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Europäische Sicherheitskooperation | Internationale Sicherheit | bpb.de

Internationale Sicherheit Editorial Wohin treibt die Welt? Hybride Bedrohungen. Sicherheitspolitik in der Grauzone Sicherheit im Cyberspace Europäische Sicherheitskooperation. Bestandsaufnahme und Handlungsfelder Politikfelder im Wettstreit? Innere Sicherheit, Migration und Terrorismus Spying on enemies – knowing your friends. Zur Geheimdienstkooperation und Aufklärung unter Verbündeten "Shoot their hearts and blow their minds". Terrorismusbekämpfung in Israel: Vorbild für Europa?

Europäische Sicherheitskooperation Bestandsaufnahme und Handlungsfelder

Thomas Jäger

/ 19 Minuten zu lesen

In einer Welt, in der sich Terroristen und Akteure der Organisierten Kriminalität zunehmend vernetzen, müssen sich auch Sicherheitsorgane dieser Aufgabe stellen. Wie wird das in Europa organisiert? Welche Institutionen sorgen auf welche Weise für Vernetzte Sicherheit?

Kurz vor dem Beginn des neuen Jahrtausends hielten Sicherheitsexperten weltweit die Luft an, ob die Umstellung auf die 2000er Jahre in den Rechenzentren reibungslos vonstattengehen würde. Über Monate waren die schlimmsten Szenarien des Datenverlustes durchgespielt worden. Doch es kam anders. Der Übergang in der virtuellen Welt funktionierte, in der realen aber schlugen Flugzeuge in New York und Washington D.C. ein und veränderten die globale Sicherheitslage von einem Moment auf den anderen.

Terrorismus, Proliferation und fragile Staaten, verbunden mit regionalen Konflikten, die ordnungspolitisch zehn Jahre lang missachtet worden waren, formten seither die sicherheitspolitischen Prioritäten. Die Sicherheitsstrategie der USA konzentrierte sich ebenso wie diejenige der Europäischen Union auf diese Herausforderungen. Jede für sich war schon eine enorme sicherheitspolitische Aufgabe. Angesichts der grundlegenden Prozesse der Globalisierung und Transnationalisierung, in denen die Welt immer enger zusammenwuchs und mehr und unterschiedlichere Akteure international handlungsfähig wurden, verzahnten sie sich nun zudem miteinander. Zerfallende Staaten boten und bieten Gewaltakteuren Territorien, von denen aus sie mittels Strukturen Organisierter Kriminalität auf ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern, insbesondere dem Drogen-, Menschen- und Waffenhandel, Profite erzielen können, die wiederum dazu dienen, politische Macht durch verschiedene Gewaltformen zu erlangen, unter anderem durch den in andere Staaten exportierten Terrorismus. Es reichte nicht mehr, Sicherheitsgefahr für Sicherheitsgefahr einzeln zu bearbeiten. Wie Zahnräder griffen sie ineinander und formten ein komplexes Gebilde aus Handlungen, Ursachen und Wirkungen. Darauf mussten die Staaten reagieren.

Der Einsatz traditioneller Sicherheitsinstrumente, insbesondere des Militärs, erwies sich als wenig zielführend. Die Kooptierung von Eliten in prekären Staaten gestaltete sich schwieriger, das eigene Militär konnte in den differenzierten Kampfformen die trainierten Fähigkeiten nicht erfolgreich einsetzen. Kombiniert wurden sie mehr oder weniger erfolgreich mit Formen der bürokratischen Beratung, politischen Reformierung und institutionellen Kooperation zwischen den Staaten, die ordnungspolitische Zwecke verfolgten, und denjenigen, die in ihrer Stabilisierung und Entwicklung unterstützt werden mussten. Den verzahnten Gefahren ließ sich nur durch eine sicherheitspolitische Neukonzeption entgegentreten.

Vernetzte Sicherheit

Begleitet wurde diese Einsicht von der Ausarbeitung des Konzepts der Vernetzten Sicherheit. Aus dem militärischen Denken stammend, bezog es zunehmend auch die übrigen zivilen Sicherheitsorgane ein. Da fiel ein Stein ins Wasser und zog immer weitere Kreise: Zunächst ging es darum, die Interoperabilität der Teilstreitkräfte zu gewährleisten, denn im festgefahrenen Ost-West-Konflikt hatte die nukleare Abschreckung überdeckt, dass sowohl das Heer als auch die Marine und die Luftwaffe vieler Staaten nicht effizient kooperieren konnten. Dies betraf insbesondere auch das US-Militär, weshalb es kein Zufall ist, dass sich das Konzept der Vernetzten Sicherheit von den USA aus verbreitete.

