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Propaganda und Desinformation | Moderne Kriegführung | bpb.de

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Propaganda und Desinformation Ein Element "hybrider" Kriegführung am Beispiel Russland

Marcel H. Van Herpen

/ 15 Minuten zu lesen

Seit der Ukraine-Krise 2014 sieht sich die Welt mit der schärfsten Propagandaoffensive des Kreml der vergangenen 50 Jahre konfrontiert. In dem Beitrag werden Funktionsweise und Instrumente der russischen Propagandamaschinerie analysiert.

Im Januar 2016 verschwand eine 13-jährige Schülerin mit russischen Wurzeln in Berlin auf dem Weg zur Schule und wurde von ihren Eltern als vermisst gemeldet. Als sie am Tag darauf wieder auftauchte, gab sie an, von mehreren Männern südländischen Aussehens entführt und vergewaltigt worden zu sein. Rasch verbreitete sich das Gerücht, die Täter seien Flüchtlinge; die Polizei dementierte. Russische Staatsmedien berichteten ausgiebig über den Fall und stellten ihn als Beleg dafür dar, dass Flüchtlinge in Deutschland Minderjährige vergewaltigten und die Polizei untätig bleibe. In vielen deutschen Städten kam es zu Protestkundgebungen von Russlanddeutschen und Rechtsradikalen. Der Kreml schaltete sich ein: Auf seiner Jahrespressekonferenz sprach der russische Außenminister Sergej Lawrow von "unserem Mädchen Lisa" und warf den deutschen Behörden vor, den Fall verheimlicht zu haben. Auch mit Blick auf die wenige Wochen zurückliegende Kölner Silvesternacht warnte er davor, aus politischer Korrektheit die Probleme mit Migranten in Deutschland zu vertuschen. Die Nachricht stellte sich schließlich als falsch heraus. Das Mädchen hatte sich in unterschiedliche Versionen der Geschehnisse verstrickt. Die Auswertung ihrer Handydaten durch die Polizei ergab, dass sie die Nacht ihres Verschwindens bei einem Bekannten verbracht hatte.

Die Vorkommnisse rund um den "Fall Lisa" sind Teil einer Serie von Ereignissen, die darauf hinweisen, dass die Welt seit der russischen Invasion und Annexion der Krim 2014 und den anschließenden Kampfhandlungen in der Ostukraine mit der schärfsten Propagandaoffensive des Kreml der vergangenen 50 Jahre konfrontiert ist. Propaganda und die Manipulation von Informationen sind heute mehr als je zuvor Waffen – in Kriegen, die nicht erklärt werden und in denen keine regulären uniformierten Truppen kämpfen: den sogenannten hybriden Kriegen. "Hybride" Kriege sind echte Kriege, die als etwas anderes getarnt sind. Bei dieser Tarnung spielt Propaganda eine wichtige Rolle.

Propaganda ist natürlich nichts Neues: Die Sowjetunion hatte eine lange Propagandatradition. Bereits in den 1920er Jahren hatten die ersten Bolschewisten innerhalb des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei eine "Abteilung für Agitation und Propaganda" (Agitprop) eingerichtet, mit Unterabteilungen für Presse, Kino, Theater, Radio, Kunst, Literatur, Wissenschaft und Schule. Sie war so erfolgreich, dass sie NS-Propagandaminister Joseph Goebbels als Vorbild diente. Sogar das Wort "Desinformation" (dezinformatsiya) ist eine russische Erfindung. Erstmals tauchte es 1963 auf, als der KGB eine entsprechende Sondereinheit gründete.

Wladimir Putin kann also die sowjetischen Vorgängerstrukturen nutzen und nachbilden. Er kopiert jedoch nicht nur bestehende Modelle, sondern ist selbst auch sehr innovativ. Das betrifft das extrem großzügige Budget für die Propagandaarbeit des Kreml, die tief greifende Modernisierung der russischen Propagandamaschinerie, den Einsatz von psychologischem Know-how und die geschickte Nutzung der relativen Offenheit der westlichen Medienwelt.

