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Geschichte im Computerspiel | Facts & Fiction | bpb.de

Facts & Fiction Editorial Politserien: Unterhaltsame Blicke auf die Hinterbühnen der Politik Hybride Geschichte und Para-Historie. Geschichtsaneignungen in der Mediengesellschaft des 21. Jahrhunderts Mehr als Kostüm und Kulisse: Geschichtsphilosophie im Historienfilm Batman jagt Bin Laden. 9/11 und der Kampf gegen den Terror im Hollywood-Kino Geschichte im Computerspiel

Geschichte im Computerspiel

Tim Raupach

/ 14 Minuten zu lesen

Geschichtsdarstellung in Computerspielen eröffnet neue Perspektiven: Bei ihnen kann nicht nur aus einer Darstellungs-, sondern auch aus einer Handlungsperspektive der Spielenden nach historischer Authentizität gefragt werden.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten boomen historisierende Unterhaltungsformate: Aufwändig produzierte Geschichtsdramen belegen regelmäßig beste Sendeplätze im deutschen Fernsehen, und auch die Gaming-Industrie hat die neuartige Darstellung von historischen Stoffen längst für sich entdeckt. Histotainment ist inzwischen ein fester Bestandteil zahlreicher Computerspielgenres. Dabei muss es sich nicht immer explizit um Historienspiele handeln. Von einer historisierenden Darstellung in Computerspielen lässt sich von der Definition her bereits sprechen, wenn ein "Pinball-Simulator im Jugendstilmäntelchen verkleidet" wird, also ein beliebiger geschichtlicher Aspekt zur bloßen Illustration im Spielsetting Verwendung findet.

Historisierende Spiele erweitern somit das Spektrum populärkultureller Darstellungen von Geschichte und gehen über das wortwörtliche Verständnis von Historienspielen hinaus: Trotz aller möglichen darstellerischen Ungenauigkeit, Verkürzung oder gar Kontrafaktizität zur historischen "Echtheit" können Vergegenwärtigungen von Geschichte erlebt und angeeignet werden. Die in den Köpfen der Spielenden entstehenden Geschichtsbilder werden zu dominanten Deutungsmustern vergangener Prozesse und Ereignisse, je nachdem, ob sich in ihnen bereits etablierte Narrative und Modelle einer bestimmten Nation, Kultur oder Ethnie verdichten lassen.

Typologie von Historienspielen

Der Historikerin Angela Schwarz zufolge lassen sich drei Typen von Historienspielen unterscheiden. Der erste ist gekennzeichnet durch ein stereotypes und oberflächliches Setting von Geschichte, wie es in vielen Strategie-, Aufbau-, und Wirtschaftssimulationsspielen zu finden ist. In ihnen wird eine historische Simulation geschaffen, die ohne Erzählung im engeren Wortsinn auskommt, weil es für die Spielenden häufig hauptsächlich um Tätigkeiten wie entwickeln, erkunden, kämpfen und töten geht, die fast als "anthropologische Grundkonstanten" zu bezeichnen sind und Geschichte nicht mehr als Produkt menschlicher Entscheidungen und Handlungen erkennbar werden lassen. Die rudimentär eingeführte Geschichte dient hier lediglich als "Kolorit für tendenziell überzeitliches Geschehen".

Im zweiten Typ von Historienspielen sind die fiktiven Figuren und ihre Handlungen in einem relativ eindeutigen historischen Setting verortet. Die Einbettung von Geschichte in die Hintergrundstory des Spiels wird oft neben der audiovisuellen Inszenierung der Kulissen und Orte durch das Auftreten von historischen Ereignissen, sozialen Gruppierungen und ihrer spezifischen Ideologien flankiert. Auf der Ebene des Handlungsraums tritt eine zusätzliche Form der Authentifizierung durch die Möglichkeit der Interaktion mit historischen Persönlichkeiten hinzu. Die auf diese Weise vermittelten historischen Details und Fakten werden allerdings nur so weit in die Narration integriert, wie sie die Anforderungen des Gameplays, also den Fortgang und die "Spielbarkeit" des Spiels, nicht gefährden. Zusätzliche geschichtliche Hintergrundinformationen bleiben daher meist nur in "angehängten Datenbahnen, Pop-Up-Fenstern oder Einblendungen" abrufbar, sind aber zum Erreichen des Ziels nicht notwendiger Spielgegenstand.

