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Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Ausverkauf | Infrastruktur | bpb.de

Infrastruktur Editorial Eine kurze (Alltags-)Geschichte der Infrastruktur Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Ausverkauf Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Vorteil Digitale Infrastruktur. Zwischen Fördermilliarden und Netzrealitäten Mit angezogener Handbremse: Zum Stand der Energiewende Kommunale Infrastrukturpolitik. Zwischen Konsolidierung und aktiver Gestaltung

Zur Privatisierung von Infrastruktur. Staat im Ausverkauf

Tim Engartner

/ 15 Minuten zu lesen

Im antiken Rom brannte es beinahe täglich, weil außer Kontrolle geratene Herdfeuer die billigen Mietskasernen leicht in Brand setzten. Vor diesem Hintergrund gründete Marcus Licinius Crassus 70 v. Chr. eine private Feuerwehr. Wenn es brannte, erschien Crassus am Ort des Geschehens und unterbreitete dem Besitzer des brennenden Gebäudes ein Angebot: War er bereit, sein Haus zu einem Bruchteil des angemessenen Preises zu verkaufen, schritten die Löschtruppen zur Tat. Wollte der Besitzer sein Haus nicht verkaufen, pfiff Crassus seine Feuerwehrsklaven zurück und ließ dem Feuer seinen Lauf. Dieses "Geschäftsmodell" ließ ihn zu einem der reichsten Römer seiner Zeit werden.

Schon dieses weit in die Historie zurückreichende Beispiel illustriert, dass es triftige Gründe gibt, die gegen die private Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben sprechen. Um zu erkennen, dass private Wirtschaftstätigkeit in Kernbereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge dramatisch fehlgehen kann, braucht man jedoch keine zwei Jahrtausende zurückzublicken. Auch zahlreiche Beispiele der jüngeren Vergangenheit lassen erkennen, welche verheerenden Folgen die Privatisierung von (Verkehrs-)Infrastrukturen zeitigen können.

So mussten die Bahnfahrer im Mutterland der Eisenbahn allein im ersten Jahrzehnt nach der Privatisierung zusammengerechnet mehr als 11000 Jahre Verspätung in Kauf nehmen, nachdem der britische Premierminister John Major 1994 das einst stolze Staatsunternehmen British Rail privatisiert hatte. Die Zerschlagung von British Rail in 106 private Einzelgesellschaften ließ nicht nur mehr als 2000 Subunternehmen entstehen, sondern führte bereits nach kurzer Zeit deutlich vor Augen, welche Risiken mit einer Fragmentierung des Bahnwesens für Leib und Leben verbunden sind: Die Unfälle von Southall (1997), Paddington (1999) und Hatfield (2000), die zusammen 42 Tote und mehr als 540 teils schwer Verletzte forderten, haben sich ins kollektive Gedächtnis der einst stolzen Bahnfahrernation eingebrannt. Der Wandel von Railtrack auf dem Weg vom Börsen- zum Bettelgang hat dazu geführt, dass nun selbst die konservativen middle classes eine Wiederverstaatlichung des gesamten Bahnwesens befürworten.

Von der Verkehrsplanung zum Verkehrsmarkt

Obwohl der Begriff "Verkehrsplanung" in Deutschland lange Zeit als unverbrüchliches verkehrspolitisches Leitprinzip galt, ist die "Entstaatlichung des Staates" im Land der Autofahrer seit geraumer Zeit auch bei der Straßeninfrastruktur zu beobachten. Während zum Jahresende 2016 selbst seriöse Leitmedien verlauten ließen, dass die Privatisierung der Bundesfernstraßen vom Tisch sei, hat sie faktisch längst begonnen. Zwar soll Artikel 90 des Grundgesetzes (GG), wonach der Bund Eigentümer der Bundesautobahnen ist, unangetastet bleiben. Nicht vom Tisch ist jedoch die von Bund und Ländern vereinbarte privatrechtliche Verkehrsinfrastrukturgesellschaft – und damit eben auch nicht die Vergabe von Konzessionen für Bundesfernstraßen nach dem Modell öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP) als die von CDU/CSU, FDP und SPD favorisierte Form der Privatisierung. Mehrere Pilotprojekte wurden bereits im Einklang mit diesem Modell abgeschlossen: Augsburg West–München Allach (A8), Landesgrenze Hessen/Thüringen–Anschlussstelle Gotha (A4), Malsch–Offenburg (A5) und Bremer Kreuz–Buchholz (A1), die "Feste Warnowquerung" in Rostock und die "Travequerung" in Lübeck. Ein Dutzend weiterer Projekte befindet sich im Bau oder in Planung, so etwa die Autobahnabschnitte Havelland–Dreieck Pankow (A10), Havelland–Neuruppin (A24) und Bordesholm–Hamburg/Nordwest (A7). Allein die Investitionsvolumina dieser drei Projekte betragen mehr als 14 Milliarden Euro.

