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"Kein Kölsch für Nazis". Kommunales Wir-Gefühl als politische Mobilisierungsressource | Köln | bpb.de

Köln Editorial Kölle. Oder: Der schlechte Ruf der Hölle Die Silvesternacht und ihre Folgen Politik im Kölner Rathaus "Gastarbeiter" in Köln zwischen 1955 und 1983 Eine ganz normale Stadt Die Stadt und der Dom "Kein Kölsch für Nazis"

"Kein Kölsch für Nazis". Kommunales Wir-Gefühl als politische Mobilisierungsressource

Alexander Häusler

/ 14 Minuten zu lesen

In der kommunalen Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus spielt in Köln der Lokalpatriotismus eine besondere Rolle. Als beispielsweise im Herbst 2008 die rechtsextreme Stadtratsfraktion Pro Köln einen "Anti-Islamisierungskongress" in der Domstadt angekündigt hatte, ließen Gastwirte Bierdeckel mit der Aufschrift "Kein Kölsch für Nazis" drucken. Und nachdem am 26. Oktober 2014 zwischen 3000 und 5000 Hooligans und Rechtsextreme in Köln unter dem Motto "Hooligans gegen Salafisten" demonstriert und randaliert hatten, mobilisierten Kölner Künstlerinnen und Musiker gemeinsam mit lokalen Bündnissen unter dem Motto "Du bes Kölle – Kein Nazis he op unser Plätz" ("Du bist Köln – Keine Nazis hier auf unseren Plätzen") die dreifache Menge an Menschen, um am 14. Dezember auf dem Breslauer Platz gegen Rassismus zu demonstrieren. Der Sänger Tommy Engel präsentierte auf der Demonstration den entsprechenden Songtext mit dem Refrain "Du bes Kölle – Du bes super tolerant, nur dä Nazis jevve mir he nit de Hand" ("Du bist Köln – du bist super tolerant, nur Nazis geben wir hier nicht die Hand").

Falsch verstandene Toleranz?


Dieses zivilgesellschaftlich proklamierte Kölner Toleranzedikt stieß nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 auf medialen Widerspruch: Die massiven sexuellen Übergriffe wurden in vielen Medien nicht nur zum Anlass genommen, ein angebliches Ende der Willkommenskultur in Deutschland zu verkünden. Zugleich wurde kolportiert, eine "falsche Toleranz" gegenüber muslimischen Zugewanderten habe solche Ereignisse erst ermöglicht. Allerdings stehen die Ereignisse jener Silvesternacht in keinem Zusammenhang mit der lokalen Mobilisierung gegen Rechts: Vielmehr veranschaulichen solche Kommentierungen die Gefahr einer unsachlichen Vermischung des Problems sexualisierter Gewalt mit politischem Streit um den richtigen und falschen Umgang mit Zuwanderungsproblemen und Ressentiments gegenüber Muslimen. Zugespitzt wurde die rechte Stimmungsmache mit einer Hetze gegen sogenannte Gutmenschen. In Köln protestierten deshalb Frauen im März 2016 am Internationalen Frauentag gegen die Instrumentalisierung der Opfer zur Legitimierung einer restriktiveren Einwanderungspolitik.

Was hat es also mit der "kölschen Toleranz" auf sich? Gibt es in Köln tatsächlich eine Art kommunales Wir-Gefühl, das erfolgreich Widerstand gegen Rechts mobilisieren kann?

Rechtsextremismus in Köln


Köln beherbergt an sich weder einen besonderen Menschentypus, noch sind seine Bewohner qua Wohnbescheinigung vor Rassismus und Rechtsextremismus gefeit. Vielmehr zeigt die lange Geschichte rechtsextremer Aktionen im Kölner Raum, dass sich die Stadt nicht grundlegend von anderen Großstädten unterscheidet. Oftmals waren und sind es spezifische politische Gelegenheitsstrukturen, die rechtsextremen Akteuren Gründe zur Intervention bieten. So bot beispielsweise Ende der 1990er Jahre die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" Neonazis Anlass zum Protestmarsch in vielen deutschen Städten. In Köln trafen am 22. Mai 1999 rund 200 Neonazis unter Führung der NPD auf die ungefähr fünffache Zahl von Gegendemonstranten. Der Neonazi-Protestzug endete schon nach wenigen hundert Metern am Kölner Ebertplatz im Tomatenhagel. Die Gegendemonstranten besorgten sich ihr Wurfmaterial von den zahlreichen umliegenden türkeistämmigen Gemüsehändlern.

