(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
So knapp die ersten beiden Absätze aus Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) zur Meinungs- und Informations- sowie zur Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit sind, so viele Fragen werfen sie auf: Warum ist Pressefreiheit wichtig, was macht sie aus? Ist Pressefreiheit mit ihrer gesetzlichen Verankerung bereits verwirklicht? Was bedeuten die Beschränkungen durch Absatz 2 genau? Im Folgenden werde ich diesen Fragen nachgehen, dabei die Entwicklung der Pressefreiheit in Deutschland skizzieren und zugleich einen Blick auf aktuelle Gefährdungen dieses Grundrechts werfen.
Nutzen
Pressefreiheit ist kein Luxus. Sie hat einen Nutzen für den Einzelnen, denn ohne sie könnte er sein Leben nicht auf der Höhe der gegebenen Möglichkeiten gestalten. Und sie hat einen sozialen Nutzen, denn ohne sie fehlte es der Gesellschaft an Kraft, Probleme zu erkennen und zu verarbeiten. Komplexe, hochgradig differenzierte Gesellschaften werden von zahlreichen Kommunikationsbarrieren durchzogen; soziale Systeme, deren Mitglieder und Teile sich mangels ungehinderter Kommunikation untereinander nicht verständigen können und zu wenig übereinander erfahren, sind aber auf Dauer nicht lebensfähig.
Journalistinnen und Journalisten haben deshalb die Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen, also: möglichst viele richtige und wichtige Informationen an möglichst viele Menschen zu übermitteln. Das ist nötig, damit Individuen als Wähler oder Marktteilnehmer kundig handeln können. Die selbstregulierende Kraft von Wahlen oder Märkten hängt von breiter Partizipation an ihnen ab, die ihrerseits zum Beispiel von politischen Programmen oder Warenangeboten Transparenz erfordert. Transparenz als Ressource von Selbstregulierung kann jedoch nur entstehen, wenn Journalisten frei sind, im Hinblick auf ihre berufliche Aufgabe selbst zu entscheiden (und damit zu verantworten), was sie recherchieren und veröffentlichen. Und sie kann auch nur entstehen, wenn das Publikum freien Zugang zum so entstehenden Informationsangebot der Medien hat.
Pressefreiheit ist daher eine systemrelevante Errungenschaft. Kommunikationsfreiheit ist nicht nur ein Menschenrecht, sie dient dem Allgemeinwohl. Das Bundesverfassungsgericht hat im "Spiegel"-Urteil 1966 festgestellt: "Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein (…). Die Presse (…) beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. (…) Presseunternehmen stehen miteinander in geistiger und wirtschaftlicher Konkurrenz, in die die öffentliche Gewalt grundsätzlich nicht eingreifen darf."
Das Urteil beendete die "Spiegel"-Affäre, die 1962 durch einen Artikel im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" über die mangelnde Abwehrbereitschaft der Bundeswehr ausgelöst worden war. Infolge einer Strafanzeige wegen Landesverrats hatte der Bundesgerichtshof daraufhin die Redaktionsräume durchsuchen lassen und den Herausgeber Rudolf Augstein, den Verlagsdirektor sowie mehrere Redakteure festnehmen lassen. Der Urteilsspruch zugunsten des "Spiegels" gilt seither als ein Meilenstein der Pressefreiheit in Deutschland.
Begriff
Pressefreiheit ist ein relativer Begriff: Unbeschränktheit von Kommunikation ist nie ganz oder gar nicht gegeben, sondern immer nur mehr oder weniger. Die Organisation Reporter ohne Grenzen macht sich diese Auffassung mit einer abgestuften internationalen Rangliste der Pressefreiheit zu eigen.
Was grundsätzlich nicht beschränkt sein soll, ist dagegen leicht zu erkennen. Aus dem Hinweis auf "allgemein zugängliche Quellen" und der Erwähnung von Presse, Rundfunk und Film geht hervor, dass vor allem öffentliche Kommunikation über Massenmedien gemeint ist. Mit "äußern" und "sich unterrichten" ist zudem die aktive wie die passive Dimension von Kommunikation angesprochen. Die Subjekte der Pressefreiheit sollen weder als Kommunikatoren noch als Rezipienten eingeschränkt werden.