Dabei werden die von der Privatisierungslobby regelmäßig in Aussicht gestellten Effizienzvorteile über ÖPP meist nicht realisiert. Schon 2014 kam der Bundesrechnungshof zu dem Urteil, dass die Bundesfernstraßen, die als ÖPP-Projekt gebaut und betrieben wurden, 1,9 Milliarden Euro teurer seien als konventionell, also rein staatlich gebaute Projekte. Dies liegt in erster Linie daran, dass der Bund die für den Autobahnaus- und -neubau benötigten Kredite aufgrund seiner höheren Bonität deutlich günstiger aufnehmen kann als Privatunternehmen. Mit der Bundesfernstraßengesellschaft, wie sie die Bundesregierung nun in Gestalt einer "Kapitalsammelstelle für Fernstraßen" umsetzen möchte, würden ÖPP endgültig institutionalisiert – zu Lasten der Allgemeinheit und zum Vorteil der Finanz- und Versicherungsbranche. Letztlich hat die vom seinerzeitigen Bundeswirtschafts- und derzeitigen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) eingesetzte "Fratzscher-Kommission" damit eine weitere Möglichkeit aufgetan, die Kosten der Finanz- und Eurokrise in Zeiten historisch niedriger Zinsen von Kapitalanlegern auf Verbraucher und Steuerzahler zu verlagern.

Während die Aufträge für Anwaltskanzleien, Bau- und Beratungsunternehmen ausgesprochen lukrativ sind, gereichen sie der öffentlichen Hand meist zum Nachteil. Für Politikerinnen und Politiker sind ÖPP attraktiv, weil die Kredite bei einer direkten (Voll-)Finanzierung durch die öffentliche Hand unmittelbar als Schulden zu verbuchen sind, wohingegen die Zahlungen bei einer Privatisierung à la ÖPP über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten anfallen, zusätzliche Staatsschulden somit nicht (in Gänze) verbucht werden müssen. So lässt sich die seit 2016 auf Bundes- und von 2020 an auf Länderebene geltende "Schuldenbremse" zwar umgehen, der Schuldenberg indes wird nicht abgetragen.

Kritik an Privatisierungen im Bereich der Straßenverkehrsinfrastruktur kommt zusehends auch aus traditionell konservativen Kreisen. Da sowohl die Bundesländer als auch die Kommunen in der Bauverwaltung massive Einsparungen vorgenommen hätten, fehlten dort "Bauherrenkompetenz" und Geld, sodass bei ÖPP-Projekten nur noch "einige wenige Großkonzerne" das Sagen hätten, kritisiert der Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, Holger Schwannecke. Bemerkenswert ist die Grundsätzlichkeit seiner Kritik: "Aktuell werden in ÖPP sehr hohe Renditen zugesichert, die Subunternehmer und ihre Beschäftigten, aber auch Steuerzahler und Straßennutzer finanzieren müssen – zusätzlich zum eigentlichen Bau- und Erhaltungsaufwand. Dieser fatalen Entwicklung muss ein Riegel vorgeschoben werden. Die Gestaltungsmacht der öffentlichen Auftraggeber darf nicht weiter geschmälert werden."

Dass das 12949 Kilometer umfassende deutsche Autobahnnetz nun großflächig in private Hände überführt werden soll, ist erstaunlich: Im schlimmsten Fall drohen uns damit – überspitzt gesagt – Wegezölle wie im Mittelalter. Zugleich wartet die Bundesrepublik noch immer auf die Kompensationszahlungen für die 16 Monate verspätete Inbetriebnahme des Lkw-Mautsystems "Toll Collect", das 2002 als ÖPP von einem Betreiberkonsortium aus Deutscher Telekom, Daimler Chrysler und Cofiroute gegründet wurde und als "Stück aus dem Tollhaus" bezeichnet werden muss. Der Prozess vor dem privaten Schiedsgericht hat die Steuerzahler bislang einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet – und noch immer wurde keine Einigung erzielt. Eine außergerichtliche Verständigung scheiterte am Widerstand des ehemaligen Bundesverkehrsministers Peter Ramsauer (CSU), der auf eine richterliche Entscheidung bestand, weil dem Bund sonst mehrere Milliarden Euro verloren zu gehen drohen.

