In der kommunalen Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus spielt in Köln der Lokalpatriotismus eine besondere Rolle. Als beispielsweise im Herbst 2008 die rechtsextreme Stadtratsfraktion Pro Köln einen "Anti-Islamisierungskongress" in der Domstadt angekündigt hatte, ließen Gastwirte Bierdeckel mit der Aufschrift "Kein Kölsch für Nazis" drucken.
Falsch verstandene Toleranz?
Dieses zivilgesellschaftlich proklamierte Kölner Toleranzedikt stieß nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 auf medialen Widerspruch: Die massiven sexuellen Übergriffe wurden in vielen Medien nicht nur zum Anlass genommen, ein angebliches Ende der Willkommenskultur in Deutschland zu verkünden.
Was hat es also mit der "kölschen Toleranz" auf sich? Gibt es in Köln tatsächlich eine Art kommunales Wir-Gefühl, das erfolgreich Widerstand gegen Rechts mobilisieren kann?
Rechtsextremismus in Köln
Köln beherbergt an sich weder einen besonderen Menschentypus, noch sind seine Bewohner qua Wohnbescheinigung vor Rassismus und Rechtsextremismus gefeit. Vielmehr zeigt die lange Geschichte rechtsextremer Aktionen im Kölner Raum, dass sich die Stadt nicht grundlegend von anderen Großstädten unterscheidet. Oftmals waren und sind es spezifische politische Gelegenheitsstrukturen, die rechtsextremen Akteuren Gründe zur Intervention bieten. So bot beispielsweise Ende der 1990er Jahre die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" Neonazis Anlass zum Protestmarsch in vielen deutschen Städten. In Köln trafen am 22. Mai 1999 rund 200 Neonazis unter Führung der NPD auf die ungefähr fünffache Zahl von Gegendemonstranten. Der Neonazi-Protestzug endete schon nach wenigen hundert Metern am Kölner Ebertplatz im Tomatenhagel. Die Gegendemonstranten besorgten sich ihr Wurfmaterial von den zahlreichen umliegenden türkeistämmigen Gemüsehändlern.
Doch auch rechtsextreme Parteien konnten wiederkehrend in Köln Fuß fassen: Zunächst waren es die Republikaner und besonders ihre Abspaltung die Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH), die die Stadt Köln zum agitatorischen Schwerpunkt erkor. In Nordrhein-Westfalen zählte Köln wiederholt neben Dortmund und dem Aachener Raum zu den sogenannten Hotspots der rechten Szene. Unter der Leitung von Markus Beisicht und Manfred Rouhs entwickelte sich der Kölner DLVH-Stützpunkt zu einer überregionalen Anlaufstelle der extremen Rechten. Mit rassistischen Kampagnen allgemein und besonders durch Hetze gegen Sinti und Roma erreichten die Rechten öffentliche Aufmerksamkeit. So setzte die DLVH beispielsweise ein Kopfgeld für die Ergreifung einer illegal in Köln lebenden Roma-Frau aus. Zugleich nutzte die Partei lokalpatriotisch anbiedernde Slogans wie "Domit uns Kölle kölsch bliev" ("Damit unser Köln kölsch bleibt") und gab eine Parteizeitschrift mit dem Namen "Domspitzen" heraus, um sich einen bürgernahen Anstrich zu geben.
Diese rechte Instrumentalisierung von Kölschtümelei wurde nach Auflösung der DLVH 1996 von ihrer Nachfolgeorganisation Pro Köln übernommen. Den Pro-Köln-Funktionären Beisicht und Rouhs gelang es in der Folgezeit, ihre Partei zu einem wichtigen Bezugspunkt für Aktionen und Aufmärsche der extrem rechten Szene in Nordrhein-Westfalen auszubauen. Mit Kampagnen gegen Einwanderer und gegen einen lokalen Moscheebau erreichte die Partei bei der Kommunalwahl 2004 4,7 Prozent der Stimmen und zog mit vier Mandaten in den Kölner Stadtrat ein. Lokalpolitik und Lokalpresse hatten die Wirkungsmächtigkeit solcher rechtspopulistischen und zugleich lokalpatriotisch anbiedernden Kampagnen unterschätzt – die bisherige "Strategie des Ignorierens war gescheitert".
Auch die militante Neonazi-Szene versuchte sich immer wieder in Köln gesellschaftlich zu verankern. Am 8. Mai 2012 verbot das NRW-Innenministerium die neonazistische "Kameradschaft Walter Spangenberg", die auch unter dem Label "Freies Netz Köln" für zahlreiche rechtsextreme Delikte verantwortlich gewesen ist.
Dieser selektive Rückblick auf rechtsextreme Aktivitäten in Köln zeigt, dass in der Stadt nicht signifikant weniger Rechtsextremismus in Erscheinung tritt als in anderen großen Kommunen. Allerdings lässt sich feststellen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Köln Besonderheiten aufweist und in vielerlei Hinsicht deutlich breitenwirksamer ist und identitätsstiftender wirkt als in anderen Kommunen. Wie lässt sich das erklären?
