Die Antwort auf die Frage im Titel könnte, salopp formuliert, lauten: Die Perspektiven sind nicht so neu, und sie sind auch nicht so einfach, wie mancher sich das angesichts des Kuba-Hypes der vergangenen zwei Jahre vorstellen mag. Seit dem "historischen Handschlag" zwischen dem kubanischen Staatschef Raúl Castro und US-Präsident Barack Obama im Dezember 2013 (während der Begräbnisfeierlichkeiten für Nelson Mandela in Johannesburg) scheint – zumindest aus der Sicht vieler Medien in Zentraleuropa – ein neues Zeitalter angebrochen zu sein. Das Datum eines Telefonats zwischen Castro und Obama, der 17. Dezember 2015, ist als "17D" inzwischen sogar zum politischen Symbol geworden. Der Hype überrascht selbst langjährige Kuba-Expertinnen und -Experten, die dachten, sie hätten in fast 60 Jahren "kubanischer Revolution" bereits alles erlebt.
Zum Telefonat von 17D gehörten unter anderem die Absichtserklärungen beider Politiker, die diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen zu wollen. Ein kubanischer Freund, dem das heute möglicherweise peinlich ist, schrieb mir damals, dass dieser Tag im Dezember der wichtigste seit dem Sieg der Revolution sei. Die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Kuba und den USA folgte tatsächlich schon bald, mit dem vorläufigen Höhepunkt des Besuches von Obama mit seiner Familie auf Kuba vom 20. bis 22. März 2016.
Selten habe ich so viele Kuba-Artikel schreiben beziehungsweise an Fernsehproduktionen über die Insel mitwirken dürfen wie in den zurückliegenden beiden Jahren. Die Reiseunternehmen haben die Preise für Kuba-Reisen erhöht, weil so viele Europäer das Kuba der Revolution noch einmal bereisen und sehen wollen, bevor der erwartete Massentourismus aus den USA einsetzt. Besonders gefragt sind Rundreisen, weniger der Urlaub in den abgeschotteten Urlaubsressorts auf Inseln oder auf der Península de Hicacos (Varadero). Die Aussicht auf schöne alte Autos, exzellente Drinks, guten Rhythmus und fröhliche Menschen wird sicher immer eine der wichtigsten Dimensionen kubanischer soft power bleiben. Die anderen sind – zumindest für linke Romantiker – der Charme der Revolution in den Tropen und die Biografie Fidel Castros, der diese nach über 50 Jahren Regierungszeit (1959 bis 2008) wie kein anderer personifiziert.
Die internen Perspektiven auf Kuba, also die Sichtweisen der Kubanerinnen und Kubaner selbst, sind natürlich völlig andere. Kubaner sind ein Volk von jodedores – sie versuchen, jeder Situation, wirklich jeder, etwas Humorvolles abzuringen. Dennoch mögen viele, vor allem die jüngere Bevölkerung Havannas, über "die Alten" nicht einmal mehr Witze machen. Und viele Angehörige der älteren Generation, selbst wenn sie zu den einigermaßen Privilegierten gehören, geben an, ihr Land sei "versteinert" (petrificado).
Auf die mir in Deutschland häufig gestellte Frage, ob sich nach der politischen Öffnung nun alles in dem Inselstaat ändern werde, kann ich nur antworten: Zurzeit tut sich weniger als noch zwischen 2004 und 2008 – oder gar in den 1960er Jahren. Und ich gehöre mit Sicherheit nicht zu denjenigen, die einen baldigen Untergang des Castro-Kubas wegen "Chaos" vorhersagen – eine verbreitete Ansicht unter westlichen Diplomatinnen und Diplomaten sowie Leuten, die, aus welchen Gründen auch immer, längere oder kürzere Zeit auf der Insel verbringen (müssen).
Parallele Währungen, doppelte Unzufriedenheit
Die internen Perspektiven auf Kuba sind, vor allem in Havanna und in den größeren Städten (Matanzas, Santa Clara), durch zwei Typen erheblicher Frustrationen geprägt, die die Regierung Raúl Castros unter Zugzwang setzen – nicht so sehr in politischer, sondern vielmehr in sozialer und vor allem wirtschaftlicher Hinsicht. Die Frustrationen können – vereinfacht – wie folgt beschrieben werden: Viele Kubaner sind mit dem, was sie nach mehr als 60 Jahren "Revolution" und einem Vierteljahrhundert Krise seit 1990 bekommen, extrem unzufrieden. Die Revolution hatte ihnen einst den Anschluss an die "Erste Welt" verheißen – aus kubanischer Sicht gehörte dazu auch das sozialistische Lager in Europa und Asien; die DDR war daher in gewissem Sinne lange Zeit ein Sehnsuchtsort. Jetzt droht in den Augen vieler Kubaner dagegen ein Rückfall in die "Vierte Welt".