Bereits seit zwei Jahrzehnten zielen die Privatisierungsbemühungen auf die entlang des nationalen Autobahnnetzes angesiedelten Service-Einrichtungen wie Tankstellen, Raststätten und Hotels. 1998 wurde das bundeseigene Unternehmen Autobahn Tank & Rast GmbH an ein privates Konsortium der Allianz Capital Partners GmbH, der Deutschen Lufthansa Service Holding AG sowie der Apax Beteiligungs GmbH veräußert. Die rot-grüne Bundesregierung verfolgte mit dieser Privatisierung neben der "verkehrspolitisch(en) (…) Stärkung des Systems ‚Fahren-Tanken-Rasten‘ auf der Autobahn" und der Generierung von Einmaleinnahmen auch die Erhaltung der "mittelständischen Strukturen im Bereich der Pächter/Betreiber". 2004 verkaufte das Konsortium dann Tank & Rast für knapp 1,2 Milliarden Euro an das britische Private-Equity-Unternehmen Terra Firma Capital Partners. Diese soll sich 2006 eine üppige Sonderdividende ausgeschüttet haben, was maßgeblich zur Schuldenlast von Tank & Rast beigetragen haben dürfte. Ein Jahr später wurde die Hälfte von Tank & Rast an einen Infrastrukturfonds der Deutschen Bank namens RREEF weitergereicht.

Seit 2015 befinden sich die Autobahntankstellen und -raststätten hierzulande in den Händen eines Konsortiums, zu dem neben dem Versicherungskonzern Allianz unter anderem der Staatsfonds von Abu Dhabi sowie der kanadische Infrastrukturinvestor Borealis zählen. Der "Reibach an der Raststätte" findet seinen Ausdruck nicht nur in horrenden Benzin- und Gastronomiepreisen, sondern auch darin, dass zuletzt die Gebühr des viel diskutierten Sanifair-"Toilettenwertbons" von 50 auf 70 Cent erhöht wurde, obwohl sich weiterhin nur 50 Cent an der Kasse einlösen lassen. Somit zahlen die Reisenden beim Aufsuchen der Toilette die Ausschüttungen für die Aktionäre der privaten Investoren.

Von der Bürgerbahn zur Börsenbahn

Die zum Jahresbeginn 1994 eingeleitete Privatisierung der Deutschen Bahn (DB) illustriert auf besonders eindrucksvolle Weise, welche sozial-, umwelt- und finanzpolitischen Risiken mit der Privatisierung eines Infrastrukturunternehmens einhergehen können. Als "kränkelnder Dinosaurier im Schuldenmeer" und "Sprengsatz des Bundeshaushalts" wurde die einstige "Behördenbahn" Bundesbahn in den letzten Jahren ihres Bestehens diskreditiert. Aber trotz größerer Flexibilität im Personal-, Angebots- und Vermarktungsbereich, die ein privatwirtschaftliches Unternehmen gegenüber einem behördlich geführten staatlichen Sondervermögen genießt ("AG-Effekt"), misslang die finanzielle Sanierung der DB AG. Statt nach betriebswirtschaftlicher Rechnungslegung erfolgreich zu konsolidieren, häufte das Unternehmen – obwohl 1994 von sämtlichen Verbindlichkeiten befreit – binnen zehn Jahren laut konzerneigenem Wirtschaftsbeirat Nettoschulden in Höhe von 38,6 Milliarden Euro an und damit mehr als Bundes- und Reichsbahn in der Zeit ihres Bestehens zusammen. Und obgleich der ehemals größte Arbeitgeber der Bundesrepublik 2016 rund acht Milliarden Euro Regionalisierungsmittel erhielt, belaufen sich dessen Schulden noch immer auf beinahe 19 Milliarden Euro.

