollständigen Glasfaserverkabelung. Und die Backbone-Betreiber (zu denen die großen Gesellschaften wie die Deutsche Telekom oder Vodafone gehören, aber auch unabhängige Firmen wie Level 3) möchten vor allem so viel Bandbreite verkaufen wie möglich. Hier kommen auch ganz neue Spieler hinzu: Etwa die Energieversorger und Stromnetzbetreiber, die teilweise bereits über Backbone-Glasfasernetze verfügen. Ihnen fällt es beim Bau beziehungsweise Ausbau von Stromnetzen leicht, Glasfaserleitungen gleich mit zu verlegen.

Anders sieht das bei kleineren Netzbetreibern aus, etwa lokalen beziehungsweise städtischen Telefongesellschaften. Sie setzen meist auf eine vollständige Glasfaserversorgung als Zukunftsinvestition. Sie sind in der Regel Mitglied im Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko), der engagiert für einen Glasfaserausbau lobbyiert. So heißt es in der Eigenbeschreibung des Verbands: "Seine Mitglieder setzen klar auf die zukunftssichere Glasfaser und zeichnen aktuell für mehr als 60 Prozent des wettbewerblichen Ausbaus mit direkten Glasfaseranschlüssen verantwortlich." Eine ähnliche Haltung vertritt der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM), wenn auch manches Mal nicht ganz so offensiv wie der Breko. Immerhin sind im VATM so gut wie alle Konkurrenten der Telekom organisiert, darunter auch die deutschen Dependancen internationaler Carrier wie Telefonica, BT oder Vodafone. Auch der eco, der Verband der deutschen Internetprovider, spricht sich grundsätzlich für den verstärkten Ausbau der Glasfaser aus.

Die Bundesnetzagentur als oberste Reguliererin in der Telekommunikation sitzt in diesem Konglomerat oft zwischen allen Stühlen. Einerseits muss sie die Deutsche Telekom im Zaum halten (immerhin ist sie quasi als Aufsicht während der Privatisierung der Post entstanden), andererseits darf sie den Konzern natürlich auch nicht diskriminieren oder zu Tode regulieren. Beispielsweise bei der Festlegung der Preise, die die Telekom den Konkurrenten für die Vermietung der Teilnehmeranschlussleitung in Rechnung stellen darf, ist es ein einfach vorauszusagendes Ritual: Nachdem die Bundesnetzagentur ihre Entscheidung veröffentlicht hat, beschwert sich die Telekom, dass die Preise viel zu niedrig seien, während die Konkurrenten das Gegenteil beklagen. Für viele überraschend hat die Bundesnetzagentur vor Kurzem im Rahmen einer Konsultation Vorschläge vorgelegt, wie sie mit einer flexibleren Regulierung den Glasfaserausbau beschleunigen könne. "Die Unternehmen brauchen Anreize, in den Ausbau von Glasfasernetzen zu investieren. Ihnen sollten die nötigen Freiheitsgrade gewährt werden, um den Ausbau schneller voranzubringen", betonte der Präsident der Regulierungsbehörde, Jochen Homann. Die Maßgabe sei "mehr Markt und weniger Regulierung", bis hin zur Prüfung, ob die Glasfaser überhaupt reguliert werden müsse.

Auch die politischen Parteien im Deutschen Bundestag und Dobrindts Ministerium für die digitale Infrastruktur werden das Ergebnis dieser Konsultation mit Spannung erwarten. Schließlich sind sie es, die Entscheidungen über die weitere Förderung treffen müssen – oder über Korrekturen bei den bisherigen Vorhaben. Einig sind sie sich bei Weitem nicht, besonders Grüne und Linke kritisieren die Förderpolitik Dobrindts als unzureichend.

Wie weiter?