Doch auch rechtsextreme Parteien konnten wiederkehrend in Köln Fuß fassen: Zunächst waren es die Republikaner und besonders ihre Abspaltung die Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH), die die Stadt Köln zum agitatorischen Schwerpunkt erkor. In Nordrhein-Westfalen zählte Köln wiederholt neben Dortmund und dem Aachener Raum zu den sogenannten Hotspots der rechten Szene. Unter der Leitung von Markus Beisicht und Manfred Rouhs entwickelte sich der Kölner DLVH-Stützpunkt zu einer überregionalen Anlaufstelle der extremen Rechten. Mit rassistischen Kampagnen allgemein und besonders durch Hetze gegen Sinti und Roma erreichten die Rechten öffentliche Aufmerksamkeit. So setzte die DLVH beispielsweise ein Kopfgeld für die Ergreifung einer illegal in Köln lebenden Roma-Frau aus. Zugleich nutzte die Partei lokalpatriotisch anbiedernde Slogans wie "Domit uns Kölle kölsch bliev" ("Damit unser Köln kölsch bleibt") und gab eine Parteizeitschrift mit dem Namen "Domspitzen" heraus, um sich einen bürgernahen Anstrich zu geben.

Diese rechte Instrumentalisierung von Kölschtümelei wurde nach Auflösung der DLVH 1996 von ihrer Nachfolgeorganisation Pro Köln übernommen. Den Pro-Köln-Funktionären Beisicht und Rouhs gelang es in der Folgezeit, ihre Partei zu einem wichtigen Bezugspunkt für Aktionen und Aufmärsche der extrem rechten Szene in Nordrhein-Westfalen auszubauen. Mit Kampagnen gegen Einwanderer und gegen einen lokalen Moscheebau erreichte die Partei bei der Kommunalwahl 2004 4,7 Prozent der Stimmen und zog mit vier Mandaten in den Kölner Stadtrat ein. Lokalpolitik und Lokalpresse hatten die Wirkungsmächtigkeit solcher rechtspopulistischen und zugleich lokalpatriotisch anbiedernden Kampagnen unterschätzt – die bisherige "Strategie des Ignorierens war gescheitert". Dies änderte sich bald: Den rechtspopulistischen Inszenierungen trat ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis entgegen. Nach einem Wahlerfolg von 5,4 Prozent bei den Kommunalwahlen 2009 (fünf Mandate) verlor Pro Köln bei den darauffolgenden Wahlen 2014 mit einer Wählerzustimmung von 0,5 Prozent ihre Sitze im Stadtrat.

Auch die militante Neonazi-Szene versuchte sich immer wieder in Köln gesellschaftlich zu verankern. Am 8. Mai 2012 verbot das NRW-Innenministerium die neonazistische "Kameradschaft Walter Spangenberg", die auch unter dem Label "Freies Netz Köln" für zahlreiche rechtsextreme Delikte verantwortlich gewesen ist. Im Kontext der Aufdeckung der neonazistischen NSU-Terrorzelle wurde offenbar, dass deren rassistisches Verbrechen auch in Köln vollzogen wurden. Bislang sind folgende Fälle bekannt: Im Dezember 2000 wurde eine Sprengfalle in einer Stollendose im Lebensmittelgeschäft der Familie M. in der Probsteigasse platziert. Als die Tochter des Inhabers am 19. Januar 2001 die Dose öffnete, explodierte die Bombe und verletzte die Frau schwer. Nicht völlig ausgeräumt ist bislang der Verdacht, dass dieser Anschlag in Zusammenhang mit einem Mitglied der "Kameradschaft Walter Spangenberg" steht, das auch als V-Mann tätig war. Am 9. Juni 2004 wurde auf der Köln-Mülheimer Keupstraße vom NSU ein Nagelbombenanschlag mit über fünf Kilogramm Sprengstoff und 800 Zimmermannsnägeln verübt, der mehr als 22 Menschen zum Teil schwer verletzte. Vor Aufdeckung der Taturheberschaft wurden unter anderem auch Anwohner und Verwandte der Opfer polizeilich der Mittat verdächtigt. Großes Entsetzen rief kürzlich der rechtsextrem motivierte Mordversuch an der Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker hervor. Der Rechtsextremist Frank S. stach die frühere Beigeordnete für Soziales, Integration und Umwelt der Stadt Köln am 17. Oktober 2015, einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl, am Wahlkampfstand mit einem Messer in den Hals und verletzte sie schwer. Er machte die spätere Oberbürgermeisterin für den Flüchtlingszuzug nach Köln verantwortlich.

