Der pauschale Manipulations- und Täuschungsverdacht, der sich aktuell in Schlagworten wie "Lügenpresse" oder "Systemmedien" artikuliert, wird bislang vorrangig als Problem für den damit gemeinten Journalismus verhandelt. Das Phänomen greift allerdings weiter. Dass Massenmedien der Manipulation verdächtigt werden, ist seit jeher eine zentrale Ressource für Verschwörungstheorien und ebenso ein effektiver Schlüssel zur Mobilisierung und Rekrutierung für soziale Protestbewegungen und politische Parteien. Diese Perspektive spricht selbstredend ebenso wenig den Journalismus von seinen Problemen frei, wie sie seine Kritiker allesamt als Verschwörungstheoretiker bezeichnen würde. Sie fragt nach den Aktivitäten, die ermöglicht, und den Mechanismen, die hier in Gang gesetzt werden können.
Niklas Luhmann brachte einen zentralen Befund der Medienwissenschaft auf die folgende schlagende Formel: "Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."
Medienkritik als Master Frame
Bewegungsakteure, so informiert uns die Forschung zu sozialen Bewegungen, "konstruieren im Kontext öffentlicher Auseinandersetzungen über strittige Themen ihre Problemdeutungen in der strategischen Absicht, möglichst breite öffentliche Resonanz für ihr Anliegen zu erzielen".
Derartige bewegungsrelevante Rahmungen lassen sich hierarchisch in collective action frames und übergeordnete master frames unterscheiden: "Master frames are to (…) collective action frames as paradigms are to finely tuned theories".
Die kritische Rede über Medien impliziert somit ein großes Versprechen: Deutungshoheit. Und zwar nicht bloß über die Medien, sondern über alle Gegenstände, über die Medien berichten. Entsprechend sind "die Medien" für die Rekrutierung und Mobilisierung von Protestbewegungen ein ausgesprochen naheliegender und in einzigartiger Weise universeller Deutungsgegenstand. Er ist von sonstigen frames zunächst weitgehend unabhängig und prinzipiell für breite Bevölkerungsgruppen anschlussfähig. Welches Problem auch immer beklagt wird – die Rolle der Medien ist dabei immer von Interesse, sofern sie aus Perspektive der Bewegungsakteure typischerweise "falsch" oder zumindest unzureichend über das Problem informieren. Gerade eine pauschale Kritik an den Medien ist so gesehen besonders vielversprechend, ermöglicht sie doch auch Einigkeit und Querverbindungen zwischen ansonsten unterschiedlichen politischen Fronten.
Der medienkritische Deutungsrahmen ist also ein politischer "Fliegenfänger". Angesichts der Universalität des Deutungsgegenstands Medien, der als Quelle unseres Wissens ja praktisch alle anderen Deutungsgegenstände fundamental betrifft, hat er eine übergeordnete Funktion, die ihn von allen anderen Gegenständen unterscheidet. In diesem Sinne lässt sich pauschale Medienkritik, die "Manipulation" und "Täuschung" eines "betrogenen Volkes" unterstellt, als master frame zur Rekrutierung und Mobilisierung politischer Protestbewegungen bis hin zur Bildung politischer Parteien begreifen.
Die radikalste Form dieses Deutungsrahmens, die "Medienverschwörungstheorie", kann deshalb für politische Bewegungen und Organisationen bereits das eigentliche Kernthema ihrer öffentlichen Kommunikation bilden, mit dem sie erfolgreich ihre Anhängerschaft rekrutieren und mobilisieren. Der Kommunikationswissenschaftler Adrian Quinn beschrieb diesen Mechanismus einmal am Beispiel des französischen Front National: Obgleich die Idee, dass konspirative Mächte die Schaltstellen der Medien besetzen, im akademischen Kontext längst verworfen sei, bilde dieser Mythos das eigentliche Lebenselixier der rechtspopulistischen Partei: "It constitutes their reality."
