Immer, wenn ein französischer Präsident Algerien besucht, liegt eine gewisse Spannung in der Luft. Medien auf beiden Seiten des Mittelmeers schauen genau hin, wenn die Präsidenten beider Länder symbolische Gesten austauschen, und wägen die Worte ab, mit denen der prominente Gast die bilateralen Beziehungen charakterisiert.
Algerien und Frankreich verbindet eine konfliktträchtige Beziehungsgeschichte. Eine besonders intensive Form kolonialer Herrschaft und Besiedlung (ab 1830) endete mit einem der blutigsten militärischen Konflikte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der algerische Unabhängigkeitskrieg – je nach Perspektive auch "Algerische Revolution" oder "Algerienkrieg" – war ein Krieg der Extreme: Mit rund 400.000 algerischen Toten und 25.000 gefallenen französischen Soldaten entfaltete sich hier zwischen dem 1. November 1954 und dem Waffenstillstand vom 19. März 1962 der größte und blutigste Dekolonisationskrieg weltweit.
Auch in der nachkolonialen Erinnerung ragt der algerische Fall heraus. Das blutige Ende der Algérie française steht seit den 1990er Jahren im Mittelpunkt massiver Debatten um das koloniale Erbe Frankreichs und Europas. Dies hat – gerade auch außerhalb Frankreichs und Algeriens – zu einem Tunnelblick auf die Geschichte geführt. Sowohl der algerische Unabhängigkeitskampf als auch die Erinnerungen daran werden als ein absoluter Sonderfall – ein französisch-algerisches tête-à-tête – aus der breiteren Geschichte der Dekolonisation herausgelöst. Der Krieg dient dann etwa als Beleg für das besonders brutale und rücksichtslose Festhalten Frankreichs an seinem Kolonialreich, als Gegenbeispiel, von dem sich das vermeintlich einsichtige Großbritannien abhebt.
Warum Algerien?
Warum nahm gerade Französisch-Algerien ein solch blutiges Ende? Erstens war Algerien Frankreichs erste und wichtigste Kolonie im 19. und 20. Jahrhundert. Ab 1830 erobert, wurde das Land zu einer Art "kolonialer Provinz".
Zweitens war Algerien neben Südafrika die größte europäische Siedlungskolonie Afrikas. 1954 befanden sich fast eine Million Europäer im Land und dominierten die exportierten staatlichen Strukturen, auch dank einer verschärften Diskriminierungspolitik gegenüber der algerischen Bevölkerungsmehrheit. Durch die Siedler setzte Frankreich im Vergleich zu vielen britischen Siedlungskolonien der Selbstregierung klare Grenzen. Von zentraler Bedeutung für die Siedler war ihr Zugang zum politischen Betrieb in Paris, wo sie eine lautstarke Lobby bildeten und Einfluss auf die Algerienpolitik nahmen.
Drittens wirkte sich die Art des antikolonialen Widerstands auf den Verlauf der Dekolonisation aus. Die in Algerien ab der Jahrhundertwende entstehende Nationalbewegung zeichnete sich durch einen hohen Grad an Heterogenität aus.
Krieg an vielen Fronten
Der Krieg, der sich ab dem 1. November 1954 entfaltete, gewann seine besondere Dynamik aus einer Mischung aus massiver Repression und Reformbemühungen. Eine breite politische Mehrheit in Frankreich, einschließlich der traditionell kolonialismuskritischen Sozialisten und Kommunisten, drängte auf ein gewaltsames Niederringen des FLN. Ausgestattet mit Notstandsgesetzen und Sondervollmachten versuchten das Militär und die Polizeikräfte, den Guerillakampf zu beenden. Frankreichs "antisubversive" Kriegführung zog die zivile Bevölkerung stark in Mitleidenschaft; hierzu gehörte der systematische Einsatz von Folter, Internierungslager und massenhafte Zwangsumsiedlungen.
Zur gleichen Zeit startete Frankreich eine umfassende Kampagne spätkolonialer Reformen, die kurz zuvor noch undenkbar gewesen waren. Projekte zur wirtschaftlichen Entwicklung und Industrialisierung, Investitionen in den sozialen Wohnungsbau, in das Gesundheits- und Bildungswesen sowie die spürbare Ausweitung der Partizipationsrechte für Algerier sollten dazu beitragen, die Bevölkerung für die Metropole zu gewinnen.