Die russische Propagandamaschinerie

Die russische Propagandaoffensive dient einem doppelten Ziel: Innerhalb Russlands soll sie die Loyalität der Bevölkerung fördern und damit zur Festigung des Regimes beitragen; außerhalb Russlands soll sie im Westen sowohl die öffentliche Meinung als auch den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen. Inspiriert ist sie von dem chinesischen Militärstrategen Sunzi, der um 500 v. Chr. "Die Kunst des Krieges" verfasste. Dieses Werk ist ein Dauerbrenner auf dem Lehrplan russischer Militärakademien. Darin schreibt Sunzi, jede Kriegführung beruhe auf Täuschung. "Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen." Die Idee, einen Krieg zu gewinnen, ohne zu kämpfen, hat das heutige Russland in eine Strategie der "reflexiven Kontrolle" übertragen. Damit ist gemeint, dass die Denkweise des Gegners auf eine Weise beeinflusst wird, dass er der Umsetzung der außenpolitischen Ziele Russlands nicht entgegenwirkt. Diese sind unter Putin eine Korrektur des territorialen Status quo, wovon etwa die beiden postsowjetischen Staaten Georgien und die Ukraine zeugen.

Aber wie funktioniert die russische Propagandamaschinerie? Verantwortlich für die Propagandaarbeit des Kreml ist die Präsidialverwaltung. Ein Hauptakteur beim Aufbau des Systems war ihr ehemaliger stellvertretender Direktor Wladislaw Surkov. Er organisierte für Putin den "Kreml-Pool" – eine handverlesene Gruppe "verlässlicher" Journalistinnen und Journalisten der wichtigsten russischen Fernsehsender und Zeitungen, die beim Kreml akkreditiert sind, die sich jeden Freitag trifft, um die jeweils kommende Woche vorzubereiten. Bei diesen Treffen erhält der "Kreml-Pool" konkrete Instruktionen, über welche Nachrichten in den Medien berichtet werden soll. Bei seiner Propagandaarbeit nutzt der Kreml verschiedene Medien und Instrumente und geht damit unterschiedliche Wege.

Auslandsrundfunk

Als globaler Konkurrent von CNN, BBC World, Deutsche Welle und Al Jazeera wurde im Mai 2005 der Kabelsender "Russia Today" gegründet, heute "RT". Der Kreml investiert große Summen in das Projekt: Waren es 2005 noch umgerechnet 70 Millionen US-Dollar, so belief sich das Budget 2011 auf 380 Millionen. RT hat sich zu einer Organisation mit weltweit 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt, die aus 20 Landesbüros berichten, darunter eines in Washington mit knapp 100 Mitarbeitern. Der Kanal ist ausgesprochen erfolgreich. So sahen 2013 rund zwei Millionen Briten regelmäßig RT. Der Sender beschränkt sich nicht auf eine Ausstrahlung in englischer Sprache, sondern bot rasch auch Sendungen auf Arabisch und Spanisch an. Nach der Annexion der Krim 2014 und der militärischen Eskalation in der Ostukraine nahm der Kreml die beiden führenden EU-Länder Frankreich und Deutschland in den Blick und richtete einen französisch- sowie einen deutschsprachigen Kanal ein. Um diese Expansion zu finanzieren, wurde das Budget von RT trotz der Sanktionen und der Wirtschaftskrise, von denen Russland betroffen war, erneut erhöht.

In den ersten Jahren zielten die Inhalte von RT auf eine Verbesserung des russischen Images im Ausland. Die Sendungen betonten die positiven Aspekte Russlands wie die einzigartige Kultur, die ethnische Vielfalt, seine Rolle im Zweiten Weltkrieg. Verlässliche Informationen über kritische Themen wie Unregelmäßigkeiten bei Wahlen, die Ermordung von Journalisten und Politikern oder Korruption suchte man vergeblich. Dieser Mangel an objektiven Informationen verwandelte sich zu Beginn des Kaukasus-Krieges im Sommer 2008 in aktive Desinformation, als RT etwa den Kriechtext "Georgier begehen Völkermord in Ossetien" an den unteren Bildrand setzte. Von diesem Zeitpunkt an wandelte sich der Fokus von RT.