Dabei konzentriert sich das "Unternehmen Zukunft" (Eigenwerbung) längst nicht mehr auf die verlässliche Fahrgastbeförderung zwischen Delmenhorst, Dinslaken und Düren, sondern setzt auf Frachttransporte zwischen Dallas, Delhi und Den Haag. Beinahe zwei Drittel seines Umsatzes erzielt der internationale Mobilitäts- und Logistikdienstleister inzwischen mit bahnfremden Dienstleistungen. Als Global Player setzt die DB AG auf profitable Fluggesellschaften (Bax Global), Lkw-Speditionen (Stinnes), Fuhrparks (Bundeswehr) oder den Ausbau des Schienenverkehrs in Indien und Saudi-Arabien. Fahrpreiserhöhungen, Bahnhofsschließungen, Lok- und Oberleitungsschäden, Weichen- und Signalstörungen sowie "Verzögerungen im Betriebsablauf" sind die (Spät-)Folgen der von Hartmut Mehdorn als Bahnchef in den 2000er Jahren ausgegebenen Desinvestitionspolitik. Die seinerzeit auf seinem Schreibtisch platzierten Symbole für die Börse – Bulle und Bär – sind geradezu emblematisch für sein Bemühen, die "Braut" DB AG für den noch immer nicht endgültig abgesagten Börsengang "aufzuhübschen". Mehr als 8000 Stunden Verspätung fahren deren Züge Tag für Tag ein. So ist es kaum verwunderlich, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung sich eine Bürger- statt einer Börsenbahn wünscht, die von beinahe jährlichen Fahrpreiserhöhungen ebenso Abstand nimmt wie von einer Ausdünnung der Fahrtakte in Tagesrandlagen oder der Schließung von Streckenabschnitten in peripheren Bedienungsgebieten.

Viele verkehrspolitische Entscheidungsträger übersehen triftige Gründe, die gegen eine Kapitalmarktorientierung im Bahnwesen sprechen. So wird ein privatwirtschaftlich organisiertes und damit gewinnorientiertes Unternehmen unter rein kaufmännischen Gesichtspunkten stets solche Zugleistungen und -verbindungen aufgeben (müssen), deren Ertragswerte negativ sind oder jedenfalls unterhalb der durchschnittlichen Rendite im Bahnsektor liegen. Die einem Glaubensbekenntnis gleichkommende Behauptung, konkurrierende, ebenfalls private Betreibergesellschaften übernähmen derartige Zugfahrten, Linien oder Netzteile, verklärt den Umstand, dass auch diese nach betriebswirtschaftlichem Kalkül operieren (müssen). Cum grano salis: Auch im Wettbewerb zwischen verschiedenen (privaten) Zuggesellschaften führt der Rentabilitätsdruck zu einer Einstellung unprofitabler Streckenabschnitte – es sei denn, die Betreibergesellschaften werden staatlich subventioniert.

Hinzu kommt, dass der generationenübergreifende Zeithorizont, auf den Infrastrukturinvestitionen angelegt sind, in einem schier unauflösbaren Spannungsverhältnis zu den kurzfristigen Rentabilitätsinteressen börsennotierter Unternehmen steht. Dies zeigt nicht nur der Blick nach Großbritannien, sondern auch der nach Neuseeland. In beiden Staaten wurde die Infrastruktur an private Investoren verkauft, jeweils mit üblen Folgen: Der Überschuss wurde nicht reinvestiert, sondern getreu der Shareholder-Value-Orientierung an die Aktionäre ausgeschüttet, während die Investitionen in die Instandhaltung des Trassennetzes auf ein Minimum reduziert wurden. Railtrack musste im Oktober 2001 Konkurs anmelden, die neuseeländische Tranz Rail stand unmittelbar vor der Insolvenz, sodass sich die Regierungen in beiden Fällen gezwungen sahen, die Schienenwege wieder zu verstaatlichen, um deren Modernisierung mit Milliarden- beziehungsweise dreistelligen Millionenbeträgen nachzuholen.

Ein prominentes Beispiel für das fehlende infrastukturpolitische Engagement des Staates ist die Rheintalstrecke als wichtigste deutsche Frachtverbindung zwischen den Nordseehäfen und dem Mittelmeer. Sie ist nach wie vor ein Nadelöhr für den europäischen Güterverkehr, weil hier nur zwei statt vier Schienenstränge zur Verfügung stehen. Wird dieser Investitionsbedarf nicht ernst genommen und der daraus resultierende Investitionsstau aufgrund der horrenden Ausgaben für Großprojekte wie "Stuttgart 21" oder Neubautrassen wie die ICE-Strecken Nürnberg–Erfurt–Halle und Wendlingen–Ulm nicht auch im nördlichen Streckenabschnitt oberhalb von Weil am Rhein aufgelöst, werden die Güterströme trotz Lkw-Schwerverkehrsabgabe (Lkw-Maut), Ökosteuer und gestiegener Kraftstoffpreise auch künftig zum Großteil über Autobahnen abgewickelt. Dies gilt erst recht, weil die Zahl der industriellen Gleisanschlüsse seit 1992 um mehr als zwei Drittel reduziert wurde.