Dieser selektive Rückblick auf rechtsextreme Aktivitäten in Köln zeigt, dass in der Stadt nicht signifikant weniger Rechtsextremismus in Erscheinung tritt als in anderen großen Kommunen. Allerdings lässt sich feststellen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Köln Besonderheiten aufweist und in vielerlei Hinsicht deutlich breitenwirksamer ist und identitätsstiftender wirkt als in anderen Kommunen. Wie lässt sich das erklären?

Zivilgesellschaftliche Antwort


In Köln gibt es ein tief verankertes, weit verbreitetes und historisch tradiertes gesellschaftliches Engagement, das den Grundstein gelegt hat für ein stadtgesellschaftliches Wir-Gefühl, das Toleranz und multikulturelles Miteinander hochhält. Angestoßen von zivilgesellschaftlichen Initiativen erfuhr dieses Narrativ des "toleranten Kölns" Resonanzräume und Verfestigungen in der gesellschaftlich stark verwurzelten Künstler- und Musikerszene, im universitären Studierenden- und Forschungsbereich sowie in der Politik und Verwaltung.

Das langlebige Engagement gegen Rassismus lässt sich anhand des 1983 entstandenen "Kölner Appells gegen menschenfeindliche Ausländerpolitik" veranschaulichen: Der Appell wurde als Antwort auf die Ankündigung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl formuliert, der die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Türkinnen und Türken um 50 Prozent senken wollte. Daraus war 1987 zunächst ein eingetragener Verein zur Unterstützung von Geflüchteten entstanden, der seine Aktivitäten immer weiter entfaltete.

Arsch-huh Konzert am 9. November 1992: 100.000 Menschen versammelten sich am Chlodwigplatz. (© Stefan Worring)

Die hervorzuhebende Bedeutung der Künstlerszene zur lokalpatriotischen Verfestigung der Erzählung vom toleranten und weltoffenen Köln lässt sich an der Gründung der "AG Arsch huh" 1992 veranschaulichen. Diese Arbeitsgruppe wurde von Musikern und anderen Künstlern unter dem Motto "Arsch huh, Zäng ussenander" ("Arsch hoch, Zähne auseinander") ins Leben gerufen. Sie war eine Reaktion auf eine Reihe von Vorfällen eskalierender rassistischer Gewalt in Deutschland angesichts steigender Asylbewerberzahlen aufgrund des Bürgerkriegs in Jugoslawien. Die AG Arsch huh konnte am 9. November 1992 über 100.000 Menschen auf den Kölner Chlodwigplatz zum Konzerthappening gegen Rassismus und Neonazis mobilisieren. In der Folgezeit entwickelte die AG immer wieder äußerst breitenwirksame Aktivitäten gegen Rechts.

Auch viele lokale Initiativen und Bündnisse prägen die milieu- und generationsübergreifende bunte Protestkultur gegen Rechts: Das Netzwerk kommunaler Akteure reicht von Zusammenschlüssen wie "Köln stellt sich quer" über die "Antifaschistische Koordination Köln und Umland" bis hin zu diversen Vereinen, Initiativen und Einrichtungen. Die Stadt richtete zudem mit einer Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus, die beim NS-Dokumentationsarchiv der Stadt Köln angesiedelt ist, einen professionell tätigen Bildungsträger ein, der lokal und auch überregional breitenwirksam Präventions- und Aufklärungsarbeit leistet. In der wissenschaftlichen Forschung erfährt die Gestaltungsfähigkeit Kölns als "weltoffene Stadt" in Untersuchungen regelmäßig besondere Aufmerksamkeit. Ebenso ist Köln wegen Projekten wie "Lebenswerte Veedel", die durch integrierte Stadt- und Stadtteilentwicklung den Bürgern Gestaltungsmöglichkeiten bieten sollen, im besonderen Blickpunkt der integrativen Stadtforschung.