Im dritten und letzten Typ von Historienspielen steht die exakte Wiedergabe historischer Ereignisse sowie deren Nachvollzug stärker im Vordergrund. Dabei handelt es sich überproportional oft um Fahrzeugsimulationen, die in eine Chronologie militärhistorisch relevanter Ereignisse gestellt werden. Die Spielenden übernehmen etwa die Rolle des Panzer- oder U-Boot-Kommandanten oder führen in Schlachtensimulationen Truppenverbände an, deren Darstellungsmodus unterschiedlich stark abstrahiert wird.

Während Fahrzeug- und Schlachtensimulationen die militärhistorischen Ereignisse fokussieren, in denen einzelne menschliche Handlungen und ihre Motive nur schemenhaft erkennbar werden, dominiert im Bereich der sogenannten First-Person-Shooter der Anspruch, historische Authentizität durch ein Spielerlebnis zu schaffen, das an Schlachten- und Kriegserfahrungen aus dem militärischen Unterbau anzuschließen sucht. Die Lebenswelten von Unteroffizieren und Mannschaften bestimmter militärischer Einheiten werden hier nicht nur abstrakt aus einer operativen Schlachten-, sondern auch aus der subjektiven Gefechtsperspektive dargestellt. Dies hat vor allem eine atmosphärische Wirkung und sorgt in vielen populären Shooter-Reihen dafür, dass sich die Spielenden zeitweise buchstäblich in die virtuelle Figur hineinversetzt fühlen, sich mit ihr identifizieren und das Spiel entsprechend "erleben" (Immersion).

Historienspiele als Zeitmaschinen?

Aus narratologischer Sicht kann die Kritik am dritten Typus von Historienspielen kaum geringer ausfallen als die Kritik am ersten und zweiten Typus. Denn auch hier ist die historische Rahmung möglicher Spielhandlungen fast vollständig entpolitisiert: Unabhängig davon, ob die Spielenden die Perspektive eines Feldherrn oder eines Fußsoldaten einnehmen, sparen die Spiele weite Teile der "geschichtswissenschaftlichen Rekonstruktion wie verschiedene Perspektiven, Motive, Handlungsräume, Interessen jenseits des militärischen Geschehens aus". Obwohl Computerspiele mit historischem Setting als hybride Medien nicht nur Darstellungs-, sondern auch Handlungsräume in sich integrieren, führt dieses Ausblenden der Handlungsperspektive zwangsläufig dazu, dass Historienspiele in eine mehr oder weniger starke Defizitanalyse überführt werden, je nachdem, wie sehr sie von den akademisch anerkannten Erzählformen von Geschichte abweichen. Aus dieser Perspektive erscheinen Historienspiele somit keineswegs als "Zeitmaschinen", denn weder sind sie in der Lage, die Spielenden in die Vergangenheit reisen zu lassen, noch sind sie imstande, die Vergangenheit über die Simulation einer Spielumgebung zu repräsentieren.

Dennoch trifft die Metapher von der Zeitmaschine in gewisser Weise zu – nämlich dann, wenn die Spiele nicht ausschließlich aus erzählerischer Perspektive anhand des Kriteriums betrachtet werden, ob sie kohärente Geschichtsbilder reproduzieren. Wenn man bereit ist, den historischen Gegenstand der Spiele als beweglich wahrzunehmen, wenn die Bedeutung von Geschichte als nicht immer schon feststehende Größe angesehen wird, lassen sich Computerspiele, die versuchen, ein historisches Flair zu erzeugen, als Teil einer populären Geschichtskultur begreifen. Als historisierend kann hierbei sowohl die Darstellung von Geschichte als auch das Spiel selbst betrachtet werden: Letztlich dokumentieren Historienspiele, wie wir heute, Anfang des 21. Jahrhunderts, auf bestimmte historische Epochen blicken.