Um das zu verstehen, bedarf es eines Blickes auf die zwei unterschiedlichen Geldtypen, die in Kuba zirkulieren. Alles, was die innerkubanische Wirtschaft betrifft, wird in Peso Cubano (CUP) gerechnet. Das heißt, die Leute bekommen ihre Gehälter in CUP und zahlen damit in Läden und auf Märkten für die Produkte des alltäglichen Lebensbedarfs. Weil Kuba aber in der schwerwiegenden Krise der 1990er Jahre notgedrungen die Existenz von Schwarzmärkten und ausländischen Devisen zulassen musste (von 1993 bis 2004 zunächst den US-Dollar), gibt es seit 1994 eine Art Devisen-Umrechnungsgeld, den Peso Cubano Convertible (CUC). Dieser ist mit einem festen Wechselkurs von 1:1 an den US-Dollar gekoppelt und längst nicht für alle Kubaner ohne weiteres zu bekommen. Viele Importartikel und Dienstleistungen sind jedoch nur gegen CUC-Wert beziehungsweise für astronomische CUP-Preise erhältlich. Ein CUC entspricht etwa 25 CUP; wenn ein Chefarzt also im Monat 1000 CUP verdient – im kubanischen Wertsystem ein extrem hohes Gehalt – dann entspricht das 40 CUC (40 US-Dollar beziehungsweise rund 35 Euro). Den Allermeisten, die irgendwie CUC verdienen, sei es als Trinkgeld im Tourismus oder in Form von Geldsendungen in Dollar oder Euro von Verwandten oder Freunden im Ausland (remesas), geht es besser als der überwiegenden Mehrheit der rund fünf Millionen Lohnempfänger, die keinen Zugang zum konvertiblen Peso haben. Dennoch wird von vielen eben auch bemängelt, dass man selbst für die Devisen-Pesos nur Produkte minderer Qualität auf Kuba bekommt.
Um das Problem dieser doppelten Unzufriedenheit – über geringe Löhne in CUP einerseits und mangelndes Angebot andererseits – in den Griff zu bekommen, spricht Raúl Castro bereits seit 2008 immer wieder von einer Vereinheitlichung des Geldes (unificación de las monedas). Bislang ist jedoch noch nichts passiert. Und um eine solche Vereinheitlichung tatsächlich zu schaffen, bräuchte die extrem ineffiziente kubanische Wirtschaft einen großen Partner, doch weder China, Russland noch die USA zeigen sich dazu bereit, diese Rolle zu übernehmen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die kubanischen Eliten einerseits (fast) immer ihre strategische Position überschätzt haben, andererseits immer wieder versuchten, die Eliten von Imperien und großen Wirtschaftssystemen für ihre Zwecke einzuspannen. Das Währungsproblem prägt die internen Perspektiven der Kubaner viel stärker als alles andere im Alltag – und das hat auch historische Gründe.
Periódos Especiales
Kuba hat eine lange Phase des "charismatischen Sozialismus" unter Fidel Castro hinter sich. In diese Zeit fielen nicht nur 25 Jahre tief greifender und weltweit Wirkung entfaltender sozialer Revolution (bis 1967 in Lateinamerika und bis etwa 1990 auch in Afrika, vor allem wegen des kubanischen Engagements in Angola), sondern auch die Etablierung des ersten Sozialstaates in Lateinamerika (1975 bis 1990), eine schwere Verschuldungskrise vom "Typ Griechenland" (1983) sowie erste punktuelle marktwirtschaftliche Reformen in einem extrem auf den Staat zugeschnittenen System. Im Innern war, spätestens in den 1980er Jahren, ein System weitgehender relativer Gleichheit etabliert worden, mit den genannten geringen Löhnen und Honoraren.
