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Mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus | Gewalt | bpb.de

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Mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus

Robert Kahr Frank Robertz Ruben Wickenhäuser

/ 15 Minuten zu lesen

Besonders gravierende Formen von Gewalt wie etwa Amokläufe, School Shootings oder Terroranschläge werden in der deutschen Forschung als "hochexpressive Gewalttaten" bezeichnet. Sie treten in der Regel in Form von zielgerichteten Gewalthandlungen auf und entstehen somit nicht impulsiv oder gar zufällig. Vielmehr haben sie ihren Ursprung zumeist im Erleben eines subjektiv belastenden Missstandes, der zu intensiven Gewaltfantasien führt. Diese münden in eine geplante Gewalttat, um den vom Täter oder der Täterin als schwerwiegend wahrgenommenen Missstand zu beseitigen. Bei einem solchen kann es sich zum Beispiel um psychische Verletzungen, um scheinbare gesellschaftliche Probleme oder um den unerfüllten Wunsch nach subkultureller Anerkennung handeln.

Vor allem wenn hochexpressive Gewalttaten im eigenen Land erfolgen, sind sie für Tage oder gar Wochen das beherrschende Thema der Medien. Auch öffentlich-rechtliche Sendeanstalten beschränken sich dabei meist nicht auf eine sachlich-distanzierte Darstellung des Vorfalls und seine komplexen Entstehungsbedingungen. Vielmehr wird die Berichterstattung mit einer Flut aus emotionsbetonten Bildern und Videos über Täter und Tat begleitet. Andere Nachrichten treten dann für kurze Zeit in den Hintergrund, da der Nachrichtenwert des Attentats überwiegt. Häufig ist gerade diese multimediale Präsenz ein Kernziel des Täters. Dem wird durch die intensive Berichterstattung und Verbreitung der Täterabsichten willfährig entsprochen. Noch schwerwiegender: Eine solche Form der Medienberichterstattung hat unter bestimmten Voraussetzungen einen starken Einfluss auf das Entstehen von Nachahmungstaten. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns einerseits mit den Ursachen für solche medieninduzierte Nachahmungstaten und andererseits mit Möglichkeiten, ihr Entstehen durch eine verantwortungsbewusste Berichterstattung einzuschränken.

Nachrichtenwert extremer Gewalttaten

Hochexpressiven Gewalttaten wird generell eine hohe mediale Bedeutung beigemessen. Sie erfüllen gleich mehrere inhaltliche Faktoren, anhand derer Journalistinnen und Journalisten die Relevanz für ihre Berichterstattung bestimmen. Als zentral für die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer Veröffentlichung wurden von den Kommunikationswissenschaftlern Pamela Shoemaker und Akiba Cohen zum einen der Grad der Devianz und zum anderen die soziale Signifikanz benannt. Devianz wird durch das Abweichen von gesellschaftlichen Normen erfüllt, wie beispielsweise durch Konflikte und Kontroversen, während soziale Signifikanz durch das Ausmaß bestimmt wird, in dem das Ereignis Einfluss auf das persönliche Leben und die Gesellschaft haben kann. Je mehr ein Ereignis also von der allgemein akzeptierten Norm abweicht und je größer die tatsächlichen oder befürchteten Auswirkungen auf das eigene Leben und die Gesellschaft sind, desto höher wird der "Wert", der einer Nachricht von Medienschaffenden zugeschrieben wird – und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie an prominenter Stelle verbreitet, öfter wiederholt und länger weiterverfolgt wird.

Zielgerichtete Gewalttaten wie der Amoklauf von München sowie die Terroranschläge in Würzburg und in Ansbach im Juli 2016 erfüllen ebendiese Bedingungen. Die Täter brechen auf extreme Weise allgemein akzeptierte Normen und schaffen eine Atmosphäre der Unsicherheit. Gesellschaftlich äußert sich das derart gestörte Sicherheitsgefühl in dem Ruf nach mehr Überwachung und Polizei. Die hierbei drohenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit und Veränderungen der politischen Einstellung breiter Bevölkerungsgruppen haben mithin auch Einfluss auf das persönliche und gesellschaftliche Leben. Somit besitzen die Taten sowohl Merkmale hoher Devianz als auch hoher sozialer Signifikanz. Der Nachrichtenwert extremer Gewalttaten ist also per se sehr hoch.