Der Kampf zwischen dem FLN und der Kolonialmacht verlief auf drei Ebenen, die sich immer wieder überschnitten. Im Mittelpunkt der militärischen Auseinandersetzung stand nicht der städtische Häuserkampf, wie er in Gillo Pontecorvos Meisterwerk "La Battaglia di Algeri" 1966 verewigt wurde, sondern der Guerillakrieg, der sich vorwiegend auf dem Land abspielte.
Spätestens mit dem Zusammenbruch der Vierten Republik 1958, der durch einen von Algier ausgehenden Staatsstreich befördert wurde, erreichte der algerische Unabhängigkeitskrieg das französische Mutterland. Der Krieg wurde durch zahlreiche weitere Frontverläufe verkompliziert: Da war zum einen der blutige Konflikt, in dem der FLN seinen Alleinvertretungsanspruch gegen rivalisierende Nationalisten und pro-französische Gruppen durchsetzte; zum anderen kämpften zwischen 200.000 und 400.000 Algerier als Hilfstruppen für Frankreich – ein (oftmals nicht politisch motiviertes) Engagement, das vielen nach dem Algerienkrieg zum Verhängnis wurde. Zahlreiche Verwerfungen durchzogen auch das französische Lager: Soldaten widersetzten sich ihrer Versendung nach Algerien, und der FLN fand auch in Frankreich Unterstützer; mit Kriegsverlauf verselbständigten sich Armeekader, die dann im Verbund mit radikalisierten Siedlern erbitterten Widerstand gegen jegliche Zugeständnisse leisteten – von Straßenkämpfen über einen Putschversuch 1961 und der Gründung der Organisation de l’armée secrète (OAS), die Algerien und Frankreich 1961/62 mit einer Terrorkampagne überzog. Der französische Präsident Charles De Gaulle überlebte mehrere gegen ihn gerichtete Attentate nur mit Glück. Nach einem Waffenstillstand am 19. März 1962 wurde das Land am 5. Juli 1962 unabhängig.
Eine Ära der Verdrängung?
Die nachkolonialen Erinnerungen waren Teil eines langwierigen Trennungsprozesses, zweier eng miteinander verbundener postkolonialer Nationalstaatsbildungen: Algeriens und Frankreichs.
Einige Historiker haben diese selektiven Erinnerungsprozesse – vor allem mit Blick auf Frankreich – in Konzepten kollektiver "Verdrängung", "Traumata" oder "Syndromen" gefasst.
In Algerien nahm der entstehende FLN-Staat von Anfang an eine zentrale Rolle bei der Schaffung und Kontrolle der Erinnerung ein.
In Frankreich spielte der Staat zunächst eine grundlegend andere Rolle. Bis in die 1980er-Jahre war den verschiedenen französischen Regierungen daran gelegen, den Algerienkrieg als ein zutiefst konfliktbeladenes und spaltendes Kapitel der jüngeren Geschichte hinter sich zu lassen.
Die staatliche Schweigepolitik bedeutete jedoch keineswegs, dass der Krieg in der französischen Gesellschaft nicht präsent gewesen wäre. Der Staat überließ das Feld der Erinnerung vielmehr einer Reihe gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere den Kriegsveteranen sowie den rapatriés, die offizielle Bezeichnung für die mit der Unabhängigkeit nach Frankreich migrierten Algerienfranzosen. Beide Gruppen hielten Erinnerungen an Französisch-Algerien und den Krieg auf unterschiedliche Weise wach. Der größte Veteranenverband kämpfte erbittert gegen die Weigerung des französischen Staats, den Militäreinsatz zwischen 1954 und 1962 als Krieg zu bezeichnen, eine Tatsache, die den Kriegsteilnehmern eine Reihe symbolischer und materieller Privilegien vorenthielt. Ein zentrales Element dieser Bemühungen war die Kampagne für die Einrichtung eines offiziellen Gedenktags zum Kriegsende am 19. März. Während diese Kampagne seit den 1980er Jahren auf lokaler Ebene Früchte trug, stieß sie auf erbitterten Widerstand bei all jenen, die das Datum mit einer schmachvollen Niederlage oder gar einem "Verrat" an Französisch-Algerien verbanden. Diese Position fand sich auch unter vielen (wenn nicht allen) rapatriés oder pieds-noirs ("Schwarzfüße"), wie sich viele von ihnen fortan selbst bezeichneten. Diese hatten unter teils dramatischen Bedingungen das Land verlassen und formierten sich über ein lebhaftes Verbandswesen als soziopolitische Gruppe. Das Gedenken an die verlorene Heimat spielte beim Aufbau der Verbände eine zentrale Rolle. In einer Zeit, in der die Erinnerung an den Krieg auf nationaler Ebene eine marginale Stellung einnahm, prägten sie mithin längst den öffentlichen Raum vieler französischer Kommunen.
