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Die Stadt und der Dom. Eine persönliche Sicht der ehemaligen Dombaumeisterin - Essay | Köln | bpb.de

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Die Stadt und der Dom. Eine persönliche Sicht der ehemaligen Dombaumeisterin - Essay

Barbara Schock-Werner

/ 6 Minuten zu lesen

Schon bevor ich 1999 mein Amt als Dombaumeisterin antrat, kam ich immer wieder nach Köln, und ich erinnere mich genau, dass der Dom, jedes Mal, wenn ich das Bahnhofsgebäude verließ, mir noch größer vorkam, als ich ihn in Erinnerung hatte. Dabei war er ja keinesfalls neu für mich. Ich hatte in Bonn Kunstgeschichte studiert und da führten meine Wege zwangläufig immer wieder nach Köln und zum Dom.

So wie mir geht es sicher vielen: Einheimischen, Menschen aus der Region und Fremden. Wenn man in seine Nähe kommt, ist der Dom einfach groß und für manche mag er, seiner dunklen Farbe wegen, auch ein bisschen beängstigend wirken. Beängstigend vielleicht, aber nicht abschreckend. Der Kölner Dom ist auch jüngeren Umfragen zufolge noch immer das beliebteste Bauwerk in Deutschland, und auf der ganzen Welt steht er nicht nur für die Stadt am Rhein, sondern für Deutschland ganz allgemein. Etwa sechs Millionen Menschen besuchen ihn in jedem Jahr, das sind an manchen Tagen bis zu 20.000 Besucher.

Genialer Bauplan


Was suchen Sie, warum kommen sie? Da ist zum einen die Tatsache, dass der Dom in vieler Hinsicht dem Idealbild einer Kathedrale entspricht. "Die vollkommene Kathedrale" hat mein Vorgänger Arnold Wolff dieses Phänomen immer genannt. Trotz einer über 630-jährigen Bauzeit ist der Dom nach einem Entwurf errichtet worden. Vom 13. bis ins 19. Jahrhundert folgten die Baumeister dem Plan, den der geniale erste Architekt Meister Gerhard im Mittelalter festgelegt hatte. An vielen großen Kirchen kann man die Zeit ihrer Entstehung am wechselnden Stil wie in Jahresringe ablesen. In Köln sind die Abweichungen vom originalen Plan so gering, dass nur Spezialisten sie wahrnehmen können. Die Einheitlichkeit und die Größe nehmen den Betrachter gefangen. Dazu kommt, dass der Dom keinen radikalen Bildersturm erlebt und damit die mittelalterliche Ausstattung bewahrt hat. Seine größten Schätze, das Gerokruzifix und der Schrein der Heiligen Drei Könige bilden bis heute geistige Zentren und sind Ziel von Wallfahrten. Später dazu gekommene – wie der Altar der Stadtpatrone, der Klaren- und der Agilolphusaltar aus anderen Kirchen – haben im 19. Jahrhundert einen Platz im Dom gefunden. Mit seinen Pfeilerskulpturen, Wandmalereien, Altären und Grabmälern gibt er den Besuchern ein Bild eines traditionellen Kirchenraums. Es ist aber nicht nur das Bild – der Dom ist noch immer eine "aktive" Kirche, täglich finden Gottesdienste statt.

Am meisten faszinieren die Besucher sicher die farbigen Glasfenster. Fast 8000 Quadratmeter historischer Glasmalerei finden sich in den spitzbogigen Öffnungen dieses gewaltigen Bauwerks. Das älteste Fenster findet sich am östlichsten Punkt, dieses "Ältere Bibelfenster" ist um 1260 entstanden. Nicht weniger spektakulär, ja wegen der Diskussion um seine Entstehung geradezu berühmt geworden, ist das große Südquerhausfenster nach dem Entwurf von Gerhard Richter. Es ist 2007 eingeweiht worden. Es gibt tatsächlich viele Besucher, die nur seinetwegen kommen. "Wo ist das Fenster?", fragen Sie die Aufsicht führenden Schweizer. Als ob es im Dom nur eines gäbe. Ebenso bewundert werden die von König Ludwig I. geschenkten sogenannten Bayernfenster an der südlichen Langhauswand.

Trotz der touristischen Besucher und Fremden aus aller Welt ist der Dom vor allem Ziel für die Menschen aus der Stadt und der Region. "Immer wenn ich in die Stadt komme, gehe ich als erstes in den Dom", war ein Satz den ich unzählige Male gehört habe. Das ist für die Menschen ein Bedürfnis, und viele zünden vor der barocken Schmuckmadonna, von der es heißt, sie könne in persönlichen Anliegen helfen, eine Kerze an. Die Behauptung, wir leben in einer völlig laizistischen Gesellschaft, wird im Nordquerhaus, wo das Gnadenbild steht, täglich viele hundert Male widerlegt. Für die Kölner ist es "Unser Dom", völlig unabhängig welcher Glaubensrichtung sie angehören und ob sie überhaupt gläubig sind. In nahezu jedem Lied kommt der Dom vor, und es gibt mehr als hundert Kölner Lieder, in die der Bewohner der Stadt und des Umlandes jederzeit einstimmen kann, weil er zumindest den Refrain kennt.