Der Sender entwickelte sich von einer Soft-power-Waffe zu einer Angriffswaffe: Nun berichtete RT über die negativen Seiten des Westens, insbesondere der Vereinigten Staaten. Zu den beliebtesten Themen wurden die wachsende soziale Ungerechtigkeit, das Schicksal Obdachloser, Massenarbeitslosigkeit, Menschenrechtsverletzungen und die Auswirkungen der Bankenkrise. RT-Moderatoren wie Peter Lavelle machten keinen Hehl aus ihrem Antiamerikanismus. RT begann, "Experten" einzuladen, die oftmals Randgruppen oder rechtsextreme Strömungen vertreten, etwa die truthers, die die Angriffe des 11. September 2001 für das Werk der US-Regierung halten, oder die birthers, die behaupten, Barack Obama sei nicht in den Vereinigten Staaten geboren worden und damit nicht als US-Präsident wählbar. Zu den regelmäßigen Gästen gehört auch Manuel Ochsenreiter, Herausgeber des rechtsextremen Magazins "Zuerst!", der als Experte für deutschlandbezogene Themen auftritt. Der "Economist" zögerte nicht, die Programme von RT als "bizarr konstruierte Propaganda" zu bezeichnen; sie seien geprägt von "einem Hang zu wilden Verschwörungstheorien".

Der Erfolg von RT ist nicht zu leugnen: Der Sender hat sich freien Zugang zum westlichen Publikum verschafft, ohne den Bestimmungen der westlichen Staaten zu folgen, die Unparteilichkeit vorschreiben. In der Folge gestaltete der Kreml auch den Auslandsradiosender "Stimme Russlands" um: Im Dezember 2013 wurde er mit der Nachrichtenagentur RIA Novosti zusammengelegt und Teil der neuen Organisation "Rossiya Segodnya" (was auf Russisch ebenfalls "Russland heute" bedeutet). Der neue internationale Radiosender wurde in "Radio Sputnik" umbenannt und Teil des breiter aufgestellten Nachrichtenportals "Sputnik News".

Printmedien im Westen

RT und Sputnik sind auf ein breites internationales Publikum ausgerichtet. Der Kreml versucht jedoch auch die westlichen Eliten zu erreichen. Das Amtsblatt der russischen Regierung "Rossiyskaya Gazeta" initiierte 2007 das ehrgeizige Projekt "Russia Beyond the Headlines": Einmal monatlich liegt ein achtseitiges Supplement einflussreichen westlichen Zeitungen bei, darunter die US-Blätter "Washington Post" und "New York Times", der britische "Daily Telegraph", der französische "Figaro", die italienische "La Repubblica", der spanische "El País", der belgische "Standaard" und die "Süddeutsche Zeitung". Diese bezahlten Beilagen "Russia Now" beziehungsweise "La Russie d’Aujourd’hui", "Russland Heute", "Russia Oggi" oder "Rusia Hoy" sind ansprechend gelayoutet und bieten eine Mischung aus Sport, Kultur, Kulinarik, Kunst und faits divers. Die Aufmachung ähnelt stark jener westlicher Zeitungen, und es ist keine direkte Kremlpropaganda darin zu finden. Im Gegenteil ist mitunter offene Kritik an den Kremlführern zu lesen, und regimekritische Positionen werden abgebildet. So wurde etwa in der Februarausgabe 2011 der Beilage zum französischen "Figaro" ein Interview mit der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulizkaja veröffentlicht, in dem sie über ihren Briefwechsel mit dem inhaftierten Oligarchen Michail Chodorkowski spricht und ihn als "brillant" lobt. In der Dezemberausgabe wurde mit Blick auf die massiven Protestkundgebungen im Winter 2011/12 kommentiert, das politische Leben in Russland sei "lebendiger" geworden. Derlei Artikel würden niemals in der "Rossiyskaya Gazeta" veröffentlicht.

Tatsächlich kommen hier zwei Strategien zum Einsatz, um westliche Leserinnen und Leser zu manipulieren. Die erste besteht darin, deren kognitive Dissonanz zu vermindern, indem Inhalte und Stil der Artikel so angepasst werden, dass sie zu ihrem liberalen, "kritischen" westlichen Geist passen. In der Tat würde eine Beilage, die die Inhalte und das Layout von "Izvestia" oder "Moskovskiy Komsomolets" nachahmt, im Westen vermutlich nicht viele Leser finden. Die zweite Strategie fußt auf der Theorie des Zwei-Stufen-Flusses der Kommunikation des Soziologen Paul Lazarsfeld, nach der die von den Massenmedien verbreiteten Informationen ihren Weg nicht direkt an die breite Öffentlichkeit finden, sondern indirekt über Meinungsmacher. Aus diesem Grund hat es der Kreml besonders auf die westlichen Qualitätszeitungen abgesehen und weniger auf Boulevardblätter. "Russia Beyond the Headlines" ist ein treffendes Beispiel für "aktive Desinformation". Die Hauptfunktion der Beilage besteht darin, den Kreml als "liberal" darzustellen – eine bewährte Strategie, die der KGB schon immer meisterhaft beherrschte. Als zum Beispiel KGB-Chef Juri Andropow 1982 Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU wurde, stellte der KGB ihn als modernen Jazzliebhaber und Whiskytrinker nach westlichem Vorbild dar; in Wahrheit war er nierenkrank und trank keinen Alkohol.