Erinnerungsdebatten seit den 1990er Jahren
Seit den 1990er Jahren hat sich die Arena der Erinnerung an den Algerienkrieg in beiden Ländern stark verändert. In Algerien blieb die Spirale islamistischen Terrors und staatlicher Repression der 1990er Jahre nicht ohne Konsequenzen für die Erinnerungen an den Unabhängigkeitskrieg. Die Konflikte des "schwarzen Jahrzehnts" mobilisierten interne Feindbilder aus der Zeit des Befreiungskriegs (etwa den Vorwurf der Kollaboration mit Frankreich) und bezogen das symbolische Erbe der Kolonialzeit mit ein (etwa durch Anschläge gegen Monumente der Kolonialzeit). Die erstarkende algerische Zivilgesellschaft öffnete parallel dazu Räume für eine Debatte über die nationale Vergangenheit: die Rolle von Frauen oder der Europäer im Befreiungskampf sowie die Vielfalt des algerischen Nationalismus und die interne Gewalt stehen zwar nicht im Fokus offizieller Erinnerungspolitik, sind aber Themen öffentlicher Debatten.
Noch stärker kamen die Dinge in Frankreich in Bewegung: Zunächst ein auf kommunaler, vereinsmäßiger und privater Ebene verhandeltes Thema, wurden die Erinnerungen an den Algerienkrieg mit der Zeit zu einem brisanten Gegenstand nationaler Politik. Sie sind mittlerweile in eine allgemeine Kontroverse über das Erbe des Kolonialismus und die Funktion nationaler Memorialkultur übergegangen – eine Kontroverse um Schuld, Verantwortung und Stolz, um individuelle Erfahrungen, wissenschaftliche Objektivität und politische Einflussnahme, um nationale Identität, republikanischen Universalismus und partikulare Gruppenzugehörigkeiten.
Wie kam es dazu? Von großer Bedeutung war, dass der französische Staat von seiner jahrzehntelangen Politik des Schweigens abrückte. Getragen von einem (internationalen) Diskurs über die staatliche "Pflicht zur Erinnerung" negativer Ereignisse, spielte ein Generationenwechsel an der Staatsspitze eine zentrale Rolle. Insbesondere Jacques Chirac, Präsident zwischen 1995 und 2007, maß der Neugestaltung nationaler Erinnerungspolitik große Bedeutung bei. Damit begab sich der Staat auf ein Terrain, das verschiedene nichtstaatliche Akteure über Jahrzehnte besetzt und geprägt hatten. Diese begrenzten nicht nur den staatlichen Handlungsspielraum: Die Erinnerungslobbys, insbesondere Veteranenverbände und Rapatriés-Vereine, bemühten sich um Eingang in die offiziellen Erinnerungsdiskurse. Dies führte zu einigen Allianzen, vorwiegend jedoch zu Konflikten und Rivalität. Während Beobachter Anfang der 2000er Jahre von einer Überwindung des französischen "Traumas" schwärmten, machte bald schon die Rede vom "Erinnerungskrieg" die Runde.
Seit Chirac verfolgen die Präsidenten mit gewissen Variationen die Strategie, die Anliegen unterschiedlicher Akteursgruppen gesetzlich anzuerkennen. Gegenüber den Veteranen erfolgte 1999 die offizielle Anerkennung des Begriffs "Krieg", am 5. Dezember 2002 die Einweihung eines nationalen Denkmals für die gefallenen Soldaten im Herzen der Hauptstadt und 2003 die Erklärung des – historisch bewusst willkürlich gewählten – 5. Dezember zum Gedenktag für die Gefallenen. Allmählich rückten auch die algerischen Hilfstruppen (Harkis), später auch andere koloniale Soldaten in den Fokus der Anerkennungspolitik. Aus dem Bemühen verschiedene, teils widerstreitende Ansprüche zu befriedigen, resultierten erratisch anmutende, ja widersprüchliche Signale: Während Chirac einen französisch-algerischen Freundschaftsvertrag anstrebte, setzte er 2005 seine Unterschrift unter das "Gesetz vom 23. Februar 2005", das verurteilte OAS-Terroristen entschädigte und im Artikel 4 eine "positive Rolle" des französischen Kolonialismus im Schulunterricht und in der Forschung festschrieb. Der Artikel, im Gesetzgebungsprozess durch aktives Lobbying einiger Rapatriés-Verbände verschärft, wurde erst auf massiven öffentlichen Druck 2006 gestrichen, da die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nicht Sache des Gesetzgebers seien.
