Wir Menschen erfahren ständig unsere Grenzen. Wäre da nicht ein biotechnologisches Enhancement wünschenswert, das hilft, privat wie beruflich besser zu sein und die eigene Begrenztheit zu überwinden? Etwa eine Substanz, die das Schlafbedürfnis reduziert, die emotionalen und kognitiven Fähigkeiten steigert, dazu noch das Immunsystem stärkt und vielleicht sogar das gesunde und aktive Leben insgesamt verlängert?
Individuelle Erfahrungen der eigenen Begrenztheit und die Vorstellung der Möglichkeit ihrer technischen Überwindung haben entscheidenden Anteil an der Faszination, die für viele Menschen von biotechnologischen "Enhancement-Interventionen" ausgeht. Daneben gibt es weitere Gründe für die Anziehungskraft von Enhancement. In diesem Beitrag frage ich nach Grenzen des Menschen und der ethischen Bewertung von Human-Enhancement-Interventionen. Dazu stelle ich zunächst verschiedene Arten von Enhancement dar und erkläre, warum sie als attraktiv erscheinen können. Daraufhin unterscheide ich wichtige Elemente einer ethischen Bewertung des Enhancement und skizziere die aktuelle Forschungsdebatte.
Enhancement-Interventionen
Fortschritte in den Wissenschaften und Biotechnologien führen dazu, dass auf neue Art und Weise in den menschlichen Organismus eingegriffen werden kann. Aktuelle Forschungen, insbesondere im Bereich der Biowissenschaften, erlauben ein immer genaueres Verständnis des menschlichen Gehirns, des menschlichen Erbguts und der Abläufe im menschlichen Organismus, etwa beim Stoffwechsel und beim Altern. Damit werden immer präzisere Interventionen möglich, die vor allem im Bereich der Medizin Anwendung finden: Es werden neue Medikamente entwickelt, die zuvor unheilbare Krankheiten lindern oder heilen können. Der Anteil, den Gene bei der Entstehung von Krankheiten haben, wird erkannt und Interventionen auf genetischer Ebene entwickelt. Auch im Bereich externer Hilfsmittel zur Linderung von Krankheiten und Einschränkungen, etwa mithilfe von Prothesen oder Gehirn-Computer-Schnittstellen, werden große Fortschritte gemacht, die Menschen helfen sollen, unerwünschte Behinderungen zu überwinden.
Die neuen biomedizinischen und biotechnischen Interventionsmöglichkeiten können auch außerhalb eines therapeutischen Kontextes eingesetzt werden. Dann zielen sie darauf ab, bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten von Menschen zu verwirklichen, die nicht als Therapie oder Prävention von Krankheiten zu verstehen sind. Solche biotechnologischen Eingriffe in den menschlichen Organismus, die in verbessernder Absicht stattfinden, werden als "Human Enhancement"-Eingriffe bezeichnet; ein Ausdruck, der sich auch in der deutschsprachigen bioethischen Debatte durchgesetzt hat.
Viele Eingriffsmöglichkeiten befinden sich noch im Entwicklungsstadium und sind noch nicht verfügbar. Manche der aktuellen Entwicklungen können entsprechend noch gesteuert oder zumindest beeinflusst werden. Der Zeitpunkt für eine breite gesellschaftliche Debatte über dieses Thema ist günstig. Das große Interesse, das die Öffentlichkeit etwa der Forschung in den Neurowissenschaften oder der Genetik entgegenbringt, zeigt dies ebenso wie die Tatsache, dass die Enhancement-Debatte in den vergangenen 15 Jahren zu einem Bereich der Bioethik geworden ist, der am lebhaftesten diskutiert wird.
Attraktivität von Enhancement
Das Spektrum möglicher Enhancement-Interventionen ist ebenso breit wie das Spektrum der Gründe, die Enhancement als attraktiv erscheinen lassen. Vier Typen möglicher Begründungen unterscheide ich im Folgenden. Eine solche Differenzierung ist hilfreich, um zu vermeiden, dass sich verschiedene Rechtfertigungsebenen vermischen, denn Gründe für die Attraktivität von Enhancement auf der einen gelten nicht unbedingt auch auf einer anderen Ebene: Was mir als Privatperson wünschenswert erscheint, wenn ich meine eigenen Grenzen gerne weiter stecken würde, kann nicht ohne Weiteres für allgemeine Urteile über die Attraktivität von biotechnologischen Grenzüberschreitungen herangezogen werden.
