Der Blick in die menschliche Kulturgeschichte zeigt: Der Traum vom Neuen Menschen ist uralt. Immer schon haben die Menschen auch nach einem Anders- und Neu-Sein ihrer selbst gestrebt, und immer wieder wurde ihnen ihre Neu- und Wiedergeburt Hoffnungsziel und Heilsversprechen. Warum dies so ist und überhaupt sein kann, gründet – nach unserem Verstehenszugang – in einer bestimmten anthropologischen Voraussetzung. Dies ist hier nicht breiter auszuführen,
Hierzu ist einleitend ein weiterer Hinweis vonnöten: Im hier gemeinten Streben nach Anders- und Neu-Sein, wie überhaupt bei der Idee des Neuen Menschen, geht es nicht um ein bloßes Streben nach gradueller Verbesserung, nach allmählich voranschreitender Entwicklung und Fortschritt des Menschen. Es geht vielmehr um ein geradezu ontologisches, also das menschliche Sein umformendes Geschehen – oder zugespitzt formuliert: Der "Alte Adam" soll vom Neuen Menschen überwunden werden.
Frühe Religionsgeschichte
Die Geschichte der Religionen war immer auch die Geschichte des Strebens nach einem Neuen Menschen als eines religiösen Heilsziels. Ob als "Wiedergeburt", "Gottwerdung" oder als "Erlösung" gedacht – immer ging es den Gläubigen darum, einen neuen Daseinszustand zu erlangen, der im Augenblick religiöser Ekstase erfahren oder als auf Dauer gestellter Zustand erstrebt und erlebt wurde.
Dabei weist etwa die Vorstellung von Neu- und Wiedergeburt – Max Weber folgend – zurück auf "uraltes, magisches Gut" und bedeutete auf der Stufe magisch bestimmter Religionsgeschichte "die Erwerbung einer neuen Seele durch den orgiastischen Akt oder durch planvolle Askese. Man erwarb sie vorübergehend in der Ekstase, aber sie konnte auch als dauernder Habitus gesucht und durch die Mitwirkung der magischen Askese erreicht werden. Eine neue Seele musste der Jüngling haben, der als ein Held in die Gemeinschaft der Krieger treten oder als Mitglied der Kultgemeinschaft an deren magischen Tänzen oder Orgien teilnehmen oder im Kultmahl mit Göttern Gemeinschaft haben wollte. Uralt sind daher die Helden- und Magier-Askese, die Jünglingsweihe und die sakramentalen Wiedergeburtsbräuche bei wichtigen Abschnitten des privaten und Gemeinschaftslebens."
So ist schon in frühen Zeugnissen der Religionsgeschichte ein radikales Anders-Werden und Neu-Sein des Menschen als zentraler Antrieb und religiöses Ziel erkennbar. Wie bei Weber angeklungen, lässt sich dies paradigmatisch illustrieren etwa am Beispiel der Initiationsriten einfacher Gesellschaften. Bei ihnen handelte es sich nicht um bloße äußere Aufnahmerituale hin zu einer Vollmitgliedschaft des jeweiligen Stammes. In der Initiation ging es vielmehr um die "ontologische Mutation des existentiellen Zustandes. Der Novize steigt aus seiner Prüfung als ein vollkommen anderes Wesen heraus: er ist ein anderer geworden."
Das Studium schon der frühen Quellen der Religionsgeschichte zeigt zudem, dass dieses Ziel eines Neu-Werdens sich häufig mit einem Motiv verband, das von Beginn an die Ideengeschichte eines Neuen Menschen immer begleitet und zentral bestimmt hat: die Vorstellung von der Vergöttlichung des Menschen, der in solcher Theophanie (Erscheinen als Gott) seiner selbst seine Endlichkeit überwindet. "So durchzieht das Motiv der Selbstvergottung oder Gottwerdung die gesamte Geistesgeschichte, ja es reicht wohl bis in prähistorische Vorzeit zurück. Auf den verschiedensten Wegen – etwa denen der Magie, der Mystik, der Spekulation – hat man danach getrachtet, sich göttliche Unsterblichkeit, Leidlosigkeit, Lebensfülle und Glückseligkeit zu verschaffen, aber auch die Macht und das Wissen der Gottheit."