Weniger klar ist, welche Einschränkungen öffentlicher Kommunikation Pressefreiheit ausschließen soll. Mit dem Zensurverbot verbindet sich die Vorstellung, dass vor allem staatliche Vorgaben gemeint sind. Im wissenschaftlichen wie im praktisch-politischen Diskurs hat sich jedoch die Einsicht durchgesetzt, dass auch dort, wo Pressefreiheit formalrechtlich garantiert wird, öffentliche Kommunikation durch administrative Maßnahmen, ökonomische Verhältnisse oder kulturelle Traditionen unnötig eingeschränkt werden kann. Das zeigt sich besonders an ihrem sozialen Nutzen. Wie kann ungehinderte Information aus allgemein zugänglichen Quellen zu umfassender Transparenz führen, wenn es aufgrund ökonomischer Medienkonzentration an hinreichender Vielfalt solcher Quellen mangelt? Wie sollen Missstände an den Tag kommen, wenn Journalisten keine Zeit haben oder sich scheuen, Heikles zu recherchieren?
Von Verfassungsrechtlern wird darauf hingewiesen, dass mit dem Begriff der Kommunikationsfreiheit nicht nur die Abwehr staatlicher Beschränkungen der Medien gemeint ist: "Die Kommunikationsfreiheit ist eine ‚Rundumfreiheit‘ (…). Nicht nur staatliche Bevormundung, sondern jedwede Art der Bevormundung ist fernzuhalten. (…) Bei nachhaltiger Gefährdung der Kommunikationsfreiheit (…) können die Grundrechte ausnahmsweise auch unmittelbar gegen Träger wirtschaftlicher, sozialer und anderer Macht wirken."
Dieser fachliche Diskurs hat Einfluss auf Medienpolitik und Medienpraxis. Reporter ohne Grenzen misst Pressefreiheit mit einem an "Hunderte Experten auf allen Kontinenten" versandten Fragebogen; in ihm sind "Faktoren wie Medienvielfalt, rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen oder Zugangsmöglichkeiten zum Beruf des Journalisten [berücksichtigt]. (…) Auch Selbstzensur, Recherchefreiheit und finanzieller Druck fließen in die Bewertung ein, ebenso Hindernisse für den freien Informationsfluss im Internet."
Entwicklung
Pressefreiheit ist eine Errungenschaft der Aufklärung. Nicht zufällig begann ihre Entwicklung in England, dem historisch fortgeschrittensten Land auf dem Weg zur bürgerlichen (hochdifferenzierten, kapitalistischen, demokratisch verfassten) Gesellschaft: ein weiterer Hinweis, dass ungehinderte Kommunikation für Selbstregulierungsprozesse und Modernisierung notwendig ist. Der im 18. Jahrhundert in England, Frankreich und den USA fortgesetzte Kampf um Pressefreiheit führte 1791 zum "First Amendment", dem ersten Zusatz zur Verfassung der USA, in dem es heißt: "Congress shall make no law (…) abridging the freedom of speech, or of the press". In den angelsächsischen Ländern hat Pressefreiheit seit Ende des 18. Jahrhunderts eine weitgehend ungebrochene Tradition.
Anders in Deutschland, der "verspäteten Nation" (so der Philosoph Helmuth Plessner), wo der Kampf um die Pressefreiheit erst im 19. und 20. Jahrhundert geführt wurde.
Nach 1945 mussten Medien zunächst von den Besatzungsmächten lizenziert werden.
Auch in der Bundesrepublik blieben politische, ökonomische, kulturelle und teilweise auch rechtliche Barrieren für die Pressefreiheit bestehen. Im restaurativen Klima der 1950er Jahre planten Regierungen unter Konrad Adenauer Pressegesetze, die Zeitungs- und Berufsverbote für Journalisten – im Extremfall sogar durch die Exekutive – ermöglicht hätten.