Der erste Kontext besteht in der alltäglichen Erfahrung, die die meisten Menschen gelegentlich machen, dass wir in unterschiedlichen Situationen extrem gefordert, bisweilen auch überfordert werden – in der Schule, im sozialen Umgang, auf der Arbeit, angesichts der Anforderungen, die wir an uns selbst stellen, angesichts der Erwartungen, die andere an uns haben. Hier erscheint ein Mittel attraktiv, das uns hilft, unseren Aufgaben und Ansprüchen besser gerecht zu werden. Dies gilt insbesondere für Träger besonderer Verantwortung, wie beispielsweise Herzchirurgen oder Pilotinnen, die anhaltend hoch konzentriert arbeiten müssen, um fehlerfreie Leistungen zu erbringen.
Ein zweiter Kontext ist gegeben, wenn unser Anliegen darin besteht, unsere Aufgaben nicht lediglich besser, sondern besser als andere auszuführen. Solch ein relativer Wunsch nach Überwindung der eigenen Grenzen liegt dann vor, wenn wir – etwa im beruflichen Wettbewerb – einen Vorteil gegenüber anderen anstreben und es nicht wünschen, dass alle anderen ihre Grenzen ebenfalls entsprechend verschieben.
Ein dritter Kontext liegt vor, wenn Enhancement dazu eingesetzt werden soll, die Menschheit insgesamt zu verbessern. Enhancement würde dabei die Grenzen der Gattung betreffen und, durch Eingriffe auf genetischer Ebene, die weiter vererbt werden, wesentliche Merkmale des Menschen dauerhaft verändern: Die gesunde und aktive Lebensspanne aller würde deutlich verlängert werden, und die kognitiven und emotionalen Fähigkeiten der Menschheit insgesamt würden auf ein qualitativ neuartiges, höherwertiges Niveau gehoben. In der Folge könnte eine noch unbekannte, trans- oder posthumane Lebensform entstehen.
Ein vierter Kontext ist gegeben, wenn wir über die intrinsischen Werte nachdenken, die durch Enhancement gesichert oder gesteigert werden sollen. Weniger extrem als in der transhumanistischen Variante geht es hier darum, möglichst viele Menschen zu befähigen, sozial aktiv, kognitiv klar, emotional kompetent und vernünftig reflektiert ihr Leben im Rahmen einer funktionalen Gesellschaft zu leben. Die genuin menschlichen Werte, die sich zusammengefasst als verantwortliche Selbstbestimmung im sozialen Kontext bezeichnen ließen,
Die Motivation im ersten Kontext erscheint am naheliegendsten. Die individuelle Erfahrung und der individuelle Wunsch, seiner Verantwortung gerecht zu werden, lässt diejenigen Mittel als attraktiv erscheinen, die dazu einen Beitrag leisten können. Wenn andere Handlungsoptionen erschöpft sind, kann Enhancement – unter Berücksichtigung weiterer Bedingungen – als sinnvoll erscheinen: etwa, wenn die Pilotin eine gute Ausbildung genossen hat, ausreichend Erfahrungen sammeln konnte, bevor sie selbst die Verantwortung für einen Flug übernommen hat, sowie genügend Ruhezeiten und ein adäquates Arbeitsumfeld hat – dann könnte ein konzentrationssteigerndes Mittel attraktiv erscheinen, um die Sicherheit des Flugs für alle weiter zu erhöhen. Ein ähnliches Argument mag für den Herzchirurgen gelten.
Im zweiten Kontext ist die egoistische Motivation, für sich selbst gegenüber anderen Vorteile zu ergattern, in unserer kompetitiven Gesellschaft vielleicht verbreitet und nachvollziehbar, immer jedoch auch als Symptom eines Problems zu verstehen. Sich aus dieser Motivation heraus unfaire Vorteile zu verschaffen, erscheint entsprechend als moralisch diskreditiert. Ein Beispiel: Im Rahmen der Regelungen unserer freien Wirtschaftsordnung gilt es als akzeptabel, dass die Werbeindustrie mit psychologischem Kenntnisreichtum bei Menschen, die die entsprechenden Mechanismen nicht durchschauen, Bedürfnisse weckt und kultiviert, die sie zum Kauf oft unnötiger Güter verleiten. Eine solche psychologische Überlegenheit auch individuell auszubilden und etwa in einem Verkaufsgespräch zum eigenen Vorteil anzuwenden, ist – immer unter Einhaltung der bestehenden, oftmals aber moralisch unzureichenden Gesetze – akzeptiert. Dass Enhancement ein wirkmächtiges und problematisches Werkzeug sein kann, um solche Vorteile zu sichern und zu vergrößern, ist offenkundig.
