Außenpolitik haftet das Vorurteil an, abgehoben und elitär zu sein. Die Karikatur der kleinen (männlichen) Machtelite, die in verrauchten Hinterzimmern die Schachfiguren der Weltpolitik ihren eigenen Interessen entsprechend bewegt, ist jedoch spätestens seit dem Ende des Kalten Krieges, dem Wegfall der atomaren Bedrohung in Europa und dem weltweiten Aufstieg zivilgesellschaftlicher Organisationen überholt. Außenpolitik ist komplexer geworden und kann immer weniger allein von politischen Entscheidungsträgern kontrolliert werden.
Um dies zu erkennen, genügt ein Blick etwa auf die anhaltenden Umwälzungen in der arabischen Welt. Einer der Konfliktfaktoren, die Grenzziehungen nach dem Ersten Weltkrieg durch die damaligen Großmächte, war zwar eine solche Federstrich-Vereinbarung zwischen diplomatischen Gesandten ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung. Gleichwohl liegt der Kern der aktuellen Krise weniger in den bestehenden Staatsgrenzen als in der schon lange schwelenden Unzufriedenheit der Menschen mit ihren Regierungen. Wenn staatliche Strukturen zerfallen und nichtstaatliche Akteure erstarken – Milizen und terroristische Gruppierungen ebenso wie Widerstandsbewegungen und Bürgerorganisationen – ist die "klassische" Außenpolitik schnell am Ende ihrer Mittel.
Mit der seit 2015 sehr hohen Zahl an Flüchtlingen kommen diese Konflikte zum Teil auch nach Deutschland. Lokales Handeln wird plötzlich außenpolitisch bedeutend, etwa wenn die Bilder einer gelebten Willkommenskultur in Teilen der deutschen Bevölkerung im vergangenen Sommer um die Welt gehen. Für viele Deutsche ist die sogenannte Flüchtlingskrise die erste spürbare Manifestation eines sich schon länger abzeichnenden Trends: An die Seite der Diplomatie als Konstante zwischenstaatlicher Beziehungen tritt die Zivilgesellschaft als Akteur.
Aber spiegelt sich dies im außenpolitischen Diskurs in Deutschland wider? Wie kann die Zivilgesellschaft im Sinne einer "demokratischen Außenpolitik" im außenpolitischen Gestaltungsprozess von vornherein mitgedacht werden?
Elitendiskurs Außenpolitik?
In der Geschichte der Bundesrepublik diskutierte die Bevölkerung bei Fragen internationaler Politik stets intensiv mit und prägte somit auch die Debatte um außenpolitische Entscheidungen jenseits eines Elitendiskurses: von den Diskussionen über das Für und Wider von Westbindung und Ostpolitik in der Nachkriegszeit über die Golf- und Jugoslawienkriege der 1990er Jahre bis hin zu den jüngst vermehrt in den Vordergrund tretenden Fragen rund um die wirtschaftliche Integration in Europa und den transatlantischen Handel – wann immer ein Sachverhalt "die Menschen berührt", melden sie sich zu Wort.
In dieser Wahrnehmung von Nähe beziehungsweise Ferne liegt auch die historisch begründete Ursache für den Eindruck von Außenpolitik als Elitenprojekt: Über Jahrhunderte hinweg änderten außenpolitische Entscheidungen nicht viel am alltäglichen Leben des Großteils der Bevölkerung; Kriege erschienen oftmals als notwendiges Übel, und die wirtschaftlichen Verhältnisse waren hart genug. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts erklärten Politikwissenschaftler der "realistischen Schule" die internationalen Beziehungen anhand von Billardkugeln: Nicht innere Einflüsse (sprich: das politische System, Ideologien oder gesellschaftliche Faktoren) bestimmen demzufolge ihre Bewegung (sprich: die Außenpolitik der Staaten), sondern allein ihre Position im Verhältnis zu den anderen (sprich: im internationalen Machtgefüge).