Dies wird insbesondere im Rahmen terroristischer Anschläge deutlich, deren explizites Ziel ja gerade die umfassende Verängstigung der Gesellschaft zur Erreichung politischer Ziele ist: Terrorismus ist damit auch als eine Kommunikationsstrategie zu sehen. Für diese ist nicht allein der Bericht über die Tat an sich relevant, sondern vor allem die Anschlusskommunikation über ihre Konsequenzen. Bei einem isolierten Bericht über das Ereignis darf es für die Terroristen nicht bleiben, schreibt die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel: "Ohne die Bilder in den Medien gibt es keine Bilder in den Köpfen der Menschen (…) Und wenn es die nicht gibt, verfehlt der terroristische Anschlag einen wesentlichen Teil seines Zwecks." Um die essenzielle Bedeutung der Berichterstattung für diese Form des Terrorismus hervorzuheben, verlieh die Politikwissenschaftlerin Brigitte Nacos solchen Anschlägen den Namen "mass-mediated terrorism".

Bilder als wichtiges Instrument

Damit ist gleichzeitig ein dritter Faktor benannt, der für weitreichende Berichterstattung und damit für den Erfolg des Terrorismus von entscheidender Bedeutung ist: Neben Devianz und sozialer Signifikanz ist die Visualität des Ereignisses unabdingbar. Videos und Bilder der Täter ermöglichen es ihnen, ihre Botschaften über die Medien an die Gesellschaft als ihre Zielgruppe zu transportieren. Zugleich erhöhen sie damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Medien der Tat noch größere Aufmerksamkeit schenken.

Aus Sicht von Terroristen besonders effektiv ist das Bereitstellen von authentischem "Tätermaterial". Da die Redaktionen unter enormem Konkurrenzdruck arbeiten, ist für sie der Zugang zu solchen Informationen von großer Bedeutung. Wenn der Täter ihnen fertig ausformulierte Motive und Narrative zur Verfügung stellt, dann kann ihnen eine möglichst schnelle – und somit oft ungenügend gefilterte – Veröffentlichung dieses Materials einen Vorteil im medialen Rennen geben.

Zahlreiche Täter produzieren Bekennerschreiben, Videos und möglichst schockierende Bilder, die sie an die Medien weiterreichen. Dabei weisen sie mitunter noch darauf hin, dass sie sich direkt an die Medien wenden müssen, weil sonst die Gefahr einer Zensur durch die Sicherheitsbehörden bestehe. Eine Rechtfertigungsstrategie zur Nutzung der Täterpropaganda wird auf diese Weise gleich mitgeliefert. Diese professionelle Manipulation klassischer Medien zeigt sich auch in der Beachtung des richtigen Timings und der optimierten Adressierung. Die Kommunikationswissenschaftler Klaus Beck und Thorsten Quandt sprechen in diesem Kontext vom "‚Bedienen‘ von Nachrichtenwerten, Medienschemata und -frames". Damit wird deutlich, in welch hochproblematische Rolle die Medien hier geraten (können) – nämlich, wenn sie sich durch die Übernahme der Erklärungen der Täter ungewollt zu Komplizen machen: Das Verhältnis zwischen Medien und Terroristen nimmt dann fast symbiotische Züge an.