1991 brach der europäische Sozialismus zusammen, was auch Kuba in eine bis dahin nicht gekannte Wirtschafts- und Sozialkrise stürzte. Fidel Castro, der zu dieser Zeit bereits über 30 Jahre an der Macht war und hätte zurücktreten können, hielt das Kuba der Revolution von 1959 zusammen, jedoch nicht ohne Schwierigkeiten. Das Gleichheitssystem erodierte, vor allem, weil die Regierung notgedrungen erst den Schwarzmarkt und dann den US-Dollar als Zahlungsmittel sowie – als sichtbaren Ausdruck der Hierarchisierung – sogar Dollar-Läden akzeptieren musste. Erst 2008 gab Castro, der Charismatiker, die Macht vollständig an seinen Bruder Raúl, den Armeebürokraten, ab.
Das flexible und insofern erfolgreiche Herrschaftssystem der Castros,
Man lasse sich aber nicht täuschen: Denn erstens verlaufen Reformen auf Kuba immer in Wellen. Zweitens waren die Reformzeiten immer auch Zeiten, die durch sogenannte periódos especiales unterbrochen oder begleitet wurden, also Zeiten besonders harter Makrobedingungen, die meist mit Öl- und Energiemangel oder durch Nahrungsmittelknappheit geprägt waren. Drittens hat Kuba für Reformen bislang stets größere Partner gebraucht – das ist sozusagen die Tragödie einer kleinen Nation, die schon seit 1760 immer wieder in massive Globalisierungsprozesse hineingezogen wurde.
Die Beharrungskraft des "traditionellen" Kubas der Revolution von 1959 (und früher) spiegelt sich auch in einigen Zahlen zur arbeitenden Bevölkerung wider: 2014 gab es rund fünf Millionen Arbeitende auf Kuba, bei einer Gesamtbevölkerung von etwas mehr als elf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Ein knappes Viertel der arbeitenden Bevölkerung (1,1 Millionen) ist im nichtstaatlichen Sektor tätig. Knapp 500000 sind sogenannte cuenta-propistas, also Selbstständige, die auf eigene Rechnung arbeiten; rund 30 Prozent davon sind Frauen. Der überwiegende Teil der Selbstständigen (rund 380000) arbeitet für recht knappe Löhne, die aber immer noch besser sind als die staatlichen Gehälter und meist zumindest die Aussicht auf Trinkgeld in CUC bieten. Nur etwa 110000 sind private Arbeitgeber und emprendedores (Unternehmer). Ihre "Betriebe" – häufig schlicht Hausflure, Privatwohnungen oder gemietete Zimmer – werden auch als pequeñas y medianas empresas debattiert, also als "kleine und mittlere Unternehmen". Dieser nachgerade mythische Begriff der sozialen Markwirtschaft (der ein Grund dafür ist, dass sogar "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Welt" immer mal wieder einen Bericht über einen Wirt oder einen Frisör auf Kuba bringen) ist jedoch eher geeignet, die Realität in Deutschland zu beschreiben als in Kuba. Knapp fünf Prozent der arbeitenden Kubaner sind landwirtschaftliche Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftler (230000), die nicht-landwirtschaftlichen Genossenschaftler machen bislang nur 0,1 Prozent aus (5500).
Das bedeutet: Der Satz "Nun ändert sich doch sicherlich alles auf Kuba?" – halb Frage, halb Aussage – enthält auch eine unterschwellige Frage nach der Reichweite der Reformen und nach den daraus hervorgehenden Gewinnern und Verlierern.
Gewinner und Verlierer
Wer die Gewinner sind, ist ziemlich klar: Im Grunde handelt es sich um drei Gruppen einer entstehenden kubanischen Mittelklasse, die von der "neuen" Reformpolitik und Öffnung des Landes profitieren. Die erste, relativ breite Gruppe sind diejenigen, die direkt oder indirekt etwas Gefragtes anbieten können, das heißt Vermieter privaten Wohnraumes, Betreiber privater Restaurants, Fahrer von halbprivaten und privaten Taxis sowie Intellektuelle, Ärzte, Trainer, Künstler und Sportler, die vor allem in reiche kapitalistische Länder eingeladen werden. Zur zweiten Gruppe gehören Fremdenführer (guías) und Angestellte in staatlichen Devisenläden sowie von Reiseunternehmen und Hotels, in denen CUC-Preise und vor allem Trinkgelder gezahlt werden. Die dritte Gruppe sind die Angehörigen von bäuerlichen Kooperativen (sofern diese gut wirtschaften) und Bauern, die Land besitzen: Sowohl in der Nähe der Städte als auch auf dem Land profitieren sie von den Lebensmittelmärkten (agros). Alle diese sozialen Gruppen – und natürlich die zivile und militärische Elite – verdienen ihre Stellung letztlich der Revolution, wie Fidel Castro sagen würde. Dass sie bei einer weiteren Dynamisierung und Öffnung nicht nur etwas zu gewinnen haben, sondern auch zu den Verlierern gehören könnten, wissen sie aus den intensiven Beobachtungen der ehemals sozialistischen Staaten Europas.