Zwar basieren historisierende Spiele in erheblichem Maße auf bereits etablierten klassisch-linearen Erzählmedien wie Literatur und Film, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aber zu einem eigenständigen Sozialisationsfaktor mit spezifischer Ästhetik entwickelt. Ihr zentrales Merkmal, das Prinzip der Interaktivität, das sie von anderen, linearen Geschichtserzählungen abhebt, wirft ganz neue Fragen danach auf, wie sich die Aneignung von Sinn in den Prozessstrukturen von (Spiel-)Handlungen entfaltet. Diese umfassen sowohl Aktionen innerhalb der virtuellen Spielumgebung als auch solche der realen Welt der Spielenden, in denen Ereignisse der Vergangenheit thematisiert werden. In diesen Handlungsräumen kann es seitens der Spielenden zu Aneignungen kommen, die über die historische Narration des Spiels hinausgehen. Computerspiele können somit eine Initialzündung für subjektive Aneignungsprozesse bewirken, die nicht unbedingt zu Expertenwissen, aber doch zu Erkenntnissen führen können, mit deren Hilfe weitere historische Zusammenhänge erschließbar werden.

Geschichtserleben als Probehandeln

Wie weit das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten ist, hängt vom jeweiligen Computerspielgenre ab. Besitzen historisierende First-Person-Shooter meist einen linearen Levelaufbau, in dem die Spielenden auf einem vorgegebenen Handlungsstrang entlanggeführt werden, ist die narrative Variationsbreite bei historisierenden Strategiespielen wesentlich ausgeprägter. Zwar sind das Spielfeld und dessen Gesetzmäßigkeiten, denen die Spielfiguren unterworfen sind, genau festgelegt, aber wie das Spiel gespielt wird und welche Geschichte genau daraus hervorgeht, ist weitgehend offen. Durch die Variationsmöglichkeiten des Erzählens haben Historienspiele und historisierende Spiele damit ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der medialen Darstellung von Geschichte.

Dazu kommt gerade bei historisierenden Strategiespielen der spezifisch ludische Aspekt hinzu, dass all diesen Spielkonzepten ein unterschiedlich stark ausgeprägtes "Potential des strategisch-spielerischen Probehandelns zugrunde liegt". Neben genuin kriegerischen oder militärischen Spielen stellen insbesondere Wirtschafts- und Aufbausimulationen durch ihr narratives Konzept, aber auch durch ihre Spielmechanik in einem Umfeld spielerischer Auseinandersetzung Lehrsituationen her. In diesen werden durch das Probehandeln nach ökonomischen, politischen, sozialen oder strategischen Handlungsmaximen "Normen, Regeln und Wissensformationen" vermittelt, die sich auch auf die Wahrnehmung von geschichtlichen Ereignissen und Prozessen erstrecken.

In der virtuellen Szenerie spielerischen Probehandelns finden sich folglich immer schon mehr oder minder stark ausgeprägte "Welterklärungslogiken", die als "Erfolgsnarrative" nationale und transnationale Wertvorstellungen und Denkmuster transportieren. So kann beispielsweise der in historisierenden Aufbausimulationen zu erreichende Spielerfolg im Sinne ökonomisch-technischer Expansion als Bestandteil einer in den westlichen Industrienationen verbreiteten kapitalistischen Wachstumsideologie und damit auch einer "unterschwelligen Leitlinie des Geschehens in der virtuellen Welt" gelesen werden.