Der zweite Kreis fand zwei Ausprägungen. Zum einen kann Vernetzte Sicherheit sinnvoll nur multinational geplant, geübt und umgesetzt werden: Die Fähigkeit, zusammen agieren zu können, betrifft zwangsläufig auch die Streitkräfte anderer Staaten. Zum anderen stellten sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auf einmal ganz andere Aufgaben. Mit vielen waren die Streitkräfte schlicht überfordert. Deshalb mussten sie mit Nichtregierungsorganisationen auf ganz verschiedenen Gebieten – von der Entwicklungszusammenarbeit bis zur Konfliktmediation, von der Bildungsarbeit bis zum Migrationsmanagement – zusammenarbeiten.

Vernetzte Sicherheit als strategisches Konzept verband multilateral ganz unterschiedliche Fähigkeiten staatlicher und privater Akteure, internationaler Organisationen und transnationaler Player. Konzeptionell waren die Regierungen damit komplex und umfassend aufgestellt, um Sicherheitsgefahren zu begegnen. Nur in der Praxis klemmte das Konzept an allen möglichen Stellen. Verschiedene Akteure wollten nicht miteinander kooperieren, ihr Wissen nicht miteinander teilen. So verfolgten sie in der Umsetzung der gemeinsam beschlossenen Ziele zum Teil unterschiedliche Interessen und scheiterten daran, ihr taktisches und operatives Vorgehen den veränderten Lagen anzupassen.

Informationsmanagement

Gemeinsames Handeln war aber notwendig, und das setzte gemeinsames Wissen voraus. In der internationalen Politik ist Wissen jedoch häufig unsicher. Wer über welche Ressourcen verfügt und mit welchen Motiven handelt, wird von Regierungen meist unterschiedlich bewertet. Deshalb ist das Informationsmanagement, um zu gemeinsamem Wissen zu gelangen, ein Kernbereich der Sicherheitskooperation. Informationen sind allerdings etwas anderes als Wissen. Insbesondere Informationen aus den Bereichen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, die geheim gehalten werden sollen, müssen erst hinsichtlich ihrer Umstände, Motive und Wirkungen interpretiert werden. Es ist das tägliche Geschäft von Geheimdiensten und Polizei, Informationen über Dritte zu sammeln und zu analysieren und gleichzeitig geheim zu halten, woher sie was auf welchem Wege erfahren haben. Deshalb gilt meistens die Regel des need to know. Es werden nur diejenigen Informationen weitergegeben, die unbedingt nötig sind und nur an diejenigen Akteure, die es unbedingt wissen müssen. Wissen ist Macht, und Informationen sind die Währung auf diesem Gebiet.

Dabei ist allen Beteiligten klar, dass ein deutlicheres Bild der Gefahren entsteht, wenn alle relevanten Informationen zusammengetragen werden. Doch funktionierte dies, wie die Anschläge vom 11. September 2001 zeigten, nicht einmal innerhalb derselben Dienste oder zwischen den Organen eines Staates. Die US-Behörden hatten über die Attentäter ausreichende Informationen, aber sie wussten nichts von deren Vorhaben. Sie hatten die Informationen nicht zusammengetragen. Was aber innerhalb eines Dienstes schon schwierig ist, ist zwischen verschiedenen Staaten fast unmöglich. Sensible Informationen zu teilen, setzt höchstes Vertrauen voraus. Denn mit jedem Hinweis verrät der hinweisgebende Dienst, was er weiß. Und das sollte eigentlich kein anderer Dienst wissen.

Indem das Prinzip des need to know nach 9/11 zumindest durch das Prinzip des need to share ergänzt wurde – viele Akteure sollen Zugriff auf möglichst viele Informationen haben und diese in Datenbanken miteinander verknüpfen können – wurden neue Kooperationsformate ins Leben gerufen und alte Formate mit geänderten Aufgaben konfrontiert. Informiert euch gegenseitig!, hieß die Devise, die sehr bald jedoch ihre Kehrseite zeigte. Indem mehr und mehr Daten miteinander verknüpft wurden, konnten Zusammenhänge der Informationsbeschaffung sichtbar werden, die zuvor verdeckt waren. Seitdem der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden mit Millionen von Dateien über Hongkong nach Russland flüchtete, hat das Prinzip des need to know wieder größere Relevanz erhalten. Doch ändert das nichts an der richtigen Einsicht: In einer Welt, in der sich terroristische Gewalttäter und Akteure der Organisierten Kriminalität, Menschen-, Waffen- und Drogenhändler vernetzen, müssen sich auch Sicherheitsorgane dieser Aufgabe stellen. Abschottung und Eigenbrötlerei führen dazu, Sicherheitsgefahren nicht effektiv entgegentreten zu können.