Der sozialräumliche Blick zur Stärkung von gesellschaftlicher Teilhabe und des Zusammenhalts spiegelt sich auch in den Initiativen gegen Rechts wider. Auf Initiative der "Interessengemeinschaft Keupstraße" entstand in Kooperation mit der AG Arsch huh das Bündnis Birlikte. Am 9. Juni 2014, zehn Jahre nach dem NSU-Nagelbombenanschlag, feierten rund 70.000 Besucher unter dem Motto "Birlikte – Zusammenstehen" gemeinsam mit den Anwohnern und Geschäftsleuten der Keupstraße ein Fest gegen rechte Gewalt und für eine offene und vielfältige Stadtgesellschaft. Das Aktionsbündnis wird von vielen lokalen, regionalen und landesweiten Einrichtungen und Unternehmen unterstützt. Das Bündnis veranstaltete, gemeinsam mit der Stadt Köln und dem Schauspiel Köln, im Juni 2016 zudem ein Kunst- und Kulturfest an verschiedenen Kölner Orten. Im Rahmen des Fests wurde AfD-Mitgründer Konrad Adam zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Dass der Dialog nicht überall nur auf Zustimmung stieß, zeigten die Aktionen lokaler antifaschistischer Initiativen, die mit ihrem Protest die Teilnahme Adams verhinderten. Solche Konflikte, in denen die Grenzen von Dialogbereitschaft ausgehandelt oder auch kontrovers vorgetragen werden, vollziehen sich in allen großen Bündnissen und generell beim Umgang mit rechten Aktivitäten.

Ähnliche Konflikte zeigten sich etwa auch in Dresden, wo die Stadt gespalten war, wie sie mit der Pegida-Protestbewegung umgesehen sollte. Der Städtevergleich macht jedoch sichtbar, dass unterschiedliche Narrative zur Bildung eines städtischen Wir-Gefühls unterschiedlich breitenwirksame Ausprägungen von Protestkulturen gegen Rechts nach sich ziehen.

Städtische Besonderheiten


Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer beschreibt das Dresdner Pegida-Phänomen als Ausdruck eines "Kulturkampfes" um die Deutungshoheit über die lokale Stadtidentität. "Dresden zeigt, wie’s geht", bekundete der Pegida-Organisator Lutz Bachmann immer wieder auf Kundgebungen. Die Pegida-Organisatoren beziehen sich mit ihren Protesten auf den Dresdner Opfermythos und leiten daraus einen besonderen "Dresdner way of life gegen eine neue, fremd und unbegreifbar gewordene Welt persönlicher und globaler Zumutungen" ab. Ein Vergleich mit den ebenfalls lokalpatriotisch anbiedernden Mobilisierungsversuchen seitens der rechtsextremen Gruppierung Pro Köln zeigt, wie sehr sich rechte Proteste voneinander unterscheiden können. Nun ließen sich hier viele Gründe anbringen, warum sich die Situation in der ostdeutschen Stadt nicht mit der multikulturell geprägten westlichen Großstadt vergleichen lässt. Aus Sicht der Pegida-Anhänger steht Köln ja sogar neben dem Berliner Bezirk Neukölln gewissermaßen als Sinnbild für die "Islamisierung des Abendlandes". Trotz der Unterschiede zwischen ost- und westdeutsch tradierten kollektiven Identitätssetzungen helfen Vorländers Schilderungen lokal tradierter Opfermythen zum Verständnis der rechten Resonanzfähigkeit von Pegida-Erzählungen.

Die Bedeutung städtisch verankerter und gewachsener Wir-Konstruktionen als politische Mobilisierungsressource verdeutlicht auch der Vergleich zwischen Köln und den zwei ebenfalls in Nordrhein-Westfalen gelegenen Großstädten, Düsseldorf und Dortmund. Düsseldorf hat mit Köln in vielen Bereichen eine organisatorisch vergleichbare Handlungsmöglichkeit zur Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements gegen Rassismus und Rechtsextremismus. So existiert in der Landeshauptstadt ebenso ein städtisch geförderter "Düsseldorfer Appell", es gibt lokale Bündnisse gegen Rechts wie "Düsseldorf stellt sich quer" und mit den Toten Hosen steht eine populäre Musikband für konsequentes Engagement wie auch finanziellen Support gegen Rechts. Trotzdem lässt sich die Breitenwirksamkeit eines solchen Engagements nicht mit dem in Köln vergleichen.