Zivilgesellschaftliche Antwort
In Köln gibt es ein tief verankertes, weit verbreitetes und historisch tradiertes gesellschaftliches Engagement, das den Grundstein gelegt hat für ein stadtgesellschaftliches Wir-Gefühl, das Toleranz und multikulturelles Miteinander hochhält. Angestoßen von zivilgesellschaftlichen Initiativen erfuhr dieses Narrativ des "toleranten Kölns" Resonanzräume und Verfestigungen in der gesellschaftlich stark verwurzelten Künstler- und Musikerszene, im universitären Studierenden- und Forschungsbereich sowie in der Politik und Verwaltung.
Das langlebige Engagement gegen Rassismus lässt sich anhand des 1983 entstandenen "Kölner Appells gegen menschenfeindliche Ausländerpolitik" veranschaulichen: Der Appell wurde als Antwort auf die Ankündigung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl formuliert, der die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Türkinnen und Türken um 50 Prozent senken wollte. Daraus war 1987 zunächst ein eingetragener Verein zur Unterstützung von Geflüchteten entstanden, der seine Aktivitäten immer weiter entfaltete.
Die hervorzuhebende Bedeutung der Künstlerszene zur lokalpatriotischen Verfestigung der Erzählung vom toleranten und weltoffenen Köln lässt sich an der Gründung der "AG Arsch huh" 1992 veranschaulichen. Diese Arbeitsgruppe wurde von Musikern und anderen Künstlern unter dem Motto "Arsch huh, Zäng ussenander" ("Arsch hoch, Zähne auseinander") ins Leben gerufen. Sie war eine Reaktion auf eine Reihe von Vorfällen eskalierender rassistischer Gewalt in Deutschland angesichts steigender Asylbewerberzahlen aufgrund des Bürgerkriegs in Jugoslawien. Die AG Arsch huh konnte am 9. November 1992 über 100.000 Menschen auf den Kölner Chlodwigplatz zum Konzerthappening gegen Rassismus und Neonazis mobilisieren.
Auch viele lokale Initiativen und Bündnisse prägen die milieu- und generationsübergreifende bunte Protestkultur gegen Rechts: Das Netzwerk kommunaler Akteure reicht von Zusammenschlüssen wie "Köln stellt sich quer" über die "Antifaschistische Koordination Köln und Umland" bis hin zu diversen Vereinen, Initiativen und Einrichtungen. Die Stadt richtete zudem mit einer Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus, die beim NS-Dokumentationsarchiv der Stadt Köln angesiedelt ist, einen professionell tätigen Bildungsträger ein, der lokal und auch überregional breitenwirksam Präventions- und Aufklärungsarbeit leistet.
Der sozialräumliche Blick zur Stärkung von gesellschaftlicher Teilhabe und des Zusammenhalts spiegelt sich auch in den Initiativen gegen Rechts wider. Auf Initiative der "Interessengemeinschaft Keupstraße" entstand in Kooperation mit der AG Arsch huh das Bündnis Birlikte. Am 9. Juni 2014, zehn Jahre nach dem NSU-Nagelbombenanschlag, feierten rund 70.000 Besucher unter dem Motto "Birlikte – Zusammenstehen" gemeinsam mit den Anwohnern und Geschäftsleuten der Keupstraße ein Fest gegen rechte Gewalt und für eine offene und vielfältige Stadtgesellschaft. Das Aktionsbündnis wird von vielen lokalen, regionalen und landesweiten Einrichtungen und Unternehmen unterstützt.
Ähnliche Konflikte zeigten sich etwa auch in Dresden, wo die Stadt gespalten war, wie sie mit der Pegida-Protestbewegung umgesehen sollte. Der Städtevergleich macht jedoch sichtbar, dass unterschiedliche Narrative zur Bildung eines städtischen Wir-Gefühls unterschiedlich breitenwirksame Ausprägungen von Protestkulturen gegen Rechts nach sich ziehen.
Städtische Besonderheiten
Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer beschreibt das Dresdner Pegida-Phänomen als Ausdruck eines "Kulturkampfes" um die Deutungshoheit über die lokale Stadtidentität. "Dresden zeigt, wie’s geht", bekundete der Pegida-Organisator Lutz Bachmann immer wieder auf Kundgebungen.
Die Bedeutung städtisch verankerter und gewachsener Wir-Konstruktionen als politische Mobilisierungsressource verdeutlicht auch der Vergleich zwischen Köln und den zwei ebenfalls in Nordrhein-Westfalen gelegenen Großstädten, Düsseldorf und Dortmund. Düsseldorf hat mit Köln in vielen Bereichen eine organisatorisch vergleichbare Handlungsmöglichkeit zur Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements gegen Rassismus und Rechtsextremismus. So existiert in der Landeshauptstadt ebenso ein städtisch geförderter "Düsseldorfer Appell", es gibt lokale Bündnisse gegen Rechts wie "Düsseldorf stellt sich quer" und mit den Toten Hosen steht eine populäre Musikband für konsequentes Engagement wie auch finanziellen Support gegen Rechts. Trotzdem lässt sich die Breitenwirksamkeit eines solchen Engagements nicht mit dem in Köln vergleichen.