Sicherheitskooperation in Europa

Sicherheit für die eigene Bevölkerung zu garantieren, gilt als erste und besonders wichtige Aufgabe von Staaten. Diese bezog sich lange Zeit insbesondere auf die nationale Sicherheit, die Sicherung von Grenzen und Territorium vor Angriffen von außen. Mit der Erweiterung der Sicherheitsaufgaben zersplitterte diese Bestimmung. Sicherheit wurde nicht mehr zuerst als territoriale Sicherheit wahrgenommen und bewertet, sondern als soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Sicherheit, als Sicherheit der Energieversorgung sowie als Sicherheit vor den Folgen von Klimawandel und Pandemien. Allein auf nationaler Ebene war da nichts mehr zu bewegen. Des einen Sicherheit war nicht mehr des anderen Unsicherheit. Entweder waren alle (oder zumindest die Mehrzahl einer Region) sicher oder keiner. Die Ebola-Epidemie ab 2014, um ein Beispiel zu nennen, war zwar territorial zu verorten, aber die Vernetzung der Welt ließ sie zu einem globalen Problem werden, weshalb sich auch die noch nicht betroffenen Staaten um Einhegung und Bekämpfung bemühten.

Gemeinsame Sicherheit, ein Begriff, mit dem einst die paradoxen Folgen der gegenseitigen nuklearen Abschreckung beschrieben wurden, hatte sich über alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gelegt. Sicherheit wurde wichtiger, weil sie umfassender definiert wurde; sie wurde komplexer, weil sie in dynamischer Vernetzung betrachtet wurde; und sie wurde konkreter, weil die Bearbeitung institutionalisiert werden musste. Es reichte nicht mehr aus, Kooperation locker zu verabreden, sie musste bürokratisch aufgesetzt werden. Das gilt auch für die Sicherheitsgewährleistung innerhalb der EU. Nun sind die dafür zuständigen Innenminister nicht die Speerspitze der Integrationsbemühungen. Sie wachen eifersüchtig über ihre jeweiligen Fähigkeiten und Kompetenzen. Dadurch wurde die Aufgabe der Sicherheitskooperation in der EU noch herausfordernder.

Bewältigt ist die Aufgabe noch nicht. Doch vieles ist angestoßen, manches zumindest auf den Weg gebracht worden und in einigen Bereichen gibt es Erfolge zu verzeichnen. Um die vorstehenden Punkte zusammenzufassen:

  1. Für europäische Sicherheitskooperation reicht es nicht aus, sich auf einzelne Handlungsfelder zu beschränken, da diese ineinandergreifen. Sie müssen in ihrer Komplexität erfasst und bearbeitet werden.

  2. Dabei kommt dem gemeinsamen Wissen um Gefahren und Wege, ihnen zu begegnen, eine besondere Bedeutung zu. Informationsmanagement ist für Sicherheitsorgane allerdings ein äußerst sensibler Punkt.

  3. Handlungsansätze sollen vernetzt ausgebildet werden, sowohl was die eigenen Sicherheitsorgane angeht, aber auch darüber hinaus mit Nichtregierungsorganisationen und anderen Staaten. Das erfordert Koordinierung.

Der Ruf nach mehr Kooperation auf dem Gebiet der Sicherheit erschallt in der EU immer dann besonders laut, wenn die Prävention versagt hat und eine Gefahr nicht abgewendet werden konnte. Die 2015/16 verübten Anschläge in Paris und Brüssel, die Furcht vor der Ausbreitung des Ebolafiebers, die Folgen des Staatszerfalls in Libyen, aber auch generell die Furcht vor der Vielfalt terroristischer Handlungsmöglichkeiten, gerade auch in Verbindung mit Organisierter Kriminalität, Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, werden geradezu ritualisiert mit der Forderung nach mehr Sicherheitskooperation beantwortet. Diese herzustellen, ist schwierig, institutionell jedoch bereits angelegt, wie ein Blick auf einige Kooperationsforen zeigt. Die Sicherheitskooperation in der EU und darüber hinaus mit anderen Staaten hat sich dabei besonders wegen der wahrgenommenen Terrorgefahr entwickelt, auch wenn innere Sicherheit weiterhin im Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten verbleibt.

Im Mittelpunkt der europäischen Sicherheitskooperation stehen der Austausch von Informationen sowie die Bereitstellung von Kooperationsforen, um die Zusammenarbeit zwischen den Staaten zu erleichtern. Im Folgenden werden zuerst einige europäische Informationsplattformen vorgestellt, im zweiten Schritt verschiedene Koordinierungsstellen; sodann wird kurz auf die internationale Dimension eingegangen.