Zum Thema öffentlicher Debatten wurde schließlich auch der Aspekt kolonialer Gewalt, ein Aspekt, mit dem sich die offizielle staatliche Anerkennungspolitik schwer tat. Eine Kontroverse über den systematischen Einsatz von Folter erschütterte zwischen 2000 und 2002 die französische Öffentlichkeit. Die "Folterdebatte" hinterließ jedoch trotz ihrer Intensität kaum dauerhafte Spuren offizieller Erinnerung, was damit zusammenhing, dass sich die Debatte mehr um die Täter als um die Opfer drehte. Dies änderte sich mit dem verstärkten Engagement von Migrantengruppen und Antirassismus-Vereinen in den Debatten: Sie brachten Ereignisse kolonialer Gewalt – etwa die blutige Niederschlagung einer FLN-Demonstration in Paris am 17. Oktober 1961 – mit Themen wie Rassismus und Polizeigewalt in Verbindung. Aktivisten und Medien begannen ab Mitte der 2000er Jahre, Gegenwartsfragen wie die Situation in französischen Vororten oder das Kopftuchverbot in Schulen 2004 in Kategorien der kolonialen Vergangenheit zu beschreiben. Hieran zeigt sich eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in den jüngsten Erinnerungsdebatten: Die Bezugnahme auf die Kolonialvergangenheit zielt nicht mehr nur darauf ab, diese Vergangenheit zu erinnern, sondern soziale Konflikte innerhalb der Gegenwartsgesellschaft auszutragen, insbesondere Auseinandersetzungen um Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung.
Auch die internationale Arena wirkte auf die Erinnerungsdebatten ein: Chirac flankierte seine Initiativen Anfang der 2000er Jahre bezeichnenderweise mit versöhnenden Gesten in Richtung Algier. Das "Gesetz vom 23. Februar 2005" wurde zu einem offenen diplomatischen Streitthema und bildete den Anlass für das Scheitern des Freundschaftsvertrags 2007. Seit 2005 berichtete die algerische Presse regelmäßig über nostalgische Denkmalprojekte in Frankreich; das algerische Parlament drohte 2010 sogar mit einem Gesetz zur rückwirkenden "Kriminalisierung" der Kolonialherrschaft.
Die verstärkten erinnerungspolitischen Interaktionen zwischen Frankreich und Algerien erweisen sich als Teil breiterer Trends: Seit den 1990er Jahren lässt sich ein steigendes internationales Interesse an Aspekten kolonialer Gewalt – als Teil "dunkler Seiten" europäischer Nationalgeschichten – beobachten.
All diese Faktoren haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einer sich schnell wandelnden und vielfältigen Erinnerungslandschaft geführt. Der französisch-algerische Fall ist dabei kein Sonderfall, eher ein extremes Beispiel für das umstrittene Erbe, das die koloniale Herrschaft und ihre Auflösung in weiten Teilen der Welt bis heute hinterlassen haben. Die "Erinnerungskriege" um das koloniale Algerien verlaufen entlang ähnlich komplexer Frontlinien wie der Kolonialkrieg selbst. Zahlreiche interne Verwerfungen verkomplizieren daher – wie im Dekolonisationsprozess – das Bild zweier miteinander ringender homogener Gebilde. Insbesondere in Frankreich hat dies zuletzt zu einem Patt wiederstreitender Kräfte geführt und ließ ambitionierte Großprojekte, wie etwa Nicolas Sarkozys "Haus der Geschichte", scheitern; oder zwang Entscheidungsträger zu ungewöhnlichen Lösungen, wie bei der seit 2012 bestehenden Existenz zweier offizieller Gedenktage für die gefallenen Soldaten des Algerienkriegs (am 19. März und 5. Dezember). Eine Einigung dieser Erinnerungskonflikte scheint kaum in Sicht, und der Ruf nach einem übergreifenden, "versöhnenden" Geschichtsbild für alle hat die Konflikte bislang eher angeheizt als beruhigt. Vielleicht geht es in der derzeitigen Situation eher darum, einen Modus Vivendi zu finden, der die Koexistenz verschiedener Versionen der kolonialen Vergangenheit ermöglicht und die historische Wahrheit (der Geschichtswissenschaft) zugleich von dem Anspruch befreit, als Versöhnerin verschiedener sozialer Gruppen oder Nationen zu fungieren.