Auch Dortmund, der viel diskutierte Hotspot der Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen, beherbergt eine Fülle städtisch wie landesweit geförderter Initiativen und Projekte gegen Rechts. Doch auch Dortmund kann, wie Düsseldorf, nicht eine solche Breitenwirksamkeit vorweisen, weshalb nicht in der Art gesellschaftlich gegen Rassismus und Rechtsextremismus mobilisiert werden kann, wie dies in Köln der Fall ist. Die Unterschiede lassen sich klar benennen: In Köln ist Mobilisierung gegen Rechtsextremismus alltagskulturell besser verankert, weil dort ein vitales Netzwerk aus lokalen Akteuren milieuübergreifend an der Konstruktion eines solidarischen kommunalen Wir-Gefühls gearbeitet hat. Und dieses Gefühl wird fortwährend anlassbezogen immer wieder neu gegen Rechts verankert. Anders als in Dortmund und Düsseldorf haben sich diese Initiativen zugleich einen Platz im vorpolitischen Raum des Kölner Lokalpatriotismus erkämpft: Sie haben sich – gleich ob politisch durchdacht oder aus angeblich purer Heimatliebe – zu einem nur noch schwer ausgrenzbaren Teil des "kölschen Lebensjeföhl" gemausert.
Kölner Lokalpatriotismus
Oft geschmäht als Kölner Klüngel und verlacht als selbst verordnetes Narrentum hat das sogenannte kölsche Lebensgefühl einen besonderen Stellenwert in der Außendarstellung wie auch in der Selbstetikettierung seiner Einwohnerschaft.
Mit dieser Selbstkritik steht Kebekus in der Riege Kölner Engagierter nicht allein da. Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker kritisierte in seiner Rede auf der eingangs erwähnten "Du Bes Kölle"-Demo am 14.12.2014 die viel beschworene Heimatliebe seiner Mitstreiter mit scharfen Worten: "Könnte es vielleicht sein, dass die Lobeshymnen op Kölle, du ming Stadt am Rhing ["Köln, du meine Stadt am Rhein"] denen so munden, die Kölle über alles lieben, weil sie Deutschland, Deutschland über alles nicht mehr singen dürfen?" Auch das Demo-Motto stellte Becker infrage: "Denn die, die kein Kölsch können sind die wahren Kölner. Die Zugezogenen, die Imis, die kinn kölsch Bloot han ["die kein kölsches Blut haben"]. Denn die sind nicht einfach nur hier hängen geblieben, wie ich, die haben sich bewusst für diese Stadt entschieden."
Diese Kritik weist sowohl auf die Gefahren kollektiver Identitätskonstruktionen hin und beweist zugleich die Reflexionsfähigkeit der Akteure in ihrer Mobilisierung antirassistischer Ressourcen in der Stadtgesellschaft. Denn dass es in der Kölner Musikszene auch bei den Akteuren von Arsch huh auch eine kritische und selbstkritische Haltung zum Beschwören angeblicher Kölner Leidenschaften gegeben hat, beweist der BAP-Song von 1982 "Nit für Kooche" ("Nicht für Kuchen"), der als Anti-Karnevalssong die Verlogenheit der Kölner Lebenshaltung thematisiert. Als kritische und anarchische Antwort auf die offiziellen Kölner Prunksitzungen zu Karneval wurde 1983 – unter Mitwirkung von Jürgen Becker – die "Stunksitzung" gegründet. Diese stark politisierten Sitzungen entwickelten sich sowohl qualitativ als auch quantitativ im Laufe der Jahre zu einer ernsthaften Konkurrenz zum offiziellen Kölner Narrenbrauchtum.
Schluss
Das viel beschworene Kölner Lebensgefühl ist eine Konstruktion, ein umkämpftes Narrativ: "Der" tolerante, bierselige Feier-Kölner spiegelt nicht die vielfältige Lebensrealität der Stadtgesellschaft wider. Andererseits gibt es durchaus stark verbreitete kollektive Identifikationsangebote in Köln, die nicht zuletzt auch immer wieder politisch aufgeladen werden und in kollektiven Aushandlungsprozessen materielle Gestalt annehmen. Die Konstruktion kollektiver Identität in der Stadtgesellschaft funktioniert nach den Mechanismen symbolischer Politik: Durch die Deutung historischer Ereignisse, die Besetzung von tradierten alltagskulturellen Handlungsmustern, von Begriffen, Schlagworten und Parolen wird – analog zu zeitgemäßen Werbestrategien in einer sich medial vermittelnden Welt – kollektive Identität konstruiert. Solche Identitätskonstruktionen können für unterschiedliche Zwecke benutzt und missbraucht werden. In Köln, dem liebevoll-ironisch deklarierten "Biotop für Bekloppte",