Der durch die Öffnung des Landes erleichterte "Export" von Kubanern sowie das große kubanische Exil vor allem in den USA und Europa sorgen für die berühmten remesas, die "Rück"-Sendungen von Geldern an die Familien, die auf Kuba geblieben sind. Mittlerweile hat fast jede kubanische Mittelklassefamilie ein oder mehrere Mitglieder außerhalb der Insel. Es gibt aber, trotz gegenteiliger Behauptungen, sehr viele Kubaner, vor allem Schwarze, die niemanden im Ausland haben. Mittlerweile hat sich der kubanische Staat durch den CUC jedoch immer mehr Anteile der Rücksendungen harter Devisen und die Möglichkeit des Gewinns durch Arbeitskräftevermittlung an ausländische Firmen verschafft. Das geschah und geschieht vor allem durch die Beibehaltung der beiden Währungen und durch den Einkauf billiger Waren im Ausland, die dann zu überhöhten Preisen in den tiendas de recaudación de divisas (TRD, "Läden zur Einnahme von Devisen") verkauft werden. Hinzu kommen Steuern, Abgaben und Gebühren für staatliche Papiere.
Die Frage, wer die Verliererinnen und Verlierer sind, ist komplizierter zu beantworten – vor allem auch, weil die Betroffenen selbst öffentlich kaum zu Wort kommen und es in einem Staat unter Gleichheitsbedingungen offiziell niemanden geben sollte, der arm ist oder hungert. Doch vor allem diejenigen, die keine remesas bekommen, sind armutsgefährdet, ebenso wie die afrokubanische Bevölkerung und alleinstehende Frauen mit Kindern. Schätzungen zufolge leben 20 bis 30 Prozent der Kubaner in Armut. Die meisten von ihnen sind – wie überhaupt etwa die Hälfte der Bevölkerung – hauptsächlich mit dem Überleben im Alltag befasst und politisch in der Regel eher indifferent. Dennoch sind sie häufig zugleich Anhänger der Revolution von 1959: Schließlich war es vor allem die arme Bevölkerung, die von der strikten staatlichen Gleichheitspolitik der ersten 30 Jahre unter Fidel Castro am deutlichsten profitiert hat. Und auch heute erhoffen sich noch viele von ihnen viel vom Staat, etwa die Beibehaltung der libreta, der monatlichen staatlichen Zuteilungen.
Die ungemein reiche und dynamische Kultur Kubas war und ist somit oft auch eine recht selbstbewusste "Kultur der Armut". Diese äußert sich – neben der Gesprächs- und Witzkultur sowie anderem mehr – in den vergangenen Jahren vielleicht am deutlichsten in der explosionsartigen Ausbreitung eines (eigentlich) illegalen Glücksspiels, der bolita (mit banqueros: Bankhaltern, Schriftführern und Geldeinsammlern, die dabei durchaus reich werden können),
Da man davon ausgehen kann, dass die Einkommen der kubanischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im internationalen Vergleich sehr niedrig bleiben werden, ist ebenfalls absehbar, dass die Bedeutung von remesas und anderweitigen Einkünften für die Kubaner nicht abnehmen wird. Privat dienen die ausländischen Devisen und der CUC dazu, die auf keinen Fall ausreichenden Löhne aufzubessern. Remesas sind aber längst auch ein Mittel, um informell vom Ausland aus – vor allem durch Kubaner in den USA – in private Geschäfte auf Kuba zu investieren und Häuser und Wohnungen zu erwerben. Die gigantische Kluft von 1:25 zwischen den beiden Parallelwährungen spiegelt auch einen Abgrund von Frustrationen, Korruption und Verzerrungen wider. Die Auswirkungen sind vielleicht am deutlichsten an den bisherigen "Prunkstücken" Kubas zu beobachten: im Bildungswesen und im Gesundheitswesen, wo es zunehmend schwerfällt, motiviertes Personal zu finden.