Medienverschwörung: notwendiges Strukturmerkmal
Die Medienverschwörungstheorie, die den Medien im großen Stil Fälschung und Irrtum, Manipulation und Verrat unterstellt, ist dabei kein Sonderfall moderner Verschwörungstheorie, sondern deren zentrales und notwendiges Strukturmerkmal. Die "Erzählform Verschwörungstheorie" profitiert dabei nicht nur von der oben angesprochenen besonderen Anschlussfähigkeit dieser Rahmung, sie konstruiert auf dieser Basis auch weitestgehend ihre gesamte "Realität". Verschwörungstheorien operieren in einem Modus des Verdachts, der voraussetzt, dass den Medien nicht zu trauen sei, wobei ihnen trotzdem beziehungsweise gerade deswegen verborgene "Wahrheiten" zu entreißen seien. Die geheime Verschwörung verrät sich wie von selbst, so die Logik der Verschwörungstheorie, wenn man den Informations- und Bilderstrom der Massenmedien nur "scharfsinnig" genug ausliest. Auch dieser Prozess der verschwörungstheoretischen Medienlektüre ist mit dem Goffman’schen Rahmen-Begriff gut beschreibbar. Meint dieser doch nichts anderes, als eine gegebene (hier: medial vermittelte) Situation auf eine bestimmte Weise zu betrachten und dann jeweilige "Fakten" gemäß des gewählten Rahmens wahlweise zu betonen, zu vernachlässigen oder zu ignorieren. Die "Wahrheit" der Verschwörungstheorie entsteht vor allem dadurch, dass man mediale Angebote insgesamt in den Rahmen "Verschwörung" setzt, und dann je einzelne Informationen – Bildausschnitte, Textmeldungen und anderes mehr – im Sinne dieser Rahmung neue, "eigentliche" Bedeutung erhalten. So lassen sich fortlaufend "alternative Wahrheiten" herstellen, ohne dabei auch nur ansatzweise mit einer Realität jenseits des Medialen in Berührung zu kommen. Feldforschung ist nicht die Sache der Verschwörungstheorie. Sie entsteht am Schreibtisch, beim Beobachten von Beobachtungen.
Natürlich nutzen Verschwörungstheorien beizeiten auch schlicht die Option der Fälschung oder Manipulation. Ebenso können sie sich problemlos mit angeblichen wissenschaftlichen Studien und ähnlichen "Rationalitätsfiktionen" ausstatten.
Die an den verschwörungstheoretischen Erzählungen gut abzulesende Gefahr bei einer solchen Suche nach verborgenen "Wahrheiten" ist, dass in diesem Modus der paranoischen Beobachtung prinzipiell alles möglich wird:
Die Verschwörungserzählungen, die auf Grundlage solcher Rahmungen entstehen, sind dabei tatsächlich nicht selten "gut gemachte Geschichten", die alles aufbieten können, was es braucht, um glaubwürdiger, überzeugender und deutlich unterhaltsamer zu sein als jede offiziell beglaubigte Version. Diese spannenden Enthüllungsgeschichten fungieren, mit dem Medientheoretiker Marshall McLuhan gesprochen, wie das saftige Steak, das ein Einbrecher mit sich führt, um den Wachhund abzulenken. Wäre der geistige Wachhund hier etwas wachsamer und weniger geblendet vom gleißend hellen Licht einer aufgeblasenen Aufklärungsrhetorik, könnte er klar sehen, dass die Verschwörungstheorie weit weniger ein Erleuchtungsmedium ist, als eine Hinführung zu politischen Hexenjagden und zur Deformation des politischen Klimas.
Historische Vorläufer
Dass Verschwörungstheorien im politischen Raum wirksam werden, dass sie stereotype Feindbilder erzeugen und bedienen, ist selbst unter Verschwörungstheoretikern weitgehend unstrittig. Der "große Satan USA", die Transatlantiker und Bilderberger, die Freimaurer, Illuminaten, Kommunisten und immer wieder die "jüdische Weltverschwörung" in sämtlichen Chiffren gehören allesamt zu einem verschwörungstheoretischen Figurenkabinett, das nicht nur in der westlichen Kultur in zahlreichen politischen Strömungen und sozialen Bewegungen verankert ist. Die Medien selbst sind in diesem Figurenkabinett nicht nur einfach ein weiteres Phänomen, dem sich Verschwörungstheoretiker auch noch widmen würden. Sie sind als Deutungsgegenstand allen anderen vorgelagert und somit das eigentliche Primärobjekt – und somit auch der Schlüssel zu Erleuchtung und Erlösung.
Die historischen "Klassiker" moderner (Medien-)Verschwörungstheorien sind Produkte der geistigen Bewegung der Gegenaufklärung, mithin der ersten konservativen Bewegung im deutschsprachigen Raum. Durchgängiges Thema der Verschwörungstheorien um 1800 war die Medienrevolution des 18. Jahrhunderts, in deren Rahmen die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte am 26. August 1789 nicht zuletzt auch die Presse- und Meinungsfreiheit als Menschenrecht festlegte. Im 18. Jahrhundert – und insbesondere nach der Französischen Revolution – entstand somit erstmalig ein allgemeines Bewusstsein für die gesellschaftliche Funktion und Bedeutung von Medien: "Dieser Bewußtseinssprung markiert kommunikationshistorisch den Initialpunkt jener permanenten ‚Medienrevolution‘, deren vorerst letzte Phase wir mit der Digitalisierung und globalen Vernetzung der Informationsströme aktuell erleben."