Auch Dortmund, der viel diskutierte Hotspot der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen, beherbergt eine Fülle städtisch wie landesweit geförderter Initiativen und Projekte gegen Rechts. Doch auch Dortmund kann, wie Düsseldorf, nicht eine solche Breitenwirksamkeit vorweisen, weshalb nicht in der Art gesellschaftlich gegen Rassismus und Rechtsextremismus mobilisiert werden kann, wie dies in Köln der Fall ist. Die Unterschiede lassen sich klar benennen: In Köln ist Mobilisierung gegen Rechtsextremismus alltagskulturell besser verankert, weil dort ein vitales Netzwerk aus lokalen Akteuren milieuübergreifend an der Konstruktion eines solidarischen kommunalen Wir-Gefühls gearbeitet hat. Und dieses Gefühl wird fortwährend anlassbezogen immer wieder neu gegen Rechts verankert. Anders als in Dortmund und Düsseldorf haben sich diese Initiativen zugleich einen Platz im vorpolitischen Raum des Kölner Lokalpatriotismus erkämpft: Sie haben sich – gleich ob politisch durchdacht oder aus angeblich purer Heimatliebe – zu einem nur noch schwer ausgrenzbaren Teil des "kölschen Lebensjeföhl" gemausert.

Kölner Lokalpatriotismus


Oft geschmäht als Kölner Klüngel und verlacht als selbst verordnetes Narrentum hat das sogenannte kölsche Lebensgefühl einen besonderen Stellenwert in der Außendarstellung wie auch in der Selbstetikettierung seiner Einwohnerschaft. Zu den angeblich typisch kölschen Eigenarten zählen Redensarten wie "Et kütt wie et kütt" ("Es kommt, wie es kommt.") oder "Wat fott es, es fott" ("Was fort ist, ist fort."). Der Kölner "an sich", so soll das ausdrücken, lässt sich in seiner Liebe zu seiner Stadt durch nichts aus der Ruhe bringen. Die Komikerin Carolin Kebekus beschreibt dieses Lebensgefühl in einem Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger": "Wenn Besuch kommt, merkt man, dass die eigene Wahrnehmung eine andere ist als die Außenwahrnehmung. Man zeigt, wo es in Köln überall schön ist – und merkt an den Reaktionen, dass man das auch anders sehen könnte. Ich glaube, dass die Kölner auch dann noch am Rhein sitzen und schöne Lieder über die schöne Stadt singen würden, wenn vorher alle Gebäude in irgendwelche U-Bahn-Baustellen gestürzt wären. Den Lokalpatriotismus hier versteht keiner – außer uns." Kebekus weist auch auf die Fallstricke eines solchen Lokalpatriotismus hin: "Wenn man in diesem Gefühl aufgeht, könnte passieren, dass man Leute ausschließt. Eine Stimmung kann umkippen, wenn man den Kreis zu eng macht. Und dann vergisst man: Es gibt auch Leute in Köln, die nicht mitschunkeln und trotzdem dazugehören."

Mit dieser Selbstkritik steht Kebekus in der Riege Kölner Engagierter nicht allein da. Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker kritisierte in seiner Rede auf der eingangs erwähnten "Du Bes Kölle"-Demo am 14.12.2014 die viel beschworene Heimatliebe seiner Mitstreiter mit scharfen Worten: "Könnte es vielleicht sein, dass die Lobeshymnen op Kölle, du ming Stadt am Rhing ["Köln, du meine Stadt am Rhein"] denen so munden, die Kölle über alles lieben, weil sie Deutschland, Deutschland über alles nicht mehr singen dürfen?" Auch das Demo-Motto stellte Becker infrage: "Denn die, die kein Kölsch können sind die wahren Kölner. Die Zugezogenen, die Imis, die kinn kölsch Bloot han ["die kein kölsches Blut haben"]. Denn die sind nicht einfach nur hier hängen geblieben, wie ich, die haben sich bewusst für diese Stadt entschieden."