Vom Erwerb eines festen Platzes in europäischen und US-amerikanischen Qualitätszeitungen ist es nur noch ein kleiner Schritt zum direkten Kauf einer westlichen Zeitung. So geschah es 2009 in Frankreich, als der russische Oligarch Sergej Pugatschow und sein Sohn Alexander die Zeitung "France-Soir" kauften, die am Rande der Insolvenz stand. Sie beabsichtigten, aus dem Blatt eine populäre, auflagenstarke Boulevardzeitung zu machen, ähnlich der deutschen "Bild". Der junge Pugatschow zeigte offen seine Sympathien für die extreme Rechte und die Parteichefin des Front National (FN), Marine Le Pen. Als die Zeitung im März 2011 kurz vor den Regionalwahlen in Frankreich die Ergebnisse einer Meinungsumfrage zum FN veröffentlichte, die sie selbst in Auftrag gegeben hatte, wurde der FN in einem Leitartikel gepriesen, "eine Partei wie jede andere" geworden zu sein.

Um wirklich einflussreich zu werden, brauchte die Zeitung jedoch ein Massenpublikum wie das britische Boulevardblatt "The Sun" mit seinen ungefähr zwei Millionen oder die "Bild" mit etwa einer Million Lesern. Obwohl 80 Millionen Euro investiert wurden, verkaufte sich "France-Soir" jedoch nie mehr als 75000-mal und wurde 2012 wieder eingestellt. Damit war der Versuch gescheitert, dem FN, einer Partei, die das Putin-Regime uneingeschränkt unterstützt, eine auflagenstarke Boulevardzeitung an die Seite zu stellen.

Hinter einem solchen Vorgang muss jedoch nicht immer gleich der Kreml vermutet weden. So leitete im Vereinigten Königreich ein anderer Oligarch, der ehemalige KGB-Agent Alexander Lebedew, mit seinem Sohn Evgeny ein auf den ersten Blick ähnliches Projekt ein, als sie 2009 die Lokal-Tageszeitung "London Evening Standard" und 2010 den überregionalen "Independent" kauften. Allerdings kann Lebedew, der in Russland Miteigentümer der Oppositionszeitung "Novaya Gazeta" ist, nicht nachgesagt werden, ein Werkzeug des Kreml zu sein oder mit der extremen Rechten zu sympathisieren. Die redaktionelle Ausrichtung des "Independent" ist dem Titel der Zeitung bis heute treu geblieben.

Web 2.0

Eine echte Neuerfindung im Informationskrieg des Kreml gegen den Westen sind die sogenannten Trollfabriken. Sie überschwemmen das Web 2.0 mit kremlfreundlichen Kommentaren, die westliche Standpunkte und Werte relativieren und deren Überlegenheit unterminieren sollen, etwa indem sie auf Fälle aufmerksam machen, bei denen der Westen demokratische oder humanitäre Werte nicht einhält, für die er vorgibt zu stehen. Diese Innovation hat ihren Ursprung in der nahezu symbiotischen Zusammenarbeit zwischen dem russischen Geheimdienst und der Jugendorganisation des Kreml Naschi (Die Unseren). 2009 wurde die "Bloggerschule des Kreml" ins Leben gerufen, die über Blogs, Attacken auf Webseiten der Opposition und Kommentare auf Facebook und Twitter die Politik des Kreml im Internet verkauft. Diese Aktivitäten erreichten völlig neue Dimensionen, als die Spannungen zwischen Russland und dem Westen sich im Zuge der Ukraine-Krise erhöhten.