Dem steht eine ebenfalls stetige Entwicklung gegenüber, die die Pressefreiheit rechtlich und kulturell gestärkt hat und weiter stärkt. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht eine maßgebliche Rolle gespielt. 1966 hat es mit der Entscheidung, die die "Spiegel"-Affäre abschloss, in aller Deutlichkeit auf den umfassenden Charakter der Kommunikationsfreiheit und die daraus erwachsenden Aufgaben des Staats inklusive der Abwehr von Pressekonzentration hingewiesen.
2007 bekräftigte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung von 1966, indem es eine auf die Paragrafen 353b, 27 des Strafgesetzbuches (StGB) ("Beihilfe zur Verletzung des Dienstgeheimnisses") gestützte, von Bundesinnenminister Otto Schily befürwortete und von unteren Gerichten legitimierte Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift "Cicero" sowie die in diesem Zusammenhang erfolgte Beschlagnahme von Redaktionsmaterial für illegal erklärte. "Cicero" hatte einen Artikel über einen al-Qaida-Terroristen publiziert, der sich offensichtlich auf einen vertraulichen Bericht des Bundeskriminalamts stützte. Die Verfassungsrichter stärkten damit den Informantenschutz als wesentliches Element der Pressefreiheit.
Dennoch ist auch das Recht bis heute nicht völlig frei von Relikten aus vordemokratischer Zeit. Die Problematik des auf das Verbot der "Majestätsbeleidigung" zurückgehenden Paragrafen 103 StGB ("Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten") ist im Frühjahr 2016 durch die Böhmermann/Erdoğan-Affäre ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Die Regierung Merkel will diesen Paragrafen nun abschaffen.
Nicht unproblematisch ist auch, dass nach Paragraf 94 StGB ("Landesverrat") trotz des "Cicero"-Urteils nicht nur das Durchstechen von Staatsgeheimnissen durch Amtsträger, sondern auch deren Veröffentlichung strafbar ist, was im Sommer 2015 im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen das Blog "Netzpolitik.org" diskutiert wurde. Und die Pressefreiheit wird sicher auch nicht dadurch gefördert, dass die im "Spiegel"-Urteil geforderten "Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden" noch nicht in allen Bundesländern für ihren Zuständigkeitsbereich durch Informationsfreiheitsgesetze geregelt sind. Trotz solcher Lücken ist die rechtliche Absicherung der Pressefreiheit aber relativ weit vorangeschritten.
Für den kulturellen Bereich, das heißt die Verankerung von Pressefreiheit in den Denk- und Handlungsweisen von Rezipienten und Journalisten, ist das zweifelhafter. Wenn bei Pegida-Demonstrationen der Vorwurf der "Lügenpresse" erhoben wird und Medienvertreter zum Teil gewaltsam an ihrer Arbeit gehindert werden, spricht das nicht für Respekt vor der Unabhängigkeit, die Journalisten brauchen.
Mitunter können aber auch selbst auferlegte Beschränkungen, die aus einem allzu pädagogischen Berufsverständnis mancher Journalisten herrühren, zu wachsendem Misstrauen führen. Dies wurde insbesondere den überregionalen Medien nach der verzögerten Berichterstattung über Diebstähle und sexuelle Übergriffe durch vornehmlich aus dem arabischen Raum stammende Männer in der Silvesternacht 2015 am Kölner Hauptbahnhof vorgeworfen.
Reporter ohne Grenzen führt Deutschland im jährlichen Ranking der Pressefreiheit derzeit auf Platz 16 von 180 Staaten. Das zeigt einerseits die beachtliche Entwicklung, die die Pressefreiheit seit ihrer rechtlichen Verankerung im Grundgesetz genommen hat. Andererseits zeigt es aber auch, dass es hinsichtlich der Verwirklichung dieser Errungenschaft noch einiges zu tun gibt.