Wie aber sehen die Alternativen zur bisherigen Vorgehensweise aus? In der Debatte kursieren verschiedene Vorschläge, die neue Ansätze zu einem konsequenten Ausbau der digitalen Infrastruktur Deutschlands bieten sollen. Oft wird die Haltung der Bundesregierung kritisiert, die Förderung des Breitbandausbaus möglichst technologieneutral (also unabhängig von der eingesetzten Technik) gestalten zu wollen. Die Befürchtung dabei ist, dass vor allem bestehende Infrastrukturen ausgebaut werden, statt von vornherein auf besonders zukunftsträchtige Technik zu setzen. Das zumindest sagen die Konkurrenten der Deutschen Telekom – während diese wiederum darauf verweist, wie stark sie in den Ausbau der Glasfaserbackbones investiert und wie teuer eine vollständige Glasfaserversorgung aller Bundesbürger wäre.

Da grundsätzlich beide Argumente etwas für sich haben, ist es letztlich eine politische beziehungsweise regulatorische Entscheidung. Richtig ist, dass die Glasfaservernetzung für alle absehbare Zukunft genug Bandbreite zur Verfügung stellen würde – technisch lassen sich Glasfaserverkabelungen durch Erweiterungen in den Verbindungsgeräten noch weit aufrüsten. Noch vor Jahren waren zudem zehn GBit/s eine enorme Bandbreite für Glasfaserleitungen, während heute bereits TBit/s im Backbone fast schon normal sind. Richtig ist aber auch, dass eine technologieneutrale Förderung des Breitbandausbaus zum einen vorhandene Infrastrukturen effizient und schnell nutzbar macht und zum anderen dafür sorgt, dass etwa neu entwickelte Techniken, die in der Gesetzgebung beziehungsweise den Förderrichtlinien nicht erwähnt werden, auch zum Einsatz kommen. Und richtig ist aber auch, dass eine technologieneutrale Förderung möglicherweise der Deutschen Telekom Vorteile verschafft, die vor allem darauf setzt, das Letzte aus den Kupferkabeln zum Endkunden zu holen.

Für die politischen Akteure am einfachsten wäre ein "Universaldienst Internet" mit bestimmten Grundannahmen: Wie beim Universaldienst Telefon, der jedem deutschen Bürger einen Telefonanschluss garantiert, wäre dies eine regulatorische Maßnahme, die den Telekommunikationsfirmen die Umsetzung überließe. Die Finanzierung und die Frage, in welcher Region welche Bandbreite beim Endanwender ankommt, blieben damit aber erstmal ungelöst, will man die technischen Bedingungen nicht in einer Universaldienst-Regelung festschreiben. Mit der Aufnahme konkreter technischer Vorgaben in Gesetze wurden bislang jedoch eher schlechte Erfahrungen gemacht – besonders die Digitalisierung wirft manche Infrastrukturvorgabe schneller über den Haufen, als ein Gesetz überarbeitet werden kann.

Muss man aber die digitale Infrastruktur, also die Backbones und Leitungen zur Endanwenderversorgung, nicht ohnehin als "natürliches Monopol" betrachten – als eine Infrastruktur also, deren Installationskosten so hoch, deren Betriebskosten aber so niedrig sind, dass die Installation konkurrierender Infrastrukturen auch ökonomisch keinen Sinn ergibt? Niemand kommt auf die Idee, um marktwirtschaftliche Konkurrenz im Verkehr zu ermöglichen, das Schienennetz mehrfach aufzubauen. Das Gleiche gilt grundsätzlich für die digitale Infrastruktur – die Netze und physischen Zugangsstellen sind unabhängig von den Diensten, die auf ihnen angeboten werden. Das gilt vom eigentlichen Internetdienst, der Zugang zu Webangeboten, E-Mail und Netzanwendungen bietet, bis hin zu Videostreaming, Fernsehen übers Netz und Telefonie. Die Provider konkurrieren dabei auf einer einheitlichen physischen Netzinfrastruktur um die Gunst der Kunden.