Diese Kritik weist sowohl auf die Gefahren kollektiver Identitätskonstruktionen hin und beweist zugleich die Reflexionsfähigkeit der Akteure in ihrer Mobilisierung antirassistischer Ressourcen in der Stadtgesellschaft. Denn dass es in der Kölner Musikszene auch bei den Akteuren von Arsch huh auch eine kritische und selbstkritische Haltung zum Beschwören angeblicher Kölner Leidenschaften gegeben hat, beweist der BAP-Song von 1982 "Nit für Kooche" ("Nicht für Kuchen"), der als Anti-Karnevalssong die Verlogenheit der Kölner Lebenshaltung thematisiert. Als kritische und anarchische Antwort auf die offiziellen Kölner Prunksitzungen zu Karneval wurde 1983 – unter Mitwirkung von Jürgen Becker – die "Stunksitzung" gegründet. Diese stark politisierten Sitzungen entwickelten sich sowohl qualitativ als auch quantitativ im Laufe der Jahre zu einer ernsthaften Konkurrenz zum offiziellen Kölner Narrenbrauchtum.

Schluss


Das viel beschworene Kölner Lebensgefühl ist eine Konstruktion, ein umkämpftes Narrativ: "Der" tolerante, bierselige Feier-Kölner spiegelt nicht die vielfältige Lebensrealität der Stadtgesellschaft wider. Andererseits gibt es durchaus stark verbreitete kollektive Identifikationsangebote in Köln, die nicht zuletzt auch immer wieder politisch aufgeladen werden und in kollektiven Aushandlungsprozessen materielle Gestalt annehmen. Die Konstruktion kollektiver Identität in der Stadtgesellschaft funktioniert nach den Mechanismen symbolischer Politik: Durch die Deutung historischer Ereignisse, die Besetzung von tradierten alltagskulturellen Handlungsmustern, von Begriffen, Schlagworten und Parolen wird – analog zu zeitgemäßen Werbestrategien in einer sich medial vermittelnden Welt – kollektive Identität konstruiert. Solche Identitätskonstruktionen können für unterschiedliche Zwecke benutzt und missbraucht werden. In Köln, dem liebevoll-ironisch deklarierten "Biotop für Bekloppte", zeigt sich die Besonderheit des kommunal konstruierten Wir-Gefühls auch darin, dass es regelmäßig zu einer Mobilisierungsressource für kommunales Engagement gegen Rechts nutzbar gemacht wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Helmut Frangenberg, Protestaktion "Kein Kölsch für Nazis", 12.8.2008, Externer Link: http://www.ksta.de/13599490.

  2. Vgl. Inge Wozelka, "Du bes Kölle". Tommy Engel: Hymne für Arsch huh umgedichtet, 13.12.14, Externer Link: http://www.express.de/374640.

  3. Siehe hierzu auch den Beitrag von Christian Werthschulte in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  4. Etwa Alice Schwarzer in einem Interview mit dem Tagesanzeiger. Die Polizei ist selber Opfer falscher Toleranz, Interview mit Alice Schwarzer, 21.1.2016, Externer Link: http://www.tagesanzeiger.ch/30704902.

  5. Vgl. Isolde Aigner/Margarete Jäger/Regina Wamper, Destruktive Wirkungen. Die Instrumentalisierung der Silvesterereignisse in Köln, in: Alexander Häusler/Fabian Virchow (Hrsg.), Neue soziale Bewegung von rechts? Zukunftsängste, Abstieg der Mitte, Ressentiments, Hamburg 2016, S. 63–72.

  6. Vgl. NPD-Demo in Köln am 22. Mai 1999. Ein Kommentar, 4.6.1999, Externer Link: http://www.hagalil.com/deutschland/rechts/koeln/npd-demo.htm.

  7. Vgl. Hans-Peter Killguss/Jürgen Peters/Alexander Häusler, PRO KÖLN – Entstehung und Aktivitäten, in: Alexander Häusler (Hrsg.), Rechtspopulismus als "Bürgerbewegung". Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien, Wiesbaden 2008, S. 55–71.

  8. Susana Dos Santos Hermann, Umgang mit PRO KÖLN im Stadtrat, in: ebd., S. 258–266, hier S. 259.

  9. Einschränkend muss erwähnt werden, dass der Niedergang von Pro Köln nicht ausschließlich dem öffentlichen Protest gegen Rechts geschuldet ist. Neben heftigen internen Querelen hat auch der Aufstieg der rechtspopulistischen AfD (3,6 Prozent bei der Kommunalwahl 2014 in Köln) den Abstieg von Pro Köln in die politische Bedeutungslosigkeit besiegelt.