Christentum
Die folgende Skizze christentumsgeschichtlicher Vorstellungen vom Neuen Menschen muss hier notwendig verkürzend und vielfach fragmentarisch bleiben, wiewohl sie unabdingbar ist: Wie immer man den ideen- und realgeschichtlichen Zusammenhang von Christentum und Moderne – ob in Kontinuität oder Diskontinuität, ob in Widerspruch oder kultureller Transformation – bestimmt sehen mag, die neuzeitlich-okzidentale Kultur ist ohne ihre christliche Herkunftsprägung nicht zu begreifen. So sind auch die Vorstellungen eines Neuen Menschen, die in der Moderne wirkungskräftig wurden, mit dieser christlichen Herkunftsgeschichte verwoben, auch dort noch, wo sie sich als Ablehnung und Umformung des Christentums verstanden.
In systematisierendem Zugriff lässt sich feststellen: Im Hauptstrom der Geschichte des Christentums, in ihren verschiedenen Stufen und Stadien, sind die Vorstellungen eines Neuen Menschen in einen eschatologischen Horizont gestellt. So war schon der Glaube des Urchristentums an eine Neue Schöpfung und an einen Neuen Menschen bestimmt von der jüdisch-apokalyptischen Naherwartung eines "neuen Himmels" und einer "neuen Erde". Diese Heilszukunft ist mit der Menschwerdung Gottes schon angebrochen, in Christus ist der Neue Mensch schon in die Geschichte eingetreten, als Epiphanie und Urbild des Neuen Menschen. An ihm hat der mit Christus verbundene Glaubende jetzt schon Anteil, aber noch steht die universale, Mensch und Kosmos umfassende neue Schöpfung aus – bis zur Wiederkunft von Jesus Christus. "Die ursprüngliche christliche Verkündigung ist beherrscht von der Verheißung vom Kommen des neuen Menschen und der neuen Gesellschaft. Die christliche Gemeinde lebt von der Zukunft her, die in Jesus Christus, dem Erstgeborenen unter den Toten, dem ersten der Auferstandenen bereits begonnen hat und die mit der nahen Wiederkunft Christi ihre Erfüllung und Vollendung finden wird (…); man stellt sich ein auf die kommende Erhöhung, Erneuerung und Verwandlung des Menschseins, auf das Eingeformtwerden in den neuen Menschen, auf das Verwandeltwerden in den ,vollkommenen Mann‘ Christus, den zweiten Adam."
Diese Naherwartung der Urgemeinde auf die baldig bevorstehende Wiederkunft Jesu Christi ist geschwunden, geblieben aber ist die grundsätzlich eschatologische Dimension des christlichen Verständnisses vom Neuen Menschen – als eines Spannungsverhältnisses zwischen Verheißung und Erfüllung, zwischen "schon jetzt" und "noch nicht". Kann der Christ auch in der glaubenden Verbundenheit mit Christus sein Neu-Sein schon erfahren, so steht doch das endgültig-universale Neu-Werden, stehen der neue Himmel und die neue Erde noch aus. Die Verwandlung hin zu einem Neuen Menschen, zum ewigen Neu-Sein in Gott, bleibt Teil der eschatologischen Zukunft Gottes und ist so menschlicher Verfügbarkeit entzogen. Dieser "eschatologische Vorbehalt" in der Hoffnung auf den Neuen Menschen blieb in der christlichen Dogmen-, aber auch Frömmigkeitsgeschichte immer bestimmend.
Deshalb auch konnte das Motiv der (Selbst-)Vergöttlichung des Menschen im Hauptstrom der Christentumsgeschichte, vor allem in der Tradition des westlichen Christentums, kein konstitutives Merkmal der christlichen Auffassung vom Neuen Menschen werden.
säkulare Glaubensgeschichte
"Sie wird kommen die Zeit, da die Sonne hienieden nur noch auf freie Menschen scheint, die nichts über sich anerkennen als ihre Vernunft; da es Tyrannen und Sklaven, Priester und ihre stumpfsinnigen oder heuchlerischen Werkzeuge nur noch in den Geschichtsbüchern und auf dem Theater geben wird; (…) schon jetzt sehen wir das neue Menschengeschlecht, das von allen Ketten befreit, der Herrschaft des Zufalls und der Feinde des Fortschritts entronnen, sicher und tüchtig auf dem Wege der Wahrheit, der Tugend und des Glücks voranschreitet (…). Wir sehen schon den künftigen Menschen, der in seine Rechte, wie in die Würde seiner Natur wieder eingesetzt ist."