Social Media: Komplement zu den Massenmedien

Es ist jedoch nötig hervorzuheben, dass es nicht mehr allein die klassischen Massenmedien sind, die Informationen effektiv streuen und gesellschaftliche Diskussionen in Gang setzen. Dank der nahezu universellen Verfügbarkeit des Internets auf Smartphones, Tablets und Computern kann heutzutage nahezu jeder am Diskurs teilnehmen. Boten früher Fernsehen, Radio und Zeitung Möglichkeiten, sich mehr oder weniger passiv zu informieren, so kann inzwischen jeder über die neuen Medien aktiv Informationen verbreiten, und zwar grenzüberschreitend und weitgehend ungefiltert.

Auch terroristische Gruppen machen sich diese Kanäle zunutze, um Propaganda zu verbreiten. Diese kann völlig eigenständig an ein internationales, disperses Publikum im Netz gerichtet werden. Propagandavideos des sogenannten Islamischen Staates (IS) sind beispielsweise auf Youtube verfügbar und können weltweit über Social-Media-Kanäle geteilt, kommentiert und empfohlen werden. Zudem kann unmittelbar auf Ereignisse reagiert werden: So veröffentlichte etwa der "IS" schon kurz nach dem Axt-Attentat in einem Zug bei Würzburg ein Video, in dem er die Tat für sich beanspruchte. Das von Nacos betonte Konzept des "mass-mediated terrorism" muss folglich im Hinblick auf die neuen medialen Möglichkeiten zu einem Konzept des "social-mediated terrorism" erweitert werden.

Hinzu kommt, dass die Verwendung von Social Media zur Rekrutierungszielgruppe terroristischer Gruppen passt. So lässt sich etwa eine Radikalisierung mehrerer deutscher Attentäter über soziale Netzwerke belegen. Im Rahmen ihrer tatvorbereitenden "Pressearbeit" erstellen junge Täter häufig Bekennervideos, die dann auf Online-Plattformen wie Youtube oder Facebook erscheinen; sowohl der Attentäter von Würzburg als auch mutmaßlich der Täter von Ansbach nahmen solche Videos von sich auf. Ein terroristisch motivierter Gewalttäter, der 2015 in einem jüdischen Supermarkt in Paris mehrere Menschen ermordete, nahm sogar die Gewalttat mit einer tragbaren Kamera live auf, während in anderen Fällen etwa Facebook-Livestreams oder auch die Kommunikation über Facebook-Profile von Geiseln bekannt wurden.

Live-Mitteilungen von Taten sind jedoch nicht nur dann problematisch, wenn sie von Täterseite kommen. Auch Kurzmitteilungen von Personen in der Nähe eines Anschlags können gefährliche Verwirrung stiften. So verbreitete sich im Laufe des Münchner Amoklaufs über eine Stunde lang der irrtümliche Tweet eines jungen Mannes, am Karlsplatz (Stachus) werde geschossen. Diese Information wurde von verschiedenen Fernseh- und Radiosendern aufgegriffen. Taxis wurden daraufhin von ihrer Zentrale angewiesen, den Platz zu meiden. In der Folge begann sich über den gleichen Informationsweg eine große Anzahl an Gerüchten über den Aufenthaltsort und die Anzahl der Täter zu verbreiten. Solcherlei Irrtümer erhöhen die Aufmerksamkeit für die an sich bereits dramatische Tat zusätzlich.

Verantwortung der Massenmedien

Dass die Verbreitung von Bildern und Videos im Internet nicht effektiv unterbunden werden kann, wird von den etablierten Massenmedien mitunter als Grund dafür genannt, das Tätermaterial auch ihrerseits zu verwenden. Es sei schließlich bereits öffentlich verfügbar. Dabei wird jedoch die Rolle der Massenmedien als Multiplikatoren und Kontrollinstanzen, die Meldungen kuratieren und verifizieren sollen, vernachlässigt. Von ihnen wird die redaktionelle Bearbeitung von Nachrichten erwartet, ein kritisches Hinterfragen, um den "Wahrheitsgehalt" von Nachrichten zu überprüfen. Werden Propaganda und Informationsschnipsel ungefiltert aus sozialen Netzwerken übernommen, werden sie einem solchen Anspruch nicht gerecht.