  10. Ihren Namen entlieh sich die verbotene Neonazi-Gruppierung von einem Kölner SA-Mann, der im Februar 1933 bei tätlichen Auseinandersetzungen mit Kommunisten ums Leben kam. Spangenberg wurde daraufhin von der NSDAP zu einem "Blutzeugen der Bewegung" verklärt.

  11. Vgl. Jörg Diehl, NSU-Anschlag in Köln. V-Mann unter Verdacht, 14.6.2015, Externer Link: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/a-1038739.html.

  12. Ein vom Kölner Appel 2002 herausgegebenes "Stadtbuch gegen Rassismus" veranschaulicht auf über 400 Seiten die vielfältigen lokalen Aktivitäten und Netzwerke. Siehe Kölner Appell e.V. (Hrsg.), Köln International. Ein Stadtbuch gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus, Köln 2002.

  13. Einen überaus lesenswerten Einblick in diese Aktivitäten gibt das Buch von Helmut Frangenberg (Hrsg.), Arsch huh, Zäng ussenander! Gegen Rassismus + Neonazis. Eine Stadt. Eine Bewegung. Ein Aufruf, Köln 2012.

  14. Zur Historie der AG siehe Externer Link: http://www.arschhuh.de/historie.

  15. Für Informationen über die Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus (ibs) siehe Externer Link: http://www.museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/pages/463.aspx?s=463.

  16. Vgl. exemplarisch Erol Yildiz, Die Weltoffene Stadt. Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht, Bielefeld 2013.

  17. Vgl. Judith Knabe/Anne van Rießen/Rolf Blandow (Hrsg.), Städtische Quartiere gestalten. Kommunale Herausforderungen und Chancen im transformierten Wohlfahrtsstaat, Bielefeld 2015.

  18. Siehe Externer Link: http://birlikte.info/#unterstutzer.

  19. Vgl. Birlikte Bündnis, Erklärung, 2.6.2016, Externer Link: http://birlikte.info/Erkla%CC%88rung_Birlikte_020616.pdf; Christian Werthschulte, Birlikte-Kulturfestival in Köln. Protest verhindert AfD-Auftritt, 6.6.2016, Externer Link: http://www.taz.de/!5310166.

  20. Lutz Bachmann in seiner Rede am 8.12.2014.

  21. Hans Vorländer, Zerrissene Stadt: Kulturkampf in Dresden, in: APuZ 5–7/2016, S. 22–28.

  22. Während eines Besuchs auf einer Pegida-Demonstration, auf der auch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders auftrat, erklärte mir eine Teilnehmerin auf die Frage nach dem Grund ihrer Teilnahme, sie wolle nicht so leben, "wie Ihr im Westen". Auf meine Frage hin, wie "wir" denn angeblich so leben, antwortete sie: "So wie in Köln". Dort sei nämlich "alles schon islamisiert". Auf meine Nachfrage hin gab sie zu, noch nie in Köln gewesen zu sein.

  23. Siehe hierzu auch den Beitrag von Frank Überall in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  24. Unser Lokalpatriotismus nervt alle. Interview mit Carolin Kebekus, 27.1.2014, Externer Link: http://www.ksta.de/koeln/--carolin-kebekus--unser-lokalpatriotismus-nervt-alle--932670.

  25. Ebd.

  26. Jürgen Becker, Rede bei der "Du Bes Kölle"-Demo am 14.12.2014, 18.12.2014, Externer Link: http://www.arschhuh.de/juergen-beckers-rede-bei-der-du-bes-koelle-demo-am-14-12-2014. Siehe hierzu auch den Beitrag von Jürgen Becker in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  27. Jürgen Becker/Martin Stankowski, Biotop für Bekloppte. Ein Lesebuch für Immi’s und Heimathirsche, Köln 1995.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Alexander Häusler für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus der Hochschule Düsseldorf. Er forscht zu den Themenkomplexen Rechtspopulismus und Autonome Nationalisten. E-Mail Link: alexander.haeusler@hs-duesseldorf.de