Strategien der Authentizitätsproduktion

Für ein tieferes Verständnis dieser Prozesse sowie für die Aufklärung von Botschafts- und Wirkungsqualitäten dieser reaktiven Formen crossmedialer Geschichtsvermittlung bedarf es hermeneutischer Untersuchungen, deren inhaltliche Klammer die Frage nach der Authentizität des Geschichtserlebens ist. Dabei geht es um mehr als das bereits in zahlreichen Studien thematisierte Histotainment linearer Erzählmedien. Verlangt ist ein interdisziplinärer Ansatz aus Geschichts- und Medienwissenschaft, der nicht nur danach fragt, wie Daten und Fakten in einem medialen Anschauungsraum angelegt werden, um ein historisches Narrativ oder eine historisierende Legende zu konstruieren, die im Anschauungsprozess des Publikums als jeweils spezifische Leseart nachvollzogen wird. Hinzukommen müssen vielmehr Fragen nach ludischen und bildästhetischen Strategien der Authentizitätsproduktion in Spielen mit historischem Setting. Denn mit dem Siegeszug der Computerspiele hat auch eine neue Ästhetik an Relevanz gewonnen, in der Interaktivität nicht nachträglich zur Bildlichkeit hinzutritt, sondern deren integraler Bestandteil ist. Entsprechend sollten immersive Effekte von Computerspielen nicht auf die "Faszination für die Bilderzählung" verkürzt werden, bei der es lediglich um den Bildinhalt und das Einswerden mit einer bestimmten Erzählfigur geht.

Neben diesen Formen erzählerischer (diegetischer) Immersion bieten digitale Spiele auch Immersionsformen, die sich auf der Ebene der Bildoberfläche ereignen können (nicht-diegetische Immersion). Bei diesen sind Bildbetrachtungen mit Objektinteraktionen verbunden: In einem frühen Computerspiel wie "Tetris" zum Beispiel wurden kubenförmige Spielsteine unter Berücksichtigung ihrer geometrischen Eigenschaften in eine bestimmte räumliche Ordnung gebracht. Auch beim Spielen moderner Egoshooter wird die gesamte Raumordnung permanent verändert: Da die Blickachse der Spielenden mit der Handlungsachse zusammenfällt, entsteht beim Durchschreiten des Spielraums der Eindruck, dass sich mit der Veränderung des Fluchtpunktes auch der Blick auf den Raum verändert. Welche Bedeutung kommt dieser spezifischen Form immersiven Erlebens zu, wenn es um Geschichtsaneignung geht? Wie wird darin, anders als in linearen Erzählformen, die abstrakte, unpersönliche Historie in eine Geschichtserfahrung innerhalb spielbarer Bildräume transformiert?

Hier überschneiden sich medien- und geschichtswissenschaftliche Fragen, für deren Bearbeitung der Begriff der Authentizität wichtig und hilfreich ist. Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Zuweisung von Authentizität im Bereich der ästhetischen Kommunikation und szenischen Künste meist als Form, Resultat und Effekt vermittelnder Darstellung verstanden wird. Dabei ist es egal, ob diese Darstellung wie in der Theatertheorie durch den authentischen Ausdruck der Schauspieler oder durch eine mediale Darstellungstechnik wie Fotografie oder Film hervorgerufen wird: Immer wird sie nachträglich zugesprochen, Formen der Selbstauthentifizierung sind ausgeschlossen. Im Bereich digitaler Spiele ließe sich der Anspruch authentischer Darstellung als "merkwürdige Ambivalenz der gleichzeitigen An- wie auch Abwesenheit (…) von Technik" übersetzen, die sich in einer "dialektischen Verschränkung des Verschwindens von Technik durch ihre offensive Zurschaustellung" zeigt. Spielpraktisch erscheint diese Ambivalenz oft als Erfahrung einer "Gleichzeitigkeit von externer Beobachter- und intrinsischer Teilnehmerperspektive".