Diesem Anspruch steht jedoch der Konkurrenz- und Zeitdruck, unter dem die klassischen Massenmedien stehen, diametral entgegen. Fehleinschätzungen und vorschnelle Aussagen von Zeugen oder Expertinnen können so rasch zu scheinbar unanfechtbaren Wahrheiten avancieren. Trotz der Wirkungsmacht neuer Informationskanäle liegt daher weiterhin eine große Verantwortung bei den klassischen Massenmedien. Diese zeigt sich auch darin, dass durch eine bestimmte Form der Berichterstattung Nachahmungstaten begünstigt werden können.

Auffällige Häufungen von kurz aufeinanderfolgenden, analog verübten Gewalttaten sind seit Langem bekannt, sei es bei politischer Gewalt, Flugzeugentführungen, im Rahmen von Geiselnahmen bei Banküberfällen oder bei Bomben in Flugzeugen. Dies gilt auch für medial berichtete Einzeltötungen, terroristische Gewalttaten und Amokläufe von Erwachsenen. Dass eine besonders umfassende und unkritische Berichterstattung für solche Häufungen relevant sein könnte, wurde insbesondere im Kontext von School Shootings deutlich. Viele Täter nahmen explizit auf besonders schwerwiegende Vorgängertaten Bezug und benannten sie als ihre Vorbilder und Gesinnungsgenossen. Es zeigte sich dabei, dass die medial intensive Darstellung von Tat und Tätern in den Medien für die Identifikation von Nachahmungstätern mit ihren Vorbildern eine wichtige Rolle spielte. Der Expertenkreis Amok stellte daher in seinem Abschlussbericht zum School Shooting in Winnenden 2009 fest: "Eine extensive, täterzentrierte und detaillierte Amokberichterstattung ist Katalysator für Nachahmungsfantasien und -absichten amokgeneigter junger Menschen."

Nachahmer sind von ihren Vorbildern fasziniert, tragen Material über sie zusammen, identifizieren sich mit ihnen und nutzen sie, um ihre eigene deviante Persönlichkeit auszuformen. Tagebucheinträge, prädeliktische Aussagen, Zeichnungen und vieles mehr belegen die Entwicklung ihrer Pläne von einer reinen Fantasie bis hin zur ausgeführten Tat. In der Forschung finden sich verschiedene Erklärungsansätze für diese eskalierende Faszination. So ist beispielsweise von einem durch die mediale Berichterstattung erzeugten kulturellen Skript die Rede, mit dem sich Täter identifizieren. Ein anderer Ansatz sieht die Ursache in der Vorbildfunktion eines stereotypen Männerbildes in den westlichen Industrienationen. Die Berichterstattung über School Shooter schließt an dieses Bild an und scheint eine Vorstellung gewalttätiger Männlichkeit insbesondere bei verletzlichen Jugendlichen zu belegen, die sich in kritischen Lebenssituationen befinden. Folgt man dieser Argumentation, so stellen sich die jugendlichen Täter in einem psychopathologischen Sinne gerade nicht als deviant dar, sondern erweisen sich im Gegenteil als überkonform bezüglich des wahrgenommenen Männlichkeitsbildes. Demzufolge ist Gewalt nicht mehr als die erwartete und legitime Antwort auf eine subjektiv erlittene Kränkung.

Eine bestimmte Form der Berichterstattung ist allerdings keineswegs der einzige oder auslösende Faktor für die Entstehung von schweren zielgerichteten Gewalttaten. Ein sozial gut eingebundener Mensch mit gut ausgebildeten Problemlösungsstrukturen wird sich auch von der Wahrnehmung einer undifferenziert gestalteten Berichterstattung über schwere Gewalttaten nicht dazu bringen lassen, die Umsetzung einer solchen Tat als Lösung eigener Probleme anzusehen. Vielmehr handelt es sich bei der Beeinflussung durch Berichterstattung nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung um einen von mehreren relevanten Faktoren, die gemeinsam zur Entwicklung einer Tat beitragen können. Der konstruktive Aspekt bei diesem Faktor ist, dass eine entsprechend veränderte Berichterstattung dazu beitragen kann, die Anzahl der Nachahmungstaten zu verringern.