Welche negativen Entwicklungen die (formelle) Privatisierung der DB mit Blick auf die in Artikel 87e Absatz 4 GG verbriefte flächendeckende Versorgung mit Schienenverkehrsleistungen hat, lässt sich auch am Wandel der Bahnhofslandschaft ablesen. Obwohl Bahnhöfe als integraler Bestandteil der Bahninfrastruktur nicht nur Ankunfts-, Abfahrts- und Wartestellen für Zugreisende, sondern auch "Visitenkarten" der jeweiligen Orte sind, setzt sich das Phänomen des "Bahnhofssterbens" fort. Das Ziel der Kapitalmarktfähigkeit fest im Blick, treibt die DB AG mit dem (Aus-)Verkauf der Bahnhofsgebäude den Abbau des Anlagevermögens und damit die Steigerung der Eigenkapitalrendite voran. In den vergangenen zwanzig Jahren wurden rund 1700 Bahnhofsgebäude veräußert und mehrere Hundert geschlossen, von den nunmehr verbliebenen Bahnhöfen soll noch einmal rund die Hälfte verkauft werden. Lag die "Bahnhofsdichte" Mitte der 1960er Jahre in Westdeutschland noch bei 4,1 Kilometern, findet sich gegenwärtig entlang des seit 1994 um ein Drittel geschrumpften Schienennetzes nur noch alle sieben Kilometer ein Bahnhofsgebäude.

Privatisierungen in der Luftfahrtbranche

Marktmechanismen greifen aber nicht mehr nur bei der Straßen- und Bahninfrastruktur, sondern längst auch im Luftverkehr. Während die deutschen Fluggesellschaften schon lange in privater Hand sind – zuletzt wurde 1997 der Branchenprimus Deutsche Lufthansa privatisiert – werden zunehmend auch Flughäfen von Privaten betrieben. In ihrem 1994 vorgelegten "Luftfahrtkonzept 2000" untermauerte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung ihre Absicht, eine stringente Privatisierung der Bundesanteile im Flughafensektor zu forcieren.

Materielle Teilprivatisierungen zielten hierzulande bislang zuvorderst auf umsatzstarke Flughäfen wie die in Frankfurt am Main (Fraport AG), Düsseldorf (50 Prozent Stadt Düsseldorf und 50 Prozent Airport Partners GmbH, die wiederum zu 40 Prozent der Hochtief Airport GmbH, zu 20 Prozent der Hochtief Air Port Capital KGaA und zu 40 Prozent der Dublin Airport Authority plc. gehört), Hamburg (51 Prozent Freie und Hansestadt Hamburg und 49 Prozent Hochtief Airport), Hannover (35 Prozent Landeshauptstadt Hannover, 35 Prozent Land Niedersachsen und 30 Prozent Fraport AG) und Mönchengladbach (70 Prozent Düsseldorfer Flughafen und 30 Prozent NEW mobil und aktiv Mönchengladbach GmbH). Der Flughafen Düsseldorf International wurde 1997 als erster deutscher Verkehrsflughafen teilprivatisiert, als die nordrhein-westfälische Landesregierung 50 Prozent ihrer Anteilsscheine an die Airport Partners GmbH veräußerte. 1998 und 2000 erfolgte durch Verkäufe staatlicher Anteile die Teilprivatisierung der Flughäfen Hannover und Hamburg. Unabhängig von der genauen Ausgestaltung der einzelnen Privatisierungen – am bekanntesten ist die (Teil-)Privatisierung des Frankfurter Flughafens durch den Börsengang der Fraport AG im Juni 2001 – steht zu vermuten, dass der Trend in Richtung privatunternehmerisch geführter Flughäfen anhalten dürfte.