In der öffentlichen Wahrnehmung vollzog sich nach der traumatischen Erfahrung des Zweiten Weltkrieges ein Wandel. Angesichts des erreichten Zustands von Frieden und relativem Wohlstand sahen die Menschen in Westeuropa Krieg als unter allen Umständen zu vermeidendes Übel an. Deshalb begannen sie, sich einzumischen, zum Beispiel bei der damals wie heute aktuellen Frage, ob gegenüber Moskau Entspannungspolitik oder Härte Vorrang haben sollte. Zugleich entwickelte sich ein politisch-gesellschaftlicher Grundkonsens über eine auf Austausch und Verständigung gerichtete Rolle Deutschlands in der Welt.
Seit Beginn der 1990er Jahre haben die miteinander verbundenen, sich mitunter verstärkenden Prozesse globaler wirtschaftlicher Verflechtung und vertiefter europäischer Integration das Engagement zivilgesellschaftlicher Akteure wesentlich gefördert. Die in diesen Zusammenhängen verhandelten Fragen gegenseitiger Abhängigkeiten berühren die Menschen und den Wohlstand im Land oftmals direkter als die medial vermittelten Konflikte in der Welt, selbst wenn die Bundeswehr an deren Beilegung beteiligt ist. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn Bürgerinnen und Bürger durch solche lebensnahen Themen wie die Gemeinschaftswährung Euro oder offene Grenzen auf die immer spürbareren Auswirkungen von Außenpolitik aufmerksam werden.
Die Teilung der Welt in Ost und West in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war zwar hochgefährlich, sorgte zugleich aber für klare Verhältnisse. Die heutige Multipolarität mit mehreren konkurrierenden Machtzentren ist zunächst weitaus weniger bedrohlich, dennoch stellt sie die Regierungen und Außenpolitikexperten weltweit vor große Herausforderungen. Denn auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Blockkonfrontation herrscht keineswegs Einigkeit über die Wirkungsmechanismen von Multipolarität. Seit dem Ende des Kalten Krieges wird immer deutlicher, dass es auf zentrale außenpolitische Fragen keine einfachen Antworten gibt. Ist ein Konflikt auf diplomatischem Wege oder militärisch zu lösen? Funktioniert "Wandel durch Handel"? Schadet die EU-Erweiterung der europäischen Integration? Über diese Fragen lässt sich trefflich streiten – und Streit ist der Anfang eines fruchtbaren außenpolitischen Diskurses.
"Volkswille" und Außenpolitik
In einer 2012 veröffentlichten Umfrage der Zeitschrift "Internationale Politik" und des Meinungsforschungsinstitutes Forsa erklärte jeder Zweite, sich für außenpolitische Fragen zu interessieren. Eine direkte Verbindung zwischen dem "Volkswillen" und der Außenpolitik besteht in Deutschland jedoch nicht. Ähnlich wie in innenpolitischen Politikfeldern wird er vielmehr durch Medien, gesellschaftliche Gruppen und die repräsentativen Strukturen des politischen Systems vermittelt.
Dieses Zusammenspiel lässt sich anhand von konzentrischen Kreisen darstellen: Im äußeren Kreis bewegt sich die interessierte Öffentlichkeit, die sich über die Medien informiert und bei Gelegenheit Informationsveranstaltungen besucht. Schon etwas näher am Geschehen befindet sich im nächsten Kreis das Fachpublikum, das an akademischen Instituten und in Organisationen der internationalen Zusammenarbeit wie etwa Hilfswerken arbeitet und häufig für bestimmte Politikbereiche entweder wissenschaftlich fundierte oder aus der eigenen Arbeit herrührende Vorschläge formuliert. Der nächste, deutlich kleinere Beraterkreis umfasst staatliche und private Einrichtungen wie Thinktanks, unternehmerische und parteinahe Stiftungen, Interessenvertretungen wie Wirtschaftsverbände sowie auf Außenpolitik spezialisierte Journalisten, die ihre Ideen in vertraulichen Gesprächen direkt mit Entscheidungsträgern diskutieren können. Die "Entscheider" machen den kleinsten Kreis aus und befinden sich vor allem in der Bundesregierung – im Auswärtigen Amt, im Bundeskanzleramt sowie in den außenpolitisch besonders relevanten Ministerien für Wirtschaft, Entwicklungszusammenarbeit, Verteidigung und Umwelt – sowie im Deutschen Bundestag.
