Um den Neuen Menschen als Sehnsuchts- und Erlösungsfigur ist es ruhiger geworden. Gänzlich verschwunden ist sie nicht, lediglich der Kollektivsingular "Der Neue Mensch" wurde ad acta gelegt. Doch heute steht weniger der Ziel- und Endpunkt einer radikalen Selbsttransformation im Zentrum des Diskurses, sondern Optimierung als Prozess. Selbstoptimierung meint aktuell denn auch weniger die radikale Verwandlung zu einem Neuen oder einem perfekten Menschen, sondern einen kontinuierlichen Veränderungsprozess in verschiedenen Bereichen des Lebens. Das Leben erweist sich eher als "ewige Baustelle", denn immer wieder werden neue Ziele anvisiert und ständig "Ausbesserungen" in der Lebensführung vorgenommen, um sich an (veränderte) Umweltbedingungen – neue Möglichkeiten, neue Hindernisse, neue Herausforderungen – anzupassen. Versteht man unter Optimierung "perfektionierende Vervollkommnung" scheint der Begriff also eher unangebracht. Doch "Optimum" bezeichnet laut Duden nicht einen denkbaren Idealzustand, sondern das Bestmöglichste, ein "unter den gegebenen Voraussetzungen, im Hinblick auf ein Ziel höchstes erreichbares Maß". Optimierung beschreibt mithin die Form des Such- und Kompromissbildungsprozesses, deren Inhalt von den jeweiligen Zielen bestimmt wird. Trotz Individualisierung und Pluralisierung sind diese Ziele eingebettet in kulturelle Wertsysteme, Normen und Wunsch- und Idealbilder. Wie diese ausbuchstabiert werden, ist jedoch dem Einzelnen überlassen, denn es gibt heute keinen allgemeingültigen Maßstab – weder für Gesundheit, Schönheit, noch für Glück, Wohlbefinden oder beruflichen Erfolg. Die Optimierung des Selbst gestaltet sich dabei für die meisten Menschen eher Schritt für Schritt und zeichnet sich gerade nicht durch technische, chemische oder genetische Optimierung aus, sondern durch kleine Modifikationen der alltäglichen Lebensführung hin zu einem glücklicheren, fitteren oder gesünderen Leben.
Doch weder diese inkrementelle Ausrichtung noch die Orientierung am Selbst bedeuten, dass damit das Soziale und Politische aus dem Traum der Selbstveränderung verschwunden sind. In Anlehnung an die Analysen des Philosophen Michel Foucault zur Gouvernementalität der Gegenwart zeigt der folgende Beitrag, dass Selbstoptimierung ein "Kontaktpunkt" ist, an dem sich die Wünsche und Interessen der Einzelnen mit politischen Zielen im weiteren Sinne treffen.
Gouvernementalität der Gegenwart
Gegenwärtige Selbstoptimierung bezieht sich auf verschiedene Ziele und bedient sich verschiedener Mittel. Mit Foucault kann man Praktiken der Selbstoptimierung als "Technologien des Selbst" beschreiben, also als jene "Formen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt",
Blickt man mit Foucault auf Praktiken menschlichen Handelns, weitet sich der Blickwinkel und zielt auf den historisch je spezifischen Zusammenhang von Wissen, Macht und Technologien des Selbst, die – so die Erkenntnis in Foucaults Werk – so ineinander verschränkt sind, dass sie nicht unabhängig voneinander analysiert und diskutiert werden können. In seinen späten Arbeiten hat Foucault diesen Zusammenhang an der Herausbildung des modernen Staates und damit der modernen Gouvernementalität aufgezeigt. Mit dem Kunstwort "Gouvernementalität" bezeichnet er jene Macht- und Wissenskomplexe, in denen die Formen der politischen Regierung auf Formen der Selbstführung zurückgreifen. Dabei bezieht er sich auf ältere Begriffsfelder von Regierung, in denen zugleich die "Tätigkeit des ‚Anführens‘ anderer (vermöge mehr oder weniger strikter Zwangsmechanismen) und die Weise des Sich-Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglichkeiten"
Regieren heißt also, auf bestimmte Weise Macht auszuüben; Foucault fasst daher Regierungstechnologien als spezifische, distinkte Machtbeziehung, die zwischen den Machtbeziehungen als "strategische Spiele zwischen Freiheiten" und "Herrschaftszuständen" angesiedelt sind. Damit sich Macht (und nicht Herrschaft) entfalten kann, muss sich dem Einzelnen ein "ganzes Feld von möglichen Antworten, Reaktionen, Wirkungen, Erfindungen"
Die "Gouvernementalität der Gegenwart"
Aktuell ist die Figuration des Menschen als "unternehmerisches Selbst"
Zentraler Knotenpunkt, an dem sich die Logik des Unternehmerischen mit der Logik der Selbstverwirklichung verbindet, ist der Körper. Denn zum einen ist er wesentlicher Bestandteil des Humankapitals – es gilt, seine Kräfte und seine Gesundheit zu erhalten und auszubauen. Dabei wird er als Produkt in eigener Verantwortung figuriert. Und zum anderen gilt er als Ausdruck des "wahren Selbst". Jede Arbeit unternehmerischer Körperoptimierung dient somit immer zugleich der Verwirklichung des Selbst. Der Körper wird zu einem Display, auf dem die Arbeit an sich als Ausdruck des eigenen Selbst – seines Willens, seiner Disziplin, seiner Idealvorstellungen, seines "Charakters" – sichtbar wird.
