"Legt von euch ab den alten Menschen (…) und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit."
(Neues Testament, Brief des Paulus an die Epheser 4,22/24)
Die Idee eines Neu-Werdens des Menschen ist nicht biblischen Ursprungs, sondern bereits in der früheren Religionsgeschichte zu finden, hat aber über das Christentum Eingang auch in die säkularisierte Moderne gefunden. Blieb in christlichen Vorstellungswelten die Hoffnung auf eine Wandlung zu einem Neuen Menschen vornehmlich auf das Jenseitige gerichtet, verlagerte sich in den Sozialutopien der Neuzeit dieses eschatologische Ziel in das Diesseits, in eine mehr oder weniger ferne Zukunft.
Insbesondere Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte der Diskurs um einen Neuen Menschen Konjunktur. Im Faschismus, im Nationalsozialismus und im Sowjetkommunismus radikalisierten sich die Versuche, einen Neuen Menschen zu schaffen, und gingen mit der Ausgrenzung und Vernichtung von "alten" und als minderwertig betrachteten Menschen einher. Mit dem "Ende des utopischen Zeitalters" (Joachim Fest) nach der Zäsur von 1989/90 schien auch das Ende des Strebens nach einem Neuen Menschen gekommen.
Doch Utopien sind keineswegs verschwunden, ebenso wenig wie die Sehnsucht nach einem Neuen Menschen. Das Kollektiv wurde gegen das Individuum getauscht, Sozialtechnologien wie Erziehung und Politik gegen Sachtechnologien wie genetische Modifikationen oder Digitalisierung. So richten transhumanistische Zukunftsvisionen ihre Erwartungen an biotechnologische Eingriffe in den Körper des Menschen, die ihn – bis hin zur Unsterblichkeit – perfektionieren sollen. Unterhalb der Ebene einer vollständigen Transformation zu einem Neuen Menschen haben sich zudem Techniken der alltäglichen Selbstoptimierung etabliert – Stück für Stück gilt es, besser, fitter, gesünder, glücklicher zu werden: nicht neu, aber bestmöglich.