Am außenpolitischen Diskurs in Deutschland sind die Bürgerinnen und Bürger vor allem über die öffentliche beziehungsweise veröffentlichte Meinung beteiligt, wie sie in Medien und Umfragen dargestellt wird. Dabei handelt es sich um Ausdrucksformen, die die Politik entweder aufnehmen und nutzen kann – siehe die ablehnende Haltung der Menschen in Deutschland gegenüber dem Irak-Krieg 2003, die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder für seine Wiederwahl nutzen konnte – oder aber ignorieren beziehungsweise überstimmen kann – siehe aktuell die zahlreichen Demonstrationen gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, an dem die Bundesregierung gleichwohl festhält.
Darüber hinaus bewegen sich in Deutschland die Möglichkeiten der Einflussnahme der Menschen auf die Außenpolitik in den Grenzen der repräsentativen Demokratie. Deren Herzstück, das Parlament, nimmt in Deutschland eine besondere Funktion im außenpolitischen Entscheidungsprozess ein: Sowohl bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr als auch bei europapolitischen Entscheidungen haben die Abgeordneten des Bundestages in den vergangenen 20 Jahren wichtige Kompetenzen hinzugewonnen. So muss seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994 der Bundestag der Entsendung von Soldaten ins Ausland im Vorhinein zustimmen. Dieser sogenannte Parlamentsvorbehalt, der auch ein Rückholrecht einschließt, sorgt regelmäßig für Gesprächsstoff nicht nur in den Kommentarspalten, sondern auch in den Wahlkreisen der Abgeordneten. Diese Einbindung der (interessierten) Öffentlichkeit in außenpolitische Fragen reduziert wiederum die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Schließlich kann sie ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages keine festen Zusagen über eine deutsche Beteiligung an Einsätzen der Vereinten Nationen, der NATO oder der Europäischen Union machen. Im Sinne einer "demokratischen Außenpolitik" ist dies jedoch vertretbar.
Die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat bei EU-Angelegenheiten wurden 1992 durch eine Grundgesetzänderung zur Ratifizierung des Maastrichter Vertrags explizit gesetzlich geregelt. Artikel 23 des Grundgesetzes, der sogenannte Europa-Artikel, schreibt vor, wie beide Kammern analog zu ihren innerstaatlichen Kompetenzen an hoheitlichen Entscheidungen über mögliche Souveränitätsverlagerungen auf die europäische Ebene zu beteiligen sind. Diese Mitwirkungsrolle stärkte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Lissabon-Urteil von 2009. Darin schrieb es dem Bundestag eine intensivere Beteiligung auch an regulären Brüsseler Entscheidungen vor – von aktiven Stellungnahmen zu EU-Gesetzgebungsvorhaben bis zum Einfordern von Subsidiaritätsrechten mittels der sogenannten Gelben Karte, mit der eine Koalition von nationalen Parlamenten einen Vorschlag der EU-Kommission stoppen kann.
Über die beschriebenen Mechanismen erhalten auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland mittelbar mehr Einfluss auf außen- und europapolitische Entscheidungen der Bundesregierung. Gerade was den Bundestag betrifft, steht dieser Zuwachs an politischer Kompetenz jedoch in Kontrast zu einem zunehmenden Mangel an internationaler Erfahrung. Dass Reisen nicht allein bildet, sondern parteipolitisch vor allem schadet, ist eine gängige Klage unter international interessierten Abgeordneten. Denn wer im Ausland unterwegs ist, fehlt im Wahlkreis, wo über Listenplätze und somit über die politische Zukunft entschieden wird. Das weiterhin bestehende Quasimonopol der Parteien wiederum schließt Quereinsteiger mit Auslandserfahrung von Positionen mit politischer Verantwortung faktisch aus.