Während optimistische Akteure die sich explosionsartig verbreitenden Medien vorrangig als Instrumente rein positiv konnotierter Aufklärung interpretierten, "als im Dienst der menschlichen ‚Glückseligkeit‘ zu entfesselnde Produktivkräfte",
Von herausragender Bedeutung für Ausgestaltung und Verbreitung jener prototypischen modernen Verschwörungstheorie, derzufolge der Geheimbund der Illuminaten die Französische Revolution "gemacht" habe und seither im Verborgenen die Unterjochung einer guten alten Welt vorantreibe, waren die sogenannten Eudämonisten: eine kleine Gruppe gegenaufklärerischer Publizisten in den deutschsprachigen Territorien, die sich nach dem Vorbild aufklärerischer Geheimgesellschaften zur "Gesellschaft patriotischer Gelehrter" verbanden. Die professoralen Patrioten vereinten ihr publizistisches Schaffen ab 1795 in der Zeitschrift "Eudämonia oder Deutsches Volksglück: Eine Zeitschrift für Freunde von Wahrheit und Recht". Wie der Titel bereits andeutet, gehörte die "Eudämonia" zu den Vorreitern eines deutschnationalen Tonfalls. Auch die Erstnennung des Begriffs vom "Vaterlandsverräter" findet sich hier. Der Nationalismus der Zeitschrift entsprach jener destruktiven Variante, die sich bis heute vorrangig über Bedrohungsszenarien definiert. Unschwer erkennbar ist hier bereits die Deckungsgleichheit des Glaubens an eine Nation mit dem Glauben an eine Verschwörung, nämlich eine Verschwörung zu ihrer Abschaffung. Die nationale Bedrohung, der die "Eudämonia" im Kampf um die öffentliche Meinung Widerstand leisten wollte, war die Infragestellung der absolutistischen Herrschaft und angebliche Gefährdung des Christentums durch das vermeintliche Aufklärungskomplott der Illuminaten. "Sollte es da nicht wenigstens den Anders-Denkenden erlaubt seyn, auch ihre Meinung über Gegenstände zu sagen, von welchen das Wohl oder Wehe von Deutschland abhängt?", hieß es entsprechend besorgt in der ersten Ausgabe.
Das durchgängige Thema der "Eudämonia" war fortan das "abscheuliche literarische Schriftsteller und Buchhändler Komplott mit seinen Ränken und Absichten", mithin der mediale Mainstream um 1800: "Seitdem der Illuminatenorden beinahe alle gelehrte Journale sich zu eigen gemacht hat, ist der Recensenten- und Journalistenunfug in ein völliges System gebracht worden. Jedermann der nur sehen will, sieht es jetzt klar genug."
In Tradition der "Eudämonia" und ihrer Polemisierung gegen die "Preßfrechheit" verwendeten konservative Akteure nach der Deutschen Revolution von 1848/49 übrigens zunehmend den Begriff der (jüdischen) "Lügenpresse" zur Delegitimierung der liberalen Presse. Denn die revolutionäre Erhebung von 1848 mündete zwar in eine Phase politischer Restauration, doch als ein zentrales Eingeständnis an die Revolution bestand im Deutschen Bund seither die Pressefreiheit.
Die Liste weiterer Bewegungen, die das verschwörungstheoretische Erzählmuster und den Deutungsgegenstand "Medien" von der Gegenaufklärung adaptierten, führt weit mehr Bewegungen auf als jene neuen "Patrioten", die man heute leicht als Erben der Eudämonisten ausmachen kann. Die Bewegungen des modernen Antisemitismus gehören mit ihrem fortlaufenden Verweis auf die "Judenpresse" ganz sicher dazu. Ebenso wird man dem Philosophen Karl Popper zustimmen können, der einmal befand: "Die Verschwörungstheorie der Unwissenheit in ihrer marxistischen Form ist bekannt: Die kapitalistische Presse unterdrückt die Wahrheit und füllt die Gehirne der Arbeiterschaft mit falschen Ideologien."
Trotz dieser Befunde lässt sich das Phänomen Verschwörungstheorie durchaus auch getrennt von sozialen Bewegungen und politischer Propaganda betrachten. Der gelegentlich spielerische Umgang mit dem Motiv und dessen Verwertung im Unterhaltungssektor entkoppeln Verschwörungstheorien scheinbar von ihrer soziopolitischen Funktion. Wohl auch deshalb verbuchen zumindest hierzulande nicht wenige Beobachter das Phänomen vorrangig als eher ulkige Randerscheinung, die keine nennenswerte Bedeutung für das politische Klima hat. Auch der mainstreamjournalistische Umgang mit dem Thema stellt häufig die unterhaltungswirksame Rätselartigkeit spektakulärer Verschwörungstheorien heraus oder betont die vermeintlich kurios-pathologische Sozialfigur des "Verschwörungstheoretikers" als "verrückten Anderen". Ganz so, als gebe es keine rational auftretenden Verschwörungsfans, Medien- und Bewegungsakteure, die diese Erzählungen erst effektiv aufbereiten und verbreiten. Damit unterstützt der Journalismus selbst allerdings eine einigermaßen naive Perspektive, die sich genau dann rächt, wenn Reporter vor Ort plötzlich gesonderter Sicherheitsmaßnahmen bedürfen und die professionellen Beobachter politischer Umwälzungen gar nicht aus dem Staunen kommen.