Konsequenzen für die Berichterstattung

Somit stellt sich die Frage, wie der Gefahr einer Identifikation mit dem Täter und damit einer wahrscheinlicher werdenden Nachahmungstat begegnet werden kann. Als Faustregel kann gelten, dass die Fantasieanregung bei potenziellen Nachahmern so gering wie möglich ausfallen muss, und das bedeutet eine möglichst wenig konkrete, möglichst wenig emotionale Berichterstattung. Folgende Richtlinien ergeben einen guten Überblick.

1. Keine vereinfachenden Erklärungen für Handlungsmotivationen anbieten: Wird die komplexe und hochindividuelle Motivlage des Täters zur Steigerung der Anschlussfähigkeit von Lesern oder Zuschauerinnen durch die Berichterstattung extrem reduziert wiedergegeben, dann bedeutet genau diese erhöhte Anschlussfähigkeit auch eine erhöhte Identifikationswahrscheinlichkeit verwundbarer Jugendlicher mit dem Täter. Wird beispielsweise eine Tatmotivation auf Mobbing reduziert, so können Jugendliche, die sich selbst als "gemobbt" wahrnehmen, fälschlicherweise annehmen, dass ihre Lebenssituationen denen der Täter ähneln. Es ist dann ein kleiner Schritt von dieser Illusion bis hin zur Inspiration, die eigene Problematik auch auf eine ähnliche Weise lösen zu wollen, wie der Täter es gezeigt hat – und so zudem auf den Titelseiten der großen Zeitschriften und Zeitungen abgebildet zu werden sowie Fanseiten im Internet zu bekommen. Wird das Geschehen aber als komplexe Entwicklung dargestellt, dann ist es nicht mehr so einfach, die eigene Lebenssituation mit der des Täters zu vereinbaren. Der Verzicht auf faktische Heroisierung, indem allenfalls verpixelte Bilder gezeigt werden, schafft zusätzlich Distanz.

2. Nicht romantisieren und keine Heldengeschichten erzählen: Auch das Unterbinden einer romantisierenden Darstellung oder des emotionalen Erzählens des Tatverlaufs vermeidet Anknüpfungspunkte zwischen den Tätern und möglichen Nachahmern. Beispielsweise ist zu beobachten, dass bei der Berichterstattung über schwere Gewalttaten in der Regel recht bald eine heroische Gegenfigur zum Täter aufgebaut wird – sei es ein scheinbar heldenhaft agierender Lehrer oder Schüler beziehungsweise seltener auch Polizeibeamter. Durch eine derartig emotional geladene Mythenbildung bekommt die Tat eine zumindest partiell positive Konnotation.

3. Auf die Folgen der Tat fokussieren: Statt eine Mythenbildung zuzulassen, sollten die Unzulänglichkeiten der Täter und die Menschlichkeit der Opfer gezeigt und das mit der Tat einhergehende Leid auf eine nicht voyeuristische Weise dargestellt werden. Wird ein Fokus auf die Folgen der Tat statt auf den Lebenslauf des Täters gelegt, verringert sich seine Attraktivität als Vorbild.

4. Den Tathergang nicht zu konkret aufzeigen: Als wesentlich erweist es sich zudem, keinen zu konkreten Ablauf des Tathergangs sowie keine Details zur Kleidung und Bewaffnung eines Täters zu schildern. Nachahmungstäter imitieren gezielt Aspekte vorangegangener Taten, um demonstrativ an ihre Idole anzuschließen. Die eigenen Gewaltfantasien werden auf diese Weise zusätzlich spezifiziert und intensiviert. Um potenziellen Nachahmungstätern mithin keinen Ansatzpunkt für die Spezifizierung ihrer Gewaltfantasien zu geben, sollten Aspekte der Tatausgestaltung möglichst verallgemeinert werden.