Das Szenario des Computerspiels, das eine Trennung von Spieler und Bildschirm vorsieht, manifestiert sich also in einer Doppelposition, die das Spielergebnis an der Konsole als eine "oszillierende Gleichzeitigkeit von hochgradiger Immersion mit dem nicht ausschaltbaren Bewusstsein, es mit einem Kunstprodukt zu tun zu haben, begreifbar werden lässt". Innerhalb dieser immer schon gebrochenen Form von Immersion muss Authentizität im Bereich geschichtsvermittelnder Bildschirmspiele folglich zwei Referenzpunkte aufweisen: einerseits hinsichtlich der Darstellung eines authentischen Zeugnisses im Sinne der Geschichtswissenschaft und andererseits hinsichtlich eines authentischen (Spiel-)Erlebnisses im Sinne der Medienwissenschaft. Authentizität hätte damit zwei Authentizitätskriterien zu erfüllen, eines der Referenz und eines der Form.

Authentizität der Referenz und der Form

Das Authentizitätskriterium der Form zielt auf die Herstellung von Glaubwürdigkeit über eine konsistente Darstellung erkennbarer Gesetze und Ordnungen der erzählerischen Spielumgebung. Zu diesen zählen die Logiken und Regeln der Spielmechanik, das Interface als Ein- und Ausgabeeinheit (Controller/Screen) sowie sämtliche audiovisuelle Darstellungen, die mit dem Interface korrelieren. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Mensch-Maschine-Interaktion des Computerspiels auf einer basalen Ebene funktioniert, die als "sensomotorische Synchronisation" bezeichnet werden kann. Bei dieser geht es darum, dass die Handlungen und Bewegungen am Controller unmittelbare Auswirkungen auf die virtuelle Spielumgebung haben. Das heißt, das verzögerte audiovisuelle Feedback der Computerspielapparatur muss jenseits der bewussten Wahrnehmung der Spielenden bleiben, damit sich die Illusion einer stabilen und gleichzeitigen Interaktion – eben einer Synchronität – einstellt.

Will man den Begriff der Authentizität nicht ausschließlich über eine Form der Referenzialität auf das "Tatsächliche" der außerspielerischen Welt bestimmen, böte sich genau diese Form der Interaktion als Möglichkeit der Selbstwirksamkeitserfahrung im Spiel an. Im Vergleich zur fiktionalen Literatur, die durch das "Stilmittel der erlebten Rede die Differenz zwischen den Perspektiven des impliziten Lesers und der redenden Figur aufheben kann, können Computerspiele durch narrative und spielerische Formung erlebten Handelns die Differenz zwischen Innen- und Außenperspektive des Handelns aufheben". Handlungserleben in historisierenden Computerspielen würde damit als Authentizität der Form ein vollkommen neues szenografisches Darstellungsfeld beschreiben. In ihm können im Unterschied zu historiografischer Literatur Handlungserlebnisse, begleitende Empfindungen und Erkenntnisse unmittelbar geteilt werden: In einer bestimmten historischen Epoche oder Situation ein Handelnder zu sein, wird somit zu "einer direkt mitteilbaren Erfahrung".

Inwieweit historische Zusammenhänge verkürzt dargestellt werden, inwieweit sich Fakt und Fiktion im Spiel vermischen, ist damit für die Authentizität der Form kein Kriterium, da es bei der Beschreibung von Selbstwirksamkeitserfahrung zunächst einmal um die basale Erfüllung der beiden Mechanismen sensomotorischer Synchronisation, das heißt der temporalen Form (Gleichzeitigkeit) einerseits und des kybernetischen Prinzips (Feedback) andererseits geht, die eine authentisierende Form begründen. Diese wäre dann beispielsweise nicht an einen möglichst hohen Ähnlichkeitsgrad des Abgebildeten mithilfe fotorealistischer Illusionsstrategien gebunden. Die Referenzialität des Abgebildeten spielt in den Interaktionsbildern von Computerspielen allerdings dort eine Rolle, wo es um Realismuseffekte geht.