In diesen Sätzen des französischen Aufklärungsphilosophen und geistigen Wegbereiters der Französischen Revolution Marquis de Condorcet, geschrieben auf dem Höhepunkt der Revolutionswirren nach 1789, scheint der Kern der Idee vom Neuen Menschen in der säkularen Moderne schon auf: die Hoffnung, ja Gewissheit vom Kommen eines Neuen Menschen, der in die Geschichte eintreten wird; die fortschrittsgewisse, vom Licht menschlicher Vernunft getragene Erwartung, dass die ganze Menschheit zu bislang nicht gekannter Vollkommenheit voranschreitet. Man muss diese Sätze Condorcets als das Bekenntnis eines innerweltlich-säkularen Glaubens verstehen.
Damit aber ist ein genereller Befund schon angeklungen, ohne den Inhalt, Lage und Schicksal der Idee vom Neuen Menschen in der Moderne nicht zu begreifen sind: Die Moderne hat auch ihre eigene säkulare Glaubensgeschichte, bestimmt von säkular-diesseitigen Heilshoffnungen und Erlösungsversprechen.
Dazu trat der Glaube an die Wissenschaft, als einer der bestimmenden säkularen Glaubensmächte. Die neuzeitliche Wissenschaft begann ihren Siegeszug nicht nur mit der Suche nach neuer Erkenntnis, sondern in wesentlichen Strömungen mit dem Versprechen, die Wahrheit über die Welt und den Menschen zu entdecken. So ging schon die frühe Naturwissenschaft daran, neben dem Buch der Offenbarung nunmehr das Buch der Natur zu enträtseln, und die sich entwickelnden Human- und Sozialwissenschaften traten immer wieder auch mit dem Versprechen auf, nunmehr die Wahrheit vom Menschen ans Licht zu bringen.
Schließlich ist der Glaube an die Politik zu nennen, genauer: der Glaube, durch politisches Handeln nicht nur etwa die äußeren Daseinsumstände des Menschen zu sichern und zu verbessern, sondern das Heil des Menschen zu verwirklichen. Dieser Glaube war insbesondere in den neuzeitlichen säkularen Ideologien bestimmend, wo er in geradezu messianischer Dimension als Glaube an die heilsbringende Macht der Revolution, an die heilsgeschichtliche Bedeutung des Proletariats, der Nation, des Volkes oder der "Rasse" auftrat.
In diesem ideen- und realgeschichtlichen Strom der säkularen Religionsgeschichte der Moderne ist auch die Hoffnung auf den Neuen Menschen verortet. Der Glaube an die Geschichte als innerweltlich-eschatologische Fortschrittsgeschichte, der Glaube an die Politik als politischen Messianismus und der Glaube an die Wissenschaft: Dies waren die säkularreligiösen Gestaltungsmächte, die auch die neuzeitliche Hoffnungsgeschichte eines Neuen Menschen wesentlich bestimmt haben. In der Logik dieser Gestaltungsmächte lag es, dass es beim Neuen Menschen solch säkularer Religion nicht um dessen jenseitig-transzendentale Erfüllung oder Erwartung geht: Es geht um seine diesseitige Realisation.
Nicht magische Praxis und Vereinigung mit dem Himmlischen, nicht das gnädige Heilshandeln Gottes, nicht die auf dem Pfad meditativer Versenkung angestrebte Lösung von den Fesseln des Daseins hin zur Erleuchtung sind die Wege, auf denen das Neu-Werden des Menschen angestrebt oder erhofft wird. Für die säkulare Religion in der Moderne, in ihren verschiedenen Strömungen und Verzweigungen, geht es um den in der vorfindlichen empirischen Realität sich bildenden und zu schaffenden Neuen Menschen, der "hier auf Erden schon das Himmelreich" besitzt (Heinrich Heine). Noch einmal: Die empirische Realisation des Neuen Menschen also ist Thema innerweltlicher Eschatologie, als der vom Menschen herzustellenden Zukunft. Der Mensch wird so, sich selbst vergöttlichend, zum Regisseur und Produzenten seines eigenen Heils und seiner Erlösung hin zu einem Neuen Menschen.
So wird der Neue Mensch für bestimmende Tendenzen der säkularen Geschichte der Moderne als durch gesellschaftliches Handeln herstellbar gedacht. Es ist insbesondere dieser Gedanke der Herstellbarkeit des Neuen Menschen, der seine neuzeitspezifischen Ausprägungen bestimmt und die inhaltliche Differenz zu christlichen Auffassungen eines Neuen Menschen markiert, in denen das Neu-Werden des Menschen der menschlichen Verfügbarkeit entzogen ist.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Nicht nur um die Änderung des äußeren Daseins geht es in Hauptströmungen der säkular-neuzeitlichen Vorstellungen vom Neuen Menschen, sondern um die empirisch-diesseitige Veränderung des Wesens des Menschen selbst, um eine geradezu anthropologische Umbildung hin zu einem Neuen Menschen – bis hin zu jenen utopischen Konzepten, nach denen die Sterblichkeit des Menschen im Gang der Fortschrittsgeschichte entweder ganz überwunden oder doch in bislang unbekannte Dimensionen verschoben oder verlagert werden könne.