5. Täterfantasien und emotionales Bildmaterial nicht zu anschaulich darstellen: Auch eine genaue Schilderung der Vorbereitung des Täters ermöglicht es Nachahmungstätern, ihren Idolen so ähnlich wie möglich zu sein. Veröffentlichungen von Tagebüchern, Videos oder Zeichnungen der Täter schaffen eine starke Identifikationsmöglichkeit des gefährdeten Jugendlichen mit seinem Vorbild. Der Verzicht auf die Nutzung des vom Täter selbst angefertigten Materials ist daher sehr wichtig. Zudem wird solches Material, wenn es erst einmal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist, in Fan-Foren ausgetauscht; Nachahmungstäter nutzen ebendiese Foren dazu, um sich das Material zu verschaffen.

6. Keine sensiblen Informationen preisgeben: Dadurch, dass sich als Terroristen auftretende Einzeltäter ebenso wie School Shooter intensiv mit vergangenen Fällen auseinandersetzen, besteht die Gefahr, dass sie sich einerseits über das genaue Vorgehen des Täters, andererseits über die Interventionsmaßnahmen der Polizei sowie Sicherheitslücken informieren können. Das Aufzeigen von bestehenden Sicherheitslücken oder die Darstellung der Funktionsweise von Sicherheitssystemen hilft Nachfolgetätern, ihre Vorgehensweise zu optimieren. Derartige Hinweise müssen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit kritisch reflektiert und allenfalls sehr unspezifisch genutzt werden.

7. Auswege aufzeigen: Ein möglicher Nachahmungseffekt kann durch das Aufzeigen von Lösungswegen zur Vermeidung solcher Ereignisse gesenkt werden. Die Darstellung von spezifischen Hilfsangeboten und Geschichten von Menschen, die ihre Suizidgedanken oder Gewaltfantasien überwinden konnten, erweisen sich hier als hilfreich.

8. Auf die Wortwahl achten: Die symbolische Aufladung von Orten oder Methoden kann Nachahmern Vorschub leisten. Gleiches gilt für eine dramatische Wortwahl bei der Bezeichnung des Täters. So kann beispielsweise der Begriff des "Lone-Wolf-Täters" bei verzweifelten Jugendlichen, die von ihren herkömmlichen Anerkennungsressourcen abgeschnitten sind, Macht- und Gewaltfantasien anregen. Zur Vermeidung von Nachahmungstaten ist es mithin auch wichtig, Gewalttäter nicht sprachlich zu überhöhen. Eine Darstellung als furchteinflößendes "Monster" oder als "Killer" steigert die Bedeutsamkeit von Einzeltätern und schafft damit Anziehungskraft für Menschen mit labilem Selbstwert und Selbstzweifeln.

9. Quellen besonders sorgsam prüfen: In der Folge schwerer Gewaltvorfälle herrscht meist eine chaotisch-unstrukturierte Lage, die für eine hohe Anzahl potenzieller Fehlerquellen in der Berichterstattung sorgt. Gerüchte und Falschinformationen können jedoch Unschuldige stigmatisieren, falsche Erklärungsmuster liefern und die Arbeit der Hilfsinstitutionen behindern. Daher ist eine Prüfung der Quellen auch unter größtem Zeitdruck von zentraler Bedeutung.

10. Sich nicht instrumentalisieren lassen: Eine vom Täter beabsichtigte Instrumentalisierung der Berichterstattung darf nicht willfährig unterstützt werden. Einzeltäter sowie terroristische Gruppen setzen bei hochexpressiven Gewalttaten häufig gezielt Instrumente der Pressearbeit ein, um ihre Botschaften möglichst weitreichend zu transportieren: Sobald daher deutlich wird, dass die Wiedergabe von Botschaften, Fotos oder Videos der Tatabsicht eines Gewalttäters entspricht, sollte deren Veröffentlichung äußerst kritisch reflektiert werden. Eine Publikation derartiger Inhalte kann großen Schaden anrichten. Insbesondere terroristische Gruppierungen versuchen mitunter, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben, um zum Beispiel Menschen eines bestimmten Glaubens vom Rest der Gesellschaft abzukapseln. Derartige Strategien verlieren jedoch dann ihre Wirkung, wenn ihnen mit gesellschaftlicher Geschlossenheit begegnet wird und sich dies auch in der medialen Berichterstattung widerspiegelt.