Ich kenne kein anderes Bauwerk auf der Welt oder, machen wir es etwas bescheidener, in Europa, das so fest im Herzen der Menschen verankert ist wie der Dom in Köln. Der Zentral-Dombau-Verein zu Köln, der mit dafür sorgt, dass der Dom so gut erhalten werden kann, hat etwa 14000 Mitglieder. Davon können andere Bürgerinitiativen nur träumen.

Kölner Unbeschwertheit?


Das ist der Dom – und was ist mit der Stadt? Köln geht auf eine römische Siedlung zurück, und die Struktur dieser römischen Stadt prägt die Innenstadt bis heute. Das "Heilige Köln" wurde die Stadt in der Frühen Neuzeit genannt, und allein in der Fläche innerhalb der alten Stadtmauern finden sich, trotz vieler Verluste in der Säkularisation, neben dem Dom noch zwölf Romanische Kirchen. Bis auf den Dom hat der Zweite Weltkrieg alle diese Kirchen mit der gesamten Innenstadt in Schutt und Asche gelegt. Dass der Dom, wenn auch mit großen Schäden, die Zerstörung überlebt hat, erschien in der Nachkriegszeit vielen Menschen wie ein Wunder und Zeichen der Hoffnung. Die Stadt ist auferstanden; sie hat 1946 auch den kühnen Entschluss gefasst, ihre Kirchen wieder aufzubauen – sehr mutig in dieser Zeit. Man sieht Köln aber den Wiederaufbau an. Als die Diskussion darum ging, eine Fehlstelle, die eine Bombe 1944 in einen Pfeiler im Westen des Doms gerissen hatte, als Erinnerung an den Krieg sichtbar zu lassen, habe ich immer das Argument angeführt, ganz Köln ist eine Erinnerung an den Krieg, da braucht es die sogenannte Ziegelplombe nicht.

Was an der Stadt jedoch anzieht, was viele Besucher dazu bringt, einige Tage, ein Wochenende in der Stadt zu verbringen, ist ihre ungeheure Lebendigkeit. Auch mich hat in Köln von Anfang an fasziniert, dass man sich hier mit einem Kölsch in der Hand mit wildfremden Menschen wunderbar unterhalten kann und das auch tut. Ich erinnere mich an eine fast surreale Unterhaltung mit einem Mann, der behauptete, Vertreter für Kartoffelsalat in der Tube zu sein. Man redet miteinander, ohne dass man damit ein Versprechen eingeht. Man sagt nachher "Tschö" und geht gut gelaunt nach Hause. Im Süden, wo ich herkomme, ist so etwas schon viel gefährlicher, weil man nicht weiß, ob diese Art der Kommunikation nicht falsch verstanden wird. Ich habe das Gefühl, in Köln bewegen sich Frauen und Mädchen unbeschwerter durch die Stadt.

Gerade das ist das Problem. Die Art der Kölner Kommunikation kann zu großen Missverständnissen führen, und das ist ja auch geschehen. Wer die unbeschwerte Art Karneval zu feiern nicht begreift oder verstehen will, sieht darin nur eine Möglichkeit sich sinnlos zu betrinken, und wer die freie Bewegung selbständiger Frauen und Mädchen nicht kennt oder nicht gewohnt ist, sieht in diesen Freiwild, das man einfach belästigen oder gar sexuell bedrängen kann. Damit ist Köln missverstanden und das muss korrigiert werden. Die furchtbaren Ereignisse der Silvesternacht 2015/16 werden sich an demselben Ort bestimmt nicht wiederholen. Dass Ähnliches an anderer Stelle geschieht, möchte ich nicht ausschließen. Wenn man ganz viel Polizei und Ordnungskräfte an diese Orte schickt, können diese sicherer werden. Aber das Grundsätzlichere und viel Wichtigere wäre, die andere Lebensart zu vermitteln. Ich könnte es nur schwer ertragen, wenn gerade Köln zu einer Polizeistadt wird, in der ich mich nur bewegen kann, weil ich mich ständig unter den Augen der Polizei befinde. Köln ist eine urbane, eine lebendige, junge aber inzwischen auch schwierige Stadt geworden. Die Aufgabe für die nächsten Jahre lautet, wie behält man Offenheit, Toleranz und Lebensfreude bei und sorgt gleichzeitig für die Sicherheit der Bürger?

war von 1999 bis 2012 Dombaumeisterin des Kölner Doms. Sie promovierte über gotische Architektur und mittelalterlichen Baubetrieb. E-Mail Link: bsw@barbara-schock-werner.de