Eine in der Öffentlichkeit breit diskutierte Zäsur in Richtung Ökonomisierung der Flugverkehrsbranche bedeutete das 2005 in den Deutschen Bundestag eingebrachte Flugsicherungsgesetz, mit dem der Weg für die Kapitalprivatisierung der Deutschen Flugsicherung (DFS) freigemacht werden sollte. Im Gegensatz zur (bloß) formellen Privatisierung 1993 sollte nun eine materielle, sprich: eine Kapitalprivatisierung eingeleitet werden, weshalb das vorgelegte Flugsicherungsgesetz den Verkauf von 74,9 Prozent der bundeseigenen DFS-Anteile an private Investoren ermöglichte. Um die Einflussnahme des Bundes auf die nationale Flugsicherung beizubehalten, sollte dem Bund eine Sperrminorität von 25,1 Prozent zugesprochen werden.

Die Umsetzung des bereits vom Bundestag verabschiedeten Gesetzes scheiterte jedoch an der Zustimmung des seinerzeitigen Bundespräsidenten Horst Köhler. Dieser wandte ein, dass "nach der aktuellen Rechtslage (…) die Flugsicherung eine sonderpolizeiliche Aufgabe des Staates (ist), die hoheitlich durch den Staat wahrzunehmen ist und nicht etwa durch private Unternehmen". Angesichts erwarteter Erlöse in Höhe von rund einer Milliarde Euro und aufgrund der Tatsache, dass durch eine Grundgesetzänderung im August 2009 die Aufteilung von Aufsichts- und Durchführungsaufgaben in der Flugsicherung angebahnt wurde, dürfte die (Teil-)Privatisierung der Flugsicherungsorganisation mittelfristig dennoch umgesetzt werden.

Verzicht auf Verkehrspolitik?

Die skizzierte Ökonomisierung der (Verkehrs-)Infrastruktur lässt – neben den im Detail sehr unterschiedlich zutage tretenden negativen Auswirkungen – erkennen, dass eine allein auf Marktkonformität zielende Verkehrspolitik ein ehernes volkswirtschaftliches Gesetz verkennt: Preise können bei knappen, nicht erneuerbaren Ressourcen aufgrund verzerrter Kostenrechnung falsche Signale senden. Das weithin akzeptierte Ansinnen der Umweltökonomie, eine an den Grundsätzen der ökologischen Nachhaltigkeit orientierte Marktgestaltung anzustrengen, wird mit der ausschließlichen Marktorientierung ignoriert. Gestalterischen Elementen, die zum Beispiel eine breitenwirksame Bestandsoptimierung der Schieneninfrastruktur zuließen, wird damit die (politische) Legitimation entzogen.

Die Feststellung, dass die integrale Vernetzung der Verkehrssysteme bislang nicht ausreichend umgesetzt worden ist, reicht den Apologeten eines allein auf Marktkonformität ausgerichteten Verkehrssystems aus, um die Forderung nach einer noch weiter reichenden Privatisierung der Verkehrsinfrastruktur zu erheben. Ausgeblendet wird dabei, dass etwa mit der vonseiten der FDP vor einigen Jahren geforderten Privatisierung von Park-&-Ride-Anlagen nicht nur deren kostenfreie Nutzung zur Disposition gestellt würde, sondern zugleich ein entscheidender Anreiz für den allseits beschworenen "Umstieg vom Auto auf die Bahn" verloren ginge.

Schon jetzt wird mit der Ausdünnung der öffentlichen Infrastruktur immer sicht- und spürbarer das in Artikel 20 und Artikel 28 GG verankerte Sozialstaatsprinzip unterminiert, die in Artikel 72 Absatz 2 GG festgeschriebene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als Staatsziel verkannt und werden Artikel 87d und 87e GG ausgehöhlt, in denen die Luftverkehrsverwaltung sowie die Verwaltung der bundeseigenen Eisenbahnen geregelt sind. Die Behauptung, dass ein Festhalten am Konzept der "Verkehrsplanung" zu einer "Durchstaatlichung der Gesellschaft" führe, ist eine der zentralen zu kurz greifenden Argumentationen neoliberaler Programmatik.