Gleichzeitig stehen die Parteien selbst unter Druck, und mit ihnen das repräsentative System: Die Mitgliederzahlen der Parteien sinken ebenso wie die Wahlbeteiligung. Vereinte die erste Große Koalition Ende der 1960er Jahre noch über 87 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich, sind es für die beiden schwarz-roten Regierungen seit der Wiedervereinigung jeweils weniger als 70 Prozent. Unter Berücksichtigung der Nichtwählerinnen und Nichtwähler ergibt sich gerade noch ein Stimmenanteil von 53 Prozent für die erste schwarz-rote Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel beziehungsweise von knapp 48 Prozent für die zweite – somit hat nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte für eine der aktuellen Regierungsparteien gestimmt. Zugleich steigt die Zustimmung für Parteien mit Positionen fernab des jahrzehntelangen außenpolitischen Grundkonsenses, die also beispielsweise einen Austritt aus dem Euro und der NATO befürworten.
Hinzu kommt, dass die außerparlamentarischen Repräsentationsstrukturen im Bereich der Außenpolitik nicht mit den für innenpolitische Politikfelder etablierten Interessenvertretungen wie Gewerkschaften und Verbände vergleichbar sind. Es fehlen also natürliche Mittler zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der Außenpolitik beziehungsweise dem internationalen Geschehen. Mehr noch als bei innenpolitischen Fragen haben die Menschen das Gefühl, in der Außenpolitik keine Stimme zu haben.
Gestiegener Legitimationsdruck
Sei es der Staatszerfall in Teilen der arabischen Welt und die daraus resultierende Migrationsbewegung nach Europa, die Ukraine-Krise, die Euro-Krise, der anstehende "Brexit" oder das Erstarken populistischer Bewegungen in Europa und den Vereinigten Staaten – Deutschland steht außenpolitisch vor neuen Herausforderungen. Die Idee einer "neuen deutschen Außenpolitik" wurde lange Zeit international sowie innerhalb Deutschlands sehr kritisch gesehen. Zu leicht ließ sich dem wiedervereinigten Deutschland eine alt-neue Großmachtorientierung unterstellen. Im vergangenen Jahrzehnt, nach dem Ja zum Afghanistan-Einsatz 2001 und dem Nein zum Irak-Krieg 2003, hat sich die Tonlage jedoch verändert, und zunehmend fordern Politikerinnen und Politiker im In- und Ausland ein stärkeres deutsches Engagement. Sinnbildlich für diese von außen an Deutschland herangetragene Erwartung steht der Ausspruch des damaligen polnischen Außenministers Radosław Sikorski auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise 2011 und angesichts des drohenden Zerfalls der Europäischen Union, er fürchte deutsche Macht weniger als deutsche Untätigkeit.
Mit Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen forderten Anfang 2014 drei hochrangige deutsche Politiker öffentlichkeitswirksam, die Bundesrepublik solle mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Wenig später veröffentlichte die Körber-Stiftung die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur Einstellung der Deutschen zur Außenpolitik, bei der 60 Prozent der Befragten angaben, Deutschland solle sich außenpolitisch weiterhin eher zurückhalten, während 37 Prozent ein stärkeres Engagement Deutschlands befürworteten. 1994 war es noch genau umgekehrt gewesen: Damals hatten sich 37 Prozent für eine Zurückhaltung Deutschlands ausgesprochen und 62 Prozent für die Übernahme einer größeren Verantwortung.
Angesichts dieser gegenläufigen Entwicklung steht die Bundesregierung in Sachen Außenpolitik also unter einem starken Legitimationsdruck, zumal die Euro-Krise und jüngst auch die Flüchtlingspolitik zu einer (teils faktischen, teils wahrgenommenen) Personalisierung von Außenpolitik durch die Bundeskanzlerin geführt haben.