Es ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, plausibel auf die Frage zu antworten, ob – im dritten angesprochenen Kontext – eine Überwindung der Grenzen der menschlichen Natur mit dem Ziel einer radikal neuartigen, trans- oder posthumanen Lebensform wünschenswert ist. Als Menschen können wir unsere menschliche Perspektive nicht aufgeben, und die Frage, ob es für unsere Nachkommen insgesamt besser wäre, posthumane Wesen statt bloß Menschen zu sein, können wir entsprechend immer nur für uns und aus unserer Perspektive diskutieren.
Im vierten Kontext ist fraglich, ob angesichts der intrinsischen Werte, die mithilfe von Enhancement realisiert werden sollen, biotechnologische Interventionen das Mittel der Wahl darstellen. Die humanen Werte, die hier als Rechtfertigung der Attraktivität von Enhancement herangezogen werden – Autonomie, Kreativität –, können zweifelsohne auch ohne Biotechnologien sichergestellt, gefördert und weiterentwickelt werden. Gut funktionierende Systeme – Bildungs-, Gesundheits-, Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftssystem – können ebenso ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft ermöglichen und unterstützen und somit die kreativen Potenziale der Menschheit weiter vergrößern. Auch die daraus möglicherweise hervorgehenden Höchstleistungen Einzelner in Kunst oder Wissenschaft (die in der Folge eine Verbesserung der Lebensbedingungen aller bewirken) können sich – wie in der Vergangenheit – auch ohne biotechnologisches Enhancement einstellen. Es ist daher wenig einleuchtend, zu versuchen, bestehende gesellschaftliche Defizite und individuell erfahrene Hindernisse und Begrenzungen mithilfe biotechnologischer Verbesserungen der Individuen statt mithilfe von Korrekturen des Systems anzugehen. Es sollte nicht darum gehen, die Menschen an ein defizitäres System anzupassen, sondern das System an die Menschen. Enhancement empfielt sich daher nicht als erstes Mittel der Wahl.
Die Attraktivität von Human-Enhancement-Interventionen kann sich also aus unterschiedlichen Quellen speisen. Nachvollziehbar und gerechtfertigt scheint dabei vor allem der erste Kontext zu sein, in dem sich ein Individuum bemüht, seiner Verantwortung nachzukommen. Um zu einer ethischen Bewertung möglicher Enhancement-Eingriffe zu gelangen, sind jedoch weitere Überlegungen anzustellen.
Ethische Bewertung
Die Forschungsdiskussion über die ethische Bewertung der verschiedenen Enhancement-Eingriffe ist mittlerweile komplex und unübersichtlich geworden. Sie basiert darauf, dass mögliche Enhancement-Interventionen grundsätzlich eine attraktive Option zum Erreichen legitimer Ziele darstellen können. Mindestens vier Bereiche von ethischen Überlegungen lassen sich unterscheiden: Überlegungen, die mit Enhancement verbundene Risiken diskutieren; solche, die die Auswirkungen von Enhancement unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten betrachten; Erwägungen zur Dimension von Zwang und Autonomie; sowie Natürlichkeitsüberlegungen oder anthropologische Argumente. Eine umfassende Bewertung von Enhancement wird zu allen genannten Dimensionen des Problems Stellung beziehen müssen.
Kein Eingriff in ein so komplexes System wie den menschlichen Organismus kann vollständig in seinen Folgen berechnet werden, sodass immer unkalkulierbare Risiken bestehen. Nebenwirkungen und unvorhersehbare Spätfolgen können nicht ausgeschlossen werden, sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Sind die Leistungssteigerungen durch Psychopharmaka so sicher, wie ihre Befürworter behaupten? Müssen nicht die erreichbaren Vorteile mit noch unbekannten Nachteilen aufgewogen werden? Welche unerwünschten Gruppeneffekte stellen sich beim zunehmenden Einsatz von Enhancement möglicherweise ein? Die Diskussion möglicher Risiken muss jeweils mit Blick auf die jeweilige Intervention – Eingriffe ins Gehirn, ins Erbgut, in den Stoffwechsel des Menschen – und daher immer auf der Grundlage empirischen medizinischen Wissens geführt werden.