Die Authentizität der Referenz lässt sich daher als Summe von Realismuseffekten beschreiben, die produktionsseitig zum Tragen kommt, wenn ein realgeschichtlicher Referenzrahmen, dem ein historisches Ereignis oder Prozess als Vorbild dient, im Setting des Spiels angelegt ist. Konzepte eines Abbild- und Bewegungsrealismus lassen sich im Kontext von historisierenden Spielen und Historienspielen beispielsweise auf Darstellungen von Uniformen, Waffen, Fahrzeugen und Schauplätzen beziehen, welche die historische Realität sowohl im bildlichen als auch in einzelnen Bewegungsabläufen (zum Beispiel von Militärfahrzeugen) präzise nachstellen sollen. In Fahrzeug- und Schlachtensimulationen führt dies zu einem Realismus des technischen Details.

Der Anspruch authentischer Darstellung in Computerspielen bezieht sich in diesem Fall auf die Annahme, dass fotorealistische Computerspielbilder auf etablierte Wahrnehmungsstandards der Spielenden verweisen: Durch ästhetische Analogien zu optischen Vorläufermedien sollen Akzeptanz und illusionistische Wirkung synthetischer Bilderwelten verstärkt werden. Ein Beispiel sind die optischen Merkmale von Archivfilmmaterial, mit dem das Auftreten von Geschichte im Computerspiel etwa durch körnige Schwarzweißbilder mit unterschiedlichen Alterungsmerkmalen in Szene gesetzt wird. Zudem greifen motivgeschichtlich angereicherte Referenzstrategien, nach denen sich bildliche Remodellierungen unterteilen lassen in (Bewegt-)Bilder "aus der Vergangenheit" (zum Beispiel archiviertes Foto- und Filmmaterial) sowie in (Bewegt-)Bilder "von der Vergangenheit" (unter anderem Historienspielfilme oder Dokumentarfilme).

Visuelle Reinszenierungen

Die medial-erinnerungskulturelle Funktion des ersten Bildtyps (Bilder aus der Vergangenheit) tritt innerhalb des Spielkontextes weniger als Beweis im Sinne des zeithistorischen Dokuments auf, sondern als "Verweis auf etwas Vergangenes im Sinne eines Monumentes". Mit diesem Begriff ist der Gebrauch eines bestimmten Bilderfundus, also zentraler Schüsselbilder gemeint, die im kollektiven Gedächtnis medialer Erinnerungskulturen zu besonderen Zeichen, sogenannten Kollektivsymboliken avanciert sind. Die Monumentalisierung bestimmter Archivbilder hängt weniger vom dokumentarischen Wert dieser Bilder als von der Bedeutung ab, die sie für die Evokation einer Erinnerungsleistung aufseiten der Rezipienten besitzen. Maßgeblich dafür verantwortlich ist ihr stereotyper Gebrauch, der zur Herausbildung einer begrenzten Ikonografie beigetragen hat.

Da mit monumentalisierten Archivbildern weniger Konkretes dokumentiert, sondern mehr der Modus des Vergangenen aufgerufen werden soll, baut der zweite Bildtyp (Bilder von der Vergangenheit) auf dem ersten auf. In Spielen können überdies beide der vorgestellten Bildtypen dazu genutzt werden, um die Spielenden von einer bestimmten geschichtlichen Realität zu überzeugen – und zwar unabhängig davon, welche konkreten Bilder der Inszenierung erinnert werden, das Archivbild oder das Film- oder Computerbild. Diese Referenzstrategien werden daher in der Anschlusskommunikation, wie sie sich zum Beispiel in Computerspielforen ereignet, von den Spielenden nicht nur vor dem Hintergrund realhistorischer Ereignisse bewertet. Vielmehr können beispielsweise Szenen und Bilder des populären Kriegsfilms selbst zu Referenzpunkten von Authentizität der historischen Darstellung werden, wenn diese in militärischen Egoshooter-Reihen oder Strategie- und Schlachtenspielen reinszeniert werden.