Information und Wissen

EU Intelligence Analysis Centre

Das EU Intelligence Analysis Centre (EU INTCEN) hat sich für die Bewältigung seiner Aufgaben im Laufe der vergangenen Jahre immer weiter entwickelt. Es ging aus dem Joint Situation Centre (SitCen) hervor, das als semi-geheimdienstliches Organ eingerichtet worden war. Zuerst war diese Behörde beim Generalsekretariat des Rates angesiedelt, seit 2009 ist sie dem Hohen Repräsentanten der EU für Außen- und Sicherheitspolitik zugeordnet. Seit März 2012 trägt es den Namen EU INTCEN und ist eine Institution des Europäischen Auswärtigen Dienstes, aus dessen Budget es auch bezahlt wird. Damit ist es weiter in die Struktur der EU eingegliedert worden.

Seine Aufgaben sind die eines nachrichtendienstlichen Knotenpunktes. Das INTCEN verfügt nicht über eigene Aufklärungskapazitäten, sondern erhält seine Informationen von den Diensten der Mitgliedsstaaten, den rund 140 EU-Delegationen (EU-Auslandsvertretungen) sowie aus weiteren EU-Institutionen, unter anderem den EU-Beobachtermissionen (EUMM), dem Intelligence Directorate des EU-Militärstabs und dem Satellitenzentrum der EU (EUSC). Die derart zusammengetragenen Informationen und Analysen werden sodann verarbeitet, um die Organe der EU mit Analysen zu versorgen und einen gemeinsamen Wissenstand herzustellen. Dies geschieht in unterschiedlichen Formaten, die einerseits auf akutes Krisenmanagement gerichtet sind, andererseits durch langfristig angelegte Analysen und Strategiepapiere auch die Angleichung der politischen Einschätzungen über gemeinsames Wissen anstreben. Bedrohungsanalysen fokussieren unterschiedliche Sicherheitsgefahren. Dabei geht es auch um die frühe Identifizierung von und Warnung vor Krisen sowie die möglichen Folgen für EU-Mitarbeiter. Seine Auswertungen und Analysen stellt das INTCEN dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, dem EU-Militärstab, dem EU-Militärkomitee, der Strategie- und Frühwarneinheit des Hohen Repräsentanten und der Generaldirektion für Außenbeziehungen zur Verfügung. Anders als frühere Kooperationsformen auf diesem Gebiet ist das Analysezentrum nicht mehr an das geheime Netzwerk der NATO angeschlossen. Denn einige EU-Mitgliedsstaaten gehören der NATO nicht an, zudem gibt es noch kein gemeinsames Klassifizierungsregelwerk.

Trägt das INTCEN zu einem gemeinsamen Wissensstand und damit zu einer Grundlage für koordiniertes Handeln der EU-Mitglieder gegenüber Sicherheitsgefahren bei? Auf der einen Seite spricht dafür, dass jährlich mehr als 200 strategische Lagebeurteilungen und mehr als 50 Sonderberichte ausgearbeitet werden. Hierüber wird eine gemeinsame Sicht auf die internationalen Beziehungen und die anstehenden Herausforderungen gefördert. Auf der anderen Seite ist das Analysezentrum darauf angewiesen, dass die Dienste der Mitgliedsstaaten Informationen liefern. Das führt in jedem einzelnen Fall zu zwei Fragen: Konnten die nationalen Dienste die Informationen gewinnen? Und sind sie bereit, diese zu teilen? Eine weitere Herausforderung besteht darin, den Informationsaustausch zwischen INTCEN und Eurojust, der Kooperationsplattform der Justizbehörden, sowie dem Europäischen Polizeiamt Europol zu gestalten, also den vernetzten Ansatz von Sicherheit in seiner zivil-militärischen Dimension abzubilden.

Europol

Das European Police Office (Europol) konnte nach einem für europäische Institutionen typischen längeren Anlauf 1999 seine Arbeit aufnehmen und wurde 2010 zu einer Agentur der EU. Europol ist kein europäisches FBI, sondern dient der Abstimmung, gegenseitigen Informierung und Unterstützung der Polizeien aus den EU-Mitgliedsländern. Die in Den Haag angesiedelte Agentur arbeitet als zentrale Kooperationsplattform der Polizeibehörden und verfügt in jedem Mitgliedsstaat über eine Zweigstelle. Sie besitzt keine umfassende Exekutivbefugnis, auch wenn ihr inzwischen einige operative Aufgaben zugewiesen wurden. Organisierte Kriminalität, Drogen- und Waffenhandel sowie Geldwäsche sind zentrale Arbeitsbereiche von Europol.