Tafelsilber gehört in den Schrank

Womöglich aber stehen wir vor einer Rückkehr des Staates, denn der häufig aus reiner Finanznot geborene Ausverkauf von Volksvermögen stößt mittlerweile bis in die Mitte der Gesellschaft auf Skepsis. So sind sich mehr als zwei Drittel der SPD- und Unionswähler einig, dass Bahn, Post und Gaswerke beim Staat besser aufgehoben sind als in privaten Händen. Offenkundig ist der Glaube an die Allmacht des freien Marktes erschüttert, weil viele Bürgerinnen und Bürger realisieren, dass der "betriebswirtschaftliche Imperialismus" uns von der gemeinhin akzeptierten (Sozialen) Marktwirtschaft in eine Marktgesellschaft geführt hat. Mit jeder Privatisierung werden Einflussmöglichkeiten von demokratisch legitimierten Akteuren zu privaten verschoben, sodass die Entscheidungen – jedenfalls prinzipiell – von Personen und Gremien getroffen werden, die sich öffentlich nicht verantworten müssen. Somit können schwerwiegende Verfehlungen, deren negative Auswirkungen oftmals erst mit einigem zeitlichen Abstand erkennbar sind, den Verantwortlichen nur bedingt – und meist ausschließlich bei strafrechtlicher Relevanz – mit unmittelbaren Folgen für sie selbst angelastet werden.

Ein weiterer wesentlicher Einwand gegen den mit jeder Privatisierung verbundenen Rückzug des Staates ergibt sich daraus, dass die beliebte Metapher vom "Verkauf des Tafelsilbers" die Entwicklung verharmlost, weil Letzteres bloß unnütz im Schrank herumliegt, während staatliche Unternehmen der öffentlichen Hand laufende Einnahmen verschaffen und damit der Allgemeinheit dienen. So belegt die Geschichte des Bahn- und Postwesens, dass Staatsunternehmen durchaus profitabel arbeiten können. Die Bundespost ließ dem Staatshaushalt noch gegen Ende der 1980er Jahre einen Jahresüberschuss von mehr als fünf Milliarden DM zufließen. Mindestens ebenso beeindruckt die Tatsache, dass der preußische Staat vor dem Ersten Weltkrieg nahezu ein Drittel seines Haushalts durch die Einnahmen aus dem Bahnbetrieb decken konnte.

Dass die Preisgabe staatlicher Steuerungsmöglichkeiten auch gegenwärtig noch einen Verzicht auf staatliche Einnahmen bedeuten kann, zeigt das Beispiel der Schweizerischen Bundesbahnen. Diese konnten in den vergangenen Jahren trotz kostspieliger Investitionen wie zum Beispiel in das milliardenschwere "Mammutprojekt" Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) unter der Federführung der AlpTransit Gotthard AG – einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Schweizerischen Bundesbahnen – hohe Millionenbeträge als Überschuss verbuchen.

Das stichhaltigste Argument gegen die Privatisierung vormals öffentlicher Unternehmen leitet sich aus der Tatsache ab, dass private Unternehmen aufgrund ihrer Verpflichtung, profitabel zu wirtschaften, zahlreiche Ziele verfolgen, die einer am Gemeinwohl orientierten Politik diametral entgegenstehen. So werden durch Privatisierungen wichtige Hebel zur Gestaltung einer wünschenswerten (volks-)wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Entwicklung aus der Hand gegeben, denn die Stärkung der Marktkräfte höhlt bei gleichzeitiger Einschränkung der staatlichen Regulations- und Kontrollmöglichkeiten die wirtschaftspolitischen Instrumentarien aus.

Mit einem Verzicht auf Infrastrukturinvestitionen beispielsweise beraubt sich der Staat der Möglichkeit, den Verdrängungswettbewerb auf dem Verkehrsmarkt zugunsten des Verkehrsträgers "Schiene" auszugestalten. Beleben ließe sich die Schienenverkehrsnachfrage schließlich nur durch ein Verbot von Fernlinienbussen, die Verteuerung des Straßenverkehrs sowie das Vorhalten eines preiswerten und eng getakteten Bahnangebots. Es bleibt zu hoffen, dass soziale Korrekturmaßnahmen wie zum Beispiel Job-, Schüler- und Studierendentickets auch in Zukunft bezuschusst werden. Denn statt die öffentliche Daseinsvorsorge auf dem Altar des Marktes zu opfern, sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass sich die Stärke einer Gesellschaft am Wohl der Schwachen bemisst. Dies gilt in besonderer Weise für die Verkehrsinfrastruktur, mag doch niemand daran zweifeln, dass Mobilität in der heutigen Zeit unverzichtbar ist.

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ist Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuletzt erschien von ihm "Staat im Ausverkauf. Privatisierung in Deutschland" (2016). E-Mail Link: engartner@soz.uni-frankfurt.de