So bekam etwa die britische Zeitung "The Guardian" während der russischen Invasion der Ukraine im Mai 2014 unzählige prorussische Leserkommentare, die häufig in schlechtem Englisch verfasst waren. Die "Moscow Times" musste sogar die Kommentarfunktion auf ihren Seiten abschalten. Die gleiche Erfahrung machte im Juli 2014 das niederländische Onlinemagazin "De Correspondent": Nach der Veröffentlichung eines Interviews mit dem Autor dieser Zeilen wurde der Redaktion eine Flut kremlfreundlicher Kommentare zugemailt. Dies geschah nur wenige Wochen, nachdem Flug MH-17 über der Ostukraine mit 298 Menschen an Bord, die mehrheitlich niederländische Staatsangehörige waren, verschiedenen Quellen zufolge von einer russischen BUK-Flugabwehrrakete abgeschossen worden war. Kurz nach diesem nationalen Trauma scheint eine derart breite Unterstützung für die Politik des Kreml in den Niederlanden wenig plausibel.

Details über die geheimen Aktivitäten der "Trollfabriken" wurden im Juni 2015 bekannt, als Ljudmila Savchuk als ehemalige Angestellte ihren mutmaßlichen ehemaligen Arbeitgeber, das Unternehmen "Internet Research" mit Sitz in Sankt Petersburg, verklagte, weil sie ihren Angaben zufolge keinen Arbeitsvertrag erhalten hatte. Sie berichtete, das Unternehmen habe etwa 400 Mitarbeiter beschäftigt, die in zwei Zwölfstundenschichten arbeiteten und das vergleichsweise hohe Monatsgehalt von umgerechnet 780 US-Dollar erhielten, um kremlfreundliche Kommentare auf Facebook, Twitter und in anderen sozialen Netzwerken zu posten. Ihren Angaben zufolge war jeder Angestellte für ein Dutzend oder mehr gefälschter Facebook- und Twitter-Accounts verantwortlich.

Westliche PR

Eine weitere Innovation war die Beauftragung westlicher PR-Firmen. Während des Kalten Krieges wäre so etwas unmöglich gewesen. Dies änderte sich nach dem Ende des Kommunismus und der Eingliederung Russlands in die kapitalistische Weltwirtschaft. Nun wurde die russische Regierung in westlichen Politikforen wie der G7 akzeptiert, aus der dann die G8 wurde. In diesem neuen internationalen Umfeld gelang es dem Kreml, Zugang zu renommierten westlichen Lobby- und Kommunikationsunternehmen zu erlangen.

Der Kreml ergriff 2006 die Initiative, als Russland mit der Organisation des G8-Gipfels in Sankt Petersburg beauftragt wurde. Um bei dieser Gelegenheit an der Verbesserung seines Images zu arbeiten, engagierte er für zwei Millionen US-Dollar das prestigeträchtige New Yorker Unternehmen Ketchum und seine in Brüssel ansässige Tochterfirma GPlus Europe. Diese entsandten 25 Mitarbeiter nach Sankt Petersburg, die dort Interviews führten, Podcasts mit Vertretern der russischen Regierung erstellten und eine Live-Übertragung des Gipfels mit der BBC organisierten. Nach der Veranstaltung warb Ketchum damit, es habe erfolgreich dazu beigetragen, "to shift global views of Russia to recognize its more democratic nature". Ketchums privilegierte Kontakte zum Kreml erhöhten offenkundig die Reputation des Unternehmens: Prompt erhielt es den "Silver Anvil", einen Preis der Public Relations Society of America.

Auch der Kreml war zufrieden, denn es war vor allem sein Ruf, der sich schlagartig verbesserte. Im Januar 2007 schloss er einen Zweimonatsvertrag über 845000 US-Dollar mit Ketchum und dessen Tochterfirma Washington Group ab – eine lohnende Investition, denn Ketchum betrieb erfolgreich Lobbyarbeit für Putin, der 2007 vom "Time Magazine" zur "Person of the Year" gewählt wurde. Die politischen Dimensionen der Zusammenarbeit zwischen dem Kreml und Ketchum wurden 2008 während des Kaukasus-Krieges besonders deutlich. Ketchum half, das Onlineportal "ModernRussia" aufzulegen, das später in "ThinkRussia" umgetauft wurde und die offizielle Sicht des Kreml auf die Situation verbreitete. Selbst die Ukraine-Krise machte die Verbindung zwischen dem Kreml und der US-amerikanischen PR-Firma nicht zunichte: Die Zusammenarbeit wurde lediglich eingeschränkt.