Neben vielen anderen Strömungen und Bewegungen waren es insbesondere die revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die auch von der Idee des Neuen Menschen angetrieben waren, der im revolutionären Umbruch sich bilde. Auch für die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts (Kommunismus, Nationalsozialismus, Faschismus) war das Bild eines neuen Menschentypus, der mit ihnen heraufzöge, ein prägender politisch-ideologischer Anspruch.
Studiert man etwa Texte aus den Revolutionsjahren der russischen Oktoberrevolution von 1917 und die frühsowjetische Literatur, stößt man auf vielfältige Spuren und Belege eines unbedingten Glaubens an den kommenden Neuen Menschen, dem die Revolution schon den Weg bereitet hat.
Fast aus demselben Jahr, aber aus einem gänzlich entgegengesetzten geistigen und politischen Kontext, stammt eine weitere Illustration des Glaubens an den Neuen Menschen. Ernst Jünger schrieb 1922: "Das glühende Abendrot einer versinkenden Zeit ist zugleich ein Morgenrot, in dem man zu neuen, härteren Kämpfen rüstet. Weit hinten erwarten die riesigen Städte, die Heere von Maschinen, die Reiche, deren innere Bindungen im Sturm zerrissen werden, den neuen Menschen, den kühneren, den kampfgewohnten, den rücksichtslosen gegen sich selbst und andere. (…) Der Krieg ist eine große Schule und der neue Mensch wird von unserem Schlage sein."
Dass politisch-ideologische Konzepte eines Neuen Menschen auch bis in die bundesrepublikanische Geschichte lebendig blieben, zeigt das Beispiel der "Studentenrevolte" von 1968. Diese war gewiss von höchst unterschiedlichen Strömungen und Zielen bestimmt. Aber: Einer ihrer Hauptantriebe war die kulturrevolutionäre Programmatik, den "alten" Menschen des Spätkapitalismus zu überwinden und den "neuen", nunmehr befreiten Menschen zu realisieren. So ging es ihrem Vordenker und geistigen Wegbereiter Herbert Marcuse darum, den "eindimensionalen Menschen" des Spätkapitalismus zu verändern: durch Bildung eines "neuen Menschentypus" – in geradezu biologisch-anthropologischer "Umwälzung".
Ausgeträumt?
Zur Signatur der Kulturlage unserer unmittelbaren Gegenwart gehört aber: Der Siegeszug der Gestaltungsmächte des säkularen Glaubens der Moderne scheint gebrochen. Die Moderne ist an sich selbst unsicher geworden. Insbesondere ist der modernitätstypische Fortschrittsglaube, dass der Weg des Menschen durch menschliches Handeln zu immer glücklicheren Ufern führe, krisenhaft geworden – und krisenhaft damit auch die politisch-utopischen Heilsziele und Erlösungsverheißungen, die den Weg der säkularen Moderne immer wieder begleitet haben. Unsere Gegenwart scheint der Verheißungen politischer Utopie müde geworden. In diesen Prozess sind somit auch die fortschrittsgewissen Vorstellungen und Konzepte eines Neuen Menschen gestellt.
Um die benannten Beispiele aufzugreifen: Trotzkis Verheißungen einer sozialistisch-kommunistischen Eschatologie sind uns ganz fremd und unverständlich geworden. Genauso trennt uns ein tiefer historischer Graben von der geistigen Welt des jungen Ernst Jünger. Solche Apotheose (Verklärung) des Krieges, mit der Verkündung eines Neuen Menschen, geboren aus "Stahlgewittern": Sie ist nicht mehr die unsere und kann es nicht mehr sein, belehrt durch bittere historische Erfahrung. Verweht sind auch die Hoffnungen von "1968" hin zu einem Neuen Menschen. Sie mögen ihre gesellschaftlichen Spuren hinterlassen haben und noch bewahrt sein in der nostalgischen Erinnerung eines "68er"-Veteranentums, aber als politisch-utopische Antriebe üben sie keine kulturprägende Kraft mehr aus.