Im Nachgang der Reden von Gauck, Steinmeier und von der Leyen unternahm die Bundesregierung einige Versuche, Außenpolitik bürgernäher zu gestalten, etwa im Zusammenhang mit dem "Review-Prozess" des Auswärtigen Amtes 2014 sowie dem "Weißbuch 2016" des Bundesverteidigungsministeriums. Der Review-Prozess diente einer kritischen Bewertung der deutschen Außenpolitik. Außenminister Steinmeier bat hierzu in- und ausländische Expertinnen und Experten um ihre Einschätzung und suchte gezielt den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern – in Schulen und Betrieben ebenso wie an Universitäten und auf Marktplätzen. Auch nach Abschluss des Prozesses pflegt das Auswärtige Amt diesen Dialog, sei es im Rahmen einer Reihe von partizipativen Strategie-Workshops oder in dem Format einer "Bürgerwerkstatt Außenpolitik", die im Februar 2016 erstmals stattfand. Das Weißbuch wiederum bestimmt die Leitlinien deutscher Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit besonderem Blick auf die Lage der Bundeswehr. Während des Formulierungsprozesses wurde analog zum Review-Prozess erstmals ebenfalls auf die Beteiligung der Öffentlichkeit gesetzt.
So wichtig und richtig diese Initiativen auch sind, so sehr unterstreichen sie doch ihren eigenen Ausnahmecharakter. Auch 25 Jahre fundamentaler Wandel in Europa und der Welt haben in der Bundesrepublik nicht zu einer intensiveren Auseinandersetzung zwischen Politik und Bevölkerung über Deutschlands außenpolitische Grundausrichtung geführt.
Eine breite Debatte über Deutschlands Rolle in Europa und der Welt scheint längst überfällig. Damit ist jedoch weniger das partizipative Erarbeiten einer umfassenden außenpolitischen Strategie gemeint, sondern vielmehr eine Auseinandersetzung zwischen außenpolitischen Entscheiderinnen und Mitgestaltern sowie der Bevölkerung über die europäischen und globalen Anforderungen an die Bundesrepublik und ihre Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihrer Interessen.
Mehr Zivilgesellschaft in der Außenpolitik
Wie kann aber nun die Gesellschaft im außenpolitischen Gestaltungsprozess besser erreicht und eingebunden werden? Zwei Beispiele sowie ein grundlegender Gedanke mögen bei der Beantwortung dieser Frage helfen.
So würde erstens dem gesamten außenpolitischen Betrieb eine Öffnung hin zu den Menschen ausgesprochen gut tun. Einen beispielhaften Prozess hat etwa die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) durchlaufen, die als unabhängiger und überparteilicher Verein die Förderung der außenpolitischen Meinungsbildung in Deutschland zum Ziel hat. Nicht unverdient haftete an der Gesellschaft noch zur Jahrtausendwende der Ruf, ein geschlossener Altherren- beziehungsweise Altdiplomatenverein der Bonner Republik zu sein. In den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren hat sich die DGAP jedoch enorm geöffnet: Die Junge DGAP organisiert eigene Veranstaltungsreihen speziell für Studierende und Berufsanfängerinnen, während gleichzeitig eine Reihe von Regionalforen die außenpolitische Debatte weit über die Hauptstadt hinaus trägt. In ihren Ursprüngen noch älter als die Gesellschaft selbst, hat sich die von der DGAP herausgegebene Zeitschrift "Internationale Politik" in den vergangenen Jahren eine breite Leserschaft weit über den Expertenkreis hinaus erarbeitet. Sie ist mittlerweile in Bahnhofsbuchhandlungen zu kaufen, kann über eine App gelesen werden, und das auf Deutsch oder seit dem Launch des Online-Schwestermagazins "Berlin Policy Journal" 2015 auch auf Englisch. Schließlich verfügt die DGAP schon lange über eine der ältesten und größten öffentlich zugänglichen Spezialbibliotheken für deutsche Außenpolitik und internationale Beziehungen. Dieser Teil der DGAP steht allen Bürgerinnen und Bürgern offen – mit einem klaren Standortvorteil für die Berliner, zugegebenermaßen.