Außerdem ist Enhancement mit Blick auf Gerechtigkeitsstandards zu bewerten: Sind solche Interventionen nicht immer ein Luxusgut, für das knappe Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen, verbraucht werden? Haben nicht ohnehin nur diejenigen Zugang zu Enhancement-Optionen, die gesellschaftlich besser gestellt sind und die damit ihre privilegierte Position noch weiter ausbauen? Eine bereits bestehende soziale Kluft könnte durch Enhancement somit weiter vergrößert werden. Gerechtigkeitsüberlegungen könnten aber auch für den Einsatz von Enhancement sprechen: Wenn etwa mithilfe von Biotechnologien denjenigen, die von der Natur eher benachteiligt wurden, ohne aber aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig zu sein, zu einer deutlichen Steigerung ihrer Fähigkeiten verholfen werden kann. So könnten bestehende Ungerechtigkeiten verringert werden.
Ein weiterer Standard der ethischen Bewertung der neuen Technologien bezieht sich auf die Autonomie bei einer Entscheidung für oder gegen den Einsatz eines biotechnologischen Enhancement. In einem demokratischen Rechtsstaat sind Enhancement-Interventionen unter Zwang undenkbar. Dennoch kann etwa durch gesellschaftliche Leitvorstellungen wie die einer "Leistungsgesellschaft" mehr oder weniger subtiler Druck auf Individuen ausgeübt werden, sich bestimmten Eingriffen zu unterziehen, um mit den anderen mithalten zu können.
Schließlich spielen in der Debatte auch anthropologische Überlegungen eine wichtige, wenn auch schwer zu fassende Rolle. Darunter lassen sich Bewertungen verstehen, die von näher zu bestimmenden Vorstellungen ausgehen, was es heißt, ein Mensch zu sein, oder was ein "normales", "natürliches" menschliches Leben ausmacht. Einige Eigenschaften und Fähigkeiten werden hier als wesentlich ausgezeichnet, während andere – beispielsweise extreme Langlebigkeit oder Leistungsfähigkeit – als Abweichung vom "normalen" Menschsein bewertet werden. Die moralische Legitimität einer Enhancement-Intervention wird dann durch einen Abgleich der jeweiligen Ziele mit den Idealvorstellungen vom "normalen" oder "natürlichen" Menschen bestimmt.
Die Forschungsdebatte ist aktuell in vollem Gange.
Somit reagiert die aktuelle Enhancement-Debatte nicht nur auf die Notwendigkeit, einzelne Interventionsmöglichkeiten zu bewerten, sondern liefert auch die Gelegenheit für eine kritische Reflexion der zunehmenden Technisierung der menschlichen Lebenswelt. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass viele der Interventionsmöglichkeiten nicht praktikabel oder nicht wünschenswert sind, oder wenn sich viele in der Debatte diskutierte Ideen als haltlos erweisen würden, ließe sich aus einer breiten gesellschaftlichen Debatte über den Menschen und die erstrebenswerten Formen menschlichen Zusammenlebens großer Gewinn ziehen.
Fazit
Die meisten Menschen machen in ihrem Alltag Erfahrungen, die ihnen die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit vor Augen führen. Angesichts solcher An- und Überforderungen erscheint vielen der Einsatz eines "kleinen biotechnischen Helfers" – wenn er nur risikofrei wäre – zumindest anfänglich als eine bedenkenswerte Option. Auch wenn mit diesem Gedankengang allein noch keine umfassende ethische Bewertung vorliegt, trägt er, so meine These, entscheidend dazu bei, dass Enhancement-Interventionen überhaupt als plausibel oder attraktiv angesehen werden.
Bei genauerer Betrachtung erweist sich Enhancement aber oftmals nicht als das Mittel der Wahl: Das, was an Enhancement-Interventionen nachvollziehbarerweise als attraktiv erscheint, ließe sich in den meisten Fällen besser – und moralisch weniger heikel – auf "klassische" Art und Weise erreichen, etwa durch eine Reform der gesellschaftlichen Strukturen, für die tief greifende biotechnologische Eingriffe in den gesunden menschlichen Organismus nicht nötig sind. Der Verweis auf möglicherweise bessere und unproblematischere Alternativen bedeutet allerdings nicht, dass ein behutsamer Einsatz der neuartigen, biotechnologischen Interventionsmöglichkeiten aus moralischen Gründen grundsätzlich abzulehnen ist.