Entscheidend für den Prozess einer dokumentarisierenden Lektüre des in den Computerspielen Gezeigten ist, dass sie sich nicht auf eine Diskussion historischer Details beschränkt. Vielmehr muss sie breitere Kontexte einschließen, in denen die Funktion von Computerspielen zur Herstellung eines eigenen Wissensraums thematisiert wird. Die Frage ist also: Welches Wissen oder gar welche Ideologie wird in den Spielen transportiert?

Da sich die vorgestellte Typologie von Historienspielen auf den Bereich kommerzieller Spielformate beschränkt, lässt sich schwerlich explizit von didaktischen Strategien der Wissensvermittlung sprechen, sodass sich die Frage der Authentizität historischer Darstellung vom "Was", also der "ursprünglichen" Intention oder dem "eigentlichen" Inhalt der Darstellung, auf das "Wie" ihrer medienspezifischen Vermittlung verlegen muss. Wie kann über das Handlungserleben von Geschichte in interaktiven Computerspielwelten mit dem Begriff der Authentizität sinnvoll reflektiert werden? Produktionsseitig wurden dazu entsprechende Konzepte von Authentizitätsstrategien der Referenz und der Form vorgestellt. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Spielerzählung produzieren sie permanent Signale für eine dokumentarisierende Leseart, die auf der Rezeptionsseite den Gegenstand Geschichte nicht "stillstellt", sondern innerhalb von Computerspielkulturen immer wieder neu verhandelt und modifiziert.

Die historisierende Leseart von Spielen bleibt dabei mit anderen Rezeptionsmodi auf verschiedenen Ebenen kombinierbar und stellt nur eine bestimmte Form kognitiver Involvierung in den Spielverlauf dar, deren Bedeutung als Form der inneren Aktivierung des Spielers nicht nur während des Spielverlaufs (intradiegetisch), sondern auch zwischen den Spielepisoden einen Niederschlag in sekundären Medien (extradiegetisch, zum Beispiel in Chats und Internetforen) erfährt. Auch wenn diese meist internetbasierten Kommunikationsräume weder dem öffentlichkeitstheoretischen Ideal vom "transnationalen Diskurs im Habermas’schen Sinne", noch einer "digitalen Agora" gleichkommen, wird es dennoch interessant sein zu beobachten, wie stark kulturell unterschiedlich geprägte Deutungs- und Wissensformen von transnational agierenden Computerspielgemeinschaften die Aneignungspraktiken von Geschichte bestimmen. Dies herauszufinden, könnte und sollte Gegenstand zukünftiger Studien sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Florian Kerschbaumer/Tobias Winnerling, Postmoderne Visionen des Vor-Modernen. Des 19. Jahrhunderts geisterhaftes Echo, in: dies. (Hrsg.), Frühe Neuzeit im Videospiel. Geschichtswissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2014, S. 12–24, hier S. 12.

  2. Vgl. Angela Schwarz, Geschichte erzählen in Videospielen, in: ebd., S. 27–52, hier: S. 28f.

  3. Ebd., S. 34.

  4. Ebd., S. 32.

  5. Ebd., S. 35. Vgl. auch Steffen Bender, Durch die Augen einfacher Soldaten und namenloser Helden. Weltkriegsshooter als Simulationen historischer Kriegserfahrung?, in: Angela Schwarz (Hrsg.), "Wollten Sie auch schon immer einmal pestverseuchte Kühe auf Ihre Gegner werfen?" Eine fachwissenschaftliche Annäherung an Geschichte im Computerspiel, Münster 2010, S. 121–148, hier S. 137.

  6. Vgl. Dominik Wessely, Fallstudie 1: New Horizon – Das Spiel mit der Geschichte. Historische Narration in Dokumentarfilm und Game, in: Gundolf S. Freyermuth/Lisa Gotto/Fabian Wallenfels (Hrsg.), Serious Games, Exergames, Exerlearning. Zur Transmedialisierung und Gamification des Wissenstransfers, Bielefeld 2013, S. 123–136, hier S. 134.