Man muss nun die Netze und Internetanschlüsse nicht gleich in staatliche Hand überführen. Es gibt sogar schon aus Provider-Kreisen den Vorschlag, eine deutsche Netzgesellschaft zu gründen, in der alle Provider, Backbone-Carrier und lokalen Netzgesellschaften ihre Netzinfrastruktur überführen. Diese Netzgesellschaft wäre dafür zuständig, die Netze zu unterhalten und dafür zu sorgen, dass die Daten aller Anwender diskriminierungsfrei transportiert werden – unabhängig davon, bei welchem Provider oder welcher Netzgesellschaft sie Kunde sind.

Fazit

Egal, wie man die Sache betrachtet: Es gibt auf jeden Fall noch einiges zu tun, um die digitale Infrastruktur zu schaffen, die eine digitalisierte Gesellschaft in Deutschland benötigt – oder besser: die Deutschland für seine Zukunft benötigt. Aus rein technischer Sicht wäre die Installation einer kompletten Glasfaserinfrastruktur in den Backbones und in den Zugangsnetzen (also den Internetanschlüssen der privaten Verbraucher und der Unternehmen) die vernünftigste Lösung.

Was wären die Kosten? Das Wissenschaftliche Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK) bezifferte 2010 die Kosten für ein flächendeckendes Glasfasernetz bis zum Kabelverzweiger (FTTC) und VDSL über die Kupferleitungen auf den letzten Metern bis zum Teilnehmer (was die Telekom derzeit anstrebt) auf rund 41 Milliarden Euro. Die Aufwendungen für ein Netz mit einer Glasfaser pro Teilnehmer in einer "Point-to-Point"-Topologie wie im alten Telefonnetz (FTTH) schlügen mit 117,6 Milliarden Euro zu Buche. Neuere Schätzungen aus der Branche belaufen sich auf 70 bis 90 Milliarden Euro.

Eine ganz spezielle Idee zur Finanzierung äußerte Tabea Rößner von den Grünen auf der Jahrestagung des Netzbetreiberverbands Breko: "Wir wollen die Telekom-Anteile des Bundes verkaufen und den Erlös in Glasfaser investieren." Bei den Konkurrenten der Telekom rennt Rößner damit natürlich offene Türen ein. "Reine Glasfaseranschlüsse bis direkt zu allen Bürgern und Unternehmen sind schon bald so wichtig wie ein Wasser- oder Stromanschluss", meint etwa Norbert Westfal, Präsident des Breko. Sein "Aktionsplan Glasfaser" sieht vor: "Deutschland braucht bis 2025 flächendeckend Glasfaseranschlüsse mit mindestens 1 GBit/s." Fördermittel dürften künftig nur noch für Ausbauprojekte vergeben werden, "die Anschlüsse mit einer Mindestgeschwindigkeit von 1 GBit/s als Basisanforderung zur Verfügung stellen". Auch Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, positionierte sich bereits klar: "Kupfer darf nicht mehr gefördert werden."

Minister Dobrindt hält wenig von den Forderungen des Breko und der Grünen, die verbliebenen Staatsanteile an der Deutschen Telekom zu verkaufen, so mehr Geld für die Gigabit-Gesellschaft loszueisen und die Glasfaser ins Zentrum zu rücken. Ab 2018 sollen die Fördermittel des Bundes in die digitale Infrastruktur auf zehn Prozent seiner Nettoinvestitionen festgelegt werden. Konkret entspräche dies etwa drei Milliarden Euro pro Jahr. Parallel hat die Industrie laut Dobrindt zugesagt, innerhalb von zehn Jahren etwa 80 Milliarden Euro zu investieren. Und der Minister erhält Unterstützung von Thorsten Dirks, dem Präsidenten des IT-Branchenverbands Bitkom (in dem die Telekom Mitglied ist): Im Vordergrund stehe die "Technologieneutralität", da es dem Kunden "egal ist, ob er über Glas oder Kupfer an die Bandbreite kommt". Das kann man so sehen, muss man aber nicht. So bleibt es dabei, dass es letztlich eine politische Entscheidung ist, welchen Weg Deutschland in die digitale Zukunft seiner Infrastruktur geht.

ist stellvertretender Chefredakteur vom Computermagazin "c’t" und von "heise online". E-Mail Link: jk@heise.de