Die aktuelle Kunst der Menschenführung bezieht sich unter anderem auf dieses Wissen über den Menschen als Homo oeconomicus, der sich selbst und dabei auch seine Psyche und seinen Körper managt – sich um sie sorgt, ihnen Rechte einräumt und das Beste aus ihnen herausholt. Akzentuierter als im Liberalismus erwächst daraus eine Kunst der Menschenführung, die indirekt ist; es ist ein Regieren auf Distanz, das den Menschen als "Unternehmer seiner selbst" adressiert. Aktuelle Regierungstechnologien schaffen Anreizstrukturen, Aktivierungs- und Ermächtigungsprogramme und stellen so lediglich Spielräume, Rahmenbedingungen und Möglichkeitshorizonte bereit, damit die Einzelnen unternehmerisches Handeln dies- und jenseits des Ökonomischen entfalten und sich zugleich selbst verwirklichen können. Dabei setzen sie an der Freiheit und Selbstverantwortung der Einzelnen, ihrem Fähigkeits- und Motivationspotenzial ebenso an wie an ihrem Wunsch nach Selbstverantwortung, Selbstverwirklichung, Gesundheit und Wohlergehen. Zwang, der Widerstand hervorrufen und unproduktiv werden könnte, ist so weit wie möglich zurückgedrängt.
Regierungstechnologien, so die grundlegende Prämisse aktueller Regierungsrationalität, sind dann und nur dann "nachhaltig" wirksam, wenn sie sich mit der Art und Weise verbinden, wie die Einzelnen ihre Selbstführung gestalten, wenn sich also Selbst- und Regierungstechnologien koppeln. Das gelingt jedoch nur, weil Technologien des Selbst nicht ausschließlich Regierungstechnologien darstellen. Es sind "gewusste und gewollte Praktiken", um sich selbst zu transformieren und sich in seinem "besonderen Sein zu modifizieren".
Im Folgenden werden einige Zielsetzungen von Selbsttechnologien vorgestellt, die aktuell besonders prominent sind, und dabei ein genauerer Blick auf die Diskurse, die sie plausibel erscheinen lassen, geworfen. Dabei zeigt sich: Auch wenn die jeweiligen Selbsttechnologien unterschiedliche Ziele verfolgen, optimieren doch alle die Selbstführung, das heißt, sie suchen in einer permanenten Bewegung der Kompromissbildung das Beste aus den gegebenen Voraussetzungen zu machen.
Felder aktueller Selbstoptimierung
Gewissermaßen einen "Dauerbrenner" der Selbstoptimierung stellt die "Suche nach Glück" dar, und seit über 30 Jahren lässt sich ein nicht abklingender "Glücksboom" beobachten. Angesichts der Verunsicherung traditioneller Wert- und Sinnorientierungen ist die Orientierung am Glück zu einer der Problematisierungsformeln für gelungene Selbst- und Lebensführung geworden,
Neben der Orientierung am Glück bezieht sich die Optimierung des Selbst heute vor allem auf den Körper. Plakativ wird dies in Fernsehformaten wie der Makeover-Show "The Swan" oder der Abnehm-Show "The Biggest Loser" vorgeführt, in denen ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Körper und Selbst hergestellt und gezeigt wird, dass konsequente, disziplinierte Arbeit am Körper profunde Selbsttransformation bewirken kann. Der "neue Mensch", den diese "Programme" hervorbringen wollen, wird dabei als einer figuriert, dessen "wahres" Selbst es hinter zu viel Fett oder einem hässlichen Gesicht freizulegen gilt. Auch Diät- und Fitnessprogramme folgen dieser Stoßrichtung, wenngleich nicht in derselben Radikalität. Explizit ausbuchstabiert wird dies in aktuellen (Online-)Fitnessprogrammen, die umfangreiche body transformation versprechen und in unzähligen Vorher-Nachher-Bildern und videogestützten Konversionserzählungen ("Früher war ich zu dick/schlaksig/faul/verhaltensauffällig, durch Fitness und Ernährungsumstellung habe ich mich zu einem anderen Menschen gemacht") plausibilisieren.
Doch es braucht nicht zwingend drastische operative Eingriffe oder rigoroses Training, um ein "neuer Mensch" zu werden. Es geht auch ungleich sanfter. Das Zauberwort heißt Wellness.