  7. Vgl. Matthias Bauer/Sabine Moller, Einleitung der Herausgeber: Modelle, Medien und Modalitäten der Aneignung von Vergangenheit, in: Literatur in Wissenschaft und Unterricht 2–3/2013, S. 89–104, hier S. 89.

  8. Rolf F. Nohr, Die Natürlichkeit des Spielens. Vom Verschwinden des Gemachten im Computerspiel, Münster u.a. 2008, S. 85.

  9. Ebd.

  10. Schwarz (Anm. 2), S. 43.

  11. Vgl. Stephan Günzel, Egoshooter. Das Raumbild des Computerspiels, Frankfurt/M.–New York 2012, S. 26.

  12. Ebd., S. 74.

  13. Ebd., S. 118.

  14. Vgl. Jan Berg, Formen szenischer Authentizität, in: ders./Hans-Otto Hügel/Hajo Kurzenberger (Hrsg.), Authentizität als Darstellung, Hildesheim 1997, S. 155–174, hier S. 161.

  15. Rolf F. Nohr, "Rhythmusarbeit" Revisited, in: Freyermuth/Gotto/Wallenfels (Anm. 6), S. 351–386, hier S. 354f.

  16. Markus Rautzenberg, Spiegelwelt. Elemente einer Aisthetik des Bildschirmspiels, Berlin 2002, S. 68.

  17. Jörg Schweinitz, Totale Immersion, Kino und die Utopien von der virtuellen Realität. Zur Geschichte und Theorie eines Mediengründungsmythos, in: Britta Neitzel/Rolf F. Nohr (Hrsg.), Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion, Marburg 2006, S. 136–153, hier S. 147.

  18. Vgl. Daniel Appel, Die Authentizität im virtuellen Schützengraben. Zum möglichen Forschungsfeld eines Authentizitätsbegriffs im Computerspiel, in: ders./Christian Huberts/Tim Raupach/Sebastian Standke (Hrsg.), Welt|Kriegs|Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien?, Boizenburg 2012, S. 205–226, hier S. 215.

  19. Vgl. Serjoscha Wiemer, Körpergrenzen: Zum Verhältnis von Spieler und Bild in Videospielen, in: Neitzel/Nohr (Anm. 17), S. 244–260, hier S. 251.

  20. Jochen Venus, Erlebtes Handeln in Computerspielen, in: Gamescoop (Hrsg.), Theorien des Computerspiels, Hamburg 2012, S. 104–127, hier S. 106.

  21. Ebd.

  22. Vgl. Wiemer (Anm. 19), S. 251.

  23. Vgl. Bender (Anm. 5), S. 128.

  24. Vgl. Rüdiger Maulko, Referenz und Computerbild. Synthetischer Realismus in den Bildmedien, in: Harro Segeberg (Hrsg.), Referenzen. Zur Theorie und Geschichte des Realen in den Medien, Marburg 2008, S. 26–51, hier S. 40.

  25. Matthias Steinle, Das Archivbild und seine "Geburt" als Wahrnehmungsphänomen in den 1950er Jahren, in: Corinna Müller/Irina Scheidgen (Hrsg.), Mediale Ordnungen. Erzählen. Archivieren. Beschreiben, Marburg 2007, S. 259–283, hier S. 263.

  26. Ebd., S. 262.

  27. Vgl. ebd., S. 266.

  28. Vgl. Ian Bogost, Persuasive Games. The Expressive Power of Videogames, Cambridge MA–London 2007.

  29. Vgl. Tim Raupach/Sebastian Koch, Authentizität und Aneignung von Geschichtsdarstellungen in Weltkriegsshootern, in: Bauer/Moller (Anm. 7), S. 205–217, hier S. 214.

  30. Ebd., S. 215.

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ist promovierter Medienwissenschaftler und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. E-Mail Link: raupacht@staff.uni-marburg.de