European Counter Terrorism Centre

Über das European Counter Terrorism Centre (ECTC), das Europol im Januar 2016 nach den Terrorerfahrungen der vergangenen Jahre gründete, sollen spezifische Fähigkeiten der Terrorismusbekämpfung institutionalisiert werden. Zentrale Aufgaben des ECTC sind der Informationsaustausch sowie die Koordinierung von präventiven und operativen Maßnahmen. Hierzu sind gemeinsame strategische Einschätzungen durch die Mitgliedsstaaten grundlegend. Im Einzelnen sind die Arbeitsaufträge auf ausländische Kämpfer terroristischer Organisationen, die Finanzierung von Terrorgruppen, die Terrorpropaganda im Internet sowie den illegalen Waffenhandel fokussiert. Die Analysen des ECTC sollen laufende Europol-Ermittlungen unterstützen, zudem soll das ECTC den einzelnen Staaten im Falle von Terroranschlägen helfend zur Seite stehen.

Institutionell ist das ECTC in die bestehenden Strukturen von Europol eingebettet. Nach den Anschlägen von Paris 2015 wurden etwa die französischen und belgischen Behörden durch 60 Beamte von Europol unterstützt. Dabei stand der Informationsaustausch im Mittelpunkt. Das ECTC kann hierfür auf Informationssysteme zurückgreifen, die Europol mit den EU-Mitgliedsstaaten zur Bekämpfung von Drogenkriminalität, Geldwäsche und irregulärer Migration aufgebaut hat: das European Information System (EIS) und SIENA (Secure Information Exchange Network Application). In den Informationsaustausch sind auch die finanziellen Transaktionen in der EU integriert, die dort im Terrorist Finance Tracking Programme (TFTP) bearbeitet werden.

Das ECTC ist aus einem akuten Bedarf an gemeinsamem Informationsmanagement entstanden. Das könnte den nötigen Schwung geben, um den Informationsaustausch erfolgreich zu gestalten. Die Einbettung in etablierte Strukturen der Kriminalitätsbekämpfung kann sich als Effizienzvorteil erweisen. Allerdings hängt der Erfolg letztlich an der Kooperationsbereitschaft der Mitgliedsländer, nicht zuletzt auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit. Für eine Bewertung der Arbeit ist es indes noch zu früh.

Schengener Informationssystem

Informationen werden zwischen den Sicherheitsorganen schon länger geteilt. Der Freizügigkeit innerhalb der Union entspricht (zumindest dem Anspruch nach) die Kontrolle an den EU-Außengrenzen. Mit dem Schengener Informationssystem (SIS) sollen die Sicherheitsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten sowie Europol und Eurojust Zugriff auf einheitliche und umfassende Daten haben. Gespeichert werden sowohl unerwünschte oder gesuchte Personen als auch Fahrzeuge und Banknoten, deren Umlauf überwacht werden soll. Zudem werden gestohlene Waffen und Ausweispapiere sowie Blanko-Dokumente erfasst. Das SIS besteht aus den nationalen Systemen in jedem EU-Land sowie einem zentralen System, das in Straßburg angesiedelt ist. Auf dieses Zentralsystem können die Sicherheitsbehörden aus den einzelnen Mitgliedsstaaten zugreifen. Der Aufbau einer neuen Version des SIS nach 2013 ermöglicht es auch, biometrische Daten zu speichern. Der Zugriff erfolgt über Knotenpunkte in den einzelnen Staaten, sogenannte SIRENE-Büros, in Deutschland über das Bundeskriminalamt in Wiesbaden.

Koordinierung

Ständiger Ausschuss COSI

Neben den Informationssystemen sind die Koordinierungsforen von besonderer Bedeutung für die Sicherheitskooperation in der EU. Der Ständige Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit (COSI) setzt sich aus hohen Beamten der Innen- oder Justizministerien der EU-Mitgliedsstaaten sowie aus Vertretern der Kommission und des Europäischen Auswärtigen Dienstes zusammen. Als Beobachter können auch Mitarbeiter von Europol, Eurojust oder der Grenzschutzagentur Frontex hinzugezogen werden. COSI soll zu einer wirksamen operativen Zusammenarbeit in Fragen der inneren Sicherheit beitragen, nicht zuletzt bei Strafverfolgungen und Grenzkontrollen. Die allgemeine Ausrichtung und die Wirksamkeit der operativen Zusammenarbeit werden hier gemeinsam beurteilt. COSI unterstützt den Rat auch bei der Reaktion auf Terroranschläge.