So sind viele der alten Träume vom Neuen Menschen ausgeträumt. Aber die Geschichte der Idee eines Neuen Menschen und die Versuche seiner Realisierung gehen doch auch weiter, und manche der alten Träume kehren in neuem Gewand zurück. Heute heften sich, wie es scheint zunehmend, die Vorstellungen eines Neuen Menschen etwa an die Möglichkeiten der Biotechnologie. Nicht mehr durch (Um-)Erziehung oder politisch-revolutionäres Handeln soll der Mensch "neu", vielleicht gar unsterblich werden, sondern auf dem Weg genetischer Verbesserung.
Es scheint auch in den Räumen der digitalen Welt der alte Traum vom Neuen Menschen neue Verortung zu finden, worauf etwa der Internet-Pionier Jaron Lanier, selbst Bewohner des Silicon Valley, hinweist: "Innerhalb der winzigen Elite der Milliardäre, die die Cloud-Computer betreiben, herrscht der laute, zuversichtliche Glaube, dass die Technologie sie eines Tages unsterblich machen wird. Google z.B. finanziert eine große Organisation mit dem Ziel, ,den Tod zu überwinden‘." Und er weist auf eine weitere "populäre Idee" hin, nämlich, "unser Gehirn in die virtuelle Realität ,upzuloaden‘, damit wir für immer in einer Software-Form weiterleben könnten".
In all dem gilt: Nicht, dass es die gentechnologischen Möglichkeiten zu Keimbahneingriffen gibt, nicht, dass es die wirklichkeitsverändernden Entwicklungen der digitalen Welt gibt, ist das humane Problem, das vielmehr in der Frage besteht: Mit welchen kulturellen Interpretationen und Botschaften, mit welchen Bildern vom Menschen werden diese Möglichkeiten begleitet sein?
Wo nun aber die wissenschaftlich-technologische Evolutionsdynamik sich mit der Heilsbotschaft vom herzustellenden perfekten Menschen verbindet, der schließlich seine eigene Unsterblichkeit erschafft, so kommen wir hier auf ideengeschichtlich vertrautes Gelände: Wieder meldet sich der alte Glaube an die innerweltliche Theophanie des Menschen. Studiert man die Geschichte der Versuche, diese Theophanie zu realisieren und die Ideengeschichte vom Neuen Menschen überhaupt, so entdeckt man vielfach eine Geschichte des Mutes, der Opferbereitschaft, der wissenschaftlichen, künstlerischen und auch politischen Hingabe. Diese Geschichte war aber auch eine Geschichte von Gewalt, Terror und Verbrechen und der Ausmerzung des "alten" Menschen, der den Weg hin zur schönen, neuen Welt des kommenden Neuen Menschen nicht mitgehen wollte. Vestigia terrent, die Spuren schrecken, wenn heute in Wissenschaft und den auf sie gründenden Technologien neue Prophetien der Heilslehre vom perfekten Menschen sich bilden.
Dann gilt es, das Gedächtnis an eine andere Tradition zu bewahren, die das abendländische Denken vom Menschen immer auch begleitet hat: die Würde des Menschen als Person – das heißt auch, die Endlichkeit und Unvollkommenheit des Menschen anzuerkennen, die ihm erst Würde und Wert verleihen. Dieses Wissen findet sich schon an der Wiege der abendländischen Kultur im Denken des alten Griechenland, dem das Selbstvergöttlichungsstreben des Menschen dessen eigentliche Hybris war – ausgedrückt in einer Ode Pindars: "Heg’ den Wunsch nicht, Zeus zu werden", denn: "Es gebührt Sterbliches Sterblichen nur". In ganz anderem, agnostischem Zugang findet sich dieses Wissen bei Albert Camus, für den das Verhängnis der Menschen Europas in ihrer Vergöttlichungsanmaßung gründet: Sie haben "sich vergöttlicht, und ihr Elend begann: diese ,Götter‘ haben blinde Augen". Deshalb ist für Camus "die einzige Wahrheit, die heute originell" ist: "um Mensch zu sein, sich weigern Gott zu sein". Dieses Wissen ist schließlich auch bewahrt im Christentum, dem das Selbstvergottungsstreben des Menschen dessen eigentlicher Sündenfall ist. Ob aber solches Wissen vom Menschen neu kulturkräftig werden kann oder seine Kraft endgültig verloren hat, bleibt unserem in die Gegenwart gebannten Blick verborgen.