Ein besonders effektives Mittel, sich umfassend selbst zu führen, wird aktuell in der onlinegestützten Selbstvermessung gesehen: Durch sogenanntes Self-Tracking lassen sich eine Vielzahl persönlicher Körper- und Verhaltensdaten (Kalorienaufnahme, Schlafrhythmus, Glücksmomente, Telefonate) und Körperleistungen (tägliche Schritte, Lauf- und Fahrradrouten, Anzahl der Fitnessübungen) erheben, aufzeichnen, speichern und auswerten und mit anderen vergleichen. Self-Tracking ist eine Technik, die Selbsterkenntnis im Lichte sozialer Standards (wie täglich 10000 Schritte), sozial bedeutsamer Anderer sowie von Durchschnittswerten ermöglicht und so zugleich Anreiz und Anlass zu Verhaltenskontrolle, Verhaltensänderung und Leistungssteigerung bietet. Dementsprechend findet es derzeit vor allem im Hinblick auf Gesundheit und Sport Anwendung; diejenigen, die mittels Self-Tracking das gesamte Leben quantifizieren und rationalisieren, sind (bislang?) eine kleine Avantgarde.
Attraktiv wird Self-Tracking vor allem durch das im Alltag unübliche, permanente unmittelbare Feedback auf das eigene Verhalten, das anschaulich und aussagekräftig sowie als etwas Objektives präsentiert wird. So zeigt sich, dass man "etwas bewegen kann" (und seien es Kurven, Balken oder Zahlen, die die eigenen Schritte dokumentieren) und dass die eigenen Leistungen "registriert" werden.
Attraktiv wird Self-Tracking aber auch, da es Selbstkontrolle durch Fremdkontrolle ermöglicht. So finden sich in den meisten Apps automatisierte Coaching-Maßnahmen wie Erinnerungen, Ermunterungen und Ermahnungen und die Funktion, Daten mit "Freunden" oder einer (unbekannten) "Community" zu teilen. Diese ermöglichen soziale Unterstützung und Kontrolle "von der Seite". Wenn die Daten (wie es derzeit bei Gesundheits- und Fitness-Apps diskutiert wird) auch von Arbeitgebern, Krankenkassen und Versicherungen ausgewertet werden und eine Grundlage der Geschäftsbeziehung darstellen, etabliert sich darüber hinaus auch Kontrolle "von oben". Die Nutzenden artikulieren diese Verbindung von technischer, sozialer und Selbstkontrolle selten als Problem – insbesondere, wenn mittels Wettbewerben, Gratifikationen, Geschichten oder dem Erklimmen neuer Levels ansonsten eher langweilige Tätigkeiten wie Joggen zu einem Spiel und zur permanenten Herausforderung werden.
Schluss
Die Technologien des Glücks, die Praktiken von Fitness und Wellness oder Self-Tracking-Techniken forcieren Selbstverantwortung, Selbstbestimmung, Freiheit und Entscheidungsfähigkeit und stellen Ressourcen zu ihrem Ausbau bereit – die Einzelnen werden zur Selbstoptimierung ermächtigt. Dabei sind die hier vorgestellten Technologien des Selbst vor allem Anleitungen zu Kompromissbildungen, um mit dem Gegebenen – seien es die eigenen Einstellungen, der eigene Körper oder die Umweltbedingungen – das beste erreichbare Resultat zu erzielen. Selbstoptimierung erweist sich auch und möglicherweise vor allem als Versuch einer permanenten Anpassung an Umstände, die man nicht zu verantworten hat, für deren Wirkung man aber dennoch verantwortlich gemacht wird.
Das bedeutet jedoch gerade nicht, dass die alltäglichen Selbsttechnologien gesellschaftlich bedeutungslos sind: Zum einen etablieren ihre Diskurse und Praktiken eine weitreichende Veränderung des Selbst- und Weltverhältnisses. Wenn alles – Lebensmittel, Farben, Beziehungen, Tätigkeiten, Gefühle – dahingehend klassifiziert und ausgewertet wird, ob es dem Einzelnen nützt oder schadet, wird die Welt zu einem Ort, der ausschließlich auf das Selbst bezogen ist, und finden Tätigkeiten und Menschen nicht mehr um ihrer selbst willen Beachtung. Auch das Selbst erfährt eine Neufiguration. Denn alle Technologien des Selbst etablieren einen Zirkel aus kontinuierlicher Evaluation des eigenen Zustandes und daraus abgeleiteten Anpassungen der Selbstführung. Es erwächst ein kybernetisches Modell des Menschen, das sich durch Rückkopplung, Regulation und Optimierung auszeichnet. Dies ergibt sich schon in der Arbeit an Glück und Wellness, dynamisiert sich jedoch in den Praktiken der Selbstvermessung. Das Subjekt wird nun buchstäblich steuerbar – und nicht zuletzt auch für andere kalkulier-, kontrollier- und verwaltbar.
So konstruieren diese Diskurse, Verfahren und Praktiken zur Selbstoptimierung zum anderen auch Bedingungen, die die neoliberale Transformation des Sozialen sowohl diskursiv plausibilisieren als auch mitproduzieren. Entfaltung, Optimierung und Regeneration sämtlicher psychischer und sozialer Ressourcen sind sowohl ökonomisch verwertbar als auch zu wesentlichen Momenten der Integration in die Gesellschaft geworden. So trägt der Zuwachs an Selbstkontrolle, Selbstbestimmung und Selbstermächtigung nicht zuletzt dazu bei, diese auch für politische und ökonomische Ziele einsetzbar zu machen.