Zweitens sollten innovative Arten der Beteiligung am außenpolitischen Willensbildungsprozess und der Außenpolitikvermittlung exploriert werden. Die Initiative "Welt und Wir", die sich für eine aufgeklärte Debatte und einen verbesserten Dialog über deutsche Außen- und Europapolitik und internationale Angelegenheiten einsetzt, veranstaltete im Sommer 2015 einen Workshop zum Thema "Bürgeraußenpolitik", um mit Praktikerinnen und Experten der internationalen Politik über genau solche neuen Wege zu diskutieren. Dabei erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Projektvorschläge für verschiedene Zielgruppen. Eine besonders innovative Idee war etwa, das storytelling als strukturierte, aber kreative Form des Informierens über persönlich erlebte Außenpolitik an lebensweltlichen Orten wie Theatern, Jugendzentren, Kirchen oder Moscheen verstärkt einzusetzen, sei es beispielsweise durch geflüchtete Menschen, die von Krieg und Vertreibung berichten, oder durch Diplomatinnen und Entwicklungshelfer, Polizisten und Soldatinnen, Kulturmittler und Freiwillige, die für die Bundesrepublik im Ausland gearbeitet haben. Ein weiterer Vorschlag zielte auf die regelmäßige Organisation von Wahlkreisdiskussionen zwischen Bundestagsabgeordneten und international tätigen mittelständischen Unternehmern. Diese könnten verdeutlichen, wie eng der Wohlstand in Deutschland von globalen Faktoren abhängt, die es im Rahmen der Außenpolitik zu gestalten gilt. Auch ein jährlicher Ideenwettbewerb "Meine Welt" wurde als Vorschlag erarbeitet, der Essays, Gedichte, Fotos und Videos prämieren könnte, die vermitteln, was deutsche Außenpolitik vor Ort in Deutschland bedeuten kann.
"Bürgernahe Außenpolitik" kann jedoch nicht nur punktuell und auf Betreiben einzelner Institutionen stattfinden, sondern braucht ein breites gesellschaftliches Fundament. Das Zentrum hierfür sollte – und das ist der dritte Aspekt – in der repräsentativen Demokratie der Bundestag mit seinen Abgeordneten sein. Deshalb machen sowohl der politische Kalender als auch die aktuellen Ereignisse weltweit die Bundestagswahl 2017 so bedeutsam. Denn wenn die Bundeskanzlerin wie im Oktober 2015 in der Talkshow "Anne Will" erklärt, Deutschland werde zukünftig ein Land sein, das "mehr Außenpolitik macht", dann gilt es, diese Bedeutungsverschiebung auch zu erklären – und für sie zu streiten. Mehr und besseres Erklären schließt die Bereitschaft zum Zuhören, zum Aufnehmen und Integrieren von Bürgermeinungen ein. Das wiederum ist in erster Linie nicht die Aufgabe einzelner Ministerien, sondern der Volksvertreterinnen und Volksvertreter im Parlament.
Die Abgeordneten sind es auch, die über die Mittelausstattung deutschen Handelns in der Welt entscheiden. Denn "mehr Außenpolitik" und "mehr Entwicklungszusammenarbeit", wie sie die Bundeskanzlerin versprochen hat, brauchen zusätzliche Ressourcen, also Investitionen in Personal und Material, Ideen und internationale Netzwerke. Diese Mittel müssen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern gerechtfertigt werden, besser noch: Letztere müssen überzeugt werden, dass eine aktive außenpolitische Rolle Deutschlands für Frieden und Wohlstand in Europa unerlässlich ist – und dass hierfür ihre eigene Beteiligung als zivilgesellschaftliche Akteure gefragt ist.