Wie wirkt sich all dies nun auf die politischen Verhältnisse aus? In Bezug auf die Loyalitäten der kubanischen Bevölkerung gibt es nur Beobachtungen und grobe Schätzungen – ich will meine hier nennen: Etwa 25 Prozent der Kubaner sind überzeugte Unterstützer des Castro-Regimes. 20 bis 25 Prozent sind eher gegen die Regierung eingestellt, die wenigsten jedoch in offener Opposition oder als Dissidenten. Die übrigen rund 50 Prozent sind, wie oben erwähnt, politisch indifferent. Das bedeutet, dass das Castro-Kuba im Konfliktfall
Stabil Instabil
Außerhalb des rekonstruierten Teils der Altstadt von Havanna und abseits der Tourismus-Resorts auf Inseln und Halbinseln ist das heutige Kuba vorrangig ein Kuba einstürzender Häuser und kaputter Infrastrukturen. Es ist immerhin noch ein sicheres Kuba, zumindest in Bezug auf schwere Verbrechen, nicht in Bezug auf die allgegenwärtige Kleinkriminalität. Die Kubaner denken (noch) in Kategorien von sozialer Gerechtigkeit, sind zugleich aber durch die lange Zeit des geduldeten Schwarzmarktes schon relativ gut an die Marktwirtschaft gewöhnt. Was die Gesundheitsversorgung und Bildung angeht, haben sie sicherlich schon bessere Zeiten erlebt, aber sie kennen sie wenigstens.
Das heutige Kuba ist auch ein Kuba des Exils: Vor allem viele junge und kreative Menschen verlassen das Land. Zugleich befürchten viele Kubaner, dass ihr Land zu einem Tobeplatz für ausländische Touristen, Eigentümer und Konzerne wird. Viele fürchten auch um die kubanische Geselligkeit und Gesprächskultur angesichts "der wirtschaftlichen Dynamik" und Hektik des Geldverdienens. Und sie möchten keine vollständige Öffnung des Landes, weil mit der Rückkehr der Exilkubaner, vor allem derer, die unter "Miami" verortet werden, die Rückansprüche auf Grundstücke und Häuser in den Vordergrund treten würden.
Blickt man zurück auf die seit dem Zusammenbruch des europäischen Staatssozialismus vergangenen Jahre, so ist zu erkennen, dass auch die Kubaner einiges durchgemacht haben: Sie haben rund zehn Jahre schwerste Krise durch die Verteilung der Lasten auf die ganze Gesellschaft erlebt (unter der Führung von Fidel Castro), nochmals sieben Jahre an Hin- und Her zwischen "mehr Staat" und Reformen (auch unter Fidel Castro) und nunmehr knapp ein Jahrzehnt vorsichtige Öffnungspolitik von Raúl Castro.
Für manche Gruppen hat sich einiges verbessert, und auf den Straßen gibt es mehr zu kaufen. Aber für den Großteil der Bevölkerung und die überwiegende Mehrheit der Arbeitenden ist es schwieriger geworden, den Alltag zu meistern. Zudem ergeben sich immer mehr und immer deutlichere soziale Hierarchien. Gleichzeitig ergeben sich durch die Reformen neue und mehr Möglichkeiten. Trotz der komplexen Lage und der nicht sehr fröhlich stimmenden inneren Perspektiven (die sich insofern deutlich von den äußeren unterscheiden) können diejenigen, die Kuba weiterhin dauerhaft eine linke Regierung wünschen, durchaus optimistisch sein – ein grundlegender Wandel ist mittelfristig nicht zu erwarten. Das liegt zum einen daran, dass es nennenswerte Bevölkerungsgruppen gibt, die durch Reformen, die zur internationalen Öffnung vor allem in Eigentumsfragen führen würden, noch viel mehr als jetzt zu verlieren hätten. Zudem gibt es auch noch eine sehr große Gruppe von Kubanern, die vom Staat abhängig sind – inklusive der Militärs und der in Armut lebenden Bevölkerungsteile sowie vieler "Gewinner". Zum anderen aber – ich weiß, dass man das im "Westen" nicht gerne hört – liegt es auch am Herrschaftssystem. Dieses ist, ganz neutral gesagt, historisch gesehen bislang das effizienteste, was die Kontrolle des komplizierten kubanischen Territoriums angeht. Es sind immer noch diejenigen an der Spitze, die es mit der Revolution geschaffen haben (insofern stimmt der Satz von der "permanenten Revolution" in gewissem Sinne), und in der Masse der Bevölkerung genießt es trotz aller Nöte grundsätzlich durchaus Akzeptanz, oft sogar bei denen, die nicht einmal mehr Witze über die "Alten" machen wollen.