Fazit

Eine verantwortungsbewusste und sensible Berichterstattung kann das Problem der Nachahmung expressiver Gewalttaten sicherlich nicht alleine lösen. Jedoch können diejenigen, die für die Berichterstattung verantwortlich sind, entweder wider besseren Wissens zum Problem beitragen oder aber sich dafür entscheiden, ein Teil der Lösung zu sein. Die bundesweit angestoßene Diskussion der Medienschaffenden stellt hierfür ein positives Signal dar.

Fussnoten

Fußnoten

  1. School Shootings sind Tötungen oder Tötungsversuche durch Jugendliche an Schulen, die mit einem direkten Bezug zu der jeweiligen Schule begangen werden. Vgl. Frank J. Robertz, School Shootings, Frankfurt/M. 2004; ders./Ruben P. Wickenhäuser (Hrsg.), Der Riss in der Tafel. Amoklauf und schwere Gewalt in der Schule, Berlin–Heidelberg 20102.

  2. Aktuelle Auflistungen von Publikationen zum Forschungsstand finden sich unter Externer Link: http://www.target-projekt.de/index.php?id=75.

  3. Vgl. Pamela J. Shoemaker/Akiba A. Cohen, News Around the World, New York 2006, S. 13.

  4. Vgl. Miriam Meckel, Zwischen Informationspflicht und Instrumentalisierung, in: Bernhard Pörksen/Wiebke Loosen/Armin Scholl (Hrsg.), Paradoxien des Journalismus, Wiesbaden 2008, S. 247–268, hier S. 251.

  5. Ebd., S. 254.

  6. Brigitte Nacos, Mass-Mediated Terrorism, Oxford 2002, S. 19.

  7. Vgl. ebd., S. 11f.

  8. Vgl. Mehdi M. Semati, Terrorists, Moslems, Fundamentalists and Other Bad Objects in the Midst of "Us", in: Journal of International Communication 1/1997, S. 30–49; Susan L. Carruthers, The Media at War, New York 2000; Nacos (Anm. 6).

  9. Klaus Beck/Thorsten Quandt, Terror als Kommunikation?, in: Thorsten Quandt/Bertram Scheufele (Hrsg.), Ebenen der Kommunikation, Wiesbaden 2011, S. 85–110, hier S. 88.

  10. Vgl. Christian Schütte, Textanalysen zu Terrorismus-Darstellungen in der deutschen Boulevardpresse, in: Stefan Bronner/Hans-Joachim Schott (Hrsg.), Die Gewalt der Zeichen, Bamberg 2012, S. 151–172, hier S. 151; Nacos (Anm. 6), S. 29.

  11. Vgl. Beck/Quandt (Anm. 9), S. 86.

  12. Vgl. Frank Jansen/Gisela Schmidt, Ende einer Flucht, 19.7.2016, Externer Link: http://www.tagesspiegel.de/13899096.html.

  13. Vgl. Ingo Dudenhausen/Robert Kahr, Bekämpfung der Schwerkriminalität im "WEB 2.0", in: Kriminalistik 5/2014, S. 275–282.

  14. Zum Beispiel im Falle des Attentäters Arid Uka. Vgl. Guido Steinberg, Dschihadistische Radikalisierung im Internet und mögliche Gegenmaßnahmen, in: APuZ 29–31/2013, S. 17–25.

  15. Vgl. Paris Attacks: Coulibaly Siege Video Transcript Emerges, 26.2.2015, Externer Link: http://www.bbc.com/news/world-europe-31637717.