Grenzen
Aus Artikel 5 Absatz 2 GG geht hervor, dass Pressefreiheit nicht grenzenlos ist. Die explizite Aufzählung kann so verstanden werden, dass keine anderen als die hier genannten "Schranken" legitim sind. Allerdings liegt es nahe, für Tatsachenfeststellungen von einer weiteren Grenze auszugehen: nämlich davon, dass sie zutreffen müssen. Die Richtigkeit öffentlicher Mitteilungen, die Daniel Defoe, einer der ersten Publizisten mit professionellem Selbstverständnis, vor drei Jahrhunderten für die einzige Schranke der Pressefreiheit hielt,
Die Grenze, die die Vorschriften der allgemeinen Gesetze der Pressefreiheit ziehen, ist insofern problematisch, als ein Gesetzgeber Vorschriften erlassen kann, die die Pressefreiheit zwar legal, aber nicht legitim einschränken. In Kommentaren zum Artikel 5 wird dieses Problem dadurch gelöst, dass die Gültigkeit gesetzlicher Schranken der Pressefreiheit an deren Übereinstimmung mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gebunden wird.
Daraus, dass der Jugendschutz als Schranke genannt wird, lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass Pressefreiheit ein erwachsenes, mündiges Publikum voraussetzt. Pressefreiheit erfüllt ihren sozialen Nutzen nur dann, wenn auch Journalisten, die von ihr Gebrauch machen, sich ein mündiges Publikum vorstellen, dem jedenfalls nicht deswegen Informationen vorenthalten werden dürfen, weil es damit nicht umgehen könne. Das unterscheidet Journalisten von Pädagogen und lässt eine Regel wie die Richtlinie 12.1 im Deutschen Pressekodex fragwürdig erscheinen, die dem Publikum "Vorurteile" unterstellt.
Anders verhält es sich beim Recht der persönlichen Ehre. Diese Schranke der Pressefreiheit soll nicht eine bestimmte Rezipientengruppe vor für sie ungeeigneten Medieninhalten schützen, sondern sie schützt die dargestellten Personen; und sie ist auch nicht – wie die Schranke der allgemeinen Gesetzesvorschriften – in Bezug auf bestimmte Rechts- und Gesellschaftsordnungen relativierbar, sondern gilt grundsätzlich immer und überall. Weil das Persönlichkeitsrecht zu den grundlegenden Menschenrechten zählt, kann es nur in der Abwägung mit gleichrangigen Grundrechten eingeschränkt werden. Da es sich um ein Grundrecht handelt, das dem Schutz des Individuums dient, tritt es vor allem in Konkurrenz mit Grundrechten wie der Pressefreiheit, die auch dem Allgemeinwohl nützen.
Für Kriterien, woran eine Verletzung der persönlichen Ehre zu erkennen sei, ist die Unterscheidung von Meinungsäußerung und Tatsachenfeststellung wichtig, weil für Meinungsäußerungen von einem größeren Maß an Freiheit auszugehen ist. Hier ist die Grenze durch die Stärke der Beleidigung einer Person definiert, wofür sich der Begriff "Schmähkritik" durchgesetzt hat. Tatsachenfeststellungen sind insofern engere Grenzen gezogen, als eine faktische Unterstellung bereits dann nicht durch die Pressefreiheit gedeckt ist, wenn sie sich als unzutreffend erweist. Wo Medien notorisch Persönlichkeitsrechte verletzen oder falsch berichten, droht Kontrolle von außen. Dass Pressefreiheit sich nur verteidigen lässt, wenn Journalisten sich glaubwürdig um zutreffende Berichterstattung bemühen (und der Aktualität geschuldete Fehler zeitnah korrigieren), ist schon Defoe bewusst gewesen.