Kulturzentren

Zur russischen Propagandaoffensive gehört auch, westliche Soft-power-Initiativen zu kopieren. 2007 wurde die Stiftung Russkiy Mir (Russische Welt) gegründet, deren offizielles Ziel es ist, die Interessen russischer Muttersprachler im Ausland zu wahren und die russische Kultur und Sprache im Ausland zu fördern. Zu Beginn richtete sie ihre Tätigkeit vorrangig auf die postsowjetischen Staaten aus, heute ist sie jedoch global präsent. Sie gibt vor, eine kulturelle Einrichtung ähnlich dem Goethe-Institut zu sein, übernimmt aber eine klare politische Aufgabe: die Mobilisierung russischer Muttersprachler in aller Welt, die Politik des Kreml zu unterstützen.

Gemeinsam mit dem 2008 gegründeten russischen Unterstützungsfonds Rossotrudnitschestwo eröffnet sie russische Zentren an ausländischen Universitäten. 2015 gab es etwa 70 dieser Zentren in den USA, 14 in Frankreich, 11 in Deutschland und 13 in Großbritannien. Vorbild sind die chinesischen Konfuzius-Institute, die ebenfalls an Universitäten angesiedelt sind. In beiden Fällen ist zumindest fraglich, ob es sich um unabhängige Kultur- oder Wissenschaftseinrichtungen handelt.

Politiker und Parteien im Blick

Der russische Informationskrieg zielt nicht nur darauf, Einfluss auf die öffentliche Meinung, die Eliten und auf Universitäten im Westen zu nehmen, sondern auch direkt auf westliche Regierungen und politische Parteien.

Hierbei kann der Kreml auf eine alte sowjetische Tradition zurückgreifen: das gezielte Platzieren von Agenten auf einflussreiche Posten. Ein berühmtes Beispiel ist der Fall des Stasi-Agenten Günter Guillaume, dem persönlichen Referenten des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt. Diese Praxis hat die Sowjetunion überdauert, wie die Verhaftung der Mitglieder eines russischen Spionagerings in den Vereinigten Staaten durch das FBI im Juni 2010 zeigte: Ein elfköpfiges Team "Illegaler" hatte über Jahre hinweg mehrheitlich unter falschen Namen in den USA gelebt. Ihre Mission war nicht nur die Beschaffung von Informationen, sondern vor allem die Infiltration regierungsnaher Kreise. Wird auch nicht aus jedem "Schläfer" ein Guillaume, so ist es durchaus möglich, dass einige von ihnen erfolgreich sind.

Der Kreml geht auch den herkömmlichen Weg der Einflussnahme, indem er westlichen Politikern und politischen Parteien Geld zukommen lässt. So wurde etwa der litauische Präsident, Rolandas Paksas, 2004 seines Amtes enthoben, nachdem er umgerechnet 400000 US-Dollar vom russischen Unternehmer Yury Borisov angenommen hatte, der Verbindungen zum russischen Geheimdienst unterhielt. Ein weiterer Fall ist jener der estnischen oppositionellen Zentrumspartei, zu deren Mitgliedern überwiegend russische Muttersprachler gehören. Ihr Vorsitzender, Edgar Savisaar, der auch Bürgermeister von Tallinn ist, wurde 2011 vom estnischen Inlandsgeheimdienst Kapo beschuldigt, den Putin-Vertrauten und damaligen Präsidenten der staatlichen russischen Eisenbahngesellschaft, Wladimir Jakunin, um 1,5 Millionen Euro für den Parlamentswahlkampf gebeten zu haben. In der Tschechischen Republik soll Staatspräsident Miloš Zeman 2013 von der russischen Ölfirma Lukoil Geld für seinen Präsidentschaftswahlkampf erhalten haben. Der französische FN erhielt 2014 ein Darlehen in Höhe von acht Millionen Euro von der russischen First Czech Russian Bank, 2016 bat er um ein zusätzliches Darlehen in Höhe von 27 Millionen Euro. In Deutschland soll es zu einem dubiosen Goldgeschäft gekommen sein: Laut "Bild" kaufte die euroskeptische Alternative für Deutschland Gold zu einem niedrigen Preis von Russland, das die Partei danach zum Weltmarktpreis weiterverkaufte – eine subtile Form der Parteifinanzierung. Noch subtiler war es im Sommer 2014 im Vereinigten Königreich zugegangen, als Lubov Chernukhin, Ehefrau des ehemaligen stellvertretenden russischen Finanzministers in der Regierung Putin, Vladimir Chernukhin, der Conservative Party 160000 britische Pfund schenkte. Damit ersteigerte sie bei einem Spendenball eine Partie Tennis gegen Premierminister David Cameron. Die Partei wies jede Kritik zurück und nahm das Geld an. Natürlich wird in den meisten Fällen nicht sofort eine Gegenleistung erfolgen. Doch Geld zu verschenken hilft, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen, bei der die Großzügigkeit der einen Seite bei einer zukünftigen Gelegenheit von der anderen Seite erwidert werden könnte.