  16. Vgl. Thierry Backes et al., Timeline der Panik, o.D., gfx.sueddeutsche.de/apps/57eba578910a46f716ca829d/www.

  17. Vgl. Robert J. Hamblin/Brooke R. Jacobsen/Jerry L. Miller, A Mathematical Theory of Social Change, New York 1973; Robert T. Holden, The Contagiousness of Aircraft Hijackings, in: American Journal of Sociology 91/1986, S. 874–904; Neil C. Livingstone, The War Against Terrorism, Washington D.C. 1982; Alex P. Schmid/Janny de Graaf, Violence as Communication, Newbury Park 1982.

  18. Vgl. Leonard Berkowitz/Jacqueline Macaulay, The Contagion of Criminal Violence, in: Sociometry 34/1971, S. 238–260; Hans-Bernd Brosius/Gabriel Weimann, The Contagiousness of Mass Mediated Terrorism, in: European Journal of Communication 6/1991, S. 63–75; Christopher H. Cantor/Michael A. Hill, Suicide From River Bridges, in: Australia and New Zealand Journal of Psychiatry 3/1999, S. 377–380; Armin Schmidtke et al., Imitation von Amok und Amok-Suizid, in: Manfred Wolfersdorf/Hans Wedler (Hrsg.), Terroristen-Suizide und Amok, Regensburg 2002.

  19. Vgl. Robertz (Anm. 1); ders/Wickenhäuser (Anm. 1).

  20. Expertenkreis Amok. Gemeinsam handeln, Risiken erkennen und minimieren, Stuttgart 2009, S. 59.

  21. Vgl. Glenn Muschert/Massimo Ragnedda, Media and Control of Violence, in: Wilhelm Heitmeyer et al. (Hrsg.), Control of Violence, New York 2010, S. 345–361; Tomi Kiilakoski/Atte Oksanen, Soundtrack of the School Shootings, in: Nordic Journal of Youth Research 3/2011, S. 247–269. Ein kulturelles Skript dient der Orientierung in sich wiederholenden Situationen des sozialen Lebens.

  22. Vgl. Michael Kimmel, Profiling School Shooters and Shooters’ Schools, in: Ben Agger/Timothy Luke (Hrsg.), There Is a Gunman on Campus, Lanham 2008, S. 1440.

  23. Die ersten fünf der hier skizzierten Richtlinien aus Robertz/Wickenhäuser (Anm. 1) wurden 2016 auf Grundlage neuer Forschungsergebnisse um die weiteren hier angeführten fünf Richtlinien ergänzt. Siehe Frank J. Robertz/Robert Kahr (Hrsg.), Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus. Zur medienpsychologischen Wirkung des Journalismus bei exzessiver Gewalt, Wiesbaden 2016.

  24. Vgl. Atte Oksanen et al., Glamorizing Rampage Online, in: Technology in Society 39/2014, S. 55–67.

  25. Vgl. Alice Ruddigkeit, Eine Frage der Darstellung – Forschungserkenntnisse zur Nachahmung von Suiziden, in: Robertz/Kahr (Anm. 23), S. 137–150; Frank J. Robertz, Gewaltphantasien, Frankfurt/M. 2011.

  26. Siehe etwa Georg Mascolo/Peter Neumann, Warum sich die Berichterstattung über Terror ändern muss, 7.8.2016, Externer Link: http://www.sueddeutsche.de/1.3108867.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Robert Kahr, Frank Robertz, Ruben Wickenhäuser für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Kommunikationswissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Er promoviert zum Thema Social Media und Terrorismus. E-Mail Link: robert.kahr@dhpol.de

ist Professor für Kriminologie und Sozialwissenschaften an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg in Oranienburg. E-Mail Link: frank.robertz@fhpolbb.de

ist promovierter Historiker und Publizist. Er lebt in Schweden. E-Mail Link: rw@igak.org