European Police Chiefs Task Force

Eine weitere Koordinationsplattform ist die European Police Chiefs Task Force (EPCTF). Es handelt sich dabei um ein zweimal jährlich tagendes, informelles Forum, das die Arbeit der nationalen Polizeien enger miteinander verbinden soll. Ziel der EPCTF ist, die institutionellen und persönlichen Beziehungen zwischen den nationalen Exekutivbehörden zu intensivieren, den Informationsaustausch zu fördern und sich gegenseitig – auch bei Maßnahmen gegen terroristische Gefahren – zu unterstützen. Gleichzeitig soll auf diese Weise die Verbindung zwischen Europol und den nationalen und lokalen Polizeikräften verstärkt werden. Seit 2007 umfassen die Aufgaben auch operative Maßnahmen.

Der informelle Charakter wird insbesondere auch von der Europäischen Kommission kritisiert. Die EPCTF ist nicht rechtlich fundiert und keinem Parlament gegenüber verantwortlich. Die großen Unterschiede im institutionellen Aufbau der nationalen Polizeien wird als wichtiges Hindernis einer weiteren Koordination angesehen, ebenso der Umstand, dass in den Beratungen häufig nationale Themen die europäischen überlagern. Gleichwohl existiert das Forum bereits seit 1999, was als Ausweis dafür angesehen werden mag, dass es den Beteiligten (zumindest einigen) vorteilhaft erscheint.

Eurojust

Eurojust wurde 2002 als zentrale Kooperationsplattform der Justizbehörden gegründet, um die Zusammenarbeit der nationalen Justizbehörden bei der Verfolgung schwerer grenzüberschreitender Kriminalität und Organisierter Kriminalität in der EU zu verbessern. Zu der in Den Haag angesiedelten Behörde entsendet jeder Mitgliedsstaat nationale Vertreter, die von 260 Mitarbeitern unterstützt werden. Auch Norwegen und die USA haben Verbindungsbeamte entsandt. Eurojust organisiert nach eigenen Angaben jährlich etwa 200 Koordinierungstreffen und bearbeitet rund 2000 Fälle. Die Schwerpunkte der Arbeit sind Terrorismus, Drogenhandel, Menschenhandel, Betrug, Korruption, Computerkriminalität, Geldwäsche sowie sonstige Aktivitäten des organisierten wirtschaftlichen Verbrechens. Dies sind die Handlungsfelder, die vom Rat der Europäischen Union als vorrangig eingestuft wurden. Eurojust hat keine Exekutivbefugnis, sondern dient ausschließlich als Plattform.

Koordinator für Terrorismusbekämpfung

Nach den Terroranschlägen in Madrid am 11. März 2004 setzte der Europäische Rat einen Koordinator für Terrorismusbekämpfung ein. Zum ersten Amtsinhaber wurde 2007 der belgische Jurist Gilles de Kerchove ernannt. Er soll dem Rat Politikempfehlungen geben und diejenigen Handlungsbereiche identifizieren, in denen vorrangig Antiterrormaßnahmen umgesetzt werden sollen. Hierbei stützt er sich auf die Bedrohungsanalysen der EU. Zudem soll er die Umsetzung beschlossener Maßnahmen überwachen und darüber hinaus überblicken, welche Instrumente der EU überhaupt zur Verfügung stehen, und sicherstellen, dass die EU in der Terrorismusbekämpfung aktiv bleibt. Schließlich gehört auch die Verbesserung der Kommunikation mit Drittstaaten zu seinen Aufgaben. So gehörte die internationale Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten, der inhaltliche Fokus lag insbesondere auf ausländischen (also europäischen) Kämpfern in Syrien und sogenannten Rückkehrern.

Europäische Polizeiakademie

Die Europäische Polizeiakademie (EPA) ist ein Kooperationsnetz, das aus einzelstaatlichen Ausbildungseinrichtungen für hochrangige Führungskräfte der Polizeidienste besteht. Ihr Ziel ist die Entwicklung gemeinsamer Lösungen für die zentralen Probleme der Kriminalitätsbekämpfung und -verhütung. Ihr Hauptinstrument sind Schulungen für Polizeikräfte.

