Estland, Lettland und Litauen werden häufig als Dreiergespann wahrgenommen: Seit der "Singenden Revolution", die 1991 in ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion mündete, haben die drei Staaten im Zuge ihres wirtschaftlichen Transformationsprozesses und der demokratischen Konsolidierung viele Entwicklungen parallel durchlaufen und mit dem Tempo und der Entschlossenheit ihres Reformkurses beeindruckt. Heute stehen sie etwa mit Blick auf die massive Abwanderung von Arbeitskräften, die Integration ihrer multiethnischen Gesellschaften oder ihre starke Energieabhängigkeit von Russland vor ähnlich großen Herausforderungen.
Die dem "Baltikum" zugeschriebene Einheitlichkeit entspricht jedoch nicht dem Selbstverständnis der Esten, Letten und Litauer. Tatsächlich greift sie zu kurz, denn in historischer, religiöser und sprachlicher Hinsicht gibt es grundlegende Unterschiede. So geht die Eigenstaatlichkeit Litauens, dessen Gebiet sich zeitweise bis zum Schwarzen Meer erstreckte, bis ins Mittelalter zurück, während Estland und Lettland erstmals 1918 als unabhängige Staaten in Erscheinung traten. Litauen ist katholisch, Estland und Lettland sind protestantisch geprägt. Sprachlich stehen sich wiederum Lettland und Litauen näher, deren Idiome eng verwandt sind, während das Estnische als finnougrische Sprache nicht zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört.
Angesichts der noch nicht lange zurückliegenden Wiederherstellung ihrer Unabhängigkeit ist der Nachdruck einleuchtend, mit dem Estland, Lettland und Litauen ihre Eigenständigkeit betonen. Spätestens seit Beginn der Ukrainekrise 2014 treten jedoch vor allem ihre gemeinsamen Sicherheitsinteressen in den Vordergrund – umso mehr, als die Zweifel am Zusammenhalt der EU und des westlichen Verteidigungsbündnisses, in deren Mitte die drei Staaten als Teil der Eurozone und Standorte neu aufgebauter NATO-Stützpunkte angekommen sind, zunehmen.