Probleme
Defoes frühe Einsicht, dass Pressefreiheit verlorengehen kann, wenn sie missbraucht wird, markiert ein anhaltendes Dilemma. Da es absurd erscheint, Freiheiten dadurch zu erhalten, dass man sie freiwillig einschränkt, wird Pressefreiheit gern absolut gesetzt, was ihre Akzeptanz unterhöhlt. Ob auch dies zu bedenken ist, wenn nach Gründen für das wachsende Misstrauen in die Medien gesucht wird, ist bei aller Emphase für den offenen Diskurs zu fragen. Bereits 2005 entbrannte darüber eine Diskussion, nachdem die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte.
Ein besser lösbares, aber durchaus folgenreiches Problem ist der Widerspruch zwischen Pressefreiheit und dem gesellschaftlichen Bedarf an qualifizierender Berufsbildung von Journalisten. Ärzte, Anwälte oder Architekten können ihren Beruf nur ausüben, wenn sie eine anerkannte akademische Ausbildung durchlaufen haben. Ausgerechnet beim Journalistenberuf, der die für das Allgemeinwohl wichtige Aufgabe zu erfüllen hat, Öffentlichkeit herzustellen, soll es anders sein? Es ist anders: Journalistische Berufstätigkeit setzt keine abgeschlossene Ausbildung voraus. Und es muss, nachdem das Problem in den 1970er Jahren kontrovers diskutiert worden ist, nach mittlerweile ziemlich einhelliger Auffassung auch anders sein, weil Pressefreiheit jeden obligatorischen Zugang in die Medienberufe ausschließt und das Bundesverfassungsgericht im "Spiegel"-Urteil die Notwendigkeit des "freien Zugangs zu den Presseberufen" ausdrücklich betont hat. Allerdings ist der Bedarf an qualifizierender Berufsbildung dringend, denn der Journalismus in der digitalen Medienwelt ist in eine Krise geraten, die seine Professionalität bedroht.
Auch über das Problem der "inneren Pressefreiheit" hat es in den 1970er Jahren eine intensive Debatte gegeben, die mittlerweile abgeklungen ist.
Gefährdungen
Auf dem Buchmarkt gibt es zahlreiche Neuerscheinungen zum Thema Pressefreiheit,
Gefährdet wird sie durch ihre Unterdrückung in Ländern, mit denen Deutschland zum Teil in enger Verbindung steht. Deutlich zeigt sich das zum Beispiel an der Volksrepublik China, einem wichtigen Wirtschaftspartner, der seit Jahren in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen einen der hintersten Plätze einnimmt. Wenn dort, wie die Organisation betont, "die Repression unter Präsident Xi Jinping ungeahnte Ausmaße" erreicht, weil das Regime "weder vor Entführungen noch vor erzwungenen Schaugeständnissen im Fernsehen oder vor Drohungen gegen Familien unliebsamer Journalisten" zurückschreckt, hat das Folgen für die internationale Berichterstattung über China, weil Korrespondenten ihre chinesischen Informanten nicht in Schwierigkeiten bringen wollen.
Mit dem Stichwort Selbstzensur kommt eine weitere Gefährdung der Pressefreiheit in den Blick, die weniger offensichtlich ist und auch in Demokratien kritischer Aufmerksamkeit bedarf: political correctness. Nicht zuletzt in politischen Diskursen bilden sich konforme terminologische und thematische Präferenzen heraus, von denen abzuweichen bisweilen unkorrekt wirkt. Solche konformitätsbildenden Mechanismen können auch innerhalb der professionellen Kommunikationsgemeinschaft der Journalisten wirken, zumal Medien beim agenda setting, der Themensetzung, häufig anderen (Leit-)Medien folgen.