Police Working Group on Terrorism

Zweimal pro Jahr treffen sich zudem die 31 Mitgliedsstaaten der Police Working Group on Terrorism (PWGT), als Beobachter sind auch Mitarbeiter von Europol beteiligt. Die Gruppe ist ein permanentes und informelles Forum, das 1979 gegründet wurde und über keine zentrale Geschäftsführung verfügt. Seit 1999 sind die nationalen Behörden über ein vom Bundeskriminalamt eingerichtetes Informationssystem miteinander vernetzt. Das Handlungsfeld der Zusammenarbeit ist politisch motivierte Gewalt. Zu diesem Thema tauschen sich die beteiligten Behörden intensiv aus, informieren sich gegenseitig über relevante Fälle und gleichen Ermittlungsweisen bei terroristischen Herausforderungen und anderen gewalttätigen Handlungen miteinander ab. Die Bundesregierung bewertete die PWGT in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage 2013 als "wichtiges Gremium zum fachlichen Austausch" sowie als "bedeutende(s) Instrument der Terrorismusbekämpfung" und bewährten "Kommunikationskanal". Insbesondere hob sie dabei auch die persönlichen Kontakte hervor, die auf den regelmäßigen Treffen geknüpft werden können.

Radicalisation Awareness Network

Ein Schwerpunkt der Arbeit des Koordinators für Terrorismusbekämpfung sind Radikalisierungsprozesse. Das 2011 gegründete Radicalisation Awareness Network (RAN) ist ein Informationsnetzwerk der Europäischen Kommission, um diejenigen miteinander ins Gespräch zu bringen, die in der EU Deradikalisierungsarbeit und Resozialisiation von radikalisierten Menschen leisten. Polizei und Zivilgesellschaft arbeiten in diesem Netzwerk zusammen, das sich unter einer Steuerungsgruppe in neun Arbeitsgruppen gliedert, die sich unter anderem mit Fragen von Bildung, Gesundheit, Gefängnishaft und lokalen Strukturen befassen. Über 2000 Beteiligte haben sich im Rahmen von RAN bisher ausgetauscht. Die verlautbarten Reaktionen sind ausgesprochen positiv, wobei die Datenlage eine fundierte Einschätzung nicht begründen kann.

Militärstab der EU

Sofern militärische Fragen betroffen sind, wird der Militärstab der EU (EUMS) eingeschaltet. Dieser erarbeitet gemeinsame Lageeinschätzungen und befasst sich mit strategischer Planung, wofür er Konzepte entwickelt. Training, Ausbildung und die Betreuung der Partnerschaften gehören ebenso zu seinen Aufgaben.

Europäische Grenz- und Küstenwache

Nachdem der Rat die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (die bestehende Agentur Frontex mit erweiterten Aufgaben) im September 2016 endgültig gebilligt hat, wird sie in den kommenden Monaten ihre Arbeit vollumfänglich aufnehmen. Der Druck der Herausforderungen an den Außengrenzen der EU hat dazu beigetragen, dass dieses Koordinierungsorgan nun mit neuen Zuständigkeiten ausgestattet wurde. Die Hauptaufgabe besteht in der Unterstützung eines integrierten Grenzmanagements der EU, das in der erforderlichen Weise (als korrespondierendes Element für die Freizügigkeit im Schengenraum) bisher nicht zustande kam und nun aufgebaut werden soll. Dazu arbeitet die Agentur mit den für das Grenzmanagement zuständigen nationalen Behörden zusammen. Ihre Aufgaben umfassen unter anderem gemeinsame Maßnahmen zur Verstärkung der Grenzkontrollen angesichts irregulärer Migration und grenzüberschreitender Kriminalität, die Unterstützung von Such- und Rettungsaktionen, die Organisation von Rückführungsmaßnahmen sowie die Förderung der operativen Zusammenarbeit zwischen EU-Ländern und Drittstaaten beim Grenzmanagement. Hierfür sollen ein Soforteinsatzpool von 1500 Grenzschützern eingerichtet und Verbindungsbeamte in den Mitgliedsstaaten ernannt werden. Ob und wann die Agentur diese Aufgaben effektiv erfüllt, wird sich spätestens im Frühjahr 2017 erweisen, wenn ihr alle Kompetenzen zugewiesen worden sind.

Internationale Zusammenarbeit

Entsprechend ihrer globalen Strategie kooperiert die EU mit verschiedenen internationalen Organisationen, von denen einige hier nur illustrierend angeführt werden können. Im Rahmen der Zusammenarbeit in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) spielen Konfliktprävention, Krisenmanagement und Postkonflikt-Unterstützung eine herausgehobene Rolle. Auch die Grenzüberwachung und das Training von Polizeieinheiten gehört zum Aufgabenspektrum. Mit der NATO, einzelnen wichtigen Staaten wie der Türkei und der Afrikanischen Union werden die für die Arbeit innerhalb der EU angesprochenen Handlungsfelder bi- und multilateral bearbeitet.