Bislang fehlt es weitestgehend an einem Verständnis der beschriebenen Mechanismen, die eben nicht erst überraschend seit dem Herbst 2014 auf den Dresdner "Abendspaziergängen" der Pegida ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung Europas") wirken, sondern eine historische Konstante bilden.
Glaubwürdigkeitslücke der Massenmedien
Mit der Einsicht, dass wir es mit einer historischen Konstante zu tun haben, stellt sich auch die Frage nach den tieferen Gründen des Misstrauens gegenüber den Medien. Dass man den Journalismus und das mediale System nur "besser" machen müsse, und schon sei das Problem gelöst, ist eine Beteuerungsformel, an die vermutlich die Vertreter journalistischer Verbände selbst nicht glauben (was selbstredend nicht heißt, man solle nicht genau daran arbeiten: sowieso und immer).
Für das Misstrauen und die Manipulationsvorwürfe gegenüber den Medien lassen sich nämlich grundsätzlich zweierlei Motive benennen, und erst das zweite hat mit dem tatsächlichen journalistischen Angebot zu tun. Das erste Motiv, das auch in der aktuellen Vertrauenskrise der Medien Beachtung verdient, lässt sich als strukturell bedingte Glaubwürdigkeitslücke bezeichnen. Das Misstrauen der Menschen begleitet die Medien seit jeher: Die Ablösung der Face-to-face-Kommunikation durch Schrift und insbesondere durch den Buchdruck, so Niklas Luhmann, erzwang erstmalig die Unterscheidung von Information und deren Mitteilung – mit der Folge, dass der Mitteilung seither misstraut wird. Denn seit man der Mitteilung nicht mehr direkt (am Gesicht des Gegenübers) ablesen kann, was es mit ihr auf sich hat, verstärkt sich der Verdacht, dass die Informationsseite anderen Motiven folgt, als sie glauben machen will.
Dies ist ein Manipulationsvorwurf, für den die mediale Kommunikation also gar nichts kann. Und schlimmer: Sie kann den Verdacht kaum entkräften. Es ist nämlich ein logischer Effekt medialer Kommunikation, dass sie uns nicht eine Information mitteilen und gleichzeitig auch darüber informieren kann, wie sie diese Information produziert. Natürlich können Journalisten sich bemühen, ihre Arbeit transparenter zu machen. Aber auch diese Transparenzbemühungen sind dann ja Teil einer medialen Inszenierung, über deren Produktion wiederum Transparenz herzustellen wäre, was ebenso nur als mediale Vermittlung vonstattenginge, und so geht es weiter und weiter. "Keine Vermittlung vermag ihre eigenen Bedingungen, sowenig wie ihre Materialitäten und Strukturen mitzuvermitteln", hält der Philosoph Dieter Mersch das Paradoxon des Medialen fest.
Man muss dieser These gar nicht widerspruchslos folgen, um anzuerkennen, dass der Verdacht von Manipulation und Verschwörung in den Medien zumindest stets plausibel und abrufbar ist. Dazu gehört allerdings auch die Einsicht, dass der Manipulationsverdacht gar kein Affekt sein muss, sondern ebenso gut strategische Entscheidung sein kann. Und was sich vom Zweifel nährt, das will vom Zweifel auch nicht lassen. Unter den Bedingungen einer derzeit lebensweltlich erfahrbaren Welle des Verdachts sind diese medientheoretischen Beobachtungen mehr als ein akademisches Gedankenspiel. Sie machen plausibel, dass der Verdacht auch ohne akut benennbare Manipulationen und journalistische Irrtümer – die das zweite Misstrauensmotiv bilden, das dem ersten seine Nachweise liefert – und auch unter Bemühung und Verbesserung sämtlicher journalistischer Standards immer seine Gründe hat, sich seiner Existenzberechtigung zu versichern.
Die Glaubwürdigkeitslücke der Massenmedien ist tatsächlich "nicht Folge eines irgendwie abstellbaren Missbrauchs dieser Einrichtungen. Sie ist vielmehr ein Effekt der normalen Operationen dieser Medien".