Zum Beispiel berichteten am 13. Juli 2004 viele deutsche Zeitungen auf ihren Titelblättern unisono über einen Überfall auf eine jüdische Mutter und ihr Kind in einem Pariser Vorortzug. "Le Figaro" hatte gemeldet, was in das allgemeine Bild vom zunehmenden Antisemitismus in Frankreich passte. Am nächsten Tag stellte es sich als (nur winzig korrigierte) Falschmeldung heraus; die junge Frau hatte den Überfall gegenüber der Polizei fingiert. Mindestens so problematisch wie falsches Berichten ist Nicht-Berichten aus einem Bemühen um politische Korrektheit heraus. Auffällig selten im medialen Diskurs über die Griechenland-Krise werden etwa Fragen nach schädlichen Auswirkungen des Euro für den Zusammenhalt der EU gestellt. Ein der politischen Erwünschtheit geschuldetes Beschweigen von Problemen trägt zum Misstrauen gegenüber den Medien sowie zum Entstehen und Erstarken populistischer Protestparteien bei.
Bei der Erklärung konformitätsbildender Prozesse ist zu beachten, dass Medien nicht nur Themen setzen und öffentliche Meinungen prägen (können), sondern auch umgekehrt Themenpräferenzen und Meinungen folgen, die sich im Publikum durchgesetzt haben, um Käufer zu finden und mit Informationen bei Rezipienten anzukommen. Ein Mittel gegen solche Einschränkungen der Pressefreiheit ist eine vielfältige Zusammensetzung des Medienpersonals, damit zum Beispiel auch Perspektiven von Migranten repräsentiert sind; ein anderes, dass Journalisten an einem empirischen Wahrheitsbegriff festhalten, der sich auf Sinneswahrnehmung verlässt und nicht darauf, was plausibel oder gar politisch wünschbar erscheint.
Eine weitere aus dem Mediengeschehen selbst herrührende Gefährdung der Pressefreiheit ist das mehr oder weniger bewusste Übertreten ihrer legitimen Grenzen, was zu übermäßigen, aber dann nötig erscheinenden Einschränkungen führen kann. Wenn das Verdikt von der "Lügenpresse" wachsende Resonanz findet, mag das auch daran liegen, dass insbesondere Boulevardmedien den Persönlichkeitsschutz aus kommerziellen Motiven notorisch verletzen. Auch mit der Korrekturpflicht, die sich aus der Kombination von Richtigkeits- und Aktualitätsgebot für faktische Mitteilungen ergibt, steht es in der journalistischen Kultur Deutschlands nicht zum Besten. Regelmäßige Korrekturspalten wie in vielen US-Medien fehlen weitgehend.
Eine weitere Gefährdung rührt aus dem Abwandern von Anzeigeeinnahmen journalistischer Produkte zu Online-Medien ohne redaktionellen Teil. Das Versiegen dieser und anderer Finanzierungsquellen von Journalismus lässt die Geld-, aber auch die Zeitressourcen für gründliche Recherche schwinden.
Zukunft
Gefährdungen durch notorische Übertretung notwendiger Grenzen einerseits und durch politisch korrekte Konformität andererseits zeigen, dass von der Pressefreiheit unausgewogen Gebrauch gemacht wird. Diese Schieflage ruft sowohl nach mehr Sorgfalt als auch nach mehr Unbefangenheit beim Recherchieren und Darstellen. Mit anderen Worten: Sie ruft nach mehr journalistischer Professionalität. Ob das Defizit an Professionalität durch die Zunahme privater, öffentlicher und vor allem semi-öffentlicher Kommunikationsmöglichkeiten im Netz gemindert wird, ist mehr als zweifelhaft. Und dass sich die öffentliche Hand zwecks Stärkung der Professionalität intensiver um die journalistische Berufsbildung kümmert, wird möglicherweise durch den Befund behindert, dass Deutschland im internationalen Ranking der Pressefreiheit relativ weit oben steht.
Der Vergleich mit China oder der Türkei ist für die Einsicht, dass sich auch das halbwegs Zufriedenstellende verbessern lässt, kontraproduktiv. Dass journalistische Professionalität verstärkt, aber auch verbreitet werden sollte, weil im Netz jeder öffentlich kommunizieren kann, ist unter dem Aspekt der Selbstregulierungskraft der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung. Es wäre gefährlich, sich auf den Lorbeeren der Entwicklung seit 1949 auszuruhen.