Auf Nicht-EU-Ebene gibt es gleichfalls wichtige Kooperationsforen, etwa den Berner Club, der 1971 gegründet wurde und die meisten europäischen Geheimdienstchefs (beteiligt sind die EU-Länder sowie Norwegen und die Schweiz) regelmäßig zusammenführt. Seit Beginn spielt auf Initiative Israels der Austausch terrorismusrelevanter Daten eine wichtige Rolle. Die vom Club 2001 initiierte Counter Terrorism Group (CTG) intensiviert diesen Austausch.

Weiterhin zu nennen ist die Europäische Gendarmerietruppe/European Gendarmerie Force (EGF/Eurogendfor), die Aufgaben in der Schnittmenge polizeilicher und militärischer Anforderungen wahrnimmt und sich aus den entsprechenden Polizeieinheiten von Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, den Niederlanden und Rumänien zusammensetzt. Sie übernimmt zwar keine innereuropäischen Einsätze, war aber bereits in Bosnien, Haiti, Mali, Zentralafrika und Afghanistan im Einsatz. Litauen ist Partner, die Türkei hat einen Beobachterstatus.

Fazit

Die Anfänge der verstärkten Sicherheitskooperation in der Europäischen Union reichen bis in die 1970er Jahre zurück; die zunehmende wirtschaftliche Integration erforderte schon nach kurzer Zeit auch engere Abstimmungen auf den Gebieten der Außen- und Sicherheitspolitik. Sie blieben aber stets und bis heute hinter dem Integrationsniveau anderer Politikfelder, der Handelspolitik etwa, zurück.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 intensivierte sich die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, insbesondere durch das auf andere Bereiche ausstrahlende Handlungsfeld der Terrorismusbekämpfung. Um zukünftige Anschläge zu verhindern, sollten die Informationen verschiedener Sicherheitsorgane und insbesondere auch der Finanzströme zusammengeführt werden. Rasch wurde evident, dass dieses Vorgehen national nur eine beschränkte Wirkung entfaltet und die grenzüberschreitende Kooperation effektiver sein könnte. Das galt auch für die verschiedenen Formen der grenzüberschreitenden Organisierten Kriminalität, die weiterhin als sicherheitspolitische Priorität in der EU angesehen werden.

Zwischen den EU-Mitgliedsstaaten wurden deshalb vor allem der Informationsaustausch und die Zugriffsmöglichkeiten auf gemeinsame Datenbanken ausgebaut und spezifische Formate der polizeilichen Koordination aufgebaut. Auf diesem Weg sollte ein Äquivalent für integrierte Strukturen geschaffen werden, die bisher nicht vereinbart werden konnten. Die intensiveren Kooperationen gingen aber nicht so weit, dass heute von integrierten Strukturen gesprochen werden kann, weil es deutliche Vorbehalte der einzelnen Staaten gibt.

Deshalb wurden parallel die Koordinierungsformationen verbreitert, um weitere Aufgaben erfüllen zu können. Man konnte unter anderem auf die jahrzehntelange Erfahrung aus dem Berner Club zurückgreifen. Die Sicherung der EU-Außengrenzen ist die jüngste dieser Maßnahmen, wird aber sicher nicht die letzte bleiben. Es ist ein stückweises Vorgehen, das einerseits versucht, gemeinsam Fähigkeiten zu bündeln und Asymmetrien auszugleichen, andererseits auch das Ziel verfolgt, im internationalen sicherheitspolitischen Austausch handlungsfähiger zu werden. Denn die EU sieht nie nur nach innen, sondern immer auch nach außen. Wie groß der Vorsprung anderer Mächte ist, ist in den vergangenen Jahren deutlich geworden. Im internationalen Vergleich mangelt es den EU-Mitgliedsstaaten an Abwehrfähigkeiten. Auch gemeinsam können sie diese derzeit noch nicht aufbringen.

Da es an weitergehendem Willen zur Integration der Fähigkeiten, häufig aber auch an diesen selbst mangelt, scheint die Vielzahl der Koordinierungs- und Informationsformate derzeit das politisch mögliche Maß an effektiver sicherheitspolitischer Koordinierung widerzuspiegeln. Das ist sicher nicht der effizienteste Weg, um Sicherheit zu gewährleisten, weshalb die Debatte über weitere Integrationsschritte auch auf diesem Gebiet weitergehen wird. Aber es ist eine souveränitätsschonende Kooperation, die angesichts der Sensibilität des Gegenstandes und der aktuell disparaten politischen Entwicklungen in den EU-Mitgliedsstaaten derzeit wohl die einzige mögliche Form der Zusammenarbeit ist.

ist Professor für Politikwissenschaft, Inhaber des Lehrstuhls für internationale Politik und Außenpolitik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln und Herausgeber der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik. E-Mail Link: thomas.jaeger@uni-koeln.de