Russischer Propaganda begegnen

Mit der russischen Propagandaoffensive einher geht die Frage, wie "der Westen" auf sie reagieren kann. Sechs Maßnahmen sollten in Betracht gezogen werden.

Erstens sollten westliche Regierungen das Budget für public diplomacy deutlich erhöhen. In den vergangenen zehn Jahren wurden diese stark gekürzt, während Russland die Mittel für seine Propagandamaschinerie konstant erhöht hat. Dieser Trend muss umgekehrt werden.

Zweitens sollte ein alternativer russischsprachiger Fernsehsender gegründet werden, der mit RT konkurrieren kann. Lettland hat bereits die Initiative ergriffen und baut einen solchen auf. In Berlin ging der Unternehmer Peter Tietzki am 1. Juni 2016 mit RtvD auf Sendung, einem neuen russischsprachigen Sender für Muttersprachler in Deutschland. Doch könnte auf diesem Gebiet noch weitaus mehr getan werden.

Drittens sollten westliche Regierungen nicht in die Falle tappen, unglaubwürdige "Gegenpropaganda" zu produzieren.

Viertens sollte die Öffentlichkeit für die Aktivitäten von Trollen sensibilisiert werden. In der (politischen) Bildung muss ein Schwerpunkt auf die Analyse gelegt werden, wie Propaganda funktioniert und wie sich Verschwörungstheorien entlarven lassen.

Fünftens gilt es, die Fakten zu analysieren. Russische Propaganda umfasst Falschinformationen und Desinformationen. Erstere sind vollkommen falsch, letztere eine Mischung aus wahren und erfundenen Tatsachen. Über Lügen und Halbwahrheiten muss aufgeklärt werden. Den Anfang hat der Europäische Auswärtige Dienst mit seinem mehrmals wöchentlich erscheinenden "Disinformation Review" sowie dem monatlichen "Disinformation Digest" gemacht. In der Ukraine deckt die private Initiative "Stop Fake" seit 2014 russische Propaganda auf. Die Initiative unterhält Webseiten auf Englisch, Russisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Rumänisch, Bulgarisch und Spanisch, eine deutschsprachige Webseite ist in Arbeit.

Sechstens sollte sich die Toleranz in Grenzen halten. RT hat direkten Zugang zu Dutzenden Millionen europäischen und US-amerikanischen Haushalten, während westliche Medien in Russland nicht über diese Möglichkeit verfügen. Die westlichen Staaten könnten als Bedingung für die russische Medienpräsenz die gleichen Rechte für sich einfordern. RT sollte es auch nicht gestattet sein, explizit einseitige Informationen zu verbreiten. Im Vereinigten Königreich gibt es mit dem Office of Communications eine Medienaufsicht, die über eine unparteiische Berichterstattung wacht. Mehrmals schon hat sie Verstöße seitens RT gegenüber britischen Rechtsvorschriften festgestellt und Strafmaßnahmen verhängt. Die Medienaufsichten im Westen sollten ihre Tätigkeiten enger miteinander abstimmen.

leitet die Cicero Foundation, ein für die EU und die transatlantischen Beziehungen eintretender Think-Tank, und ist Autor mehrerer Bücher über Russland unter Wladimir Putin. Zuletzt erschienen "Putin’s Propaganda Machine. Soft Power and Russian Foreign Policy" sowie "Putin‘s Wars. The Rise of Russia‘s New Imperialism". Externer Link: http://www.marcelhvanherpen.com